Vision. Der Schweinestall als Bioreaktor

Laborfleisch ist keine futuristische Idee. Derartige Nuggets werden bereits in Singapur und Hähnchenburger in Tel Aviv verkauft. Stehen künftig Bioreaktoren statt Schweinen oder Rindern auf den Höfen? Ein Projekt in den Niederlanden verfolgt diese Vision.

Stellen Sie sich vor, Sie produzieren Fleisch, ohne dass Rinder, Schweine oder Hähnchen in Ihren Ställen stehen. Das geht! Die Frage, ob das Huhn oder das Ei zuerst da war, wurde vor rund einem Jahr in Singapur überraschend beantwortet: Es gibt gar kein Ei. Im Grunde gibt es nicht einmal ein Huhn. Aber Chicken Nuggets gab es – zum stolzen Preis von 20 € pro Portion. Es wurde zum allerersten Mal Fleisch verkauft, das nicht von einem geschlachteten Tier stammt.

So wächst Laborfleisch. Cultured Meat, In-vitro-Fleisch, Clean Meat, Labor- oder Kunstfleisch: Das Fleisch aus dem Bioreaktor hat viele Namen. Es wird aus tierischen Stammzellen gezüchtet, die in Bioreaktoren mit Hilfe eines Nährmediums vervielfacht werden. Die Temperatur in den Inkubatoren ist die gleiche wie in einer Kuh oder einem Schwein. Man nehme also Wasser, Proteine, Kohlenhydrate, Fette, Vitamine und Mineralien – fertig ist die Lösung zum Heranwachsen der Zellen.

»Warum sollte ein Landwirt auf seinem Hof nicht auch kultiviertes Fleisch herstellen können?«, fragt Ira van Eelen und arbeitet an Plänen für eine Testfarm in den Niederlanden. Sie ist überzeugt: »Unsere bestens ausgebildeten Landwirte und das Agribusiness bilden das perfekte Umfeld. Ich möchte, dass die Produktion hier stattfindet und nicht nur aus Asien importiert wird.« Für das Konzept »Respect.farms« hat sie sich mit Innovationsexperte Ralf Becks und Ruud Zanders vom nachhaltigen Hühnerstall-Konzept Kipster zusammengetan. Unterstützt wird das Projekt außerdem von der Universität Wageningen und dem niederländischen Agrarministerium. Der Plan: ein Versuchsbetrieb zur dezentralen Produktion für 5 Mio. €, der dazu dienen soll, Verbraucher und Landwirte gleichermaßen über die Innovation Laborfleisch aufzuklären.

Dieses Farmkonzept für kultiviertes Fleisch ist weltweit einzigartig. Es soll zeigen, dass kultiviertes Fleisch nicht unbedingt in großindustriellem Maßstab hergestellt werden muss, sondern eine tragende Säule und zukünftiges Geschäftsmodell für Landwirte sein kann. »Noch ist es nicht zu spät, den Anschluss an die neue Welt zu schaffen. Indes schließt sich das Zeitfenster allmählich, sodass es jetzt die Ärmel hochzukrempeln gilt«, sagt van Eelen. Ihre Zukunftsvision des Proteinkonsums: »Gelegentlich essen wir noch Fleisch von einem Tier, das nach einem artgerechten Leben geschlachtet wurde. Ein größerer Anteil unseres Proteins wird aus pflanzlichen Quellen stammen. Aber der Großteil unserer Burger, Steaks und Schnitzel wird bald angebaut«, ist sich van Eelen sicher. 

Insgesamt nimmt der Trend der »zellulären Landwirtschaft« Fahrt auf. Ein Indiz dafür, dass Laborfleisch bald ein alltäglicher Anblick in den Supermarktregalen sein könnte: Viele der größten Investoren in diesem Sektor sind jene Konzerne, die jetzt schon den Markt mit herkömmlicher Fleischproduktion und all ihren Nebenwirkungen dominieren. Die US-Konzerne Tyson Foods und Cargill, zweit- und drittgrößte Fleischproduzenten der Welt, sind bei einigen der prominentesten Laborfleischhersteller eingestiegen, um sich auch am alternativen Fleischmarkt zu etablieren. Der Wiesenhof-Konzern PHW hat bei der israelischen SuperMeat investiert.
So treiben die Größen der Industrie den Wandel zum ethisch korrekten Fleischkonsum an. In 20 Jahren könnten Laborfleisch und vegane Fleischersatzprodukte zusammen global mehr Umsatz machen als herkömmliches Fleisch – das besagt jedenfalls eine Studie der Consultingfirma Kearney.   
Weltweit gibt es inzwischen mehr als
70 Firmen, die sich mit der Entwicklung von Laborfleisch beschäftigen. Sie forschen dabei an um die 15 Fleischsorten, von Labor-Huhn, -Rind und -Schwein bis zu Labor-Garnelen und -Lachs.

Fazit. Zwar hat kultiviertes Fleisch noch einige Hürden zu überwinden – auf technischer und regulatorischer Ebene –, aber die Technologie wird wohl nicht mehr aufzuhalten sein: In wenigen Jahren wird Fleisch aus dem Bioreaktor in den Supermarktregalen liegen. Und dann wird es seinen einzig relevanten Test bestehen müssen: die Akzeptanz des Konsumenten. »Es sind noch viele Fragen in Bezug auf Nachhaltigkeit, regionale Produktion und die Rolle der Landwirtschaft offen«, meint Ira van Eelen. All diese Fragen müssen geklärt werden, bevor das Fleisch aus dem Labor wirklich marktfähig sein kann. In diese Debatte muss sich der Agrarsektor aktiv einbringen, will er Teil der zukünftigen Geschäftsmodelle rund um kultiviertes Fleisch sein.

Thomas Künzel

Aus DLG-Mitteilungen 3/22. Den vollständigen Beitrag als pdf finden Sie hier.