
Interview. Augenhöhe statt Bevormundung
In der Agrargenossenschaft Trebbin in Brandenburg engagiert sich Jana Gäbert für mehr Biodiversität – und zwar nicht wegen, sondern eher trotz der Politik. Denn deren Vorgaben widersprechen nicht selten den Erfahrungen der Landwirte. Und hemmen damit, was sie eigentlich fördern wollen.
Frau Gäbert, Sie engagieren sich für mehr Biodiversität im Rahmen einer »normalen« Produktion. Was motiviert Sie dazu?
Biodiversität begleitet mich schon seit vielen Jahren. In einer Zeit, in der noch keine Rede von Greening, Green Deal oder Farm to Fork war, untersuchte ich für meine Masterarbeit die Bestandsentwicklung von Grünlandnarben auf einem bei uns in Trebbin häufig vorkommenden ertragsschwachen Sandstandort. Eine gezielte Begrünung sollte die Flächen für eine spätere ackerbauliche Nutzung »konservieren« und ökologisch wertvoll gestalten. Die weit verbreitete Meinung, dass sich mit einer selbst überlassenen Brache der Boden »ausruhen« oder »erholen« würde, konnte ich dabei auch im eigenen Versuch widerlegen. Neu war zumindest die letzte Erkenntnis nicht, aber immerhin für mich praktisch greifbar.
Die Agrargenossenschaft Trebbin ...
... liegt südlich von Berlin. 2 820 ha Ackerland und 1 128 ha Grünland (je zur Hälfte intensiv und extensiv) mit 930 Milchkühen sind das ökonomische Fundament. 80 % Sand- und 20 % Anmoorböden mit Bodenzahlen von durchschnittlich 23 (Ackerland) und 27 (Grünland) und einem Jahresniederschlag (1991 bis 2020) von 534 mm fordern die Produktion. Auf den Äckern stehen knapp zur Hälfte Getreide (Schwerpunkt Roggen und Triticale), etwas über ein Drittel Mais, daneben Sonnenblumen, Kichererbsen, Buchweizen und Seradella. Grünbrache und Ackergras nehmen 5 % der Ackerfläche ein. Zusammen mit der BASF und externen Beratern engagiert sich der Betrieb in Biodiversitätsprojekten.
Und was ist damit für den Betrieb herausgekommen?
Viele Gedanken habe ich aus dieser Zeit mit in die landwirtschaftliche Praxis genommen, habe seitdem sehr viel probiert, verworfen und gelernt. Neben strategischen Aufgaben liegt einer meiner Schwerpunkte in der Agrargenossenschaft Trebbin auf Planung und Organisation von Biodiversitätsmaßnahmen. Das Prinzip »Versuch und Irrtum« gehört nach wie vor dazu, denn der Erhalt und die gezielte Förderung der Biodiversität stand noch nie zuvor auf der Aufgabenliste der Landwirtinnen und Landwirte. So schön es manchmal wäre, alles im Buch nachschlagen zu können, so spannend ist es doch, bei einigen Aspekten auch Pionierarbeit leisten zu dürfen.
So ergeben sich vielfach großartige Möglichkeiten, Erkenntnisfortschritte direkt mitzuerleben bzw. sogar mit zu erarbeiten. Eigentlich ist das eine riesige Aufgabe, weil nur zusammengesetzte Einzelerkenntnisse ein schlüssiges Bild ergeben. Das heißt, nicht nur einer oder mehrere Landwirte müssen sich darum kümmern, sondern die ganze Branche.
Was stört Sie an der derzeitigen Diskussion am meisten?
Ach, das ist so viel … Mir fällt bei nicht wenigen Menschen eine ausgeprägte Leichtgläubigkeit gegenüber einfachen, scheinbar eindeutigen Erklärungen auf. Damit verbunden ist natürlich ein nur geringes Interesse, sich fundiert mit den Dingen auseinanderzusetzen. Dies ist kein Vorwurf – wer kann sich schon mit jedem Thema ausführlich beschäftigen? Aber interessanter ist doch die Frage, was wir dem entgegensetzen können. Sollen wir, wie es oft geschieht, einem vereinfachten, teilweise auch politisch beeinflussten vorgefertigtem Spartendenken folgen? Uns einfach zurücklehnen, abwarten und teilweise reaktionären Grabenkämpfern das Feld überlassen? Das kommt für mich nicht infrage. Ich möchte die Probleme aktiv angehen, Möglichkeiten aufzeigen, Konzepte entwickeln und so an der Gestaltung der Landwirtschaft besonders im Bereich der Biodiversität mitarbeiten.
Was sind solche »Grabenkämpfe«?
