Marktfaktoren. Welche Rolle spielt die Politik?
Preise leiten sich zuallererst ab aus Angebot und Nachfrage. Aber noch ganz andere Faktoren nehmen Einfluss: Zölle und die Renationalisierung der Wirtschaft, Klimamaßnahmen, die Biokraftstoffpolitik oder Energiekosten. Was bedeutet das langfristig für unsere Agrarprodukte?
In den vergangenen 25 Jahren trafen lange nicht alle Marktprognosen zu – weder von Analysten noch die in den DLG-Mitteilungen. Zugegeben, die Trefferquote war hoch, aber Fehleinschätzungen kamen und kommen vor. Die wichtigste Variable, die Märkte drehte, war das Wetter: zu kalt, zu nass, zu trocken. Daneben gab es auch politische Ereignisse, die nicht vorhersehbar waren. Aber abgesehen davon war es eine stabile Welt mit nachvollziehbaren Treibern der Märkte. Ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Anker, war der unermessliche Bedarf Chinas an praktisch allen Agrarrohstoffen.
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Fünf politische Faktoren bestimmen die Marktentwicklung
Diese komfortable und im Prinzip recht einfache Lage hat sich in den vergangenen beiden Jahren grundlegend geändert. Natürlich spielen Überangebot oder Mangel weiter die entscheidende Rolle für die Preisbildung. Aber die werden jetzt nicht mehr nur von Anbauflächen und Wetter bestimmt, sondern auch von ganz anderen Treibern wie der Politik. Die kann bis zu einem gewissen Maße auch Mangel oder Überschuss überdecken. Fünf Faktoren spielen dabei eine herausragende Rolle:
- Das Ende der Globalisierung. Statt zunehmendem Freihandel setzen immer mehr Länder (auch die EU) auf Selbstversorgung, Schutzzölle oder bilaterale Abkommen (EU, USA).
- Die USA haben ihre zentrale Rolle als »Versorger« der Welt bei vielen Schlüsselprodukten wie Sojabohnen, Mais oder Weizen eingebüßt.
- China hat seinen wirtschaftlichen Zenit überschritten und kommt ins Trudeln – mit massiven Auswirkungen auf seine Agrarimporte.
- Klimaschutzaspekte spielen eine zunehmend wichtige Rolle. Am stärksten bemerkbar ist das im Biosprit.
- Fossile Energie wird günstiger. Das verschiebt die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den Ländern, die weiter auf Kohle, Gas, Öl und Atomkraft setzen und den Staaten, die die (teureren) erneuerbaren Energien forcieren.
Zölle statt Freihandel
Nicht erst seit der Präsidentschaft von Donald Trump weht der Wind hin zu einer Renationalisierung der Handels- und Wirtschaftspolitik. TTIP war in der EU und auch bei uns heiß diskutiert. Etwas überspitzt gesagt scheiterte ein weltumspannendes Freihandelsabkommen an der Abneigung der Europäer gegenüber Chlorhühnchen. Der Brexit war ein weiteres Fanal. Mercosur ist bis heute nicht vollständig ratifiziert. Sanktionen, Strafzölle (Dünger) gegen Russland mögen politisch und moralisch gerechtfertigt oder notwendig sein, sind aber am Ende auch ein Sargnagel für den Welthandel. Ebenso wie Zölle der Europäer gegen chinesische Billigimporte oder politisch motivierte chinesische Sonderzölle gegen kanadischen Raps. Die Trump‘schen Sonderzölle der »America First«-Politik sind da nur der bislang letzte Stein in der Reihe. Allen gemein ist diesen Maßnahmen, dass sie Handelsströme verändern und vor allem unvorhersehbar sind. Wenn die USA und China sich auf Sojaimporte der Chinesen verständigen, springen die Preise. Wenn die politischen Versprechen nicht eingelöst werden, fallen sie wieder.
