
Tierwohl. Kurze Wege im Kälberstall
Die Idee zum »H-Stall« kommt aus den USA. Familie Köhler hat sie von dort mitgebracht und zu Hause im hessischen Lauterbach umgesetzt. Die gute Gesundheit und Leistung der Kälber sprechen für das Konzept.
Anders als bei Neubauvorhaben von Kuhställen lässt sich bei der Planung von Kälberställen noch nicht detailliert vorhersagen, ob das System an diesem Standort den Bedürfnissen der Kälber entspricht. Denn die Einflussfaktoren auf deren Wohlbefinden sind vielfältiger
als bei Kühen. Kälber haben beispielsweise noch kein ausgereiftes Immunsystem, sind zehn Mal anfälliger gegen Zugluft als Kühe und können zudem auch Luftfeuchtewechsel nicht gut vertragen. Ein Stallsystem, das viele Bedürfnisse der Kälber ideal erfüllt, wurde im hessischen Reuters bei Lauterbach gebaut. Dort hat sich Lisa Köhler, Tierärztin und Landwirtin, ihren Traum vom Kälberstall erfüllt. Mit viel Herzblut haben sie und ihr Mann Johannes nach dem Vorbild aus Wisconsin den ersten deutschen »H-Stall« realisiert.
Warum H-Stall? Der Name ist von der der Grundrissform des Stalles abgeleitet. Erfinder dieses besonderen Konzeptes ist der Landwirt Pete Kappelman aus Greenbay im Nordwesten von Wisconsin. Er bewirtschaftet mit seinen Kindern einen 450er-Kuhbetrieb mit einer imposanten Durchschnittsleistung von 15 500 kg. Über zehn Jahre lang machte er sich Gedanken über den perfekten Kälberstall. Er belegte Kurse über Lüftung und Kälberverhalten und entwickelte daraus das H-Stall-Konzept, das die Köhlers nun in etwas kleinerem Maßstab umgesetzt haben.
Über einen zentralen Bewirtschaftungs- und Versorgungsraum gelangt man zu den vier einzelnen Stallabteilen. Das garantiert nicht nur kurze Wege, sondern ist auch aus hygienischer Sicht sehr positiv zu bewerten. Die Abteile werden komplett mit Stroh eingestreut, und jedes Kalb hat bis zu 8 Quadratmeter Platz zur Verfügung. Auffallend hell ist es, weil die Abteile relativ hoch sind – bis zu 4,50 m an den Außenseiten – und von drei Seiten viel Licht, aber auch Frischluft einfallen kann. Während an den beiden Längsseiten computergesteuerte
Vorhänge das Klima und den Lichteinfall regeln, ist jeweils ein Vorhangrolltor an der Stirnseite angebracht. Darüber erfolgt auch das Einstreuen und Misten.

Ein weiteres Kennzeichen des H-Stalles ist die Überdruckbelüftung mittels Schläuchen. An der nördlichen Stirnseite sitzen auf 3,60 m Höhe zwei Ventilatoren, die gezielt Frischluft einbringen, ohne jedoch Zugluft zu verursachen. Damit lassen sich bis zu sechs komplette Luftwechsel im Stall pro Stunde realisieren. Die Ausrichtung der Längsschenkel Richtung Südwesten ist eine weitere Besonderheit: Hier fällt am meisten Tageslicht ein und Köhlers nutzen zusätzlich den Sommer-Winter-Effekt der Sonneneinstrahlung. Das Pultdach ist mit seinem Dachüberhang so zum Stand der Sonne ausgerichtet, dass die Sommersonne nicht die Liegeflächen aufheizen kann, wohl aber die tieferstehende Wintersonne durch die Lichtplatten am First solch einen gewünschten Effekt hat. Das bringt mehrere Grad Celsius Unterschied zur Außentemperatur im Winter und hilft zudem, die Luftfeuchte konstant zu halten.
Die Kälber kommen am dritten Lebenstag in den Stall und saugen bis zum 84. Lebenstag am Tränkeautomat, ehe sie wieder vom Milchpulver abgetränkt werden. Gemistet wird nur einmal beim Ausstallen – das spart Arbeitszeit – eingestreut wird einmal pro Woche.
Köhlers erzielen bei den Kälbern Tageszunahmen von fast 1 100 g im Schnitt. Seit Anfang 2023 haben sie insgesamt mehr als 80 Kälber im Stall gehalten und kein einziges Kalb musste seitdem wegen Krankheit behandelt werden. Als einzige Vorbeugemaßnahme bekommen die Kälber in der ersten Lebenswoche eine intranasale Grippeschutzimpfung. Durchfall ist seitdem ebenfalls ein Fremdwort. Lisa Köhler erzählt nicht ohne Stolz, dass der Stall und die Kälber »richtig gut funktionieren«. Die Kälber rennen sehr oft im Stall herum, spielen und springen nach Herzenslust, ohne auch nur einmal zu husten. Dabei sind sie sehr gut proportioniert, sehr sauber und ihr Fell glänzt.
Während ihr Mann am Anfang eher skeptisch war, weil der H-Stall trotz viel Eigenleistung im Vergleich zu anderen Systemen etwa 20 % teurer ist, war Lisa Köhler von Anfang an von der Idee überzeugt. »Ich würde jederzeit wieder diese Stallform wählen, lediglich den Zugang
vom Stallabteil in die Strohgruppe würde ich im Gegensatz zum Vorbild aus den USA am Rolltor gleich neben dem Eingang positionieren. Denn der Weg gerade beim Anlernen der jüngeren Kälber an die Saugstelle ist aktuell etwas länger. Der Kälbertränkeautomat, der sowohl
das Tränken von Vollmilch als auch Milchaustauscher ermöglicht, ist ebenfalls ein Kennzeichen des H-Stalls, der bei minimalem
Arbeitsaufwand nicht nur hohe, sondern auch sehr gleichmäßige Tageszunahmen der Kälber ermöglicht. Die erhoffte Arbeitserleichterung im Gegensatz zu den vorherigen, leidvollen Erfahrungen der Kälberhaltung in Altgebäuden ist in vollem Umfang eingetreten.
Das heißt: Die Erkenntnis ist zwar nicht neu und auch ziemlich simpel, aber es stimmt: Viel Licht, Luft, Platz und ausreichend Energie machen und halten Kälber gesund! Ein guter Kälberstall und eine gesunde Haltung bereiten Landwirten im täglichen Umgang Freude, auch wegen der durch die optimale Aufzucht langlebigeren Kühe.