
Ohne Tiere geht es nicht? Auf jeden Fall muss es mit weniger Tieren gehen!
Mit dem von uns hoch geschätzten Kollegen Windisch wurde schon mehrfach über seine Ausführungen zur "Notwendigkeit" der Nutztierhaltung diskutiert – zu vielen Aussagen gibt es Zustimmung, vor allem aber über das sinnvolle Maß ist zu streiten – implizit fügt er das in Nebensätzen auch ein, aber die große Linie seines Beitrags heißt am Ende eben doch, Intensivtierhaltung bleibt das Maß aller Dinge. Da sein Beitrag mit den Thesen auch in der akademischen Ausbildung wahrgenommen werden wird, ist es notwendig, auch die Anti-Thesen zu formulieren, um so die Basis für eine gelingende Synthese zu legen. Dies soll hier mit Bezug zu wesentlichen Aussagen von Kollegen Windisch geschehen:
„Fleischkonsum verbinden manche Menschen mit ungesund und moralisch negativ behaftet“
Das ist so und es werden immer mehr Menschen, die so empfinden! Leider werden die Gründe dafür nicht angesprochen: Der aktuelle Fleischkonsum übersteigt jedes, aus Gründen des Gesundheits- wie des Ressourcenschutzes, empfohlene Maß, in Deutschland etwa um den Faktor 2. Die Haltungssysteme und in der Konsequenz der Gesundheitsstatus der Tiere, die auf den Schlachthöfen ankommen, sind dort, wo sie systematisch untersucht werden, zumindest zum Teil als bedenklich bis völlig inakzeptabel anzusprechen – Kollege Gareis von der LMU München hat das ebenso aufgezeigt wie dies aktuell Kollegen in Dänemark getan haben. Bedenklich ist weiterhin, dass es oft der Medien bedarf, die uns diese Missstände vor Augen führen. Die Akzeptanz des Gesamtsystems, des auf höchste Arbeitseffizienz ausgerichteten Umgangs mit Mitgeschöpfen wird zunehmend vornehmlich von jungen Menschen in Frage gestellt – der Ansatz, dieses Phänomen mit Argumenten der Nutzung von Koppelprodukten zu entkräften, ist ehrenwert, greift aber deutlich zu kurz.
„Weltweit sind nur 30% der weltweiten Agrarfläche ackerfähig“
Dieser Anteil ist seit Jahrzehnten stabil, weil der in der Tat hoch kritische Verlust an Ackerflächen durch vor allem Infrastrukturmaßnahmen in den reichen Ländern und Bodenerosion und -degradierung in den Ländern des Südens durch beständigen Landnutzungswandel von natürlichem Grasland zu Ackerland ausgeglichen wird – nachdem die Savannen und die Pampa in Lateinamerika weitgehend in Ackernutzung genommen worden sind, ist es nun der Savannengürtel in Subsahara-Afrika, der ein letztes großes Reservoir für potentielles Ackerland darstellt – umso mehr ist es notwendig, die welt- wie EU-weite Nutzung von jeweils über 60% (!) der Ackerflächen für die primäre Erzeugung von Tierfutter zu reduzieren. Bevor eine idealisierte Darstellung der Funktion von Koppelprodukten erfolgt, sind doch die realen Größenordnungen in den Mittelpunkt zu stellen, um falsche Schlüsse zu vermeiden. So haben die Kollegen aus Wageningen (van Zanten et al.; 2018) kürzlich sehr deutlich gezeigt, dass eine weltweit optimierte Landnutzungseffizienz etwa 15% Eiweiß aus Quellen tierischer Herkunft und 85% aus Quellen pflanzlicher Herkunft beinhaltet – tatsächlich sind es in Europa etwa 40%, die tierischen Ursprungs sind. Ganz abgesehen davon, führt die zumeist armutsbedingte dramatische Übernutzung der trockenen Graslandflächen der Welt durch Nutztiere zu Desertifikation und enormen Bodenkohlenstoffverlusten der weltweiten Grasflächen.
Was ist Rest-, Neben-, Koppel- und Hauptprodukt?
Am Beispiel Soja kann sehr deutlich gezeigt werden, dass die Bezeichnung Haupt- oder Koppelprodukt im Sinne der menschlichen Ernährung in Frage zu stellen ist. Wenn das dominante marktfähige Gut aus Sojabohnen, das Futtermittel Sojaextraktionsschrot, etwa 70% der Wertschöpfung ausmacht, dann ist Soja primär als Futtermittel anzusprechen und als Nebenprodukt fällt Öl an (vgl. Dalgaard et al. 2008). Mit einer Analyse der Haupt- und Nebenprodukte auf dieser Basis verändern sich die Zuordnungen sehr deutlich – dann steigt der weltweite Anteil der primären Nutzung des Ackers für Futter noch deutlich weiter an.
