Integration. Wir sind längst auf dem Weg

ITW, Tierwohl- oder Regionalitätsprogramme – Verträge senken das Risiko für den Schweinehalter und machen die Investitionen sicherer. Wie weit ist es noch bis zu einer vollständigen Integration der Produktionskette in Deutschland?

Ohne Verträge scheint es nicht mehr zu gehen. Diese Erkenntnis setzt sich bei immer mehr Akteuren in der Schweinebranche durch. Denn neben dem intensiv diskutierten Thema, wie die Schweinehaltung der Zukunft aussieht, drängt sich die Frage auf, womit der Umbau und die laufenden Kosten finanziert werden sollen – in der aktuellen Preiskrise mehr denn je. Ist Integration die Strategie der Zukunft für die deutsche Schweineproduktion?

Was macht die Integration attraktiv? Auf den DLG-Unternehmertagen Anfang September zeigte Robert Hoste, Ökonom für Schweineproduktion an der Universität Wageningen, welche Gründe für eine engere Zusammenarbeit in der Kette sprechen (Kasten Seite 47). Dabei zählen aus Sicht der Landwirtschaft vor allem die ­Absatz- und Planungssicherheit sowie ein geringeres Preisrisiko. Zudem können ­bestimmte Mehrwerte, die in der Vermarktung interessant sind, erst durch Zusammenarbeit in der Kette entstehen. Und die Effizienz insgesamt lässt sich erhöhen.
Wie unterschiedlich intensiv die Zusammenarbeit in der Kette dabei gestaltet werden kann, zeigt die Grafik auf Seite 48. Zunehmende vertikale Kontrolle führt automatisch zu einer stärkeren Einschränkung der unternehmerischen Freiheit. Das war bisher das Hauptargument für die Ablehnung von jeder Form von Integration durch viele deutsche Schweineproduzenten – ganz besonders aufseiten der Mäster. Deren Credo war die Freiheit in der Vermarktung.

Schon jetzt gibt es viele Verträge. Nach Schätzungen der ISN (Interessengemeinschaft der Schweinehalter) sind deutschlandweit etwa 50 % aller Schweine fest über Lieferverträge gebunden. Hinzu kommen die vertraglich fixierten Mengen der Vermarktungsunternehmen (Genossenschaften und EZGs). »Und die Tendenz ist in den letzten Monaten steigend,« beschreibt Ulrich Pohlschneider, Marktreferent der ISN die aktuelle Situation. Eine Umfrage der ISN hat ergeben, dass große Schlachtunternehmen bereits mehr als 70 % ihrer benötigten Schweine vertraglich gesichert haben. Und auch die Mittelständler ziehen nach. Pohlschneider ist sich sicher, dass die bisherigen Formen freier Vermarktung zunehmend durch Lieferverträge ersetzt werden.
Hauptgrund für den jüngsten starken Anstieg der Lieferträge war der coronabedingte Schweinestau. Mäster ohne Vertrag hatten in der Zeit das Nachsehen und mussten deutlich längere Wartezeiten und damit Verluste in Kauf nehmen. Andere Gründe sind Tierwohl- und Regionalprogramme, aber auch Hauspreisandrohungen für Nicht-Vertragslandwirte. Denn
natürlich ist es das Ziel der Schlachtunternehmen, den Anteil von Vertragsmästern zu erhöhen, um bei absehbar rückläufigen Schweinebeständen frühzeitig die benötigten Mengen zu sichern.

