
(Foto: Berghuis)
Kälbertransporte. Wenn Kälber länger bleiben müssen
Die nationale Tierschutztransportverordnung wurde geändert. Die Konsequenz: Voraussichtlich ab Ende 2022 wird das Mindesttransportalter für Kälber von 14 auf 28 Tage erhöht. Wir haben mit Kälberhändler Paul Berghuis über die Konsequenzen gesprochen.
Kälberhändler Paul Berghuis appelliert an Milchviehhalter, Händler und Mäster, eine geplante Übergangszeit bis zum Eintreten der neuen Kälbertransportverordnung im kommenden Jahr gut zu nutzen: »Unser aller Erfolg hängt davon ab, wie schnell und gut wir uns auf die Änderungen durch die neue Verordnung einstellen«.
Sein in Ibbenbüren ansässiges Unternehmen kauft zwischen 2 500 und 3 000 Kälber wöchentlich. Davon verkauft Berghuis rund 650 Kälber in die Bullenmast und etwa 2 000 Tiere in die Kälbermast, die meisten davon in die Niederlande.
Herr Berghuis, was halten Sie von der geplanten Kälbertransportverordnung?
Ich finde die Änderung nicht gut. Dagegen spricht unter anderem, dass auf den Milchviehbetrieben die Kälberplätze mit einem mitunter sehr großen finanziellen Aufwand verdoppelt werden müssen. Während diese Plätze bei den bisherigen Profis für diese Lebensphase – den Kälbermästern – leer stehen. Ebenso problematisch ist es, dass das Know-how für die Aufzucht dieser Tiere in dieser sensiblen Lebensphase des Kalbes – gegen den Willen der Beteiligten – umgelagert werden muss. Bisher oblag ein Großteil der Aufzucht dem Kälbermäster. Mit der Erhöhung des Transportalters werden zwei wesentliche Wochen davon zum Milchviehbetrieb verlagert. Wenn dieser die Kälber zwar versorgt, aber nicht angepasst füttert, hat der Mäster später Probleme, dass die Tiere das nötige Schlachtgewicht erreichen. Das Kalb muss spätestens mit acht Monaten geschlachtet werden, sonst ist es kein Kalbfleisch mehr. Vor allem in der Rosémast ist ein hohes Endgewicht wichtig, damit sich die Mast rentiert.
Wie müssen die Milchviehbetriebe reagieren?
Die Aufzucht muss an den Bedarf der Bullen- und Kälbermast angepasst werden. Bisher gab es kaum Kommunikation zwischen den Milchvieh- und den Mastbetrieben. Hier wird sich spätestens mit der 28-Tage-Regelung etwas ändern müssen. Wichtig werden zusätzliche Informationen für den Kälberhändler: Wie ist der Gesundheitszustand? Wurden die Kälber schon behandelt und wenn ja, womit? Sind sie bereits geimpft? Jeder Betrieb hat eine eigene Kälberroutine in den bisher durchschnittlich ersten 18 Tagen der Aufzucht. Bleiben die Kälber 14 Tage länger, dann sind z. B. auch die individuellen betrieblichen Fütterungsunterschiede deutlich relevanter. Der Kälbermäster stallt eine »Mischmaschtruppe« ein und wird Probleme haben und Zeit benötigen, um eine homogene Partie zu erhalten, die gleichmäßig wächst.
Was kann der Milchviehbetrieb tun, um die Kälberqualität zu verbessern?
Der Milchviehbetrieb legt den Grundstein für eine gute und intensive Mast. Die Bullenauswahl, die entsprechende Haltung der Mütter während der Trächtigkeit, eine optimale Kolostrumversorgung, eine gute Versorgung und optimales Antränken der Kälber sind dafür unerlässlich. Bleiben die Kälber länger auf dem Betrieb, werden Qualitätsunterschiede zwischen den Tieren und zwischen guter und mangelhafter Aufzucht eher sichtbar.
Die Preisspanne zwischen guter und schlechter Qualität wird größer.
Wie wird sich die 28-Tage-Regelung auf die Kälberpreise auswirken?
Die Preisspanne zwischen den guten und den schlechteren Kälbern wird deutlich größer. Bisher sind die schwereren schwarzbunten Bullenkälber 15 bis 20 € teurer als die leichteren. Das gute Kalb wird gesucht und das schlechte wird keiner haben wollen. Und es werden deutlich mehr Milchkühe mit Fleischrassen angepaart werden.