Politik schafft neue Marktlagen
Die Ausschläge dieser politischen Faktoren und auch der Kriege – am einschneidendsten für uns der Ukrainekrieg – die zunehmend Westeuropa tangieren, sind groß und geeignet, dauerhafte Änderungen der Marktlage herbeizuführen. Wenn aufgrund des Ukrainekrieges die Ukraine EU-Mitglied werden wird (bei Banken laufen Wetten, dass dies schon innerhalb der kommenden fünf Jahre passieren kann), ändert das einzelne Märkte wie den EU-Zucker- oder Geflügelmarkt dauerhaft. Die Preise auf den globalen Märkten ändern sich dadurch wenig – was der eine an Absatz verliert, gewinnt ein anderer, Märkte sind kommunizierende Röhren. Aber für die einzelnen Länder ergeben sich durchaus große Preisbewegungen.
Politische Faktoren wirken sich auch massiv auf die Wechselkurse und damit die Wettbewerbsrelationen aus. Beim aktuellen Kurs von 1,17 US-$ je Euro lassen sich Getreide- wie Autoexporte nur unter Preisdruck in der Erzeugung bzw. im Inland verwirklichen. Bei 1,05 US-$ je Euro waren bei gleichem Weltmarktpreis höhere Preise in inländischer Währung möglich.
Die USA sind nicht mehr der Brotkorb der Welt
Ein Grund für die »America-First«-Politik ist die schwindende Bedeutung der USA auf vielen internationalen Märkten. Ob Satelliten, Militär- oder Digitaltechnik – auf diesen Gebieten sind die Vereinigten Staaten weiter führend.
Aber in der klassischen Industrie von Auto über Schiffbau bis zur Landwirtschaft verlieren sie an Bedeutung. Die Zahlen in der Übersicht machen das plakativ. Kam aus den USA vor 25 Jahren noch fast ein Viertel allen Weizens, so hat sich dieser Anteil heute auf nur noch 11 % halbiert. Verschifften die US-Häfen im Jahr 2000 noch die Hälfte aller Sojabohnen und allen Geflügelfleisches weltweit (Zahlen gerundet), so sind das heute nur noch jeweils ein Viertel (Übersicht).
Die USA verlieren fast überall Marktanteile (in %)
USA | Brasilien/Argentinien | |||
|---|---|---|---|---|
| 2000 | 2024 | 2000 | 2024 | |
| Weizen | 23 | 11 | 9 | 7 |
| Mais | 57 | 38 | 20 | 39 |
| Sojabohnen | 49 | 27 | 41 | 60 |
| Schweinefleisch | 17 | 31 | 5 | 15 |
| Rindfleisch | 19 | 11 | 15 | 35 |
| Geflügelfleisch | 47 | 22 | 37 | 36 |
Das Wachstum des globalen Nahrungsmittelbedarfes wird zunehmend durch Länder wie Brasilien, Russland oder auch Indien (Reis, Rindfleisch, Zucker) gedeckt. Rückgewinnen lassen sich diese Marktanteile kaum noch, bestenfalls halten. Aber auch dies gelingt derzeit nur mit massivem politischen Druck. Ohne die Zolldrohungen kaufen weder die Chinesen US-Sojabohnen noch die Briten US-Ethanol oder die EU Geflügelfleisch.
Als Konsequenz werden die USA für viele Agrarprodukte ein Binnenmarkt. Paradebeispiel ist die Biokraftstoffpolitik. Bereits vor 20 Jahren wurde die Ethanolerzeugung mit Gesetzen und Beimischungsquoten angekurbelt, um den Mais vom Markt zu nehmen. Die Umwelt spielte dabei keine Rolle. Heute, da Sojabohnen ohne eine chinesische Nachfrage kaum noch in größeren Mengen verkäuflich sind, verdoppelt ein US-Präsident – der mit seinen Worten »drill, baby, drill« wie kein zweiter für fossile Treibstoffe steht, die Biodieselbeimischung – natürlich mit heimischem Pflanzenöl.
