Meinung Zollkrieg. Kennen Sie noch die WTO?
Setzen wir uns für einen Augenblick mal die Brille der USA auf und betrachten die Weltpolitik aus deren Sicht. Was wir als erratische und emotionsgetriebene Handlungsweise eines unberechenbaren US-Präsidenten sehen, ist aus der Sicht Washingtons eine kühl kalkulierte und durchaus auch erfolgreiche Politik.
Sie kennen das Spiel ja inzwischen: Zölle androhen, diese erhöhen, sodann aussetzen und verhandeln. Stimmt das Ergebnis nicht, geht das Spiel von vorne los. Die unvermeidlichen Kollateralschäden für die US-Bürger fängt Washington durch Kredite auf. Das Kapital dafür strömt aus dem Ausland in die USA, einfach weil das der liquideste Finanzmarkt ist. Am Ende stehen dann für die USA günstige Handelsverträge und sprudelnde Zolleinnahmen.
Noch wichtiger aus US-Sicht: Die Macht Chinas wird eingedämmt und das Riesenreich als Konkurrenz der USA um die Dominanz in der Weltpolitik und im Welthandel in die zweite Reihe verwiesen. Das wird plakativ daran deutlich, dass der Auftragseingang in Chinas Werften im ersten Halbjahr 2025 um 68 % einbrach – nachdem die US-Regierung mit Strafabgaben in Millionenhöhe für in China gebaute oder gewartete Schiffe bei Einfahrt in US-Häfen drohte. Auch andere US-Ziele lassen sich so erreichen: 5 % Verteidigungsausgaben in der NATO – vor einem halben Jahr noch undenkbar, heute beschlossen. Zugeständnisse im Handel und Käufe bei US-Firmen – selbstverständlich für alle Länder, die nicht vom größten Markt der Welt ausgeschlossen werden wollen.
Aber es gibt auch Gegenbewegungen: Viele Länder, die nicht von den USA erpressbar oder abhängig sein wollen, suchen ihr Heil in Freihandelsabkommen untereinander. Mercosur ist ja bereits beschlossene Sache, die Verhandlungen mit Indien werden in Windeseile aktiviert, mit Indonesien will die EU solche Verhandlungen rasch aufnehmen. Diese Vereinbarungen
erhalten noch mehr Gewicht, wenn die Länder gleichzeitig Gegenzölle auf US-Waren erheben. Am Ende kommt es zu großen Verschiebungen im Warenverkehr, auch mit Agrarprodukten.
Wenn die Brasilianer beispielsweise ihr Geflügel bei 50 % Importzoll nicht mehr in die USA verkaufen können, drückt das stärker auf den EU-Markt. Wenn die Chinesen nicht mehr in den USA kaufen wollen, gehen brasilianische Sojabohnen und ukrainische Gerste dorthin. Ob das immer ein Nach- oder manchmal auch ein Vorteil für uns Landwirte ist, lässt sich schwer
ausmachen. Aber wenn man bedenkt, über welche Kleinigkeiten bei den WTO-Runden Jahrzehnte lang gerungen worden ist, dann ändern sich die Regeln derzeit in rasender Geschwindigkeit. Die WTO war gestern, heute ist Kuhhandel angesagt. Hoffen wir, dass es nicht um unsere Kühe geht.