Schweineproduktion Niederlande. Bezahlter Ausstieg im großen Stil
Kostendruck, Planungsunsicherheit beim Tierwohl und hohe Umweltanforderungen – die Herausforderungen der Schweinehalter in den Niederlanden ähneln denen hierzulande. Überdies greift der Staat durch Rauskaufprogramme stark in die Strukturen ein. Die Konditionen sind so attraktiv, dass auch »Zukunftsbetriebe« aussteigen.
Über Jahrzehnte gab es für die niederländische Schweineproduktion nur eins: »höher, weiter, schneller«. Doch das ist längst Geschichte. Heute bestimmen – wie in weiten Teilen der EU – Umwelt- und Tierschutzthemen die Diskussion. Aufgrund der hohen Veredlungsdichte ist der Druck zur Nährstoff- und Emissionsreduktion aber sicher besonders hoch. Wie gehen unsere Nachbarn damit um?
Veredlungshochburg. In den Niederlanden konzentriert sich die Schweineproduktion im Süden in den Provinzen Noord-Brabant und Limburg sowie im Osten in Overijssel und Gelderland (Grafik 1). Direkt angrenzend liegen die veredlungsstarken Regionen in Niedersachsen und NRW. 2023 wurden knapp 11 Mio. Schweine, davon rund 780 000 Sauen, in 3 270 Betrieben gehalten. Jährlich werden etwa 16 Mio. Schlachtschweine vermarktet. Ein Teil davon geht lebend in den Export. Besonders wettbewerbsfähig ist die Ferkelproduktion. Insgesamt sind Produktion und Export aber seit etwa fünf Jahren rückläufig (Grafik 2).
Politikwechsel? Ursprung dieser Entwicklung ist der hohe Wirtschaftsdüngerüberschuss, der aus der großen Dichte an Nutztierhaltungen entsteht. Begrenzende Regelungen von nationaler Seite und der EU zielen seit Jahren darauf ab, die Produktion auszudünnen. Seit Anfang Juli ist in den Niederlanden allerdings eine neue Regierung im Amt. Daran beteiligt ist u. a. die Bauern-Bürger-Bewegung (BBB), die durch den Widerstand gegen Umweltauflagen, insbesondere die großflächige Ausweisung von Naturschutzgebieten, aufgestiegen ist. Sie stellt die Ministerin im Landwirtschaftsressort und ist angetreten, keine nationalen Gesetze zu verabschieden, die über die EU-Vorschriften hinausgehen.
Der Güllemarkt in den Niederlanden steht stark unter Druck. Noch Anfang des Jahres wurde die Düngegesetzgebung erneut verschärft, um die EU-Nitratrichtlinie einzuhalten. Insbesondere die Ausweitung der Roten Gebiete mit hoher Nitratbelastung führt dazu, dass sich der Gülleüberschuss bis 2026 vermutlich verfünffachen wird. Die Entsorgungskosten könnten von 25 bis 30 €/t auf 40 bis
50 €/t steigen. »Im Vergleich zu Spanien, Frankreich oder Deutschland ist das ein großer Wettbewerbsnachteil. Es wird mindestens zwei Jahre dauern, bevor sich die Lage im Zuge des fortschreitenden Bestandsabbaus wieder etwas entspannt«, so die Einschätzung von Gert van Beek, Sauenhalter und Vermehrer aus den Niederlanden und Präsident der European Pig Producers.
Der Staat kauft Produktionsrechte auf
Breits seit 1984 gibt es für die Schweineproduktion in den Niederlanden staatliche Produktionsrechte. Anfangs als Güllerechte, später als sogenannte Schweinerechte. Im Jahr 2021 waren davon noch etwa 8 Mio. im Umlauf, was einer Reduktion um 27 % seit 1998 entspricht – erreicht durch staatliche Kürzungen und Aufkäufe.
Als erstes Aufkaufprogramm wurde 2019 die »SRV-Subvention zur Umstrukturierung der Schweinehaltung« aufgelegt und zielte auf die Reduktion von Geruchsemissionen ab. 277 Betriebe nahmen teil, was rund 7 % der Gesamtproduktion entsprach (Übersicht).
Noch bis Ende dieses Jahres können sich Schweinehalter für die aktuellen Aufkaufprogramme LBV oder LBV+ anmelden. LBV steht allen Nutztierhaltern offen, während LBV+ auf Betriebe mit hohen Ammoniakemissionen in der Nähe von Natura- 2000-Gebieten abzielt und höhere Entschädigungen bietet. Die niederländische Regierung stellt fast 3 Mrd. € für diese Programme bereit, davon knapp 1 Mrd. € für Schweinehalter. Landwirte erhalten bis zu 120 % des Marktwerts ihrer Stallgebäude plus die Abrisskosten ersetzt. Das Interesse ist groß. Etwa 1 400 Betriebe stellten einen Antrag, davon 550 von Schweinehaltern (16 % der Schweinehalter in den Niederlanden). Unklar ist derzeit noch, um wie viele Tiere es sich handelt.
