Interview. Wie viel Internet brauchen wir wirklich?

Viele Landwirte in Deutschland sind mit ihrer Internet-Anbindung unzufrieden. Im Zuge des 5G-Ausbaus wird daher die Forderung nach einer flächendeckenden und leistungsstarken Netzabdeckung immer lauter. Doch brauchen wir tatsächlich auf jedem Hektar schnelles Internet? Ein Gespräch mit Dr. Martin Kunisch, Hauptgeschäftsführer KTBL e.V.

Herr Dr. Kunisch, bei welchen Anwendungen in der Landwirtschaft ist eine flächendeckende Internetverfügbarkeit unabdingbar?

Das Wichtigste ist sicher ein allgemein verfügbares RTK-Signal als Basis für hochgenaue Positionsbestimmung. Damit ist ein präzises Parallelfahren bei allen Feld­arbeiten möglich. Und auch Telemetrie-Anwendungen, also die Übertragung ak­tueller Positions- und Sensordaten von Maschinen zu einer zentralen Stelle für Logistik- und Planungszwecke, sind auf möglichst störungsfreies Internet angewiesen. Um diese Arbeiten problemlos zu realisieren, reicht in der Regel aber ein Leistungsumfang von LTE bzw. 3G. Will man Prozesse in Echtzeit verfolgen oder Maschinen über die Cloud steuern, ist hingegen ein leistungsstärkeres Netz erforderlich.

Gibt es Technologien, die eine Überbrückung von Mobilfunklöchern in der Landwirtschaft ermöglichen?

Ja, die gibt es. Viele Technikhersteller bieten inzwischen für verschiedene Anwendungen vielseitige Lösungen für einen zeitweisen Netzausfall an. Neben den meistdiskutierten Mobilfunktechnologien von 3G über 4G bis 5G ist ebenso die Satellitentechnik mit geostationären Satelliten nutzbar. Landwirte oder Dienstleister können natürlich auch eigene Referenzstationen einrichten. Für allgemeine Datenübertragungen gibt es zudem sogenannte LPWAN-Technologien. Das sind Funknetze, die einen großen Entfernungsbereich abdecken und sehr energieeffizient sind. Beispiele für solche Systeme sind LoRa, SigFox oder MIOTY. Dabei sind die verschiedensten Kombinationen der Technologien denkbar. Und auch das Glasfaserkabel zur Anbindung zumindest der Hofstätte und Möglichkeiten der Zwischenspeicherung von Daten auf mobilen Arbeitsmaschinen in sogenannten Datenloggern sollte man an dieser Stelle nicht vergessen.

Heißt das, wir brauchen gar nicht unbedingt auf jedem Hektar Internetzugang?

Das kommt auf die jeweilige Anwendung an. Wenn man zum Beispiel an der Front des Schleppers einen Unkrautsensor montiert, der die gemessenen Daten innerhalb kürzester Zeit ins Internet und nach Verarbeitung an die angebaute Hacke weiterleiten soll, bräuchte man extrem schnelle Übertragungsraten. Handelt es sich aber um autonome Maschinen bzw. Systeme, die in sich geschlossen arbeiten und über eine hohe Rechenkapazität verfügen, ist keine Internetverbindung erforderlich. Entscheidend ist also, welche Datenraten und Latenzzeiten benötigt werden und mit welcher Technik man diese gewährleisten kann. Damit verbunden ist auch die Frage, will ich die »Intelligenz« auf der Maschine haben, oder lieber in der Cloud? Und natürlich spielt hier auch der Kostenfaktor eine entscheidende Rolle.
Gleichzeitig ist diese Frage aber auch eine politische. Hinter der Forderung »5G an jeder Milchkanne« steckt sicher auch die Sorge, in den ländlichen Regionen vom technologischen Fortschritt abgehängt zu werden. Ob es allerdings gelingen wird, mit diesem neuen Mobilfunkstandard die »weißen Flecken« auf der Deutschlandkarte abzudecken, wage ich an dieser Stelle zu bezweifeln.

Besteht denn die Chance, dass zumindest 3G oder 4G deutschlandweit in naher Zukunft flächendeckend verfügbar ist?

Davon gehe ich nicht aus. Es wird ja auch schon öffentlich kommuniziert, dass 3G mittelfristig nicht mehr gepflegt bzw. ausgebaut wird. Bei 4G mag noch etwas Luft nach oben sein. Aber auch hier kommt es auf die Investitionsbereitschaft der Mobilfunkanbieter an.

Das heißt, die Landwirte tun gut daran, sich um Alternativen zu kümmern?

Ja. Jeder sollte für seinen Standort über Szenarien und technische Lösungen nachdenken, die im Zweifelsfall auch ohne oder mit schwachem Netz auskommen. Wer alles über die Cloud abwickeln will, braucht sehr gutes Netz, also beispielsweise Mobilfunk mit 5G flächendeckend. Ist das nicht verfügbar, kann der Landwirt über die bereits genannten Alternativtechnologien auch selbst ein solches Netz aufbauen. Für diese Lösungen ist allerdings deutlich mehr Eigeninitiative gefordert als beim »Rundumsorglospaket 5G«. In unserem Fachgespräch Anfang Juli mit rund 30 Experten hat sich daher die Position gefestigt, dass es sich erst dann lohnt zu investieren, wenn der Bedarf klar ist. Andern­falls hält man womöglich eine Technologie vor, die sehr schnell veraltet. Jenseits der heute bekannten und verfügbaren Technologien können wir im Bereich der Telekommunikation mit weiteren Neuentwicklungen rechnen, die wir aktuell noch gar nicht auf dem Schirm haben. Denn viele Firmen, auch Start-ups, beschäftigen sich intensiv mit diesem Thema.

Die Fragen stellte Katrin Rutt.

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