Wirtschaftskrise, Deflation und schrumpfende Bevölkerung. Zum einen schrumpft die Bevölkerung im ehedem einwohnerstärksten Land der Welt. Sie wird zudem älter und die Wirtschaft steckt in einer ernsten Krise. Ausgelöst durch die gigantische Immobilienblase, aber auch durch riesige Überkapazitäten in allen entscheidenden Wirtschaftsbereichen. Ob E-Autos, Solarpanele, Mikrochips oder auch Maschinenbau – China hat von allem zu viel und ist bereits in eine Deflation abgerutscht. Wenn die Stärkefabriken mit weniger als der Hälfte ihrer Kapazitäten ausgelastet sind, wenn die Regierung die Schweinehalter drängt, Herden abzustocken und Schlachtgewichte zu verringern, dann verliert die Welt für viele landwirtschaftliche Schlüsselprodukte einen veritablen Absatzmarkt. Die Zahlen der staatlichen Kommission für Entwicklungen und Reformen sind jedenfalls dramatisch. Danach verlieren Chinas Schweinehalter 33 US-$ je gemästetem Schwein und Geflügelhalter 4 US-$ je verkauftem Masthähnchen. Das lässt nichts Gutes erahnen für die Nachfrage nach Futtergetreide.
Und da, wo China nach wie vor der zentrale Käufer ist wie bei Sojabohnen, sind die jährlichen Zuwächse nur noch gering. Und schon das reicht aus, den Markt bei gleichzeitig steigender Produktion in Südamerika in Unruhe zu bringen. Überdies scheint die Gentechnik in China angekommen zu sein. Die Maiserträge steigen jedenfalls, nachdem vor zwei Jahren die Regierung grünes Licht für entsprechende Sorten gab. Im Vergleich zu 2022 sanken die Getreideimporte in diesem Jahr um 18 Mio. t.
Die entscheidende Frage ist, wer künftig die Überschüsse Südamerikas oder Europas (inklusive Russland) kaufen wird. Auf Dauer kann das Afrika sein, wo die Bevölkerung am stärksten wächst und die UN bis 2050 einen Zuwachs von 900 Mio. Menschen erwartet. Kurzfristig gilt das aber nicht, denn der Konsum von Fleisch und Milchprodukten entwickelt sich dort nur langsam und die Produktionsreserven sind riesig. Ähnlich ist das in Indien. Dort wächst die Bevölkerung zwar rasend schnell, aber weitgehend ohne Fleischkonsum (aus religiösen Gründen). Und für die absehbaren Jahre ist Indien weiter Selbstversorger bei fast allen wichtigen Produkten (außer Pflanzenöl) sowie ein wichtiger Exporteur von Reis, Weizen, Zucker und Rindfleisch.
Potentielle neue Absatzmärkte müssen eine große Bevölkerungszahl mit einer ausreichend hohen Kaufkraft verbinden. Damit kommen Länder wie Indonesien, die Philippinen oder Vietnam infrage, sicherlich auch Mexiko. Brasilien erzeugt selbst Überschüsse und weder in Nigeria noch in Pakistan oder Bangladesch ist die Kaufkraft ausreichend, um die Mengen aufzunehmen, die aus China frei werden. Auch wenn der globale Verbrauch an Getreide und Ölsaaten, an Milch und Fleisch wächst – die Erzeugung wächst mit Ausnahme der Milch schneller.
Klima und Klimaschutz werden zu Marktfaktoren
Der Klimawandel hat auch für die langfristigen Warenströme Folgen. Produktionsausfällen durch Versteppung oder Hitze stehen auch Zugewinne gegenüber. Etwa in Russland, wo neue Flächen durch die Erwärmung überhaupt erst nutzbar werden oder Grenzflächen durch die Erwärmung höhere Erträge erzielen (Letzteres gilt im Übrigen auch für Kanada). Wenn die russische Getreideproduktion weiter in den Norden wandert und die Ernten steigen, dann hat das auch massiven Einfluss auf die Handelsströme. Schon heute kommen 45 % des globalen Weizenexportes aus den Schwarzmeerländern. Der Anteil dürfte steigen.
Klimaschutz verschiebt Wettbewerbsrelationen. Klimaschutzaspekte verlieren zwar ihre dominierende Rolle und werden durch wirtschaftliche Erwägungen gebremst (der »Green Deal« wird abgewickelt, die EU-Entwaldungs-Verordnung verschoben), aber die Themen sind damit nicht vom Tisch. Wenn die Entwaldungsverordnung 2027 noch kommen sollte, dann fallen Lieferungen aus Brasilien und Argentinien flach und die EU hängt beim Soja völlig am Tropf der USA. Und nicht zuletzt bleibt das Thema Nachhaltigkeit auf der Konsumentenebene wichtig, gerade in der EU und in Nordamerika.