Das Ausstiegsangebot ist für neue Anlagen besonders attraktiv. Éva Gocsik, Analystin bei der Rabobank, schätzt, dass es durch die Aufkaufprogramme bis Ende 2025 zu einer Reduktion des Schweinebestands um 5 – 10 % kommen könnte. Ob dies dann die Untergrenze des Bestandsabbaus in den Niederlanden ist, hängt auch von der Linie der neuen Regierung ab. Neben der Ankündigung,
Innovationen zur Emissionsminderung stärker zu fördern, sind auch weitere Aufkaufprogramme denkbar. Dass durch die aktuellen Programme vor allem neue Ställe aus der Produktion genommen werden, da sie einen besonders hohen Marktwert haben, hält Gert van Beek für wenig nachhaltig. »Es werden Anlagen mit einem relativ hohen Tierwohl- und Umweltstandard abgerissen, alte Ställe hingegen bleiben in Betrieb.« Zudem sei es viel interessanter, an den Staat als an andere Landwirte zu verkaufen. Das sei ein großes Problem für junge Schweinehalter, die sich weiterentwickeln wollen, so van Beek. Die neue Regierung hat angekündigt, künftige Aufkaufprogramme stärker auf technisch veraltete Stallgebäude zuzuschneiden.
Für Betriebe, die den steigenden Anforderungen nicht mehr gerecht werden wollen, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, auszusteigen. Doch auch für die, die bleiben, ist die wirtschaftliche Perspektive im schrumpfenden Sektor gar nicht so schlecht: Ferkel werden knapper, die Preise bleiben hoch, erwartet Éva Gocsik.
Tierwohl
Gesellschaftlicher Druck fordert Maßnahmen wie die Förderung natürlicher Verhaltensweisen, mehr Platz, längere Säugezeiten und ein Verbot des Schwanzkupierens. Letzteres sollte nach den Plänen der alten Regierung bis 2030 umgesetzt werden. Aus Sicht van Beeks utopisch: In älteren Ställen sei das Risiko für Schwanzbeißen besonders hoch. Neue Ställe, die Raufuttergabe ohne Beeinträchtigung des Güllesystems ermöglichen, hätten bessere Chancen, unkupierte Schweine erfolgreich zu halten. »Manche Betriebe werden noch weit mehr als zehn Jahre benötigen, um diese Standards zu erfüllen«, schätzt van Beek. Ein zu kurzfristiges Kupierverbot könne daher zu erheblichen Tierschutzproblemen führen.
Unterm Strich fehlt es auch in den Niederlanden an verlässlichen Aussagen dazu, wie ein Schweinebetrieb in 15 Jahren aussehen soll. Platzvorgaben, Gestaltung der Abferkelbucht, wie viel Emissionen sind erlaubt – es gib mehr Fragen als Antworten. »Dabei haben wir in den letzten ein bis zwei Jahren gutes Geld verdient. Wir wollen investieren, aber es ist unklar, was dann auch Bestand haben wird.«
Baugenehmigungen
Derzeit ist ein Aufstocken der Tierplätze eines Schweinehaltungsbetriebs praktisch unmöglich. Die einzige Alternative ist Pachtung oder Kauf eines anderen Standortes. »So haben wir es gemacht, doch das war vor einigen Jahren einfacher – ohne die heute extrem attraktiven staatlichen Aufkaufprogramme«, erläutert van Beek. Wer dann noch in tiergerechtere Haltungssysteme investiert, muss zwei weitere Hürden nehmen: Mehr Tierwohl braucht häufig mehr Platz. Meist muss dabei eine Reduktion der Tierplätze in Kauf genommen werden. Denn es gibt nur wenige Regionen in den Niederlanden, in denen die Behörden eine Erweiterung genehmigen, selbst wenn dabei die Tierzahl nicht erhöht wird. Schwer wird es zudem bei der Finanzierung für solche Investitionen. Banken bevorzugen andere Sektoren mit höherer Rendite und größerer Planungssicherheit.
Entlohnung über den Markt oder Verordnung durch den Staat?
Die Diskrepanz zwischen Verbraucherwünschen und Kaufverhalten bei Fleisch mit höherem Tierwohlstandard ist auch in den Niederlanden spürbar: Alle wollen es, aber kaum jemand will dafür zahlen. Das Hauptproblem sieht van Beek darin, dass die Politik per Regulierung teure Anforderungen stellt, die der Markt dann nicht zurückzahlt. »Möglicherweise gibt es künftig
finanzielle Unterstützung von der neuen Regierung. Aber im Grunde wollen wir unser Geld durch die Produktion und nicht mit staatlichen Zuwendungen verdienen.«
Große Händler wie Albert Heijn sind bereit, für einen Teil der Tierwohlverbesserungen zu zahlen. Zum Beispiel über das Beter-Leven-Label. Dessen Marktanteil liegt in den Niederlanden für frisches Schweinefleisch bei 25 – 30 % (Beter Leven Stufe 1).
Auch an Schweinefleisch mit niedrigem CO2-Fußabdruck könnte der Handel künftig interessiert sein. »Da könnte für einige Landwirte eine Nische entstehen. Problematisch wird es, wenn der Staat sich einmischt und die Standards festlegt. Dann wird der Handel nicht mehr dafür zahlen«, ist sich van Beek sicher.