Standort Deutschland. Es braucht ein mutigeres Umfeld
In Deutschland mangelt es nicht an Innovationskraft, aber unsere Mentalität bremst uns oft aus. Die international erfahrenen Landtechnikexperten Thomas Herlitzius, Herbert Coenen und Patrick Honcoop diskutierten, warum Daten, Automatisierung und Mut zum Risiko die Zukunft bestimmen werden.
Innovationen entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie brauchen Rahmenbedingungen, damit aus Ideen ein Mehrwert für Landwirte entsteht. Mit Prof. Thomas Herlitzius, Herbert Coenen und Patrick Honcoop haben wir die Innovationskraft der deutschen Landtechnik im internationalen Kontext diskutiert. Herlitzius betont: »Technologie ist Teil, aber nicht die Innovation selbst.« Entscheidend ist für ihn, wie daraus Trends entstehen, die die Landwirtschaft prägen – wie etwa die Automatisierung, die übrigens gleichzeitig ein Sammelbegriff für viele Innovationen ist.
Lange bedeutete Innovation in der Landwirtschaft vor allem Produktivitätssteigerung: mehr Hektar pro Stunde, mehr Dezitonnen pro Hektar, mehr Effizienz pro Arbeitskraft. Möglich wurde dies durch das Zusammenspiel von Pflanzenzüchtung und Maschinenbau. Herbert Coenen erinnert: »Maschinen sind Antworten auf das, was auf dem Acker passiert.« Mit steigenden Erträgen entstanden Hochleistungsmähdrescher – künftig aber werde Größe allein nicht mehr entscheidend sein. Stattdessen rücken Daten in den Mittelpunkt. Innovationen in diesem Bereich würden allerdings nur funktionieren, wenn Daten geteilt werden. Wie bei Google Maps liege der Mehrwert nicht in einzelnen Informationen, sondern darin, dass viele Daten zusammenfließen. Auch in der Landwirtschaft genügen betriebseigene Daten allein nicht.
Trend Automatisierung
Einen bestimmenden Trend sieht Herlitzius in der Automatisierung: »Auf Komponentenebene sind wir hier technologisch schon sehr weit und auch auf Maschinenebene teilautonom ganz gut unterwegs, aber die Automatisierung auf Verfahrens- und Betriebsebene steckt noch in den Kinderschuhen. Hier sind Farm-Management-Informationssysteme (FMIS) der nächste große Schritt – sie bringen die Datenströme des Betriebs zusammen, liefern Entscheidungshilfen und machen die Landwirtschaft vom Bauchgefühl zum datengetriebenen Prozess.«
Auch Honcoop sieht hier den Dreh- und Angelpunkt der kommenden Jahre: »Viele Systeme liefern heute nur Daten – die Frage ist aber: Was macht der Landwirt damit? Wir reden seit Jahren über FMIS, aber lange waren sie nur Dokumentationshelfer. Der Mehrwert entsteht erst, wenn sie Entscheidungen aktiv unterstützen und Betriebsabläufe automatisch optimieren.«
Wer jetzt euphorisch an vollautonome Arbeitsprozesse denkt, den bremst Herlitzius aus: »Vollautonomie ist in der Landwirtschaft nicht realistisch. Die Vielfalt der Strukturen, Kulturen und Naturbedingungen macht es unmöglich, den Menschen ganz herauszunehmen. Teilautonome Systeme, die Mensch und Maschine sinnvoll zusammenbringen, sind der eigentliche Weg.« Damit meint er beispielsweise die Robotik. Bislang ist sie noch ein kleines Pflänzchen. Das zeigen seine Zahlen: Weltweit gibt es nur wenige Tausend produktive Einheiten. Verglichen mit den jährlich rund 170 000 neu zugelassenen Traktoren in Europa ist das verschwindend wenig. Trotzdem sieht Herlitzius darin den Beginn einer tiefgreifenden Veränderung: »Denn die aktuelle Zahl an Agrar-Robotern im Markt stammt allein aus den letzten sechs Jahren. Wir stehen am Anfang eines dramatischen Strukturwandels. Noch ist vielen Landwirten nicht bewusst, wie stark Robotik ihre Arbeit in den nächsten Jahren prägen wird.« Noch aber hemmen grundlegende Probleme den Durchbruch vieler technologischer Fortschritte.
Fehlende Vernetzung
Ein wesentliches Hemmnis ist die mangelnde Interoperabilität. »Systeme sprechen nicht miteinander, Daten fließen nicht, Datenexporte im CSV-Format sind bestenfalls Grundschule, für echte Automatisierung aber völlig unzureichend. Der Landwirt bleibt auf Insellösungen sitzen«, kritisiert Herlitzius. Einen Grund sieht er beim Selbstverständnis vieler Landtechnikunternehmen: »Die Landmaschine selbst besitzt keine Intelligenz. Sie ist lediglich der Aktuator – die eigentliche Intelligenz sitzt im FMIS. Deshalb muss die Landtechnik neue Partner aus Agronomie, Beratung, Betriebswirtschaft und Softwareentwicklung akzeptieren und endlich Schnittstellen öffnen, um echte Ökosysteme zu schaffen.«
Coenen ergänzt den Aspekt politischer Rahmenbedingungen und nennt Dänemark als Beispiel für ein innovationsfreundliches Land. Dort hat man es geschafft, ein nationales FMIS zu etablieren, das die Daten aller Landwirte bündelt. »Unsere Nachbarn haben einen effizienten Mix aus Regulierung und Industrie hinbekommen. In Deutschland dagegen führt der Föderalismus zu einer zersplitterten Datenlandschaft – jedes Bundesland baut seine eigene Plattform«, kritisiert er.