Ein Beispiel dafür ist die Forderung nach 100 % ökologischem Landbau unter Inkaufnahme von größeren Ertragsverlusten durch die pauschale Ablehnung von synthetisch hergestellten Pflanzenschutzmitteln sowie modernen Züchtungsmethoden. Das führt automatisch zu einem höheren Flächenverbrauch und somit zu weniger separaten Naturschutzflächen. Gleichzeitig fordern einige Vertreter der konventionellen Landwirtschaft, dass sich an der derzeitigen Situation nichts verändern dürfe. Beides ist in meinen Augen sowohl in Bezug auf eine sichere und nachhaltige Lebensmittelerzeugung als auch auf die Förderung der Artenvielfalt mittlerweile überholt.
Diese viel zu oft geführten Diskussionen sollten nicht weitergehen. Stecken wir die Kraft lieber in Versuche, Beobachtungen und wissenschaftliche Diskussionen! Der Erkenntnisgewinn daraus ist am Ende sinnvoller und befriedigender als die ewige Streiterei.

Unter welchen Vorzeichen gehen Sie solche Projekte an?
Die Vereinbarkeit von landwirtschaftlicher Produktion und dem Beitrag zum Erhalt und Förderung der Biodiversität setze ich zwingend voraus. Auch hier wissen es viele Stimmen »besser« und meinen, die Förderung der Artenvielfalt sei nur mit großen Einschränkungen bei der Futter- und Lebensmittelproduktion zu erreichen. Oft wird dann eine ökozertifizierte Landwirtschaft als die eine Lösung präsentiert, was nicht stimmt, denn unabhängig davon, wie produziert wird, müssen aktiv Maßnahmen ergriffen werden, um Biodiversität zu fördern.
Auch in Hinblick auf den Klimawandel halte ich es für zielführender, auf unseren landwirtschaftlichen Gunststandorten im Sinne einer nachhaltigen Intensivierung zu wirtschaften und in diesem Rahmen den Umweltschutz, konkret die Förderung der Artenvielfalt, zu integrieren. Es gibt eine große Fülle von Möglichkeiten zwischen den beiden Endpunkten. So sind Blühflächen oder Blühstreifen sehr gut in den Betrieb einzubinden, da die notwendige Technik bereits für den Ackerbau vorhanden ist. Bei uns liegt der Fokus auf mehrjährigen Blühmischungen. Diese Mischungen können gepflegt und folglich besser an die Bedürfnisse vieler Insekten angepasst werden.
Vermehren sich für die Biodiversität eher hinderliche konkurrenzstarke Pflanzen, können diese durch Pflegemaßnahmen zurückgedrängt werden, was bei einjährigen Mischungen nicht funktioniert. So können gezielt konkurrenzschwächere Arten gefördert werden, die meist einen deutlich größeren Beitrag für die Insektenvielfalt leisten.
Also eher kultivierte als Brachflächen …
Beides. Brachflächen leisten im direkten Vergleich aufgrund ihrer eingeschränkten floristischen Zusammensetzung einen geringeren Beitrag als Nahrungsquellen für viele Insekten, aber auch Vögel. Eine große Bedeutung haben sie dennoch. Gerade sandige und ertragsschwache Böden, auf denen auch offener Boden zu finden ist, sind für die meisten Wildbienen, als Bruthabitate von großer Wichtigkeit. Wenn die Brachflächen zu stark zuwachsen, helfen wir schonmal technisch nach und stellen offene Rohbodenhabitate wieder her. An diesen beiden Flächentypen sieht man, wie entscheidend die richtige Kombination verschiedener Maßnahmen ist. Es liegt auf der Hand, dass entweder Bruthabitate oder Nahrungshabitate nur einen Bruchteil dessen leisten, was beide nebeneinanderliegend leisten können. Blühstreifen und Brachen bieten aber auch jenseits der Insektenwelt vielen Tieren zumindest Nahrung und Rückzugsorte. Gerade auch in der Erntezeit dienen diese Flächen als Rückzugsorte für Insekten und andere Tiere, die dann die Ackerkulturen verlassen.
Um die Blühflächen kümmern Sie sich wahrscheinlich ebenso intensiv wie um die landwirtschaftlichen Kulturen?
Mehrjährige Blühflächen oder -streifen sind aufwendig. Wir müssen im Frühjahr mit einem feinkrümligen und möglichst unkrautfreien Saatbett erst einmal die richtigen Voraussetzungen für die Aussaat schaffen. Wir hatten zu Beginn unserer Aktivitäten, Ende 2015, viel über die Höhe des Anteils von Kulturarten in der Mischung diskutiert. Unter Berücksichtigung der Vorfrucht, eines gewissen Nährstoffüberhanges und des Bodenvorrates von Unkrautsamen wurde klar, dass auch im Ansaatjahr ausreichend massewüchsige Arten auflaufen müssen, um unerwünschte Ackerunkräuter unterdrücken zu können. In den Folgejahren nehmen die Kulturarten dann Schritt für Schritt ab und überlassen den Wildarten die Bühne. Unterstützend greifen wir hier mit Pflegemaßnahmen (Mulchen) ein. Leider kommt die Politik immer wieder mit Vorgaben, die absolut kontraproduktiv sind.

