Wirtschaftlichkeit. Was kostet die Milcherzeugung?

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hat eine Diskussion darüber angestoßen, ob es ein Verbot zum Verkauf von Lebensmitteln unter dem Herstellungspreis geben soll. Dabei ist das mit dem Herstellungspreis schon auf Betriebsebene gar nicht so eindeutig, wie eine Auswertung des Thünen Institutes im Bereich Milchproduktion zeigt.

Hohe Futterkosten, steigende Betriebsmittelpreise, neue gesetzliche Anforderungen und teures Bauen sowie der Fachkräftemangel: Immer mehr Erzeuger klagen über eine (zu) geringe Rentabilität. Oder sie erwägen sogar teilweise, aus der Milchproduktion auszusteigen.
Neben dem Wissen über individuelle Rentabilitäts- und Produktionskostenkennzahlen für den eigenen Betrieb ist es bei derlei Überlegungen oft hilfreich, auch überregionale Wirtschaftlichkeitsberechnungen zu kennen. Damit lässt sich die eigene Wettbewerbsposition besser einschätzen. Denn klar ist: So unterschiedlich die Betriebsstrukturen in der Milcherzeugung in Deutschland sind, so stark unterscheiden sich auch die unternehmerischen Ergebnisse der Betriebe.

Auf der Suche nach Referenzwerten stehen Milcherzeuger häufig vor der Herausforderung, welche Quellen sie heranziehen sollen: Auswertungen regionaler Beratungsringe, internationale Vergleichsrechnungen, die Buchführungsergebnisse aus dem Testbetriebsnetz Landwirtschaft oder vielleicht doch Informationen über einen bundesweiten Mindestmilchpreis – woran sollen die Erzeuger sich orientieren? Denn nicht immer zeichnen diese Quellen ein einheitliches Bild von der deutschen Milcherzeugung. Das lässt sich durch viele kleine, aber feine Unterschiede in den Berechnungsgrundlagen erklären. Deshalb ist es wichtig, sich beim Vergleich der eigenen Zahlen mit anderen Ergebnissen genau anzuschauen:
Welche Datenquellen werden verwendet, und welcher Zeitraum wird betrachtet:  Nur ein Jahr oder ein Durchschnitt über mehrere Jahre?
Welche Annahmen liegen den Auswertungen zugrunde: Welcher Lohnansatz wird z. B. für die nicht entlohnten (Familien-)Arbeitskräfte angesetzt?
Welcher Zweck wird mit den Auswertungen verfolgt: ein Ansatz für einzelbetriebliche Optimierungen, Darstellung regionaler oder sektoraler Entwicklungen oder die politische Meinungsbildung?

Das Thünen-Institut für Betriebswirtschaft wertet regelmäßig die Buchführungsabschlüsse aus dem Testbetriebsnetz Landwirtschaft aus. Die analysierten Betriebe sind nach repräsentativen Gesichtspunkten ausgewählt und spiegeln somit die wirtschaftliche Situation landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland wider. Unsere Analysen für die letzten 15 Wirtschaftsjahre (2005 – 2020) zeigen, dass die nominalen Einkommen in spezialisierten Milchviehbetrieben je Arbeitskraft im Durchschnitt leicht zugenommen haben (nominale Wachstumsrate von 1,5 % pro Jahr). Die reale Einkommensentwicklung – also unter Berücksichtigung der Inflationsrate – ist mit einer Wachstumsrate von 0,1 % pro Jahr dagegen nahezu konstant, unterliegt jedoch deutlichen Schwankungen zwischen den Jahren.
Im Vergleich mit anderen Betriebszweigen liegen die Einkommen der Arbeitskräfte in spezialisierten Milchviehbetrieben mit 32 000 € je Arbeitskraft (AK) etwa im Durchschnitt aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland. Höhere Einkommen werden vor allem in Ackerbaubetrieben erwirtschaftet. Die mit Abstand geringsten Einkommen lassen sich im Betrachtungszeitraum in den »sonstigen Futterbaubetrieben« beobachten. Die größten Einkommensschwankungen gibt es hingegen in der Gruppe der Veredlungsbetriebe (Grafik 1).

 

Erfolgsunterschiede nehmen mit steigender Herdengröße zu. Natürlich ist das durchschnittliche Einkommensniveau je Arbeitskraft nur bedingt aussagekräftig. So zeigen sich innerhalb der Gruppe der Milchviehbetriebe beispielsweise deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von der Herdengröße. Für Familienbetriebe ist dabei in erster Linie von Bedeutung, wie sich das Einkommen je nicht entlohnter (Familien-)Arbeitskraft entwickelt. Der durch-schnittliche Gewinn der nicht entlohnten (Familien-)Arbeitskräfte steigt von etwa 27 000 € in der Klasse bis 50 Milchkühe auf annähernd 88 000 € in der Klasse mit mehr als 200 Milchkühen (Grafik 2).

Was sich zunächst nach einem Plädoyer für Herdengrößenwachstum anhört, zeigt bei genauerer Betrachtung, dass auch hier der Teufel im Detail steckt. Mit steigender Größenklasse nimmt nämlich auch die Streuung der Einkommen deutlich zu: In der Gruppe der Betriebe mit weniger als 50 Milchkühen haben 10 % ein Einkommen von unter 3 000 € je nicht entlohnter AK, 10 % hingegen ein Einkommen von mehr als 50 000 €. In der Gruppe der Betriebe mit mehr als 200 Milchkühen haben dagegen 10 % der Betriebe ein negatives Einkommen und 10 % ein Einkommen von mehr als 210 000 €.
Von dem berechneten Einkommen müssen die Milcherzeuger ihre eigenen eingesetzten Faktoren entlohnen (Land, Kapital, Arbeit). Um Betriebe mit unterschiedlichen Betriebsstrukturen besser vergleichen zu können, werden deshalb Annahmen zur Entlohnung dieser Faktoren (Faktorkosten) getroffen und darauf basierend die Vollkosten der Betriebe miteinander verglichen.