Wie sind die Auswirkungen auf den Kälberhandel? Auf uns als Kälberexperten kommen ebenfalls deutliche Veränderungen zu. Künftig werden die Qualitäten der Kälber nicht mehr so homogen sein. Die Kälbergewichte werden weiter auseinander gehen. Aktuell handeln wir Holsteinkälber zwischen 40 und 60 kg. Künftig werden die Gewichte dann vielleicht 50 bis 80 kg betragen. Und ich bin mir sicher, es werden deutlich mehr Kreuzungskälber mit den unterschiedlichsten Qualitäten auf dem Markt sein. Besamen mit Kreuzungsbullen heißt nicht automatisch, dass die Kälber beim Verkauf mehr Geld bringen. Wichtig ist immer: Fragt die Bullenmast nach diesem Typ Kalb? Für uns sind Kreuzungen mit Blauweißen Belgiern ideal.
Das Zusammenstellen von großen, homogenen Kälbergruppen wird schwieriger. Es wird für uns eine Herausforderung, eine gleichmäßige 500er-Partie zusammenzustellen, die als eine Gruppe gemästet werden kann. Unsere Kosten werden deutlich steigen. Bisher transportieren wir die Kälber dreistöckig. Wenn sie größer und schwerer werden, wird der Platz nach oben zu gering. Deshalb werden wir nur noch zweistöckig fahren können. Ein Drittel Transportkapazität fehlt dann. Noch dazu werden die Tiere ja schwerer und benötigen etwa 30 % mehr Platz. Insgesamt werden die Kosten um 30 bis 40 % steigen. Dazu kommt, dass die Kälber später auch mehr Platz im Sammelstall benötigen.

Und was bedeutet die neue Verordnung für die Kälbermast?
Die Konsequenz ist, dass Kälber – auch die HF-Kälber – für die Kälbermast knapp werden könnten. Heute ist der Kälbermarkt ausbalanciert. Künftig wird es aber weniger »brauchbare« Tiere für die Kälbermast geben. Mehr Mastkreuzungen führen dazu, dass HF-Kälber in der Kälbermast fehlen. Denn sie gehen in der Regel in die Bullen- bzw. Rindermast. Und dies kann nicht durch Importe aus dem Ausland kompensiert werden.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit zwischen Landwirten, Händlern und Mästern?
Es ist sehr wichtig, Informationen auszutauschen. Wohin geht das Kalb, wie weit wird es gefahren, wie wird es gemästet? Der Viehhandel als Bindeglied zwischen Milchviehbetrieb bzw. dem lokalen Viehhändler und Kälber- bzw. Bullenmast ist auch eine zentrale Schnittstelle in den Datenströmen. Uns liegen exakte Daten über das bisherige Leben, die individuellen unterschiedlichen Qualitäten und die bisherigen Transportwege der Kälber vor. Diese werden künftig eine größere Bedeutung haben. Und durch die Weitergabe dieser Informationen können wir Transparenz bieten. Zum Beispiel können wir Daten zur Fütterung und Behandlung der Kälber in den ersten vier bis fünf Lebenswochen auf den Milchviehbetrieben an die Mäster weitergeben.
Verluste und Besonderheiten (positiv wie negativ) melden wir an die Milchviehbetriebe zurück. Einzelgewichte, Einzelpreise, Rückmeldungen von Mästern über Ergebnisse und eventuelle Verluste werden immer bedeutsamer. Alle Lieferanten und auch unsere Abnehmer bekommen schon jetzt das bei uns festgestellte Gewicht mitgeteilt. Die Mäster nehmen diese Informationen z. B. als Basis für ihre Futterberechnung. Den lokalen Händlern hilft es bei der Preisfindung für das Kalb.
Wie wird sich ein höheres Transportalter auf die Marge auswirken? Wer bezahlt künftig die zusätzlichen Kosten?
Letztendlich sind wir darauf angewiesen, dass der Konsument das bezahlt. In der gesamten Wertschöpfungskette sind die Margen seit Jahren sehr gering. Deshalb ist es wichtig, dass wir transparent darstellen, was wir Gutes tun, und warum deshalb z. B. Kalbfleisch seinen Preis hat. Der Konsument muss ein gutes Gefühl beim Verzehr haben, er muss uns vertrauen. Das geht nur mit ehrlicher Transparenz über die Herstellung unserer hochwertigen Produkte.
Das Interview führte Bianca Fuchs