
Tierwohl: Wir müssen uns nicht verstecken
Wie es um die Lage auf den Betrieben bestellt ist, soll das »QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch« klären. Die dreijährige Pilotphase ist nun abgeschlossen. Tomke Lindena und Julia Johns stellen das Modul vor und zeigen Ergebnisse aus dem Bereich Tierwohl.
Thema Tierwohl ist im öffentlichen und politischen Diskurs inzwischen ein Topthema. Vor diesem Hintergrund erweitern sich auch die Qualitätsanforderungen an Milch und Milcherzeugnisse stetig. Neben mehr Klima- und Umweltschutz ist ein hohes Maß an Tierwohl eine wiederkehrende Forderung. Die Verbraucher wollen guten Gewissens Milch trinken und Käse essen. Große Lebensmittelkonzerne und der Handel drängen daher zunehmend auf den Nachweis einer nachhaltigen Wertschöpfungskette.
Auch die Milchwirtschaft hat erkannt, dass sie Fakten braucht: einerseits, um sachliche und klare Bilder von der Milchproduktion zu zeichnen. Andererseits, um den Prozess zu einer schrittweisen Weiterentwicklung zu mehr Nachhaltigkeit einschließlich Tierwohl anzustoßen. Vor diesem Hintergrund wurde das »QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch« entwickelt (Kasten).
Wie »misst« man eigentlich Tierwohl? Zur Beurteilung werden in der Praxis Indikatoren benötigt, die mit vertretbarem Aufwand zuverlässig und wiederholbar erhoben werden können. Es existieren inzwischen eine Reihe von Tierwohl-Bewertungssystemen. Diese sind für verschiedene Anwendergruppen und Zwecke konzipiert, wie etwa zur Eigenkontrolle für Landwirte, für Checks im Rahmen der Beratung, Bewertungssysteme für vornehmlich wissenschaftliche Analysen, wie das »Welfare Quality® Assessment Protocol«, oder für die verschiedenen Label von Handels- und Vermarktungsunternehmen (beispielsweise Tierschutzlabel vom Deutschen Tierschutzbund).
Darum geht es beim Modul
Nachhaltigkeit definieren, Fakten sammeln, Ansätze für Entwicklungen aufzeigen – dies gehört zu den Zielen des »QM-Nachhaltigkeitsmoduls Milch«. Es wurde von Wissenschaft und Praxis (Thünen-Institut für Betriebswirtschaft, QM-Milch, Projektbüro Land und Markt) erarbeitet. Drei Jahre lang wurde das Modul von 27 Molkereien (inkl. einer MEG) und mehr als 7 000 Milcherzeugern auf Herz und Nieren geprüft. Seit Juli 2020 wird die Branchenlösung »QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch 2.0« mit derzeit 27 Molkereien fortgeführt. Der in der Pilotphase eingesetzte Katalog umfasste insgesamt 84 Kriterien aus den Bereichen Ökonomie, Ökologie, Soziales und Tierwohl. Damit wird ein breiter Ansatz verfolgt, der die in der Nachhaltigkeitsdiskussion häufiger anzutreffende einseitige Fokussierung auf einzelne Kriterien vermeidet. Mithilfe des Moduls kann der Landwirt erkennen, was andere Landwirte im Hinblick auf Nachhaltigkeit besser machen. Molkerei und Branche können so zeigen, dass sie systematisch das Thema verfolgt und nachhaltige Entwicklungen darlegen.
Das Pilotprojekt wurde drei Jahre aus Mitteln des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Die Projektträgerschaft erfolgte über die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). www.qm-milch.de/themen/nachhaltigkeit
Verschiedene Kriterien. Grundsätzlich kann zwischen ressourcen-, management- und tierbezogenen Indikatoren unterschieden werden. Ressourcen- und managementbezogene Indikatoren beschreiben die baulich-technischen Gegebenheiten der Haltung, wie die Wasserversorgung, oder das Management, z. B. Eingriffe an den Tieren wie das Enthornen. Mit tierbezogenen Indikatoren werden Aspekte des Gesundheitszustandes und des Verhaltens der Tiere erfasst. Dafür ist zum Teil eine gezielte Erhebung am Tier oder Beobachtung der Tiere notwendig. Dies führt dazu, dass viele Bewertungssysteme aufwendig sind und daher in der Praxis keine breite Anwendung finden.
Explizites Ziel des QM-Nachhaltigkeitsmoduls Milch ist es aber, möglichst viele Betriebe auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit inklusive Tierwohl mitzunehmen. Es müssen deshalb Kompromisse gefunden werden, um wissenschaftliche Anforderungen und Praktikabilität in Einklang zu bringen. Vor diesem Hintergrund werden im QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch insbesondere Kriterien verwendet, die vergleichsweise einfach mittels eines Fragebogens von der Betriebsleitung erfasst werden können. Dabei handelt es sich häufig um ressourcen- und managementbezogene Kriterien. Es werden aber auch einige tierbezogene Indikatoren, wie beispielsweise die Euter- und Stoffwechselgesundheit oder die Schwergeburtenrate erfasst. Auch diese Daten liegen den meisten Betrieben aufgrund ihrer Teilnahme an der Milchleistungsprüfung vor. Mit dem Nachhaltigkeitsmodul Milch werden die Stärken und Schwächen der Betriebe ermittelt. Damit sollen Entwicklungen für eine nachhaltigere Wirtschaftsweise angestoßen werden. Eine Einteilung oder ein Audit der Milchviehbetriebe in »nachhaltig« oder »nicht nachhaltig« findet nicht statt.

