
Braugerste. Das Berliner Programm geht am Markt vorbei
Deutsche Mälzer bevorzugen Braugerstensorten, die das Berliner Programm durchlaufen und danach eine Empfehlung bekommen haben. Aber im Zweifel zählt doch der Preis. Diese Art der Sortentestung passt in keiner Weise zu den Marktgegebenheiten.
In Europa haben sieben Länder Programme zur Evaluierung von Braugerstensorten. Neben Deutschland sind dies Frankreich, Spanien, Tschechien, Dänemark, Finnland und Großbritannien. In diesen Programmen werden die Sorten auf ihre Vermälzungs- und Braueigenschaften getestet und erhalten dann im positiven Fall für den nationalen Markt eine Empfehlung. Diese Empfehlung hat nichts mit der Vertriebszulassung der Sorten zu tun. Das Berliner Programm ist eine privatwirtschaftliche Testreihe, die von der Malz- und Brauindustrie bezahlt und getragen wird (Kasten). Getestet werden die Sorten erst nach der nationalen Zulassung einer Sorte im jeweiligen Land. Das bedeutet: Bis eine Sorte eine Empfehlung bekommt, ist sie mindestens zwei Jahre alt. Klingt viel, aber die Industrie will sich in der Sortenwahl sicher sein und daher lässt man sich auch Zeit, um Verbesserungen hinsichtlich Agronomie und Qualität zu untersuchen.
Warum passt das Berliner Programm nicht zum deutschen Markt? Die deutsche Malzindustrie benötigt jährlich etwa 2,3 Mio. t Braugerste, im Land wachsen aber nur 1,6 Mio. t heran. Rund 1 Mio. t Braugerste importieren deutsche Mälzer jedes Jahr, gleichzeitig exportieren wir
rund 500 000 t in Nachbarländer. Denn Braugerste wächst nicht immer rund um die Malzfabriken. So reicht die Braugerstenernte in Eifel und Hunsrück sowie Rheinhessen bei Weitem nicht aus, um den Bedarf der Mälzereien an der Rheinschiene zu decken. Hohe Logistikkosten führen dazu, dass französische und dänische Herkünfte entlang der Rheinschiene und den verbundenen Wasserstraßen konkurrenzfähiger
sind als Lieferungen aus Oberfranken. Ohnehin kann auch das »Bierland« Bayern seinen Bedarf von 650 000 t Braugerste nicht aus eigener Kraft decken. Die Ernte von annähernd 350 000 t reicht gerade so zur Hälfte aus. Der Rest muss aus Thüringen oder Tschechien herangekarrt werden. Zu diesem strukturellen Defizit kommen schlechte Ernten: Drei der letzten fünf Braugerstenernten in Deutschland waren durch extreme Witterungseinflüsse erheblich beeinträchtigt. Das jeweilige Qualitätsrisiko trug dabei stets der Anbauer. Die importierten Braugerstensorten sind zwar ebenfalls in ihren Herkunftsländern evaluiert, aber die setzen andere Prioritäten in den Tests. Daher entsprechen nur rund 200 000 t der 1 Mio. t Braugerstenimporte dem Berliner Programm. Im vergangenen Jahr waren zusätzliche 300 000 t Import nötig. Denn die vor dem Regen geerntete Gerste hat Sortierungsprobleme und die nach dem Regen geerntete hat Qualitätsprobleme bis hin zu verdecktem oder gar offenem Auswuchs.
Abstimmung nach Köpfen
Im Berliner Programm werden neu zugelassene Braugerstensorten auf ihre Braueigenschaften geprüft. Dazu zählen etwa Eiweißlösegrad, Kongresswürze, Viskosität und Farbe. Die beiden besten Sorten werden gemeinsam in einem Pilotversuch mit Großanbau getestet. Alle Teilnehmer (Mälzer und Brauer) an der Großverarbeitung bewerten die neue Sorte im Vergleich zu einem Standard und berichten an das Sortengremium der Bundesbraugerstengemeinschaft. Eine Sorte kann nur dann eine Empfehlung durch das Gremium bekommen, wenn mindestens 70 % aller Verarbeitungen problemlos waren – unabhängig von der Größe und damit Verarbeitungsmenge der Brauerei. Das bedeutet, dass sich das Berliner Programm nach vielen kleinen Brauern richtet, die oft nicht einmal eine eigene Analytik haben. In anderen Ländern bestimmen Großbrauereien wie Heineken, was akzeptabel ist. Bezahlt wird das Berliner Programm weitestgehend vom Brauerbund. Es ist nur natürlich, dass dessen Interessen damit Vorrang vor denen der Landwirtschaft haben.
