
Foto: Thomsen
Ukraine. Trotzdem weiter machen
Die nervliche Belastung für ukrainische Landwirte ist riesig. Sie versuchen, so viel Normalität wie möglich für sich, ihre Familien und die Arbeitskräfte zu erhalten. Für manche unlösbar erscheinende Probleme gibt es Auswege, für andere nicht, wie unsere Autorin Astrid Thomsen bei einem Betriebsbesuch Mitte Juli in Lugove (8o km östlich von Lwiw) erfuhr.
Betriebsleiter Roman Paprockij zeigt Mitte Juli auf seinem Laptop die Ackerflächen seines Betriebs: 7.500 ha, verteilt in der Region Lwiw im Westen der Ukraine auf einer Fläche mit einem Durchmesser von 160 km. Es gibt Schwerpunkte im Norden und Süden dieses Areals, teilweise zusammenhängende Stücke mit mehr als 500 ha. Dazwischen im Gebiet der landwirtschaftlichen Kollegen auch kleine Äcker von 1 bis 2 ha. Warum die Mühe, diese Miniflächen mit den langen Anfahrten zu bewirtschaften? „Wenn wir die nicht nehmen, nimmt sie jemand anderes“, ist die Antwort. Paprockij fährt pro Tag bis zu 300 km weit, um alles im Blick zu behalten. Er ist für die Produktionsplanung und ihre Umsetzung zuständig. Für die Betriebszweige: Tierhaltung, Transport, Buchhaltung, Reinigung und Trocknung und Lager, die Landpachtabteilung und die Mechanisierung gibt es jeweils eigene Vorgesetzte.
Als eines der aktuell größten Probleme nennt Paprockij den Getreideverkauf. „Wir haben kaum noch Finanzreserven“, sagt er, „aber unsere Kredite können wir noch bedienen.“ Die ukrainischen Banken stecken ebenfalls in Schwierigkeiten, weil viele Schuldner im Osten des Landes nicht mehr zahlungsfähig sind. Eine mittelfristige Planung ist unmöglich: „Wir denken bis zu den nächsten ein bis zwei Tagen.“ Befragt zum Thema Herbstbestellung stellte sich heraus, dass die Mehrheit seiner Kollegen plant, nach dieser Ente nur noch 50 Prozent der verfügbaren Fläche zu bearbeiten.

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Der Krieg steht bei den ukrainischen Männern in Form einer möglichen Einberufung im Raum. Der Tierarzt des Betriebs wurde schon eingezogen, er arbeitet jetzt als Sanitäter an der Front. Dass Abgaben an die Armee geleistet werden, gilt in der Ukraine als selbstverständlich. Hier waren es unter anderem vier LKW, ein Bus, ein Pickup und Ersatzteile. Frauen aus dem Dorf backen Brot und packen Pakete mit Nahrungsmitteln für die Soldaten. „Die Solidarität unter uns ist groß“, betont Paprockij.
Um die Ernte zu lagern, ist laut Paprockij in den eigenen Silos genug Platz. Um Trocknungskosten zu sparen, soll das Getreide in diesem Jahr möglichst auf dem Halm trocknen (die Gerstenernte fand in der zweiten Julidekade statt, als die Gerste noch 14 Prozent Restfeuchte hatte). Die Getreidereinigung, -trocknung, -lagerung und der Export der Ware auch für andere Betriebe gehören zum Kern des Unternehmens. Vor vier Jahren verlegte der Betrieb 2 km Bahngleise und schaffte eine Diesellok an. Die Wagons für das Getreide stellt die Bahn zur Verfügung. Damit war ein Anschluss an das ukrainische Schienennetz geschaffen. Der letzte Getreidezug zum Schwarzen Meer fuhr im November 2021. Lieferungen nach Polen stehen die unterschiedlichen Spurbreiten der Züge entgegen. Ein Versuch, Getreide per LKW nach Polen zu bringen, dauerte insgesamt zwei Wochen und erwies sich als nicht praktikabel.
Kurz vor der Besichtigung der Felder gibt es wieder Luftalarm, der in der Realität noch weitaus bedrohlicher wirkt als im Fernsehen. Viele Menschen im Westen der Ukraine haben schon Raketen fliegen sehen oder kennen jemanden, der an der Front gestorben ist. Die Stimmung unter seinen Angestellten nennt Paprockij „deprimiert.“
Der Betriebsleiter erwartet für dieses Jahr eine Ernte mit mittlerem Ertrag. Sämtliche Flächen seines Betriebs wurden bestellt. Im Herbst und im Frühling war es sehr kalt, die Pflanzenschutzmittel wirkten nicht so wie sie sollten und Mitte Juli gab es erhöhten Unkrautdruck. Pilzbefall ist in diesem Jahr kaum ein Problem. Es gibt Feldfrüchte, die sich auch innerhalb der Ukraine gut verkaufen lassen, wie zum Beispiel Lein. Aber Lein ist im Anbau und Ernte kompliziert, mehr als 600 ha sind da nicht drin.

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An einem der Betriebsstandorte stehen 200 Milchkühe, eine Reitanlage mit Pferdeställen und Reitplatz sowie ein Restaurant. Die Milchkühe stehen nicht im Fokus des Betriebes. Der Milchpreis ist nach wie vor mit 26 Ct/kg niedrig aber stabil. „In unserer Gegend haben wir zwei größere Molkereien, es müssten mehr sein, damit sie sich gegenseitig Konkurrenz machen“, mein Paprockij. „Aber in dieser Situation ist das regelmäßige Milchgeld sehr wichtig für uns. Günstiges Futtergetreide ist jetzt genug vorhanden.“ An dem Konzept, den Betrieb kontinuierlich um weitere Standbeine zu erweitern, will Paprockij festhalten: „Es ist gut, immer neue Ziele zu haben.“
Astrid Thomsen, Freie Journalistin
Die gesamte Reportage mit weiteren Facetten und Details lesen Sie in der kommenden Ausgabe 9/2022.