Interview. »Regionalität braucht Innovationen«
Weniger Wirkstoffe, mehr Risiko: Europa braucht dringend schnellere Zulassungsverfahren, um Produktivität, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit in Einklang zu bringen.
Herr Röser, der Selbstversorgungsgrad in Deutschland könnte bei weiterem Wirkstoffverlust spürbar sinken. Wie groß ist aus Ihrer Sicht das Risiko für die regionale Lebensmittelversorgung?
Das Risiko ist groß. Deutschland liegt im Durchschnitt nur bei einem Selbstversorgungsgrad von 83 %. Bei Obst und Gemüse ist die Lage besonders kritisch: Nur noch jeder dritte Apfel stammt aus Deutschland, bei Obst insgesamt liegt der Selbstversorgungsgrad bei 21 %, bei Gemüse bei 37 %. Hinzu kommen Wetterextreme, neue Krankheiten, invasive Schädlinge wie Ackerfuchsschwanz oder Schilfglasflügelzikade. Gleichzeitig geht täglich landwirtschaftliche Fläche verloren. Wenn wir weniger Fläche haben, müssen wir auf dieser umso effizienter und nachhaltiger produzieren. Dafür brauchen Landwirte den vollständigen Werkzeugkasten – einschließlich chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel.
Was passiert, wenn dieser Werkzeugkasten kleiner wird?
Durch den Wegfall vorhandener oder fehlende Zulassung neuer Wirkstoffe stehen vielen Betrieben bald nicht mehr genügend Mittel zur Verfügung. Das gefährdet die Produktivität und senkt den Selbstversorgungsgrad weiter. Ohne Innovationen steigt die Importabhängigkeit – und damit sinkt die Ernährungssouveränität.
Wie stark bremsen aktuelle Zulassungsverfahren Innovationen aus?
Sehr stark. Die Studie belegt, dass die Wettbewerbsfähigkeit vieler Betriebe massiv leidet: In Ackerkulturen wie Getreide oder Kartoffeln sinken Gewinne im Schnitt um 50 %, in Sonderkulturen wie Karotten oder Zwiebeln um über 90 %. Das heißt, viele Betriebe arbeiten dann defizitär. Ursache ist, dass Landwirte bei fehlenden Alternativen auf weniger wirksame Strategien ausweichen müssen – mehr Aufwand bei geringerer Wirkung.
Was müsste sich in der Zulassung ändern?
Die Produktpipeline ist gut gefüllt, aber Zulassungsverfahren dauern in Europa bis zu sechs Jahre länger als nötig. Wir brauchen kein völlig neues System – sondern die konsequente Einhaltung bestehender Fristen, den Abbau unnötiger Bürokratie und eine Harmonisierung innerhalb der EU. Wichtig wäre zudem eine wissenschafts- und risikobasierte Bewertung anstelle einer rein gefahrenorientierten. Es geht darum, Risiken realistisch zu bewerten und zu managen – nicht, Innovationen grundsätzlich zu verhindern.
Wie wirken sich die langen Verfahren auf Forschung und Entwicklung aus?
BASF investiert jährlich rund 900 Mio. € in Agrarforschung – etwa 2,5 Mio. € pro Tag. Bis ein neues Pflanzenschutzmittel auf den Markt kommt, dauert es rund zwölf Jahre und kostet im Schnitt 300 Mio. €. Wenn Innovationen nicht rechtzeitig zugelassen werden, verlieren auch Landwirte Erträge und Einkommen. Forschung braucht Planungssicherheit und verlässliche politische Rahmenbedingungen – ebenso wie die Betriebe, die diese Innovationen später einsetzen.
Was wäre nötig, damit Innovationen schneller auf den Markt kommen?
Ein einheitlicher, effizienter europäischer Zulassungsprozess ohne nationale Sonderwege. Notfallzulassungen sollten Ausnahmen bleiben. Und es braucht klare, langfristige Perspektiven in der Agrarpolitik. Nur so können Unternehmen investieren und Landwirte rechtzeitig die richtigen Entscheidungen treffen.
DLG-Präsident Paetow spricht von »nachhaltiger Produktivitätssteigerung« als Leitbegriff der Zukunft. Wie kann Innovation im Pflanzenschutz dazu beitragen?
Neue Pflanzenschutzlösungen müssen heute wirksamer und zugleich umweltverträglicher sein als bestehende Produkte. Digitalisierung und Technologisierung – etwa Spot-Spraying oder sensorbasierte Anwendungen – ermöglichen noch präzisere Einsätze. Zudem werden viele Wirkstoffe neu formuliert, gelangen schneller an ihren Wirkort und belasten die Umwelt weniger. Manche basieren bereits auf nachwachsenden Rohstoffen. So leisten Innovationen einen Beitrag zu mehr Effizienz, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit – und sichern die Wirtschaftlichkeit landwirtschaftlicher Betriebe.
Die Fragen stellte Thomas Künzel