Marktentwicklung. Wir wissen es nicht

Sie kennen unsere Marktanalysen sicherlich als eine Quelle mit klaren Aussagen. Das »sowohl als auch« steht uns nicht. Am Ende steht immer eine klare Richtung. Aber jetzt ist es anders. Auch die DLG-Mitteilungen wissen nicht, welche Auswirkungen der Ukrainekrieg noch auf die Preise haben wird. Zu zentral ist die Stellung des Landes in der Weltagrarwirtschaft und als Getreidelieferant auch für die EU. Und noch wichtiger ist Russland, vor allem für Weizen und jedwede Form von Energie. Vermutlich ist die Wirkung der höheren Energiepreise und Gasengpässe noch viel einschneidender als kriegsbedingte Engpässe einzelner Agrarprodukte.

  • Wie lange halten die Sanktionen?
  • Wie umfassend schotten diese die russische (Agrar)Wirtschaft vom Rest der Welt ab?
  • Wie steht es um Aussaat und Ernte?
  • Greifen die Regierungen des Westens bei weiter explodierenden Preisen in die Märkte ein?

Entscheidende Fragen für die Märkte, für die wir keine Antwort kennen. Daher wissen wir nicht, wie sich die Preise entwickeln werden – und an wilden Spekulationen wollen wir uns nicht beteiligen. Daher beschränken wir uns darauf, was wir wissen beziehungsweise was als gesichert gelten kann.

Wovon wir ausgehen müssen

Sonnenblumenöl. Etwa die Hälfte aller weltweiten Exporte stammen aus der Ukraine. Die EU importierte von dort 2021 rund 1,5 t (88 % ihres Bedarfs). Es darf als sicher gelten, dass von dort absehbar wenig, vielleicht sogar gar nichts mehr kommt. In den Zentralen des LEH spricht man bereits offen davon, dass Sonnenblumenöl durch andere Öle ersetzt werden muss. Schnell ist da die Rede von Rapsöl, im Frittierbereich kommt sicherlich auch Palmfett wieder mehr zum Tragen.

GVO-freie Sojabohnen. Die EU-Ernte kommt auf 2,7 Mio. t, in der Ukraine waren es 2021 etwa 3,4 Mio. t. Im Vorjahr fanden 430 000 t den Weg zu uns. Diese Proteinquelle muss wenigstens übergangsweise durch andere Schrote ersetzt werden, infrage kommen Rapsschrot und Schlempepellets. Ersetzt werden müssen auch die 1 Mio. t Sonnenblumenschalen aus der Ukraine.

Geflügelfleisch. Laut US-Agrarministerium verließen zuletzt jährlich 400 000 t das Land, 100 000 t wurden importiert. Größte Abnehmer waren Ägypten und Mauretanien, dazu weitere afrikanische Länder. In die EU verkauften zwei ukrainische Firmen (nur die waren zugelassen) zwischen 50 000 und 70 000 t jährlich. Wir müssen davon ausgehen, dass das Fleisch vielleicht gar nicht mehr verarbeitet werden, auf jeden Fall aber nicht (außer an die EU) exportiert werden kann, weil die Seehäfen blockiert oder geschlossen sind.

Zucker. Hohe Energiepreise ziehen normalerweise die Zuckerpreise mit. Brasilien erzeugt dann mehr Ethanol und weniger Zucker aus der Rohr-ernte. Zwar gibt es mit Thailand, Australien und Indien noch andere große Exportländer, aber Brasilien ist nun einmal mit Abstand das größte. Über Zuckerproduktion und -bedarf in der Ukraine gibt es keine validen Prognosen.

EU-Nahrungsmittelnachfrage. Ein letzter Punkt ist gewiss: Die Zahl der Einwohner der EU erhöht sich mit den Flüchtlingen kurzfristig um 1 %. Für wie lange, das weiß niemand. Aber die Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln, Getreide, Milchprodukte, Pflanzenöl, Kartoffeln und Zucker wird in den Aufnahmeländern spürbar steigen.

Was wird im Frühjahr ausgesät?

Weizen ist in der Ukraine wie bei uns ­zumeist Winterweizen. Der ist im Boden und der Ertrag hängt viel mehr vom Regen im Mai und Juni als von Pflanzenschutz und Düngung ab. Daher ist mit einer zwar unterdurchschnittlichen, aber keineswegs mit einem völligen Ausfall der Weizenernte zu rechnen. Der Raps steht ebenfalls schon im Feld, da spielen aber Pflanzenschutzmittel und Dünger eine größere Rolle als beim Getreide. Eine Prognose über die Ernte und vor allem, wohin die geht (vielleicht nach China?), wäre reine Spekulation.

Die Sommersaaten hängen stark von der Verfügbarkeit von Diesel ab. Der Maisanbau wird eingeschränkt, Mais ist eine teure Kultur und damit risikoreicher als Sommergerste oder Sonnenblumen. Die kann man auch mit Liniensorten und Eigensaatgut anbauen und sie benötigen auch weniger Dünger oder Pflanzenschutz. Daher ist es wahrscheinlich, dass deren Fläche zulegen kann.

Der Zuckerrübenanbau wird sicher massiv eingeschränkt. Denn wer weiß schon, ob die Rüben im Herbst transportiert werden können, ob die Fabrik noch steht oder Energie und Personal hat? Das macht den Anbau hochriskant, zumal hier Saatgut und Pflanzenschutzmittel eine größere Rolle spielen als beim Weizen.

 

Getreide ist nicht dauerhaft blockiert

Der Transport von Getreide und Ölsaaten aus der Ukraine dürfte für längere Zeit blockiert sein. Die Häfen entlang der Schwarzmeerküste verluden 2020 rekordhohe 54 Mio. t. Diese Menge kann selbst in Friedenszeiten nicht über Bahn oder LKW abgewickelt werden. Je nachdem, was dem Krieg folgt und wie schwer die Zerstörungen der Hafenanlagen sind, können ukrainische Waren eventuell über russische Häfen ausgeführt werden.

Die Exporte Russlands sind hingegen nicht ­gefährdet. Kurzfristig kommen weder Dünger noch Getreide aus Russland heraus. Noch sind aber die russischen Banken, über die vor allem die ­Exporte von Gas, Öl und Getreide abwickeln, von der ­Blockade durch SWIFT ausgenommen.
Außerdem gibt es die Möglichkeit der »Bartergeschäfte«, also dem Tauschhandel Ware gegen Ware. Das wurde in der Vergangenheit schon von Ländern praktiziert, deren Währung so schnell inflationierten, dass ein Geldgeschäft nicht mehr möglich war. Beispiele sind Argentinien und Venezuela. Russland kann also Weizen nach China oder in die Türkei liefern, und Technik importieren. Bis so etwas anläuft, dauert es einige Monate.
Ganz sicher wird russisches Getreide im Sommer auf den Weltmarkt kommen – möglicherweise aber erst im späteren Verlauf des Jahres. Es ist eine Frage der Logistik und Abwicklung. Die schiere Not vieler Importländer Nordafrikas und des Vorderen Orients spricht dafür. Und diese Länder haben sich mit Ausnahme Ägyptens auch alle bei der UN-Resolution gegen den Ukrainekrieg enthalten.

Markus Wolf, Christian Bickert

Aus DLG-Mitteilungen 4/22. Den vollständigen Beitrag als pdf finden Sie hier.