
Interview. Wenn Züchter zu Pflanzenschützern werden
Die politischen Ziele sind klar gesteckt: weniger Pflanzenschutzmittel und mehr ökologisch bewirtschaftete Flächen. Was kann die Resistenzzüchtung in dem Zusammenhang leisten? Und welche Werkzeuge sind besonders effizient?
Frau Dr. Ahlemeyer, mit welchen Methoden arbeiten die Züchter aktuell an resistenten Sorten?
In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine Reihe von Techniken entwickelt, die es uns Züchtern ermöglicht, einmal identifizierte Resistenzen zügig in leistungsfähige Sorten einzukreuzen. Bei dem sogenannten Smart-Breeding-Ansatz wird ein Genomabschnitt, der sich günstig auf das Resistenzverhalten auswirkt, mit Hilfe von molekularbiologischen Verfahren markiert und kann so im Zuchtmaterial gefunden werden. Kennt man die genomische Region, in der das Resistenzgen liegt, ist die Etablierung solcher molekularer Marker kostengünstig und schnell möglich. Ihr anschließender Einsatz im Zuchtprogramm macht aufwendige Resistenztests in Feld oder Gewächshaus überflüssig.
Können Sie denn ein Beispiel nennen, bei dem diese Vorgehensweise bereits zum Erfolg geführt hat?
Ja, ein schönes Beispiel ist die Züchtung virusresistenter Gerstensorten. 1978 wurde erstmals das Gelbmosaikvirus (BYMV) in Deutschland dokumentiert. Wenige Jahre später gab es die ersten BYMV-resistenten Wintergerstensorten. Der erste Resistenzbruch wurde 1987 bekannt. Neun Jahre später kam die erste Sorte auf den Markt, die gegenüber dem neuen Pathotyp (BYMV-2) resistent war. Beide BYMV-Resistenzen, die gleichzeitig auch eine Resistenz gegenüber dem Virus BMMV vermitteln, wurden zügig in das Zuchtmaterial übernommen. Während im Jahr 2000 nur etwa die Hälfte der Wintergerstensorten der Beschreibenden Sortenliste resistent gegenüber BYMV war, waren es 2010 schon 86 %. Gleichzeitig wurden weitere Resistenzgene beschrieben und zum Teil für die Sortenentwicklung verwendet. Seit 2020 steht die erste Sorte zur Verfügung, die zusätzlich zu den genannten Resistenzen auch noch ein Resistenzgen gegen das Gerstengelbverzwergungsvirus (BYDV) trägt.
Das klingt nach einer echten Erfolgsstory. Worauf ist denn diese zügige Verbreitung der Resistenzen in neue Sorten im Wesentlichen zurückzuführen?
Dafür sind vor allem zwei entscheidende Faktoren zu nennen: Zum einen wurde in öffentlich geförderten Projekten unter anderem unter Beteiligung des Julius-Kühn-Instituts und der Universität Gießen ein sehr erfolgreiches Pre-Breeding durchgeführt. Das heißt, es wurde den Züchtern nicht nur vorselektiertes Material zur Verfügung gestellt, sondern innerhalb kurzer Zeit auch molekulare Marker entwickelt. Zum anderen hat die oft genutzte Möglichkeit, sich unter Wettbewerbern die Zuchtlinien schon während des Zulassungsprozesses für eine Kreuzung zur Verfügung zu stellen, dazu beigetragen, dass die Züchter dem Landwirt schnell eine Vielzahl an resistenten Sorten anbieten konnten.
Nun ist für die von Ihnen beschriebene Virusresistenz ja nur ein einzelnes Gen erforderlich. Was können Sie tun, wenn mehrere Gene in unterschiedlichen Genomregionen beteiligt sind?
In dem Fall können wir die Smart-Breeding-Methode erweitern. Bei der sogenannten Genomischen Selektion werden nicht nur ein oder zwei Marker verwendet, sondern eine Vielzahl an molekularen Markern, die gleichmäßig über das gesamte Genom verteilt sind. Mit Hilfe dieses molekularen Fingerabdrucks und
zusammen mit Beobachtungen zum Krankheitsbefall einer sogenannten Trainingspopulation, die aus unterschiedlich resistentem Material besteht, werden Modelle entwickelt, die eine Vorhersage des Resistenzverhaltens ermöglichen.
Wie unterscheiden sich das Smart Breeding und die Genomische Selektion von den aktuell viel diskutierten Genome-Editing-Verfahren wie CRISPR/Cas?
Anders als bei den beschriebenen Methoden, muss für ein erfolgreiches Genome Editing das Zielgen und in der Regel auch sein Wirkmechanismus bekannt sein – ein aufwendiger und teurer Prozess.
In die neuen Züchtungstechnologien werden große Hoffnungen gesetzt. Sind diese berechtigt?
Leider haben wir Züchter in den meisten Fällen weder einen patentfreien Zugang zu dieser Technik noch die nötigen wissenschaftlichen Kenntnisse über die der jeweiligen Resistenzreaktion zugrunde liegenden Stoffwechselwege und die daran beteiligten Gene. Für die kurzfristige Züchtung von Sorten mit verbesserter Pathogenresistenz wäre das Genome Editing daher momentan nur eingeschränkt geeignet. Ist das Resistenzgen dagegen bekannt und seine Wirkung gut beschrieben, kann das Genome Editing ein sehr mächtiges Werkzeug sein und die Resistenzzüchtung erheblich beschleunigen.
Und gibt es noch andere Möglichkeiten, den Sorten im Wettstreit mit den Schaderregern einen Vorteil zu verschaffen?
Relativ zeitnahen Erfolg verspricht das systematische Screening von Landrassen oder verwandten Wildarten. Auch bekannte Resistenzmechanismen aus weniger eng verwandten Arten können auf ihre Übertragbarkeit geprüft werden. Darüber hinaus kann man mit mutagen wirkenden Substanzen neue Diversität schaffen.
Was aber in jedem Fall bleibt, ist eine gewisse Trägheit des Systems. Selbst eine einmal identifizierte Resistenz braucht in der Regel zehn Jahre, bis sie als verbesserte Sorte beim Landwirt ankommt.
Die Fragen stellte Katrin Rutt
Aus Saatgutmagazin 7/22. Den Beitrag als pdf finden Sie hier.