Das spricht für Integration

Neun Gründe, warum sich mehr Zusammenarbeit für die gesamte Produktionskette Schweinefleisch lohnen kann:

  • Eine sichere Versorgung mit Rohstoffen innerhalb der Kette und der gesicherte Absatz der (Zwischen-) Produkte an das nachfolgende Kettenmitglied führt zu gleichmäßiger Auslastung aller Produktions­faktoren und Planungssicherheit.
  • Die Nachfrage der Handelsketten nach einheitlicher Qualität und gesicherter Menge in bestimmten Marktsegmenten (z. B. hohes Tierwohlniveau) kann nur im Rahmen vertraglicher Bindung gedeckt werden. Die Austauschbarkeit sinkt.
  • Die oft schwache Ausgangssituation des einzelnen Schweinehalters hinsichtlich der Vermarktung verbessert sich. Zudem haben Mitglieder am Ende der Kette eine bessere Kenntnis der Marktlage.
  • Gegenläufige Einzelinteressen innerhalb der Kette können im Sinne eines guten Endprodukts gehandhabt werden. Dadurch sinken die Produktionskosten.
  • Durch bessere Abstimmung ist die Fleischqualität leichter kontrollierbar.
  • Die Zusammenarbeit bietet neue Möglichkeiten zur Wertschöpfung, z. B. gesicherte Herkunftsnachweise.
  • Schnellere Reaktion auf wechselnde Marktumstände und Anforderungen des Handels.
  • Risiken werden von der ganzen Kette getragen, z. B. Preisschwankungen.
  • Die Gewinnspanne für alle Beteiligten erhöht sich.

Mehr Lieferverträge mit Schlachthöfen – ist das schon Integration? Ein Blick auf die Gestaltung der Lieferverträge zwischen Mästern und Schlachtern zeigt: Vielfach wird mit einer Anbindung des Preises an den Spotmarkt gearbeitet. Der Landwirt hat letztlich nur eine Abnahmegarantie erreicht. Sein Preisrisiko reduziert sich, wenn überhaupt, nur wenig. Auch wenn von enger Zusammenarbeit noch nicht die Rede sein kann, ist das ein erster Schritt aufeinander zu und der Beginn eines Umdenkens in der Branche.
Dass es auch im Rahmen der Initiative Tierwohl (ITW) nicht mehr ohne Verträge geht, haben die vergangenen Wochen gezeigt. Es sind mehr ITW-Schweine im Angebot als derzeit an den LEH vermarktet werden können. Freie – also nicht vertraglich gebundene – ITW-Tiere waren bei Schlachthöfen nur noch als Standardschweine ohne den erhofften Aufschlag loszuwerden.
Und die geplante Einbindung der Ferkelproduktion in die Marktlösung der ITW in Runde 4 (ab 2024) wird die vertikale Zusammenarbeit über Produktionsstufen hinweg noch weiter befördern. Dann muss der Mäster einen Ferkellieferanten als Partner vorweisen, der ebenfalls die ITW-Standards einhält. Nur dann bekommt er den Bonus vom Schlachthof. Und da die Entlohnung des Tierwohlaufwands des Ferkelerzeugers durch den Mäster erfolgen muss, wird es auch hier Verträge geben müssen.

Höhere Haltungsstufen. Einige Unternehmen des Einzelhandels haben angekündigt, Fleisch der Haltungsstufe 1 bald aus dem Frischfleisch- und Wurstwarensortiment auslisten zu wollen. Die langfristig geplante Umstellung auf die Haltungsstufen 3 und 4 wird den Trend zur vertraglich gebundenen Vermarktung von Schweinen weiter verstärken. Das gibt den Schweineproduzenten zumindest etwas Sicherheit für die notwendigen Investitionen.

 