 

Etwa 1 000 der repräsentativen Betriebe im Testbetriebsnetz zählen zu den »hoch spezialisierten Milchviehbetrieben«. In diesen Betrieben gibt es nur wenige Kosten- und Erlöspositionen, die nicht mit der Milchproduktion in Verbindung stehen. Deshalb lassen sich für diese Betriebe besonders präzise die Vollkosten ableiten. Die hier angenommenen Lohnansätze für die nicht entlohnten (Familien-)Arbeitskräfte entsprechen den jährlich aktualisierten Richtwerten zum BMEL-Jahresabschluss und basieren auf den gezahlten Löhnen für Fremdarbeitskräfte. Die Richtwerte beinhalten den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung und werden für die Betriebsleiter um einen betriebsindividuellen Zuschlag ergänzt. Als Ansatz für die Verzinsung des Eigenkapitals (ohne Boden) werden 2 % unterstellt. Die Höhe des Pachtansatzes richtet sich wiederum nach den regionalen Pachtkosten.

Strukturelle Unterschiede zwischen den Regionen auch in den Vollkosten erkennbar. Um Betriebe miteinander vergleichen zu können, empfiehlt es sich, eine gemeinsame Vergleichsgröße zu wählen. In Betriebszweiganalysen für Milchviehbetriebe sind dies in der Regel Ct/kg Milch (bzw. €/100 kg Milch). Gleichzeitig ist es sinnvoll, auch regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Daher werden im Folgenden auch die Ergebnisse für die Regionen Nord und Süd ausgewiesen (Übersicht).
In den Ergebnissen spiegeln sich die großen strukturellen Unterschiede zwischen den Regionen wider. Insgesamt zeigt sich, dass sowohl die Erlöse als auch die Kosten je kg Milch in Betrieben in Süddeutschland durchschnittlich höher liegen als in der Region Nord. Die Betriebe profitieren dabei unterschiedlich von ihrer regionalen Lage: Während Betriebe in der Region Nord eher geringere Erlöse erzielen können und auch weniger Zulagen und Zuschüsse erhalten, profitieren sie von geringeren Abschreibungen (z. B. durch günstigere Bauweise) und von einer besseren Verteilung der Kosten auf mehr Milch. Für Betriebe in der Region Süd verteuern regionale Erfordernisse den Stallbau (Hanglagen, höhere Schneelasten etc.) und erhöhen damit die jährlichen Abschreibungen. Gleichzeitig profitieren die Betriebe jedoch von höheren Milchpreisen und erhalten für das überwiegend eingesetzte Fleckvieh höhere Fleischerlöse.

Während Betriebe in der Region Nord durchschnittlich in den drei Wirtschaftsjahren 2017/18 bis 2019/20 ein leicht positives Unternehmensergebnis generieren konnten (+ 0,62 Ct/kg), erwirtschafteten die Betriebe in der Region Süd nach Berücksichtigung aller Faktorkosten durchschnittlich ein leicht negatives Unternehmensergebnis (– 0,99 Ct/kg Milch). Besonders groß ist der Unterschied zwischen den Regionen in der angesetzten Entlohnung für die familieneigenen Arbeitskräfte (etwa 7 Ct/kg Differenz zwischen den Regionen).

 

Insgesamt haben die hoch spezialisierten Milchviehbetriebe im betrachteten Dreijahreszeitraum ein leicht negatives kalkulatorisches Unternehmensergebnis erwirtschaftet (– 0,12 Ct/kg Milch). Betrachtet man die Vollkosten nicht in Abhängigkeit von der Region, sondern von der Herdengröße, würde sich ebenfalls eine große Spannweite (25 Ct/kg) im kalkulatorischen Betriebszweigergebnis ergeben: Betriebe mit weniger als 50 Milchkühen produzierten im Betrachtungszeitraum Milch für Vollkosten von etwa 67 Ct/kg, während die Analysen für Betriebe mit 200 und mehr Milchkühen etwas über 42 Ct/kg auswiesen. Eine ähnliche Differenz (23 Ct/kg) unterscheidet ebenfalls die erfolgreichen Betriebe (oberes Viertel) von den weniger erfolgreichen Betrieben (unteres Viertel). Es zeigt sich somit,
dass hoch spezialisierte Milchviehbetriebe in Nord- und Süddeutschland erfolgreich wirtschaften können und
dass die Erfolgsunterschiede zwischen den Betrieben und Herdengrößenklassen deutlich sind.

Fazit. Die Erfolgsunterschiede zwischen den Betrieben lassen sich nicht oder nur bedingt mit einem Durchschnittswert abbilden. Die Auswertungen zeigen, dass die Spanne zwischen dem unteren und dem oberen Viertel der hoch spezialisierten Milchviehbetriebe im betrachteten Dreijahresdurchschnitt und unter Berücksichtigung aller Faktorkosten bei etwa 23 Ct/kg liegt. Die Veröffentlichung eines Durchschnittswerts für alle Milcherzeuger in Deutschland kann daher allenfalls eine Orientierung im Zeitablauf bieten. Als Entscheidungsgrundlage für mögliche politische Handlungsoptionen darf ein Durchschnittswert nicht dienen, da er den großen Unterschieden zwischen den Milchviehbetrieben nicht gerecht wird.

Dr. Heiko Hansen, Dr. Birthe Lassen, Hauke Tergast, Thünen-Institut für Betriebswirtschaft, Braunschweig

Aus DLG-Mitteilungen 12/21. Den vollständigen Artikel als pdf-Datei finden Sie hier.