Strategien. Drei Praktiker, drei Philosophien
Jede neue Maschine bringt technische Errungenschaften mit sich. In der Praxis werden diese unterschiedlich genutzt und beurteilt. Während der eine Landwirt sich abwartend verhält, springt ein anderer sofort auf den Zug auf. Wir haben drei Praktiker gefragt, wie sie mit Innovationen der Landtechnik umgehen.
Der Innovative
»Ich mache das, weil es mir Spaß macht.« Mit diesem Satz bringt Stefan Vogelsang auf den Punkt, warum er immer wieder bereit ist, neue Technologien und Verfahren in seinem landwirtschaftlichen Betrieb in Rheda-Wiedenbrück auszuprobieren. Für den 38-Jährigen ist Innovation kein Schlagwort, sondern eine Verbindung von persönlicher Neugier und strategischer Überzeugung: »Es fasziniert mich einfach, wenn hochkomplexe Mechanismen ineinandergreifen und am Ende alles funktioniert. Und es ist für mich zugleich die Bestätigung, dass wir Landwirtschaft weiterentwickeln können. Denn wir müssen unseren Ackerbau an veränderte Rahmenbedingungen anpassen. Wir brauchen neue Lösungen für die Klimaveränderungen, für die politischen Anforderungen und für die Wirtschaftlichkeit.«
Deshalb reicht es ihm nicht, abzuwarten, bis andere fertige Antworten liefern. Vogelsang will selbst ausprobieren, selbst herausfinden, wo die Chancen liegen – auch wenn das bedeutet, Zeit, Geld und Nerven zu investieren. Unterstützung erhält er durch Kooperationen mit Industrie und Wissenschaft und durch eine wachsende Community in den sozialen Medien, mit der er seine Erfahrungen und Erkenntnisse teilt.
Aktuelle Versuche im Ackerbau sind beispielsweise die Gülledüngung in verschiedenen Kulturen mit Technik zur Ansäuerung, Echtzeit-Wetterdaten sowie Infrarotsensorik am Güllefass und ein Vergleich von Biomassekarten aus Satellitendaten mit klassischen Live-Scannern.
In der Gülledüngung kann Vogelsang so in Echtzeit Stickstoffverluste an die Atmosphäre berechnen – und hat seine Arbeit auch schon abgebrochen, als ihm die Werte zu hoch erschienen. »Wenn ich sehe, dass 30 oder 40 kg Stickstoff pro Hektar einfach in die Luft gehen, dann ist das für mich nicht akzeptabel«, erklärt er. Solche Daten sind für ihn mehr als Zahlen – sie sind Stellschrauben für bessere Entscheidungen. So erreichte er bei der Nährstoffeffizienz im Getreide bereits messbare Effekte und erzielte im Vergleich zur Standard-Gülledüngung im Schnitt rund 6 % Mehrertrag. Doch Vogelsang betont: »Durch den Einsatz neuer Technologien wächst nicht automatisch eine Dezitonne mehr Getreide auf dem Acker.«
Was ihn zusätzlich antreibt, ist der Austausch. Er sucht den Dialog mit Berufskollegen, nutzt Social Media, um Versuchsergebnisse zu teilen, und versteht Innovation als Gemeinschaftsaufgabe. »Am Anfang wollte ich einfach zeigen, dass wir Landwirte nicht die Umweltsünder sind als die man uns oft darstellt. Heute reizt es mich, mit Kollegen zu diskutieren, mich weiterzubilden und auch die Industrie ein Stück mitzugestalten.«
Dass ihm immer wieder Vorführmaschinen auf den Hof gestellt werden und er Systeme testen kann, sehen manche Berufskollegen kritisch. Vogelsang selbst relativiert: »Wer glaubt, dass das ein Geschenk ist, irrt. Jede Maschine bedeutet Einweisung, Handbuch durcharbeiten, Versuche planen, Daten erfassen, analysieren und wieder zurückmelden. Ich stelle dafür ganze Betriebsabläufe auf den Kopf. Tatsächlich ist der Aufwand immens und das Risiko hoch.« Dennoch sieht er genau darin den Mehrwert für sich – Maschinen nicht als Black Box zu nutzen, sondern sie in realen Abläufen auf dem eigenen Betrieb zu testen. So mietet er seit mittlerweile fünf Jahren unterschiedliche Sämaschinen. »Mit dem Ziel, am Ende die richtige zu kaufen«, sagt er. Nur so könne er wirklich herausfinden, was zu seinen Böden passe, auch wenn ihn bisher keines der Geräte überzeugt habe.