Welche Form der Integration? Dass die Produktionskette enger zusammenrücken wird, ist absehbar. In welchen Übergangsformen und Abstufungen bleibt abzuwarten. Für die Niederlande erwartet Hoste, dass die Erzeugergemeinschaften stärker werden und dichter an die Unternehmen der Fleischindustrie heranrücken, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Diese Verbünde machen Angebote an den Einzelhandel. Dem Landwirt bleibt im Rahmen der gemeinsamen Ziele dann noch relativ viel unternehmerische Freiheit.
Einen ganz anderen Weg ist die Geflügelmast in Deutschland gegangen: Die Schlachtunternehmen treten als Integratoren auf und geben große Teile des Produktionsprozesses vor (Küken, Futter, zeitliche Abläufe, Einkaufs- und Verkaufspreise). Der Landwirt arbeitet zwar auf eigene Rechnung, doch seine wichtigste unternehmerische Entscheidung trifft er bereits bei der Auswahl der Integration, der er sich anschließen möchte. Danach sind seine Entscheidungsspielräume relativ klein. Angesichts guter Gewinne in den letzten Jahren zeigen sich die Geflügelhalter aber durchaus zufrieden mit dieser Einschränkung. Die »Durchgreifsmacht« des Integrators bis in die einzelnen Produktionsschritte hinein, erlaubt eine Steuerung der Produktionsmenge und damit den Erhalt eines guten Preisniveaus.
Dass die Schweinefleischkette einen ähnlichen Weg nehmen wird, danach sieht es derzeit aber nicht aus. Zwar engagiert sich beispielsweise Tönnies in der Entwicklung neuer Ställe und Haltungsformen, 2019 wurde z. B. der Plan präsentiert, kurzfristig 500 Offenfrontställe gemeinsam mit Landwirten realisieren zu wollen. Unabhängig davon, wie weit diese Pläne bisher gediehen sind, zeigt sich daran der Wille, den Gestaltungsspielraum auf die vorgelagerte Stufe auszuweiten. Dennoch: Die Ausgangslage im Schweinefleischsektor ist eine andere als beim Geflügel.

Die Schweinefleischproduktion ist komplex, das erschwert eine vertikale Integration. Der Produktionsprozess besteht aus vielen einzelnen Schritten (Jungsauen, Eber, Sauen, Ferkel, Mastschweine, Schlachthof) mit ebenso vielen Teilnehmern, die unter einen Hut kommen müssen. Außerdem ist der Produktionszyklus mit etwa zehn Monaten im Vergleich zum Mastgeflügel sehr lang. Das schränkt die Vorteile einer Integration hinsichtlich effektiver und schneller Mengensteuerung etwa durch reduzierte Besamungen ein.
Hinzu kommen Rahmenbedingungen, die zumindest bisher einer Integration der Schweinefleischkette eher im Wege standen: Eine starke VEZG-Notierung hat den Schweinehaltern eine gute Orientierung gegeben und das Agieren am Spotmarkt relativ einfach gemacht.

Aber offenbar ändert sich gerade etwas. Der Ruf nach Planbarkeit und festen Zusagen durch den Handel ist ja quasi der Ruf nach Vertragsangeboten. Und der scheint nicht nur der aktuell extrem angespannten Marktlage durch Corona und ASP geschuldet zu sein. Vielmehr wird immer deutlicher, dass sich für die Branche ganz grundlegende Dinge ändern und es auf dem bisherigen Weg nicht weitergehen wird.
Steigende Kosten durch Tierwohlauflagen lassen künftige Exportchancen schwinden. Das Risiko, das mit Investitionen in hohe Tierwohlstandards verbunden ist, muss abgesichert werden, da der freie Markt dafür nicht zahlt. Die benötigte Planungssicherheit, wird es nur durch Verträge geben. Hinzu kommt, dass es für die Schweinebranche in Deutschland existentiell sein wird, dem Handel einen Mehrwert zu bieten, an dem dieser nicht vorbei kommt, z. B. 5 x D (geboren, gemästet, geschlachtet, zerlegt und verarbeitet in Deutschland). Denn trotz der Absichtserklärungen aus Teilen des LEH ist das Risiko der Austauschbarkeit aktuell sehr groß. Beispielsweise wird Spanien die Nachfrage nach Fleisch aus Haltungsformen mit Außenklimareiz ohne große Investitionen decken können.
Auch für den LEH ist eine integrierte Produktionskette als Marktpartner interessant. Denn der Druck, Nachhaltigkeitsforderungen nachzukommen, wächst. Nicht,  weil die Konsumenten es nachfragen und bezahlen wollen, sondern weil NGOs Druck machen und negative Presse auslösen. Daher braucht der LEH mehr Informationen aus dem Produktionsprozess und feste Zusagen über bestimmte Produkteigenschaften (z. B. Tierwohl).

