Ernährungssouveränität. Technologie ist entscheidend
Innovationen im Bereich der Düngung, im Pflanzenschutz und moderne Züchtungsverfahren könnten helfen, Erträge zu sichern und Umweltwirkungen zu mindern – stoßen jedoch häufig auf ideologische Ablehnung. Matin Qaim erklärt, warum technologische Offenheit zur Voraussetzung für Ernährungssouveränität wird – und wie sich Fortschritt und Nachhaltigkeit verbinden lassen.
Die Ernährungssouveränität der Zukunft wird technologisch entschieden. Doch während Innovationen in Medizin, Energie oder Digitalisierung als Fortschritt gelten, wird der technologische Wandel in der Landwirtschaft vielfach gebremst. Alte Denkmuster, ideologische Vorbehalte und politische Zielvorgaben verhindern, dass neue Verfahren in Pflanzenschutz und Pflanzenzüchtung ihr Potential entfalten. Dabei steht viel auf dem Spiel: Ohne moderne Agrartechnologien – von Präzisionsanwendungen bis zur Genom-Editierung – sind stabile Erträge und nachhaltige Ressourcennutzung kaum zu erreichen. Der Agrarökonom Prof. Matin Qaim, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, plädiert für mehr wissenschaftliche Offenheit – und erinnert daran, dass Ernährungssicherung ohne Pflanzenschutz nicht funktioniert.
Produktivität braucht Pflanzenschutz
Kaum ein Wirtschaftszweig ist so stark von der Natur abhängig – und zugleich auf technische Innovation angewiesen – wie die Landwirtschaft. Krankheiten, Pilze, Viren oder Insekten vernichten weltweit bis zu 40 % der Ernten. »Züchtung und Pflanzenschutz sind zwei Seiten derselben Medaille«, sagt Qaim. Wer diese Mittel ablehne, verkenne die historische Dimension: Seit dem Übergang von Jägern und Sammlern zu sesshaften Ackerbaugesellschaften vor rund 12 000 Jahren sei der Pflanzenschutz ein zentrales Element der Ernährungssicherung.
Vor allem die Kombination aus genetischem Fortschritt, Pflanzenschutz und Mineraldüngung habe den Hunger drastisch reduziert. Qaim erinnert daran, dass allein das Haber-Bosch-Verfahren zur industriellen Stickstofffixierung es ermögliche, »heute rund doppelt so viele Menschen zu ernähren, wie ohne Mineraldünger möglich wäre«. Einfache Schwarz-Weiß-Kategorien wie »natürlich« oder »künstlich« seien daher irreführend. »Mit einer naiven Naturromantik, in der Mineraldünger und Pflanzenschutz als grundsätzlich böse gelten, sind nachhaltige Entwicklung und Ernährungssicherung nicht zu gewährleisten«, so Qaim.
Rückschritte durch Regulierung
Dennoch wächst in Europa der politische und gesellschaftliche Druck, chemisch-synthetische Mittel zu reduzieren oder ganz zu verbannen. Die EU-Kommission will bis 2030 mindestens 25 % der Agrarfläche ökologisch bewirtschaften. Das Ziel klingt edel – führt laut Qaim jedoch zu paradoxen Effekten: »Mehr Bioanbau in der EU bedeutet geringere Produktion. Wir werden mehr Lebensmittel importieren müssen, und damit verlagern wir Umwelt- und Klimaprobleme in andere Weltregionen.« Wenn in Brasilien oder Indonesien zusätzliche Flächen für den Export nach Europa gerodet werden, sei das für den Klima- und Biodiversitätsschutz »äußerst schädlich«.
Der Effekt verschärft sich durch den Verlust von Wirkstoffen. Laut aktuellen Analysen der EU-Behörden hat sich die Zahl der verfügbaren Pflanzenschutz-Substanzen in den vergangenen 20 Jahren nahezu halbiert. Resistenzrisiken steigen, neue Wirkstoffe kommen kaum nach. Das trifft vor allem Kulturen wie Kartoffeln, Zuckerrüben oder Raps. Ohne moderne Schutzverfahren drohen sinkende Erträge und steigende Produktionskosten – mit Folgen für die Selbstversorgung Europas.