Knapp 7 300 Betriebe von 27 Molkereien haben in der dreijährigen Pilotphase am QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch teilgenommen und den Fragebogen beantwortet. Dies entspricht rund 12 % aller deutschen Milchviehbetriebe und etwa 18 % der Milchmenge. Mit durchschnittlich 93 Kühen sind diese Betriebe größer als der deutsche Durchschnittsbetrieb mit derzeit 67 Kühen. Im Vergleich mit der Grundgesamtheit der deutschen Milcherzeuger sind im QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch bisher Betriebe mit Herdengrößen von 55 bis 199 Kühen überrepräsentiert, während Betriebe mit weniger als 20 Kühen unterdurchschnittlich häufig vertreten sind. Ein Großteil der teilnehmenden Milchviehbetriebe stammt aus Nord- und Westdeutschland. Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet ist die Teilnehmergruppe nicht repräsentativ. Dennoch erlauben die Gesamtergebnisse erste Rückschlüsse auf Stärken und Herausforderungen der deutschen Milcherzeugung.
Die dominierende Haltungsform auf den Betrieben ist die Laufstallhaltung (77 % der Betriebe, 93 % der Kühe). Etwa ein Viertel der Betriebe hat Anbindeställe. In 10 % der Betriebe stehen die laktierenden Milchkühe ganzjährig in Anbindehaltung; das betrifft 3 % der Kühe. Rund zwei Drittel der Betriebe bieten ihren laktierenden Kühen Zugang zum Außenklima an (Laufhof und/oder Weide), bei den Trockenstehern sind es 71 % der Betriebe. Die Ställe scheinen insgesamt gute Voraussetzungen für ein hohes Maß an Tierwohl zu bieten: 70 % der Liegeboxen sind eingestreute Komfortliegeboxen oder Tiefboxen; tägliche Reinigung der Liegeflächen und regelmäßiges Nachstreuen sind für über 80 % der Betriebe selbstverständlich.
Special-Needs-Bereiche und Einrichtungen für besseren Kuhkomfort (z. B. Kuhbürsten) sind mittlerweile auf einem Großteil der erfassten Betriebe vorhanden. Das Kuh-Fressplatz-Verhältnis richtet sich in fast allen Ställen nach den Empfehlungen. Allerdings stehen 21 % der Kühe in überbelegten Ställen (Kuh-Liegeplatz-Verhältnis >1). Verbesserungspotential deutet sich auch bei der Wasserversorgung der laktierenden Kühe an. Diese scheint auf vielen Betrieben bisher ein »stiefmütterliches Thema« zu sein.
Während in anderen großen Milcherzeugerländern wie Neuseeland der Einsatz von Hormonen zur Brunstsynchronisation ein Thema ist, spielt eine standardmäßige Anwendung in deutschen Betrieben kaum eine Rolle. Allerdings stellt nach wie vor die Mehrheit der Betriebe (knapp 60 %) standardmäßig antibiotisch trocken, ohne die Einzeltierzellzahl vorher zu überprüfen. In diesem Punkt werden künftige Erhebungen vermutlich das derzeit stattfindende Umdenken der Branche, hin zu einem gezielten Vorgehen auf Basis der Einzeltierzellzahl, zeigen. Beim Enthornen der Kälber hat bereits ein Umdenken stattgefunden: Inzwischen sind Sedation und Schmerzmittelgabe Standard. 4 % der Betriebe (2 % der Kühe) setzen bereits heute ausschließlich hornlose Genetik ein.
Bereits weit verbreitet ist inzwischen auch eine regelmäßige Klauenpflege: In 65 % der Betriebe erfolgt die Klauenpflege routinemäßig mindestens zweimal jährlich pro Kuh. Positive Ergebnisse zeigen sich auch bei den Lahmheitsanalysen: Fast die Hälfte der Betriebe (45 %) führt diese mittlerweile systematisch und tierindividuell durch.

Ist das Tierwohl auf kleineren Milchviehbetrieben besser? Dies wird zumindest von der Gesellschaft häufig angenommen. Mithilfe der Daten des QM-Nachhaltigkeitsmoduls Milch könnte auch dieses viel diskutierte Thema näher untersucht werden. Eine derartige Analyse ist gerade in Bearbeitung. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Betriebsgröße gegenüber anderen Einflussfaktoren, wie des einzelbetrieblichen Managements, einen vergleichsweise geringen Einfluss auf das Tierwohl hat. So zeigt sich beispielsweise die Nutzung von Beratungsdiensten und außerbetrieblicher Fortbildung als tierwohlfördernd. Mit Blick auf die Befragungsergebnisse lassen sich in diesem Bereich Stärken und zugleich Verbesserungspotential erkennen: 65 % der befragten Milcherzeuger haben innerhalb der vergangenen drei Jahre eine produktionstechnische Beratung und 59 % im letzten Jahr eine außerbetriebliche Fortbildung in Anspruch genommen. Im Umkehrschluss haben allerdings 35 % beziehungsweise 41 % diese Angebote nicht wahrgenommen. Hier deutet sich ein erster Ansatzpunkt zur kontinuierlichen Verbesserung des Tierwohls an.
Tomke Lindena, Dr. Julia Johns, Thünen-Institut für Betriebswirtschaft, Braunschweig
Aus DLG-Mitteilungen 8/20. Den vollständigen Artikel als pdf finden Sie hier.
Ihr Kontakt zur Redaktion:
[email protected]