Die unterschiedliche Bewertung der Braufähigkeit von Sorten in der EU hat auch mit den Eigentumsverhältnissen der Mälzereien zu tun. In Frankreich etwa bestimmen drei große Mälzereien den Markt, und die gehören drei großen Genossenschaften. Diese Genossenschaften sind nicht nur der Handelspartner der Landwirte, sondern sie gehören den Landwirten auch. Und den Genossenschaften gehören wiederum die Mälzereien. Damit regulieren die Genossenschaften eine Kette vom Anbau bis zum Malz. Die Malzfabriken sind sozusagen der verlängerte Arm der Genossenschaften und damit der Landwirte. Daher haben diese Genossenschaften ein viel größeres Augenmerk auf die Versorgungssicherheit ihrer Malzfabriken und die Erträge ihrer Eigentümer. Man sucht also dort Sorten, die höhere Erträge bringen bei gleichbleibender Malzqualität. Das dänische Braugerstenprogramm legt gleichermaßen einen viel stärkeren Fokus auf den Ertrag. Dort muss Braugerste zunächst einen hohen Ertrag bringen, denn der dänische Sommergerstenanbau ist grundsätzlich auf Futtergerste ausgerichtet. Alles unter 11,5 % Eiweiß wird separat gelagert und wenn möglich als Braugerste verkauft. Die Dänen lassen die Gerstensorten bei internationalen Mälzern testen. Damit macht Dänemark die Tests nicht für das eigene Land, sondern nahezu ausschließlich für den Exportmarkt.
In Großbritannien steht an erster Stelle der Sortenprüfung der Ertrag. Wenn der überzeugt, steht die Frage nach negativen Eigenschaften. Liegen die nicht vor, geht es in die Großverarbeitung und damit ist eine Sorte im Markt. Diese Prüfung kommt den Anforderungen der Landwirte nahe. In Dänemark, Frankreich und Großbritannien gibt es also eine Negativselektion auf Qualitätsparameter (was nicht geht, fliegt raus) und eine Positivselektion auf Ertrag. Das kommt den Interessen der Landwirte natürlich entgegen. In Deutschland hingegen will man vor allem in den Malzeigenschaften Fortschritte haben. Dafür dürfen diese ertraglich auf der Stelle treten.
Mälzer müssen bei Importware Sorten akzeptieren, die sie aus deutschem Anbau nicht erfassen wollen. In Frankreich und Dänemark, den beiden wichtigsten Exportländern innerhalb der EU, werden vor allem ertragsbetonte Sorten wie Planet, Irina oder Laureate empfohlen und angebaut. Das sind Sorten, die in Deutschland bei der Evaluierung durchgefallen sind. Die letzte Sorte, die im Berliner Programm gelistet war und in großem Umfang in Dänemark angebaut wurde, war die Sorte Quench. Mit Abstrichen gilt das auch noch für die Sorte Prospekt. Die in Frankreich mit über 70 % Marktanteil bevorzugte Sorte Planet oder in Dänemark die Laureate (mit ebenfalls über 50 % Marktanteil) sind hingegen in Berlin durchgefallen. Da Deutschland aber auf Braugerstenimporte angewiesen ist, müssen Mälzer und Brauer zwangsläufig Sorten akzeptieren, die nicht im Berliner Programm stehen. Und sie haben vor allem keinen Einfluss auf die Auswahlkriterien, denn das ist Sache der Dänen, Franzosen oder Briten.