Der Hof Vogelsang ist breit aufgestellt: 180 Milchkühe mit weiblicher Nachzucht, 120 Sauen mit 1 000 Mastplätzen und 180 ha Ackerbau. Gerade im Zusammenspiel von Stall und Feld sieht er enormes Potential von Daten und Technik. Ob Pansen-Sensor im Kuhmagen, Strip-Till-Verfahren bei der Maisaussaat oder digitale Plattformen für den CO2-Fußabdruck der Milchproduktion – kaum ein Prozess läuft ohne Sensorik, Dokumentation und Echtzeitdaten.
Für Stefan Vogelsang ist Innovation kein Selbstzweck. Sie ist Faszination, Lernprozess und Zukunftsstrategie in einem: »Mich reizt es, wenn ich sehe, dass Dinge anders funktionieren können, als wir es gewohnt sind. Unsere Väter und Großväter haben vieles richtig gemacht. Aber wir müssen weitergehen – und das geht nur, wenn wir Innovation zulassen.«
Der Tüftler
Offen für Neues zu sein und Technik und Automatisierung für den Acker und den Stall zu hinterfragen – das macht Gerald Maatmann Spaß. Er bewirtschaftet einen Milchvieh- und Ackerbaubetrieb in der Nähe von Bad Bentheim. Besonders die Technik und Software, die in den Maschinen und Geräten steckt, und die Vernetzung untereinander treibt ihn um. Das gilt sowohl für seine an die Bedürfnisse eines Milchviehbetriebs angepasste Smart-Home-Anlage als auch für den Melkroboter. Aber genauso innovativ ist er, wenn es um Neuanschaffungen im Ackerbau geht. Hier arbeitet er eng mit drei weiteren Landwirten aus der näheren Umgebung zusammen. Sie tauschen sich oft über Ideen aus, diskutieren sie und entwickeln sie weiter. Gemeinsam angeschaffte Maschinen werden an die Bedürfnisse der Betriebe angepasst und auch die Hersteller bekommen Rückmeldungen.
Kürzlich wurden Gerald Maatmann und seine Kollegen zu Direktimporteuren, weil sie dadurch eine Streifenfräse schneller und komplikationsloser aus Österreich nach Deutschland einführen konnten. »Nachdem wir Erfahrungen mit einer Streifenfräse eines niederländischen Herstellers gesammelt hatten, die aber doch nicht ausreichte für unsere Bedürfnisse, wurden wir nach langer Recherche in Österreich fündig«, erzählt Gerald Maatmann. »Wir fräsen mit der österreichischen Maschine nun 8 cm tief und in diesem Horizont wird dann der Dünger eingearbeitet. Zusätzlich ziehen wir noch einen tiefenlockernden Schar 30 cm tief durch die Erde. An unserem jetzigen Gerät haben wir ein Jahr mitgearbeitet und unsere Ideen eingebracht. An die Streifenfräse haben wir unser vierreihiges Maislegegerät angebaut. Mit dem Fronttank, der Fräse und dem Maisleger können wir jetzt in einem Arbeitsgang alles bodenschonend und effektiv erledigen.« Im ersten Jahr des Maisanbaus mit diesem Verfahren mussten die vier Landwirte Durchhaltevermögen beweisen. Aufgrund des kalten Wetters dauerte es lange, bis der Mais »in Schwung« kam. Aber zum Häckselzeitpunkt hatte er den Rückstand aufgeholt und brachte sehr gute Erträge.