Klimaschutzmaßnahmen verschieben aber auch die Wettbewerbsrelationen. Emissionsauflagen sind für den Binnenmarkt zwar neutral, aber sie verschärfen den Wettbewerbsdruck im Export. Die CO2-Abgabe (Carbon Border Adjustment Mechanism, kurz CBAM), die ab Januar an den EU-Außengrenzen fällig wird, verteuert den Dünger massiv und verschlechtert dadurch die Wettbewerbsposition des EU-Getreideexportes. In der EU produzierter Weizen ist damit noch einmal teurer als solcher aus Russland, Australien oder Argentinien. Konnten wir bisher beim Weizen mit hohen Qualitäten punkten, so lohnt sich deren Erzeugung angesichts immenser Düngerkosten kaum noch. Das gilt auch für alle anderen Massenprodukte ohne Unterscheidungsmerkmal.
Biotreibstoffe sind ein positiver Marktfaktor des Klimaschutzes. Es gibt allerdings auch wirtschaftlich positive Aspekte des Klimaschutzes. Das ist vor allem die Biotreibstoffpolitik, die längst zu einem echten Marktfaktor auch außerhalb der EU (Biodiesel) oder den USA (Ethanol) geworden ist. Wenn Indonesien kommendes Jahr 50 % Beimischung von Palmöldiesel anstrebt, hat das Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Palmöl und damit den Preis aller Pflanzenöle.
Wenn die USA ihre geplante Beimischung von 7,3 Mio. t zusätzlichem Biodiesel wirklich umsetzen, hat das dauerhaft Auswirkung auf die Preisrelation zwischen Ölsaaten und Getreide. Vielleicht werden im Norden der USA dann Flächen von Sojabohnen auf Raps umgestellt, denn der ist in Sachen Ölertrag viel effizienter als die Bohne.
Es gibt viele weitere Beispiele. Indien etwa hat 20 % Ethanolbeimischung zu Benzin bereits im Sommer erreicht und beim Flugbenzin wurde der Anfang in der EU und anderen Ländern gemacht. Dieser Sektor saugt viel Altspeisefette auf, sodass damit wieder mehr Platz für Rapsöl im Biodiesel frei wird. Ohnehin ändert sich die EU-Biodieselpolitik wieder in Richtung mehr pflanzenbasierter Biotreibstoffe.
Energie wird billig
Die Klimakonferenz in Brasilien hat gerade erst gezeigt, wo die wahren Konfliktlinien verlaufen. Es sind viele Öl- und Gasquellen verfügbar, die erschlossen und leicht anzuzapfen sind. Tendenziell dürfte daher der Preis für fossile Energien in den kommenden Jahren sinken. Wer auf Öl (und andere fossile Brennstoffe) setzt, der hat echte Wettbewerbsvorteile. Die EU gehört nicht dazu und damit kommt die Landwirtschaft bei uns ins Hintertreffen.
Viel entscheidender ist in diesem Zusammenhang aber die Wettbewerbssituation der Industrie. Mit hohen Energiepreisen koppeln wir uns vom Rest der Welt ab und beschränken uns letzten Endes auf den Binnenmarkt. Damit schrumpft die Kaufkraft und das wirkt unmittelbar auf die Nachfrage nach hochpreisigen Lebensmitteln.
Fazit. In den vergangenen 20 Jahren waren die Märkte vor allem durch Wetterereignisse (mit der Folge von Miss- oder Rekordernten) bei einer stetig wachsenden Nachfrage geprägt. Wir haben zwar über WTO-, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, »Everything but arms«-Initiativen oder Mercosur-Verhandlungen gesprochen, aber die Politik spielte am Ende keine entscheidende Rolle für die verschiedenen Märkte. Das hat sich geändert. Die Nachfrage entwickelt sich nicht mehr stetig, was auch an den unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklungen liegt, und die Politik nimmt wieder großen Einfluss auf die Märkte – aktuell vielleicht sogar den größten. In den kommenden Jahren dürften politische Entscheidungen maßgeblich bleiben. Damit werden Marktentwicklungen weniger vorhersehbar.