Nutztiere fördern die Gesamtproduktivität der Lebensmittelerzeugung
Auch diese Aussage ist zumindest für Deutschland pauschal nicht haltbar. Nehmen wir die aktuelle Situation der Schweinefleischerzeugung: Im Jahr 2000 betrug der Selbstversorgungsgrad (SVG) knapp 90%, im Jahr 2020 sind es bei ähnlicher Bevölkerungszahl und schwach reduziertem Pro-Kopf-Konsum etwa 125% SVG (u.a. verursacht durch ein umfängliches Politikversagen in der Düngegesetzgebung, der dieses Wachstum nicht bremste) oder anders ausgedrückt etwa 5 Mio. Tonnen Schweinefleisch, die umgerechnet je Schwein etwa 250 kg Getreide (direkte Konkurrenz Humanernährung) beanspruchen. Nehmen wir die evidenzbasierten wissenschaftlichen Empfehlungen zur gesunden Ernährung wie zum Klima- und Ressourcenschutz ernst, so sollte der Konsum wie die Produktion für den heimischen Markt in der Größenordnung von 30% eingeschränkt werden (vgl. Grethe et al., 2021). Würden die Exportmengen im Sinne einer höchst effizienten Bereitstellung pflanzlicher Nahrungsmittel für den Weltmarkt gegen 0 zurückgefahren (SVG = 100% wie vor 15 Jahren), wären auf den Hochertragsstandorten für Getreide in Deutschland nur für diese Fleischsorte Flächenkapazitäten von mehr als 1 Mio. ha oder etwa 18% der Getreideflächen zusätzlich für die Bereitstellung von Brotgetreide verfügbar mit einem dann zusätzlichen potentiellen Exportvolumen von 5-8 Millionen Tonnen Getreide für die Humanernährung – jährlich! Ähnliches gilt im Prinzip auch für die Milcherzeugung mit einem SVG in der Größenordnungen von 115% . Wird dem zum Beispiel der Haferdrink gegenübergestellt, reduziert dies den Flächenanspruch je Einheit ‚Milch‘ um 75-80% - da hilft auch der Verweis auf das Grünland wenig, weil Grünlandkonservatfuttermittel in der Ration der Hochleistungskuh nur noch eine Größenordnung von etwa 30% einnehmen, der Rest der Futterration kommt vom Acker - je höher die Leistung, umso höher ist dieser Anteil und somit auch die Nahrungsmittelkonkurrenz. Diese Beispiele machen deutlich, dass ausgehend von den aktuellen Versorgungsgraden einzelner tierischer Produkte eine spezifische Fallanalyse notwendig ist – und zwar zunächst ohne den sonst typischen Verweis auf Verlagerungs-Effekte, denn häufig genug können Verlagerungs – Effekte auch positiv bewertet werden. Fazit zu dieser Überschrift: Nutztiere sind mit den aktuellen Produktionsniveaus und Konsummustern prinzipiell Nahrungsmittelkonkurrenten um knappe Ackerflächen in Deutschland.
„Die ‚ökologischen Fußabdrücke‘ sind sehr unterschiedlich“
Die Überschrift stimmt, aber in der Analyse werden Widersprüche sichtbar: Zunächst wird betont, dass Leistungssteigerungen mit reduzierten ökologischen Fußabdrücken zum Beispiel beim CO2 verbunden sind, weil relativ der Erhaltungsbedarf sinkt – das ist der alte eindimensionale Narrativ aus den 1990er Jahren, der inzwischen gerade in der Milcherzeugung für Leistungsniveaus jenseits von etwa 6000 kg vielfach widerlegt ist (vgl. Lorenz et al., 2019, Zehetmeier et al., 2012). Zwar erwähnt er, dass sich dieser Effekt mit steigender Leistung abflache, bringt dann aber mit der Übersicht 1 doch wieder genau die gegenteilige Aussage mit Zahlen, die ‚belegen‘ dass die 12.000 l-Kuh (40 l x 300 Tage) ‚besser‘ ist als die mit 6- oder 8.000 Litern. Das widerspricht dem vorher gesagten, wonach nämlich der Grundfutteranteil vom Grünland im Mittelpunkt stehen sollte – was bei den Hochleistungen eben nicht mehr der Fall ist. Vor allem aber fehlt die Betonung der Komplexität von Merkmalen, die beim ökologischen Fußabdruck innerhalb einer Spezies zu bewerten ist. Wir zeigen im Projekt Öko-effiziente Weidemilcherzeugung Lindhof, dass die Weidemilcherzeugung im Gemischtbetrieb mit einem Leistungsniveau von 7.000 kg je Jerseykuh einen um 40% niedrigeren Carbon-Footprint ausweisen kann, dazu etwas für Biodiversität, Wasserschutz und Tierwohl tut ohne wesentlich mehr Fläche zu beanspruchen als eine 11.000 Liter Kuh (Reinsch et al., 2021; Smit et al., 2021).