Technologieoffenheit statt Ideologie
Während gentechnische Verfahren in der Medizin längst akzeptiert sind, bleibt ihr Einsatz in der Landwirtschaft umstritten. »Die rote Gentechnik kann Krankheiten heilen, die grüne Gentechnik kann Erträge sichern und umweltfreundlicher machen«, erklärt Qaim. »Aber weil die meisten Menschen in Deutschland genug zu essen haben, sehen sie darin keinen persönlichen Nutzen.«
Besonders großes Potential sieht der Agrarökonom in der Genom-Editierung – etwa mittels CRISPR/Cas-Verfahren. Diese ermögliche punktgenaue Änderungen im Erbgut, ohne artfremde Gene zu übertragen. »Das macht die Züchtung präziser und effizienter, vor allem im Hinblick auf Klimawandel und neue Schaderreger. « Doch ideologische Vorbehalte verhindern den Fortschritt. Qaim spricht von einer »verfestigten Abwehrhaltung gegenüber neuen Technologien«, die auch auf afrikanische und asiatische Staaten abstrahle, »weil sie sich an Europa orientieren«.
Dabei belegen zahlreiche Studien: Gentechnisch veränderte Pflanzen sind laut allen großen Wissenschaftsakademien nicht gefährlicher als konventionell gezüchtete. »Wir müssen lernen, wissenschaftliche Evidenz wieder stärker zu gewichten als politische Symbolik«, so Qaim.
Von der grünen zur digitalen Revolution
Technologische Sprünge haben die Landwirtschaft immer verändert: von der Mechanisierung über synthetische Düngung und Pflanzenschutz bis hin zur Molekularbiologie. Die nächste Stufe ist digital. Präzisionslandwirtschaft, Drohnentechnik, Sensorik, Fernerkundung und Künstliche Intelligenz ermöglichen heute punktgenaue Applikationen. Schadschwellen lassen sich in Echtzeit überwachen, Spritzmengen auf Teilflächen anpassen, Wetterdaten und Krankheitsmodelle verknüpfen. Qaim spricht von einer neuen Generation des Pflanzenschutzes: »In der Kombination von genomischen und digitalen Innovationen liegt eine große Chance für mehr Nachhaltigkeit.« Digitale Verfahren könnten helfen, chemische Mittel gezielt zu minimieren, ohne auf Schutz zu verzichten. Nachhaltige Intensivierung statt pauschaler Reduktion lautet das Motto.
Doch auch hier gilt: Innovation allein reicht nicht. »Wir brauchen eine offene, evidenzbasierte Kommunikation – von Wissenschaft, Medien, Industrie und Politik gleichermaßen.« Mythen und Angstbilder haben zu lange den Diskurs geprägt.
Globale Verantwortung
Während Europa die eigene Landwirtschaft zunehmend reguliert, treiben Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika die Nutzung neuer Technologien voran. »In vielen dieser Regionen sind Hunger und Unterernährung noch bittere Realität«, sagt Qaim. »Die Menschen sehen unmittelbar, dass moderne Technologien ihre Erträge und Einkommen verbessern.« Allerdings würden westliche Nichtregierungsorganisationen oft mit moralischen Kampagnen gegen Biotechnologie oder Pflanzenschutz auftreten – mit Folgen: »Greenpeace und andere NGOs verbreiten weltweit Geschichten über angebliche Gefahren gentechnisch veränderter Pflanzen. Wenn dann Entscheidungsträger sehen, dass Europa diese Technologien selbst nicht nutzt, verfestigen sich die Bedenken.«
Dabei könnten gezielte Innovationen – etwa Trockenresistenz oder Schädlingsresistenz – gerade Kleinbauern helfen, sich an Klimawandel und Wetterextreme anzupassen. Für Qaim ist klar: »Wir haben globale Herausforderungen zu bewältigen. Die reichen Länder haben hier eine besondere Verantwortung.«
Pflanzenschutz als Schlüsseltechnologie
Der Pflanzenschutz der Zukunft wird vielfältiger sein als bisher – integriert, digitalisiert, biologisch-synthetisch kombiniert. Der entscheidende Punkt ist nicht das Ob, sondern das Wie. Integrierte Systeme, Resistenzzüchtung, Mikroorganismen, digitale Vorhersagemodelle und punktgenaue Applikationstechnologien können gemeinsam die Umweltwirkung reduzieren, ohne die Produktivität zu gefährden.
Die Transformation der Landwirtschaft verlangt daher keine Abkehr von Technologie, sondern mehr Vertrauen in sie. Qaims Fazit: »Wir müssen lernen, die besten Elemente aus allen Systemen zu kombinieren – bio, konventionell, digital. Nur dann lässt sich Ernährung sichern, Klima schützen und Ressourcen schonen.« Oder anders gesagt: Technologie allein löst das Welternährungsproblem nicht – aber ohne Technologie wird es unlösbar bleiben.