Buchtengestaltung. Mehr Struktur heißt weniger Stress

Die Haltung unkupierter Ferkel bleibt eine große Herausforderung. Um Kannibalismus zu verhindern, spielt die Buchtenstruktur eine entscheidende Rolle, zeigt Heiko Janssen.

Es gibt nach wie vor viel zu lernen – so könnte man die intensive Forschungsarbeit der letzten Jahre rund um das Problem Schwanzbeißen zusammenfassen. Schlagworte wie »multifaktoriell«, »betriebsindividuell« und »Stressfaktoren senken« sind mittlerweile vielen geläufig. Im Rahmen des vom BMEL geförderten Projekts KoVeSch (Konsortialprojekt zum Verzicht auf Schwanzkupieren beim Schwein) wurde an der Versuchsstation für Schweinehaltung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen in Wehnen eine Buchtenstrukturierung in der Ferkelaufzucht in den Fokus genommen. Wie wirkt sich das Angebot von Funktionsbereichen auf das Auftreten von Schwanzbeißen aus? Welchen Effekt hat eine zusätzliche Anreicherung der Bucht mit Beschäftigungsmaterial und eine Verringerung der Besatzdichte auf die Stressbelastung der Schweine?

Vergleichender Versuch. Insgesamt 768 Ferkel in sechs Durchgängen wurden in der Studie berücksichtigt. Eingestallt wurden Tiere mit intakten Schwänzen und Quasten. Es standen sechs baugleiche Aufzuchtbuchten zur Verfügung, deutlich strukturiert in verschiedene Funktionsbereiche. So wurde durch verschiedene Strukturelemente ein Ruhe- und Wühlbereich, ein Aktivitäts- und Fressbereich sowie ein Kotbereich bereitgestellt.
Vier der sechs Buchten wurden in ihrer Ausstattung verändert und zu sogenannten Komfort-Plus-Buchten modifiziert. Die übrigen zwei Buchten des Abteils wurden für die Vergleichstiere genutzt. In den Komfort-Plus-Buchten war die Besatzdichte reduziert. In den beiden Vergleichsbuchten standen den Tieren die gesetzlichen Mindestanforderungen hinsichtlich des Platzangebots zur Verfügung. Darüber hinaus wurden die Komfort-Plus-Buchten mit zusätzlichen Beschäftigungsmateria­lien, Raufutter und offenen Tränken ausgestattet (Übersicht 1).
Über den gesamten Versuchszeitraum wurden die Schwänze nach dem Deutschen Schweine-Bonitur-Schlüssel (DSBS) bewertet. Die letzte Bonitur fand am Tag des Ausstallens statt. Außerdem wurden Daten zum Stallklima (Ammoniak, Temperatur, Luftfeuchtigkeit) sowie zum Futter- und Wasserverbrauch auf Buchtenebene erhoben. Das Gewicht wurde beim Ein- und Ausstallen auf Einzeltierbasis erfasst. In drei Durchgängen wurde das Aktivitäts- und Ruheverhalten sowie die sozialen Interaktionen anhand von Videoaufnahmen ausgewertet.

 

Biologische Leistungen, Futter- und Wasserverbrauch. Die biologischen Leistungen der Versuchstiere lagen in beiden Gruppen auf einem vergleichbaren, hohen Niveau. Bezogen auf den erreichten Zuwachs verbrauchten beide Gruppen auch die gleiche Futtermenge. Beim Wasser konnten dagegen deutlich höhere Mengen in der Vergleichsgruppe festgestellt werden. Das scheint überwiegend den Beißnippel-Tränken geschuldet zu sein, die gegenüber einer offenen Tränke mit einer höheren Wasservergeudung einhergehen. Ein Zusammenhang zwischen dem Wasserverbrauch und einer höheren Stressbelastung der Vergleichsgruppe konnte über das Tierverhalten hingegen nicht nachgewiesen werden.

Ruheverhalten. Es ist davon auszugehen, dass der Aufbau der Buchtenstruktur grundsätzlich gelungen war, da die Ferkel den Liegebereich, dem der Hauptnutzen der Buchtenstrukturierung zukommt, in den ersten Wochen planmäßig annahmen. Mit steigendem Wachstum verlagerten die Tiere ihre Ruhephase zunehmend in den Aktivitäts- und Kotbereich. Es zeigte sich auch in dieser Studie, dass die Temperatureinstellung in der Bucht eine große Bedeutung für die Akzeptanz der Funktionsbereiche hat.

Schwanzverletzungen. Über den gesamten Versuchszeitraum hinweg traten in 87 % aller Bonituren keine Verletzungen am Schwanz auf. Zwischen den beiden Versuchsgruppen gab es nahezu keine Unterschiede in der Häufigkeit von Schwanzverletzungen (Komfort-Plus-Gruppe: 13,3 %, Vergleichsgruppe: 12,4 %). Verletzungen, die mit einem Teilverlust des Schwanzes einhergingen, traten in der Komfort-Plus-Bucht in 7,4 % der Fälle auf, in der Vergleichsbucht in 5,4 % (Übersicht 2). Das spricht dafür, dass die strukturierte Bucht den unterschiedlichen Ansprüchen der unkupierten Schweine an die Haltungsumgebung gerecht wird, selbst wenn keine zusätzliche Anreicherung erfolgt und lediglich die gesetzliche Mindestfläche pro Tier angeboten wird. In vergleichbaren Studien, die sich mit dem Schwanzbeißen in der Ferkelaufzucht beschäftigten, werden deutlich höhere Verletzungsraten als in dieser Studie beschrieben.

 

Punktuell auftretendes Schwanzbeißen. Über den gesamten Versuchszeitraum kam es in drei Buchten zu einem Schwanzbeißausbruch. Der Zeitpunkt lag jeweils am Ende der vierten Aufzuchtwoche. In der Literatur wird meist ein früherer Moment für das vermehrte Auftreten von Schwanzbeißen genannt, was mit der belastenden Situation des Absetzens zu erklären ist. Es wäre demnach möglich, dass die Tiere durch die gegebene Buchtenstrukturierung in ihrer Anpassungsleistung an die neue Haltungsumgebung unterstützt wurden und in der Folge die belastende Situation besser bewältigen konnten. Zum Ende der Aufzuchtphase, als die Schweine die Funktionsbereiche zunehmend weniger planmäßig annahmen, könnte der positive Einfluss der Strukturierung auf die Schweine abgenommen haben, sodass es zum Schwanzbeißen kam.

Fazit. Für den langfristigen Umstieg auf die Haltung unkupierter Schweine ist eine enge Orientierung an den natürlichen Verhaltensweisen der Tiere notwendig − und eine daran angepasste Haltungsumgebung. Von besonderer Bedeutung scheint dabei die Strukturierung der Bucht in verschiedene Funktionsbereiche zu sein, die durch unterschiedliche Elemente geschaffen werden kann. In Kombination mit einer intensiven Tierbeobachtung, aus der auf die Bedürfnisse der Schweine geschlossen werden kann, ist die Haltung von Aufzuchtferkeln mit unkupiertem Schwanz möglich.

Dr. Heiko Janssen, Landwirtschaftskammer Niedersachsen, Oldenburg

Aus DLG-Mitteilungen 2/23. Den Beitrag als pdf finden Sie hier.