Auch bei uns entsprechen nur etwa 40 % der Braugerstenverarbeitung dem Berliner Programm. Allein die nicht empfohlene Sorte Planet kommt schon auf 20 bis 25 % der deutschen Anbaufläche. Hinzu kommen Winterbraugersten mit etwa 10 % der Vermälzung. Von allen verarbeiteten Sorten (inklusive Importe) deckt das Berliner Programm maximal die Hälfte der deutschen Malzproduktion ab. Geändert hat sich auch in der jüngsten Runde der Versuchsanstellung nichts. Es gibt zwei aussichtsreiche Braugerstensorten als Nachfolger der älteren Sorten: die ertragsstarke Bounty, in der Qualität auf dem Niveau von Planet, und die mehr qualitätsbetonte Ostara. Für die großtechnischen
Malzversuche wurde aber nur Ostara ausgewählt. Bounty, die den Landwirten eher entgegenkommt, hat hingegen keine Chance auf eine Empfehlung. Am Ende gehen ertragreichere Sorten damit am Landwirt vorbei, und der weicht auf Winterbraugerste aus, die aber nicht die Qualitäten von im Programm abgelehnten Sommerbraugersten hat.
Die Interessen der Akteure
Im April fand in München die alljährliche Rohstofftagung der Brauer und Mälzer statt. Dort wurde auch über mögliche Änderungen des Berliner Programms diskutiert. Ein Ergebnis gab es nicht, denn die Interessen der Akteure sind zu unterschiedlich: Die Bauern wollen nach drei schweren Erntejahren vor allem auswuchsstabile Sorten. Solche Sorten sind für Mälzer aber völlig ungeeignet. Zudem geht es den Anbauern natürlich um Ertrag. Die Händler wollen möglichst wenige Sorten, denn das erleichtert Erfassung und Separierung. Welche Eigenschaften die haben, ist dem Handel egal. Den Mälzern sind die Sorten eigentlich auch egal, Hauptsache sie keimen schnell und es sind nicht zu viele. Und alle Brauer sollten die natürlich akzeptieren. Die Brauer wollen es vor allem günstig. Und wenn es die Qualitäten nicht in Deutschland gibt, dann kaufen sie eben im Ausland. Die Züchter wollen vor allem an ihren Zuchtprogrammen festhalten und nicht die Parameter verändern.
Auf gut Deutsch: Es zeichnet sich (noch) keine Linie für eine Neuausrichtung der Sortenevaluierung ab. Man könnte auch sagen: Der Leidensdruck ist noch nicht groß genug.
Hat das Berliner Programm damit in einem Importland überhaupt eine Berechtigung? Für bestimmte Brauer schon, vor allem für die kleineren süddeutschen Brauer. Die unterliegen weit weniger dem Preiskampf als die sogenannten »Fernsehbiere«, also die großen Marken wie Bitburger, Veltins oder die Marken des Oetker-Konzerns (z. B. Radeberger). Die Kleinbrauereien setzen auf Individualität und Qualität und benötigen damit tendenziell ein besseres Malz. Weil sie wegen ihres geringen Bierausstoßes keine eigene Analytik leisten können, sind diese Brauereien auf zentrale Testungen angewiesen.
Wie könnte eine Lösung des Problems aussehen? Damit Landwirte weiterhin (oder wieder) Sorten des Berliner Programms anbauen können, benötigen sie eine höhere Prämie. Derzeit sind das oft nur 5, maximal 10 €/t über Programmsorten. Das reicht bei 6 t Ertrag je ha bei Weitem nicht aus, um Ertragseinbußen zu kompensieren. Besser wäre ein System, das einen Mindestpreis für eine Basisqualität vorgibt und dann entsprechende Aufschläge. Stattdessen gibt es bei uns Abschläge, wenn die Qualitätsparameter nicht eingehalten werden. Psychologisch sind Zuschläge immer besser als Abzüge.
»Nicht die Genetik, der Anbau stößt an regulatorische Grenzen«

Interview. Die Gerstenerträge kommen nicht vom Fleck. Das liegt an den Beschränkungen bei Pflanzenschutz und Düngung, aber auch an der Züchtung. Die muss Prioritäten setzen. Wir haben nachgefragt, welche das sind.
Herr Dr. Vaupel, ähnlich wie beim Weizen stagnieren die Gerstenerträge in der Praxis. Ist denn aus züchterischer Sicht ertraglich überhaupt noch mehr möglich?