Die Ausgestaltung der Tierwohlförderung ist entscheidend. Die Umsetzung der Borchert-Pläne könnte allerdings je nach Ausgestaltung auch dazu führen, dass der Anreiz zu vertraglicher Bindung sinkt. Das hängt maßgeblich davon ab, wie die Finanzierung konkret aussieht. Der neue Vorschlag aus den Reihen der CDU (Seite 52) spricht von einer verpflichtenden Tierwohlumlage auf alle Fleischprodukte, auch importierte. Das entspricht einer Verbrauchssteuer, die ursprünglich auch von der Borchert-Kommission favorisiert wurde, allerdings rechtlich schwieriger umzusetzen ist, als eine Mehrwertsteuererhöhung. In beiden Fällen sollen die Gelder über langfristige Verträge an Betriebe gehen, die in Tierwohl investieren. Deren Mehrkosten werden damit ausgeglichen. Das führt möglicherweise dazu, dass bei der Vermarktung die höheren Tierwohlstandards für den Preis nicht relevant sind. Dann wäre es dem Mäster im Grunde egal, ob er einen Abnehmer für Tierwohlfleisch hat oder nicht. Es gäbe keine Notwendigkeit, sich vertraglich zu binden.
Insgesamt hängt das Wohl und Wehe der deutschen Schweinebranche und auch der Grad der Integration am Zustandekommen einer Tierwohlförderung. Die gesetzlichen Anforderungen werden steigen. Ohne Förderung blutet die Produktion in Deutschland aus. Nur wenn höhere Preise auch für importiertes Schweinefleisch gelten, wird bei annähernd gleichem Preisniveau auch eine Herkunft aus Deutschland beim Endverbraucher punkten. Wenn hochpreisiges regionales Fleisch aber im Regal neben deutlich günstigeren Produkten aus Spanien oder Chile liegt, wird der Verbraucher wie bisher auch nicht lange zögern.

Ausblick. Das immer höher werdende Tempo bei den Forderungen durch NGOs, Politik und LEH wirkt wie ein Beschleuniger für eine Zusammenarbeit in der Kette Schweinefleisch. Hinzu kommt: Eine Effizienzsteigerung der Produktion zur Sicherung der Wertschöpfung bei steigenden Kosten ist mehr oder weniger ausgeschöpft. Um einen Mehrwert schaffen zu können, muss es künftig Zusammenarbeit geben.
Dort, wo wirklich Herkunft aus Deutschland plus Tierwohl gewünscht ist, werden sich langfristige Partnerschaften bilden, möglicherweise sogar Integrationen. Doch der LEH wird nur dann zu seiner Zusage »Herkunft aus Deutschland« stehen (können), wenn es einen Förderrahmen durch den Staat gibt, der für annähernde Preisgleichheit von heimischer und importierter Ware sorgt. Sonst wird der Wunsch der Kunden nach billigem Fleisch wohl größer sein.
Neue Strukturen in der Produktionskette Schweinefleisch werden sich erst etablieren können, wenn Klarheit über die staatliche Tierwohlförderung besteht. Doch die abwartende Haltung der Politik bremst feste Zusagen des LEH und konkrete Programme aus. Denn solange in der Luft liegt, dass über wie auch immer geartete Transferzahlungen mehr Tierwohl durch den Staat organisiert und bezahlt wird, wird niemand vorpreschen, um selbst die Finanzierung zu organisieren.

Christin Benecke

Aus DLG-Mitteilungen 10/21. Den vollständigen Beitrag als pdf finden Sie hier.