Probleme gibt es immer wieder mit der Datenübertragung und -vernetzung innerhalb der Maschinengemeinschaft. »Wir haben in diesem Jahr einen neuen Traktor gekauft, der so unfassbar viele Daten ermitteln kann, dass ich erstmal schauen muss, wie ich sie bestmöglich für den Betrieb verwerte«, sagt Maatmann. Aber bei der Vereinbarkeit mit anderen Herstellern hapert es. Ein Landwirt der Maschinengemeinschaft fährt ein anderes Traktorfabrikat. Auf einem 11 ha-Schlag sollte Strip Till erfolgen. »Wir wollten die AB-Gülleablagelinie dieses Traktors auf unseren neuen übertragen, aber das ging nicht. Auch Chat GPT wusste keinen Rat und der Techniker des Herstellers hat lange gebraucht und musste tricksen, um es zu schaffen«. Sein Fazit: Die Technik und die Systeme laufen, wenn man in einer Herstellerblase bleibt. Verlässt man sie, stößt man auch heute noch häufig auf Probleme.
»Ich habe oft das Gefühl, dass die Hersteller Produkte auf den Markt bringen, die sie zwar getestet haben, aber dass sie einplanen, dass die endgültige Marktreife erst durch die Erfahrungen der Kunden erreicht wird«, sagt Maatmann. »Und wenn ich dann ein Problem mit meiner Maschine habe, ist es so »neu«, dass der Landmaschinentechniker vor Ort nicht weiterhelfen kann.« Nicht jeder Landwirt bleibt dann so hartnäckig wie Gerald Maatmann.
Der Pragmatiker
Wenn Tilmann Hirsch auf einen Traktor steigt, muss die Maschine in erster Linie funktionieren – und zwar nahezu intuitiv und unkompliziert. »Gerade bei wechselnden Fahrern ist eine zu komplizierte und ausführliche Technik manchmal hinderlich«, sagt Hirsch. Natürlich verschließt er sich neuer Technik nicht, doch er hinterfragt den Nutzen kritisch und priorisiert Einsatzsicherheit. Wenn in einem Terminal fünf Unterkategorien dazu führen, dass der Fahrer eine mehrstündige Einführung benötigt, so sei das im Tagesgeschehen eher hinderlich als hilfreich, merkt Tilmann Hirsch an.
Bei vielen Arbeiten wie zum Beispiel dem Abfahren von Getreide wird detailverliebte Hightech nicht wirklich benötigt. Natürlich sei das bei präzisen Arbeiten wie Pflanzenschutzanwendungen und Düngerstreuen anders.
Für den 31-jährigen Landwirt aus der Wetterau geht mit wachsender Automatisierung häufig das Gefühl für die Maschine verloren. Ein Mähdrescher zum Beispiel ist heute in der Lage, alle Einstellungen selbst vorzunehmen – Obersieb, Untersieb, Wind, Dreschkorbabstand, Dreschtrommeldrehzahl, etc. werden automatisch angepasst. Als Fahrer schwindet dabei ein wenig das Verständnis für die Technik. Dass beispielweise die Einstellungen der Ober- und Untersiebe einen Zusammenhang zur Fülle der Überkehr haben, ist durch wachsende Automatisierung kein notwendiges Fahrerwissen mehr. Trotzdem könne man sich dem Neuen natürlich nicht verschließen, sagt Tilmann Hirsch. Aber die Abhängigkeit von externen Stellen wie Werkstatt und Händler steige bei jeder neuen Maschine an, weil die komplexen Neuerungen im Alltagsbetrieb kaum noch selbst zu reparieren seien.
Technik muss für Tilmann Hirsch gut ausgereift und geprüft sein. Ihr Einsatz darf keine Zeit kosten, sondern im Gegenteil eine Zeitersparnis bedeuten. »Ich bin Pflanzenbauer und möchte meine Zeit dafür nutzen, auf dem Acker zu stehen und nicht, um auf einem Bildschirm ständig neue Einstellungen vorzunehmen«, fasst Tilmann Hirsch seine Einschätzung zusammen. Manchmal sei der Griff zum Spaten einfach aller Technik überlegen.