Das genetische Potential moderner Wintergerstensorten ist aktuell bei Weitem noch nicht ausgereizt. Es bestehen weitere interessante Möglichkeiten in der Modifikation der Pflanzenarchitektur wie der Ährenhaltung oder der Wuchshöhe, dem Zusammenspiel der Ertragskomponenten Ähren/Pflanze, Körner/Ähre, TKG sowie in der Ertragsstabilität, etwa Toleranz gegenüber abiotischen Faktoren oder Resistenzausstattung gegen biotische Schaderreger. Die Ausschöpfung des genetisch möglichen Leistungspotentials von Sorten wird aber immer mehr begrenzt durch die verschiedenen Vorgaben für Düngung und Pflanzenschutz. Trotz hoch produktiver Fruchtfolgen sind dadurch die Möglichkeiten einer primär ertragsbetonten Bestandesführung deutlich eingeschränkt. Die reduzierte Stickstoffdüngung sowie das komplette Verbot ganzer Wirkstoffgruppen im Pflanzenschutz hinterlassen da Spuren. Die Zielgröße ist seit Langem nicht mehr der maximale Ertrag, sondern das ressourcen- und betriebswirtschaftlich vorgegebene Leistungsoptimum.
Welche Potentiale sehen Sie in der Hybridzüchtung?
Immerhin konnten damit bei anderen Kulturarten deutliche Ertragssprünge realisiert werden. Eine natürliche Begrenzung für die durchgängige Entwicklung von Hybridsorten bei Selbstbefruchtern wie der Wintergerste ist die geringe nutzbare Heterosis. Eine weitere Grenze zeigt sich in der Herkunft des aktuell genutzten Bestäubungslenkungssystems, einer cytoplasmatisch bedingten Pollensterilität. Es stammt aus Wildgerstenherkünften, welche per se eine geringere agronomische Leistungsfähigkeit besitzen und insbesondere in der Strohstabilität häufig große Schwächen zeigen. Hybridsorten können allerdings durch ihre große Anpassungsfähigkeit an Trockenstress oder Hitze vor allem auf Grenzstandorten ihr Potential voll ausspielen. Dort zeigen sie sich mancher Liniensorte durchaus überlegen. Auf Hochertragsstandorten und unter weitgehend optimalen Anbaubedingungen dagegen ist ihr Vorsprung gering.
Während sich in Sachen Virusresistenz in den vergangenen Jahren enorm viel getan hat, scheint die Züchtung beim Thema Pilzresistenzen auf der Stelle zu treten. Woran liegt das?
Bei den Gerstenkrankheiten Rynchosporium, Ramularia oder Zwergrost gibt es große Unterschiede in der Auswirkung auf den Ertrag und die Qualität sowie der Möglichkeiten und Grenzen des Pflanzenschutzes. Aus Sicht der Züchtung war es notwendig, die Prioritäten in der Entwicklung resistenter Sorten auf diejenigen Krankheiten zu legen, die überwiegend oder sogar ausschließlich über die genetische Ausstattung der Sorte bekämpft werden können. Bodenbürtige sowie insektenübertragbare Viruserkrankungen der Gerste profitierten von diesen Überlegungen im Besonderen. Fehlende oder nur rudimentär nutzbare Resistenzquellen bei Rhynchosporium, Ramularia aber auch Zwergrost sind für uns Züchter eine echte Herausforderung und erschweren die erfolgreiche Durchführung von Forschungsaktivitäten zusätzlich.
Aber bei Weizen kommt die Züchtung doch auch viel schneller voran.
Zwischen Gerste und Weizen bestehen seit 2012 völlig verschiedene Voraussetzungen für die züchterische Arbeit. 2012 wurde die sehr erfolgreiche Forschungsinitiative proWeizen als zentrale Plattform und Anlaufstelle für Weizenforschung und Weizenzüchtung gegründet. Die Allianz proWeizen verbindet bis heute die wissenschaftliche Exzellenz der Weizenforschung mit der Expertise der Züchter. Bei entsprechender finanzieller Ausstattung dieser Initiative ergaben sich für Zuchtunternehmen wie auch für Forschungsinstitutionen nennenswerte Möglichkeiten einer breit gefächerten Zusammenarbeit. Das im Rahmen von zahlreichen Forschungsprojekten entwickelte Material war letztlich die wesentliche Grundlage erfolgreicher Sortenzüchtung im Weizen. Damit verbunden war jedoch auch, dass sich viele Forschungsaktivitäten der Getreideforschung in Richtung lukrative Weizenzüchtungsforschung verschoben haben und damit andere Kulturarten wie Gerste, Hafer und Roggen massiv ins Hintertreffen geraten sind.
Die Fragen stellte Katrin Rutt