Ukraine. "Weizen im Überfluss und schlechte Preise"

Elisabeth Seeba leitet den Ackerbaubetrieb TOV Korystivske mit 1.600 ha mit Sitz in Ukrainka, im Nordwesten der Ukraine. Unsere Autorin Astrid Thomsen steht seit dem ersten Besuch des Betriebs vor gut eineinhalb Jahren in Kontakt mit Seeba und hat mit ihr über die aktuelle Situation in der Ukraine gesprochen. 

Frau Seeba, es gibt immer wieder neue Wellen russischer Raketenangriffe, die vor allem auf die Energieversorgung abzielen. Wie erleben Sie die Situation vor Ort und wie kommt Ihr Betrieb und das Dorf Ukrainka mit der Stromknappheit zurecht?

Die Angriffe auf die Stromversorgung sind wirklich zum Verzweifeln. Immer wenn alles einigermaßen repariert wurde, kommen die nächsten Angriffe. Und der Winter hat ja erst begonnen. Wir benötigen den Strom für das Beheizen des Pflanzenschutzmittellagers, das Belüften des Getreides und das Beheizen unserer Wohnungen. Außerdem besteht natürlich die Gefahr, dass Wasserleitungen kaputt frieren. Wir haben deshalb für den Betrieb ein Notstromaggregat mit 115 kW gekauft. Außerdem einen Starlink-Empfänger, um auch Internet zu haben, wenn die öffentlichen Mobilfunkmasten nach einigen Stunden Stromausfall abgeschaltet werden. So kann auch unsere Buchhaltung weiter arbeiten. Solange es Diesel gibt, ist unser Betrieb also frostsicher und erreichbar.
Anders sieht es natürlich in normalen Haushalten aus. Die Preise für Generatoren sind ins Unermessliche gestiegen. Wir haben die öffentlichen Einrichtungen im Dorf mit Generatoren aus einem deutschen Baumarkt versorgt.

Inzwischen gibt es auch im Dorf Ukrainka immer mehr Soldaten, die an der Front gefallen sind und auf dem Dorffriedhof beerdigt werden. Was macht das mit dem Dorf?

Die gefallenen Soldaten sind für alle Dorfbewohner Helden, weil sie ihr Leben dafür gegeben haben, ihr Land gegen Russland zu verteidigen. Sie bewundern ihren Mut. Wenn ein gefallener Soldat beerdigt wird, wird neben seinem Grab eine ukrainische Flagge aufgestellt. Es werden Veranstaltungen in unserem Dorfgemeinschaftshaus organisiert, um Geld für die Soldaten an der Front zu sammeln.

Zurück zur Landwirtschaft und Ihrem Betrieb. Wie blicken Sie auf die diesjährige Ernte? 

Die Ernteergebnisse waren an sich zufriedenstellend, wenn man das trockene Frühjahr bedenkt. Leider hat es ab dem Tag des Beginns der Ernte fast täglich geregnet, so dass der letzte Weizen und die Sommergerste auf dem Halm ausgewachsen sind. Was nicht ausgewachsen ist, hat keine Brotqualität. Und da es in der Ukraine im Moment Weizen im Überfluss gibt, ist Futterweizen nur zu sehr schlechten Preisen zu verkaufen.

Der Betrieb besitzt kein eigenes Lager, das ist jetzt ein großes Problem. So haben Sie in diesem Jahr die Lagerung in Bigbags probiert. Mit Erfolg? 

Die Lagerung in Bigbags hat sich wegen der angespannten Erntebedingungen als nicht sehr praktikabel erwiesen, weil das Befüllen der Säcke sehr langsam geht. So mussten wir doch viel Weizen fremd einlagern und die hohen Preise hierfür in Kauf nehmen. Das waren 6 Cent/t/Tag. Nach drei Monaten erhöhten sich die Kosten auf 16 Cent/t/Tag. Wir haben versucht, alles trocken zu ernten. Das hat das Ganze natürlich noch in die Länge gezogen. Aber abgesehen von dem Zeitbedarf und den hohen Kosten hat das Einlagern gut geklappt.
Den Raps haben wir noch im Lagerhaus in Bigbags gefüllt und in normalen Planen-LKW nach Deutschland und Polen fahren lassen und dort als technischen Raps verkauft. Rapsdichte LKW waren aufgrund der hohen Nachfrage doppelt so teuer als normalerweise.

Was und wieviel konnten Sie bisher verkaufen und zu welchen Preisen?

Die Gerste haben wir für 110 €/t in der Ukraine verkauft. Den Raps haben wir zu deutschen Preisen verkauft (zwischen 540 und 620 €/t plus Ölzuschlag). Allerdings muss man etwa 170 €/t für den Transport dorthin abziehen.

