Weizenernte. Wie groß ist das Qualitätsproblem?

Ein Erntejahr wie dieses hat es schon lange nicht mehr gegeben: Weizen, der auf dem Feld verrottet oder auch »nur« auswächst. Niedrige Proteingehalte und Fallzahlen zwischen 0 und 400 sec. Landwirte, die sich Gedanken machen, wie sie Weizen mit weniger als 70 kg hl-Gewicht vermarkten können. Mühlen und Exporthändler, die Anfang August noch vorgaben, bis zum Jahresende und darüber hinaus versorgt zu sein, stürzen sich auf allen Weizen, der auch nur halbwegs die Parameter Eiweiß, Fallzahl und wenigstens 74 kg hl-Gewicht mitbringt. Eine Logistik, die an ihre Grenzen stößt, wenn Lkw mit Weizen gestoßen werden und Lieferungen kreuz und quer durch die Republik gehen. »Betrachtet man die Transportwege, so gleichen die einem Ameisenhaufen«, so ein Getreidehändler Mitte August. Welche Qualitäten am Ende verfügbar sein werden und in welchen Mengen weiß niemand zu sagen. Solange die Ernte nicht abgeschlossen und sortiert ist, ist eine verlässliche Prognose nicht möglich. Bekannt ist hingegen der Bedarf.

Mehl. Etwa 7,7 Mio. t Weichweizen werden in Deutschland zu Mehl für Brot, Backwaren und Nudeln vermahlen. Für das Standardmehl dient der B-Weizen, dessen Spezifikationen mit 76 kg hl-Gewicht, 11,5 % Eiweiß und 220 sec. Fallzahl angegeben sind. Aus früheren Jahren wissen wir, dass die Mühlen auch ganz gut mit 200 sec. und zur Not auch noch mit 180 sec. zurechtkommen. Das ist eine Frage des Preises. Für bestimmte Mehle werden aber bessere Werte verlangt, etwa A-Weizen mit 78 kg hl-Gewicht und 13 % Protein sowie 250 sec. Fallzahl. Die Aufgelder (Prämien) für diese Qualitäten liegen derzeit bei 30 €/t, vor der Ernte waren es nur 5 bis 10 €/t, im Frühjahr gar nur 2 €/t. Mangelnde Proteinwerte lassen sich mit Gluten aus der Stärke- oder Ethanolproduktion aufmischen. Niedrige hl-Gewichte können durch sieben und Aufbereitung erhöht werden. Nur Fallzahlen lassen sich nicht ändern.

Futter. Nahezu die gleiche Menge wie in Brot, Backwaren und Nudeln geht in den Futtertrog. Diese Position ist sehr variabel, denn der Weizen lässt sich je nach Preisgefüge auch durch Mais oder Trockenschnitzel ersetzen. Am Ende ist es eine Frage der Preisrelationen – und auch der Qualität. Schlechten Futterweizen mit hl-Gewichten unter 70 kg nehmen auch die Futtermischer nicht gerne. Anfang August zahlten sie daher noch bis zu 5 €/t Aufpreis für qualitativ einwandfreien Futterweizen, in der Regel sind das proteinschwache Partien. Aktuell erzielt Futterweizen einen Abschlag von 30 €/t auf den Mahlweizen. Bis zu 5 % Auswuchs (unter 5 mm Keimlänge) werden von den meisten Futterrmischern noch ohne Abzug akzeptiert. Bis 10 % gibt es 10 €/t Abschlag auf den Futterweizenpreis, bis 25 % Auswuchs akzeptieren viele Futtermischer mit 20 €/t Abzug. Ab 25 % Auswuchs oder Auswuchs mit mehr als 5 mm Länge stoßen sie die Lieferung. Das jetzt größere Angebot an Futtergetreide trifft auf einen sinkenden Bedarf (vor allem wegen sinkender Schweineherden) und auf ein größeres Angebot aus Osteuropa. In der Ukraine etwa sind dieses Jahr 60 % der Ernte nur Futterqualität, 2022 sollen das nur 40 % gewesen sein.

Häufig ist von Weizen, Roggen und Triticale die Rede, die in die Biogasanlage müssen. Aber ausgekeimtes Getreide hat ­weniger Energie und ist daher auch im Biogas minder­wertig.

Exporte. Der Weizenexport gibt vor allem in Norddeutschland häufig das Preisniveau vor. Der typische Exportweizen hat 12,5 % Eiweiß. 3 bis 
3,5 Mio. t werden jährlich aus deutschen Häfen verschifft. Wichtige Kunden sind Saudi-Arabien, Südafrika und der Iran. Diese Länder wurden in den vergangenen Jahren verstärkt von Russland beliefert. Konkurrenten aus der EU sind vor allem Polen und das Baltikum. Dort sind die Qualitätsprobleme aber ähnlich wie bei uns. Gut möglich, dass deutscher Weizen sich »auspreist« und Aus-tralien, Kanada und Russland uns Weltmarktanteile entreißen.

Stärke. Die Stärkeindustrie leidet derzeit unter der Wirtschaftsflaute. Viele Werke produzieren nur eingeschränkt. Zwar benötigt die Stärkeindustrie nicht zwingend hohe Eiweißgehalte, sie kann aber das Gluten in Jahren wie diesem gut verkaufen. Das gilt gleichermaßen für die Ethanolfabriken. Volle Körner mit hohen Hektolitergewichten und großen Mehlkörpern verbessern aber die Ausbeute, weshalb schwache Hekto­literwerte dort kein Absatzventil finden.  

Christian Bickert

Vermarktungstipp

Wenn die Panik am größten ist, sollte man Qualität verkaufen. Es hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gezeigt, dass es in Phasen der Unsicherheit hohe Aufgelder für A-Weizen gab, die dann zusammenschnurrten, wenn der dringende Bedarf gedeckt war. Außerdem ändert sich das Bild oft, wenn die Ernte erst einmal weggepackt und sortiert ist. Viele Landwirte machen den Fehler, den besten Weizen bis zum Schluss aufzuheben. Dadurch steigt das Angebot zum Ende der Saison, während die Nachfrager sich bereits gut eingedeckt haben. Die Folge sind schrumpfende Qualitätsprämien. Deshalb sollten Sie A-Weizen verkaufen, wenn die Unsicherheit und damit die Prämien am größten sind. 

Futterweizen ebenfalls früh abstoßen. Die Futtermühlen kaufen kontinuierlich bis zum letzten Tag der Vermarktungssaison. Daher ist es in der Regel unkritisch, die schwächsten Partien bis zum Schluss aufzuheben. In diesem Jahr dürfte das anders sein. Das unerwartet große Angebot sorgt ebenso für Preisdruck wie die zusätzliche Ware aus der Ukraine – solange der Getreide­export über die Seehäfen eingeschränkt ist. Hinzu kommt das Risiko sinkender Maispreise, weil Brasilien eine Rekordernte eingefahren hat und in den USA trotz aller Widrigkeiten eine Durchschnittsernte ansteht. Gleichzeitig sinkt die Nachfrage nach Futtergetreide in vielen Importländern des globalen Südens, was auf eine schrumpfende Tierhaltung hindeutet. Dort hinterlassen die Nachwirkungen von Corona und die Inflation beziehungsweise Wirtschaftsflaute ihre Spuren. Daher empfiehlt es sich, Futterweizen nicht zu lange zu lagern.