Junglandwirte. Es geht um sehr viel mehr als nur eine größere Effizienz

»Höher, schneller, weiter«, das reicht in Zukunft nicht mehr aus. Landwirte müssen ihre Produktion beherrschen, aber daneben ihre Betriebe auf ganz neue Wege lenken.

Frau Dr. Graskemper, die Landwirte stecken in einer Umbruchphase. Aber das ist doch eigentlich nichts Neues, oder? 
Das stimmt. Technischer Fortschritt, Klimaveränderung oder der demografische Wandel ist keineswegs neu. Aber seit einigen Jahren nimmt die Intensität dieser Entwicklungen deutlich zu. Und dann sind da noch die gesellschaftlichen Erwartungen: Längst reicht es nicht mehr aus, ausschließlich sichere Lebensmittel zu günstigen Preisen zu erzeugen. Landwirte sollen vor allem auch Umwelt- und Naturschutz betreiben, die ländlichen Räume attraktiv gestalten und sich für das Wohl ihrer Tiere einsetzen. 

Sind diese Entwicklungen eher ein Risiko oder eine Chance? 
Für die Landwirtschaft sind sie zunächst einmal oft zusätz­liche wirtschaftliche Belastungen, die nicht direkt über den Markt vergütet werden. Insbesondere beim Thema Tierwohl sind die Initiativen außerdem bislang zumeist auf nationaler Ebene angesiedelt. Ohne eine Koordination mit den übrigen EU-Ländern bergen sie das Risiko uneinheitlicher Standards und von Verwerfungen im Handel mit Fleischprodukten zulasten der deutschen Tierhalter. Zurzeit befinden wir uns deshalb in einer Art Schwebezustand und es herrscht eine allgemeine Planungsunsicherheit. Allerdings ist das gesellschaftliche Interesse an der Landwirtschaft so groß wie lange nicht mehr und die politischen Vorhaben sind teilweise noch wage Konzepte und Strategien. Daher ist noch Gestaltungsspielraum vorhanden. Außerdem bieten das gesellschaftliche Interesse und der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit und Regionalität Potential für neue Geschäftsideen und -modelle.

Viele Landwirte richten doch ihre Betriebe schon neu aus  …
…  ja, aber nicht immer reden wir über völlig neue Betriebszweige. Wir haben dazu im Rahmen einer breit angelegten Studie deutschlandweit über 800 landwirtschaftliche Betriebsleiter sowie aktiv in Leitung und Entwicklung involvierte Hofnachfolger befragt. Wie man auch vermuten würde, führen erneuerbare Energien mit 56 % der Betriebe die Liste an. Da dieser Betriebszweig stark subventioniert wurde, müssen wir diese Aktivität klar abgrenzen von anderen Diversifikation­saktivitäten, welche zumeist eine höhere Risikobereitschaft und Kreativität erfordern. An zweiter Stelle stehen mit 30 % Lohnarbeiten, was weniger neue Kreativität erfordert und eher der Auslastung vorhandener Maschinen oder Arbeitskräfte dient. Beliebt sind mit knapp 20 % auch alternative Vermarktungs- und Vertriebswege, worunter unter anderem Hofläden, Onlinevermarktung oder Milchtankstellen fallen. Darüber hinaus verarbeiten 8 % der Betriebe ihre Produkte weiter. 

Das heißt, Diversifikation ist oft nur Weiterentwicklung?
Richtig. Blenden wir einmal die erneuerbaren Energien aus, so dominieren als Motive für neue Betriebszweige finanzielle Unabhängigkeit und Ausnutzung vorhandener Ressourcen. Direkt hierauf folgt als Ziel die unternehmerische Entfaltung. Als weniger wichtig werden familiäre Anstöße zur Umstrukturierung im Rahmen eines Generationswechsels oder zur Beschäftigung weiterer Familienmitglieder erachtet. 

Sind Landwirte Ihrer Meinung nach gut aufgestellt für die bevorstehenden Veränderungen? 
Landwirte sind Vorreiter in Sachen erneuerbare Energien und sind bereits in vielfältiger Weise mit alternativen Geschäftsmodellen unterwegs. Die Agrarbranche bietet einen fruchtbaren Nährboden für Start-ups und Aktivitäten, die über die klassische Produktion hinausgehen. Jahrzehnte der Marktstützung haben sie jedoch oft stark durch die Maxime »Effizienzsteigerung« geprägt. Hier ist ein Umdenken erforderlich. 

Welche Strategien würden Sie Landwirten empfehlen? 
Zunächst sollten Landwirte bereits gestartete Diversifika­tionsaktivitäten konsequent weiterentwickeln. Der Fokus auf Nachhaltigkeit und Regionalität scheint hierbei hilfreich. Generell sollten Landwirte aber die Entwicklung neuer Geschäftsideen dem Ausbau konventioneller Betriebszweige vorziehen. Hierbei ist es wichtig, sich ständig selbst zu hinterfragen: Welche Wege passen zu meinem persönlichen Werteprofil, welche Fähigkeiten und Neigungen? Auch die Interessen der Familienmitglieder sollten Berücksichtigung finden und die Nachfolgegeneration früh in strategische Entscheidungen mit einbezogen werden. Die Produktion von Gemeinwohlleistungen sollten Landwirte neben der klassischen Nahrungsmittelproduktion als Geschäftsmodell begreifen und nutzen. Dazu sind digitaler Medien zum (Selbst-)Marketing förderlich.

Digital klingt gut, aber reicht das für neue Betriebskonzepte? 
Digital allein ist natürlich noch keine Strategie. Aber außer in der Vermarktung reduziert »digital« auch den Verwaltungsaufwand. Das sollten Betriebe ebenso rigoros nutzen wie entsprechende Programme für ein besseres Controlling. Dies schafft Freiräume für neue Wege in Produktion und Vermarktung.

Die Fragen stellte Dr. Christian Bickert

Aus Heft 8/2021