„Tierische Lebensmittel aus nicht essbarer Biomasse sind klimaneutral“
Schön, wenn dem so wäre! Es lassen sich zwar über Koppelprodukte Emissionen aus der Futtergewinnung deutlich reduzieren, aber klimaneutral werden die so erzeugten tierischen Produkte dadurch nicht. Was weiterhin zu Buche schlägt, sind die Emissionen aus der enterischen Fermentation im Falle der Wiederkäuer und dem Wirtschaftsdüngermanagement im Falle von Wiederkäuer und Monogastrier. Beide Bereiche nehmen aktuell Nr. 1 und Nr. 3 der landwirtschaftlichen Emissionen in Deutschland ein. Die Einlassung von Kollegen Windisch über die ‚Nicht-Relevanz des Methans‘ bei gleich bleibenden Tierzahlen wird auch durch vielfache Wiederholungen in Medien nicht richtig, denn sie beansprucht zum einen nicht gerechtfertigte ‘Verschmutzungsrechte‘ und ist zum anderen vor dem Hintergrund der Klimaziele kontraproduktiv - gerade weil die Reduktion der Methanemissionen kurzfristig hoch effizient für den Klimaschutz ist (GWP20-Wert von 84 ,IPCC, 2013). Flessa und Osterburg (2021) haben das gerade noch einmal sehr deutlich aufgezeigt.
Kollege Windisch argumentiert, dass die Methanemissionen der Wiederkäuer mit der Fähigkeit nicht essbare Biomasse zu verwerten gegengerechnet werden müssen. Das ist richtig und damit kommt die Landnutzung, die hinter der Milcherzeugung steht, ins Spiel. In diesem Zusammenhang sprechen wir in Deutschland über etwa 1 Mio. ha landwirtschaftlicher Flächen auf drainierten organogenen Böden, die den ‚Carbon-footprint‘ je kg Milch um den Faktor 3-5 anheben, weil die Treibhausgasemissionen auf diesen Flächen in der Größenordnung von jährlich 40 t CO2 eq/ha anzusetzen sind. Hier besteht also eine Flächenkonkurrenz zwischen Milcherzeugung und Klimaschutz. Alle Szenarien zur Erreichung der Klimaschutzziele beinhalten die weitgehende Wiedervernässung der Moorkörper als hoch effiziente Maßnahme, weil die Landnutzung zur Milcherzeugung dort bei weitem nicht klimaneutral ist. Die Emissionen sind eben nicht die gleichen, „egal, ob die nicht essbare Biomasse an Nutztiere verfüttert wird, in einer Biogasanlage vergärt, oder einfach nur auf dem Feld verrottet“.
Gesamtfazit
Jenseits der von Wilhelm Windisch aufgezeigten grundsätzlich positiv zu würdigenden Aspekte der Erzeugung von Nahrungsmitteln tierischer Herkunft in Deutschland ist zu konstatieren, dass die tatsächliche Situation vor allem der ‘ hot spots‘ der Tierhaltung in Deutschland wesentlich verantwortlich ist für die von der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) geschätzten jährlichen Umweltkosten in der Größenordnung von 90 Mrd. Euro. Sämtliche Kontroversen im Bereich Umwelt und Landwirtschaft mit der EU-Kommission wie in der Gesellschaft sind wesentlich durch das aktuelle Maß, die räumliche Verteilung und die Art der Tierhaltung verursacht. Eine Abstockung der Tierbestände in Größenordnungen von 30% wird daher notwendig sein, um gleichermaßen die von Wilhelm Windisch skizzierten Leistungen der Nutztierhaltung uneingeschränkt zur Entfaltung zu bringen wie die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie Deutschland umzusetzen und die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen.
Friedhelm Taube, Andreas Gattinger und Alois Heißenhuber