
Ukraine: "Die Flucht wird zum Martyrium"
Seit 17 Jahren ist Alexander Zein (gebürtig aus Bad Harzburg) in der Ukraine, seit 2019 arbeitet er als Pflanzenbauleiter auf einem 4500 ha großen Betrieb östlich von Kiew. Zein (42) lebt mit seiner Frau Olga, mit der er seit neun Jahren verheiratet ist, rund 70 Kilometer von Kiew entfernt im Ort Bila Zerwka. Unser Anruf erreicht ihn am Morgen der russischen Angriffe während seiner Fahrt in den Westen. Nach Räumung der Deutschen Botschaft in der Nacht zuvor war klar, dass es ernst werden würde, sodass er sich mit seiner Frau Olga und den beiden Kindern Laura (5) und Emilia (10) zum Aufbruch entschied - zumal sein Betrieb östlich von Kiew liegt und damit in einer möglichen Kampfzone.
„Als wir losfuhren, haben wir Einschläge gehört oder Explosionen“, sagt Zein. Tausende haben sich aufgemacht gen Westen. Auf dem Weg zur Grenze überall lange Schlangen an den Tankstellen, der Grenzübertritt nach Rumänien selbst wird zum Martyrium. Gute 21 Stunden braucht die Familie, bis sie endlich drüben ist: In Rumänien, in der EU, im Westen.
Ein emotionaler Moment, als die Grenze überschritten ist. Emotional berührend ist aber auch das, was die Familie jenseits der Grenze sieht: Eine überaus große Willkommenskultur im bitterlich armen Rumänien. „Da standen zwischen 200 und 250 Leute, haben Essen, Trinken und Süßigkeiten verteilt an die, die über die Grenze kamen, viele davon auch über längere Strecken zu Fuß.“
Familie Zein hinterlässt in der Ukraine ihr eigenes gebautes Wohnhaus. Auf dem Hof bleibt alle Technik für den Großbetrieb zurück, sowie auf dem Acker Bestände, die sich bislang nicht nur bei ihm sehr gut präsentierten: Gute Bedingungen zur Aussaat bei Raps und Weizen, ein milder Winter, wegen hoher zu erwartender Erzeugerpreise trotz hoher Kosten ausreichend gedüngt und mit Pflanzenschutzmitteln behandelt. Zudem habe er wegen der zu erwarteten Knappheit ausreichend Dünger, Pflanzenschutzmittel und Diesel vorgekauft, was jetzt am Betrieb liegt.
Die aktuelle Lage bezeichnet er als Katastrophe – human, politisch und wirtschaftlich. Was das für die Landwirtschaft und die nächste Ernte bedeute, sei nur schwer abzuschätzen. Ein Teil der Infrastruktur sei zerstört, Diesel sei knapp; ob es überhaupt zu einer großflächigen Aussaat der Sommerungen im Frühjahr kommen werde, sei mehr als fraglich. Er wünsche sich jetzt gegenüber Russland eine klare Positionierung aus Deutschland – auf allen Ebenen.
Christian Mühlhausen
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