Der Weizenpreis in der Ukraine liegt immer noch 2/3 unter dem Preis, den man in Deutschland erzielen kann. Immerhin gibt es aber jetzt einen Markt für Futterweizen, seit der Hafen in Odessa wieder arbeitet. Leider gehen nur etwa 25% der Vorjahresexporte über das schwarze Meer nach draußen. Der Weizenexport war für uns bisher nicht attraktiv, weil Futterweizen und natürlich auch Brotweizen an der Grenze zu Polen veterinären und phytosanitären Kontrollen unterliegt. Die Lkw-Fahrer brauchen zwischen drei und fünf Tagen an der polnischen Grenze, um Dokumente und Stempel zu sammeln. Oft schaffen sie es nicht, alle Bedingungen zu erfüllen und werden dann zurück geschickt. Die Schlangen an den Grenzen sind dadurch natürlich enorm. Jeder Tag, den die LKW an der Grenze verbringen, wird von den Spediteuren extra berechnet und machen das Ganze unwirtschaftlich.
Die Problematik ist in der Politik angekommen und es gibt Pläne, sogenannte grüne Korridore für das Getreide einzurichten, das dann über deutsche Häfen weiter verschifft werden soll. Das heißt, dass die phytosanitären und veterinären Kontrollen dann nicht mehr Sache der polnischen Grenzbeamten sein sollen. Das wäre eine große Erleichterung. Wir werden unseren Weizen halten, bis wir Geld für Dünger und Pflanzenschutzmittel im Frühjahr brauchen.

Betriebsspiegel

Der Betrieb TOV Korystivske in der Nähe von Rivne besitzt drei deutsche Eigentümer, Geschäftsführerin ist Elisabeth Seeba.

  • Fläche: 1.600 ha Ackerland, 700 Pachtverträge mit Laufzeiten von 10 bis 15 Jahren
  • Fruchtfolge: Raps, Weizen, Stoppelweizen, Gerste, geplant: Soja
  • Ertrag/ha 2022: Wintergerste 89 dt, Weizen 71 dt, Raps 42 dt
  • Arbeitskräfte: 21 feste Mitarbeiter, 4 Saisonarbeiter, 5 Mitarbeiter im Büro
  • Boden: Schwarzerde. Auf den Kuppen oft sehr dünne Auflage, darunter reiner gelber Sand. Keine Steine. Leicht hügeliges bis sehr kuppiges Land.
  • Höhe: 220 m über NN, 400 mm Niederschlag

Aktuelle Preise/Kosten 2022, umgerechnet von Griwna in Euro (ohne MwSt.)

  • Brotweizen: 135 €/t
  • Futterweizen: 110 €/t
  • Futtergerste: 110 €/t
  • Diesel: 1,10 €/l
  • Pacht: ca. 174 €/ha (inklusive Steuern)
  • Trocknung: 3,10 €/%/t
  • Lohn: 3,80 € netto/Stunde für Traktoristen. Die Ausgaben für Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung kommen noch dazu, die Arbeitskräfte haben Anspruch auf bezahlten Urlaub.

Können Sie etwas zu der finanziellen Lage des Betriebs sagen? Wie schätzen Sie das Ergebnis 2022 ein? 

Investieren werden wir wohl nicht, solange die Situation so bleibt, wie sie ist. Das Ergebnis in 2022 wird sicherlich in den roten Zahlen liegen. Aber es haut uns nicht um.

Die Herbstaussaat ist erledigt, haben Sie genug Treibstoff, Dünger und  Pflanzenschutzmittel für das Frühjahr? Und wie sieht es mit Ihren Arbeitskräften aus?

Treibstoff war während der Herbstaussaat kein Problem, nur teuer. Dünger und Pflanzenschutzmittel werden wir erst im Frühjahr kaufen. Jetzt Pflanzenschutzmittel einzulagern, wäre auch riskant. Im Moment heizen wir zwar mit Hilfe unseres Notstromaggregats. Sollte der Diesel jedoch wieder knapp werden, könnte es sein, dass alle Mittel im Lager kaputt frieren.
Unsere Traktoristen sind aktuell zuhause, aber das ist so üblich hier im Dezember. Alle sind noch da.

Was bringt Sie dazu, immer weiter zu machen? Zuerst war es die Hoffnung, dass der Krieg schnell vorbei ist. Was ist es im Moment? 

Hoffnung macht mir die Widerstandskraft der ukrainischen Truppen und die Waffenlieferungen aus dem Westen. Als die russischen Truppen noch in Kiew waren, war das ein viel unsicheres Gefühl. Dass sie so schnell verdrängt werden konnten und die Geländegewinne im Osten der Ukraine machen mir größte Hoffnung, dass die Ukraine ein demokratisches und freies Land bleiben wird. Auch der Ölpreisdeckel ist ein gutes Signal an Russland, denke ich. Ich kenne niemanden von meinen Kollegen, der aufgeben will.

Das Interview führte Astrid Thomsen, Freie Journalistin