Foto: Gäbert
Zum Beispiel?
Seit Anfang des letzten Jahres fördert Brandenburg ein- und mehrjährige Blühstreifen. Allerdings muss die Blühmischung 60 % Wild- und nur 40 % Kulturarten enthalten. Nach unseren Erfahrungen war von Anfang an zweifelhaft, ob der hohe Anteil an Wildarten mit der starken Unkrautkonkurrenz besonders im Ansaatjahr zurechtkommt. Das hat sich bestätigt: Die Anlage einer artenreichen Wildpflanzenfläche lässt sich ohne eine Übergangsphase auf unseren Böden und unseren klimatischen Bedingungen nicht realisieren. Ist aber nach ein oder zwei Jahren die Anfangsphase überwunden, zeigen die Blühstreifen ihre volle Wirkung. Unsere Flächen hatten nach dem zweiten Jahr die höchste floristische Vielfalt, und auch im aktuell fünften Jahr erfüllen sie noch hervorragend ihren Zweck. Doch dann verlieren die Flächen den Ackerstatus und die etablierten Blühstreifen müssen umgebrochen werden. Um Landwirte für Naturschutz und Biodiversität zu begeistern, müssen solche unsinnigen Stolpersteine verschwinden!
Ein großer Hemmschuh ist auch die »Besserwisserei«. Konnten letztes Jahr die Landwirte noch selbst entscheiden, wo sie Blühflächen aussäen (und die größten positiven Auswirkungen zu erwarten sind), entscheidet das in diesem Jahr das Ministerium von Potsdam aus. Dazu wurde eine sogenannte Kulisse geschaffen, die diese Vorgaben sichtbar macht. Nahezu keine Fläche, auf der wir in den vergangenen Jahren bereits Blühstreifen angelegt haben, findet sich dort wieder. Die notwendige »Vor-Ort-Kenntnis« – wo soll sie auch in Potsdam herkommen – ist vollständig unter den Tisch gefallen. Landwirtinnen und Landwirte sind absolut bereit, ihren Beitrag zur Biodiversität zu leisten. Aber nicht, wenn diese Bereitschaft wiederholt politisch untergraben wird.
Wenn es um Biodiversität geht, liegt der Fokus innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft meist auf den »bunten Blumen«. Kümmern Sie sich denn auch um die Biodiversität im Boden?
Das ist auch so ein Punkt, bei dem ich den Umgang mit der Landwirtschaft als kontraproduktiv empfinde. Dem Greening wird gern vorgeworfen, es sei gescheitert. Dabei ist doch klar, dass angesichts der unkomplizierten Integration von Zwischenfrüchten große Teile dieser Verpflichtungen über diesen Weg erfüllt wurden. Zwischenfrüchte sind aber nicht nur ein Mittel, den Boden vor Erosion und Austrocknung zu schützen. Ein vielfältiges Nahrungsangebot für die gesamte Bandbreite von im Boden lebenden Organismen ermöglicht deren Erhalt und Vermehrung, das haben wir selbst über Bodenproben belegen können.
Wie kommen wir nun weiter? Was geben Sie der Politik mit auf den Weg?
Wenn Landwirtinnen und Landwirte sich substanziell mit Themen wie der Biodiversität auseinandersetzen sollen, bei denen es nicht primär um die Kernaufgabe der Lebens- und Futtermittelerzeugung geht, sollte die Politik zwei Dinge berücksichtigen. Erstens muss sie auf klare und wissenschaftlich nachvollziehbare Weise die Notwendigkeit belegen. Und zweitens müssen alle »zusätzlichen« Dinge wie ein betrieblicher Wirtschaftszweig behandelt werden. Wichtig für die Zukunft wäre es, die Landwirtschaftsbetriebe als gleichwertige Partner zu betrachten. Es muss außerdem klar sein, dass es keine eierlegende Wollmilchsau geben wird, denn auch innerhalb der Biodiversitätsförderung gibt es Spannungsfelder und Zielkonflikte.
Dazu kann die Landwirtschaft das Boot nicht alleine rudern. Kommunen könnten mehr tun und z. B. durch durchdachte Straßenrandanlagen die Etablierung und Vernetzung von Maßnahmen unterstützen. Auch die Stadtbepflanzungen sollten unter diesem Aspekt geplant werden. Ich wünsche mir einfach insgesamt mehr Kooperation und Wissenstransfer. Und dass hoffentlich künftig jeder Einzelne vermehrt beim Einkauf bewusst auf Produkte zugreifen kann, bei deren Produktion auch die Biodiversitätsförderung nachweisbar eine Rolle gespielt hat.
Die Fragen stellte Thomas Preuße
Aus DLG-Mitteilungen 10/21. Den vollständigen Artikel als pdf finden Sie hier.