Ein weiteres Hindernis sieht Herlitzius beim Kompetenzmangel von Landwirten und ihren Mitarbeitenden. Die Branche investiere zu wenig in Weiterbildung: »Landwirtschaft liegt bei der Wertschätzung von Weiterbildung auf dem vorletzten Platz aller Branchen. Doch ohne Wissen und Prozessverständnis lassen sich datenbasierte Prozesse nicht umsetzen.« Und Patrick Honcoop verweist auf die Händler als weiteres Nadelöhr: »Wenn Maschinen komplexer werden, brauchen auch die Händler neue Experten – nicht nur Mechaniker, sondern auch Spezialisten für digitale Systeme und Agronomie. Sonst bleibt die Innovation auf halber Strecke stecken.«

Herbert Coenen, Geschäftsführer Uniparts India
Kulturelle Unterschiede
Ein Blick über die Landesgrenzen offenbart weitere strukturelle Herausforderungen. »In den USA beispielsweise ist Risikobereitschaft Teil der Geschäftskultur. Die Devise lautet Probieren, Scheitern, Verbessern. Scheitern gilt nicht als Makel, sondern als Erfahrung«, berichtet Patrick Honcoop aus Landwirtsbegegnungen vor Ort. Europa dagegen denke viel stärker in Risiken – nach dem Motto: Lieber nichts wagen, als zu scheitern. In Deutschland herrsche noch zu oft die Mentalität »Wir können das auch – dauert halt länger.«
Coenens Kritik geht in dieselbe Richtung. Trotz des derzeit noch hohen Innovations- und Wissensniveaus in Europa – und besonders in Deutschland – herrsche eine gewisse Skepsis und teils sogar Innovationsfeindlichkeit. Das zeigt sich für ihn etwa bei der Künstlichen Intelligenz. Ihr Potential werde in Europa oftmals unterschätzt, weil sie für viele schwer greifbar und wie eine »Black Box« sei. Hier habe sich mit Drohnen und KI-gestützter Bilderkennung als erstes China positioniert. Seiner Ansicht nach dürfe man auch Japan nicht unterschätzen: »Kubota beispielsweise arbeitet stark an Automatisierung und Gewächshaustechnik. Getrieben wird das durch den massiven Arbeitskräftemangel in der dortigen Landwirtschaft.«
Unterschiedliche Innovationspfade
Ein weiterer Unterschied zeigt sich in den Innovationspfaden. Während große Unternehmen häufig in ihrer eigenen Erfolgslogik verharren, treiben kleine Start-ups unkonventionelle Ideen voran. Herlitzius verweist auf klassische Beispiele aus anderen Branchen – IBM, das den PC verschlafen hat, oder Nokia, das den Smartphone-Trend verpasste. »Große Firmen haben viel zu verlieren und sind deshalb oft innovationsträge. Viele radikale Neuerungen kommen von Startups, die dann entweder übernommen werden oder scheitern, weil ihnen der Marktzugang fehlt«, erklärt er.
Honcoop sieht auch hier wieder ein Mentalitätsproblem etablierter Landtechnikhersteller: »Zu oft herrscht das »Not-invented-here«-Syndrom: Lieber selbst entwickeln, auch wenn es fünf Jahre länger dauert. Aber bei digitalen Lösungen zählt Geschwindigkeit. Wer zu spät kommt, verliert den Markt.« Startups hätten es hierzulande schwerer, nicht zuletzt mangels Risikokapital. Honcoop liefert Zahlen: »2024 flossen weltweit 16 Mrd. US-Dollar Wagniskapital in AgriFood-Tech. Davon gingen weniger als 2,5 % nach Deutschland – und davon der größte Teil in Food-Startups, nicht in AgTech.« Die Konsequenz: Viele Ideen bleiben in Schubladen liegen, wie Herlitzius beobachtet. »Uns geht es noch zu gut. Wir haben in Deutschland noch zu wenig Druck, Risiken einzugehen.«

Prof. Thomas Herlitzius, Technische Universität Dresden
Wie also geht es weiter?
Die drei Experten entwerfen unterschiedliche, aber ergänzende Szenarien. Herbert Coenen richtet den Blick auf Märkte und Technologien. Er sieht Europa, die USA und Japan als Innovationszentren, während z. B. Indien vor allem adaptiere und in großen Stückzahlen fertige. »Der Verbrennungsmotor bleibt bei großen Maschinen unverzichtbar. Kleinere, autonome Einheiten werden zunehmend elektrifiziert – in Regionen mit schwacher Infrastruktur, etwa Afrika, bietet Solarstrom enorme Chancen«, so Coenen.
Patrick Honcoop erwartet in 15 Jahren komplett vernetzte Betriebe mit FMIS, teilautonomen Maschinen und KI-Prozessen, »wenn die Politik die richtigen Rahmenbedingungen setzt.« Mittelgroße und große Betriebe werden diesen Wandel treiben, während sich kleinere über Kooperationen und lokale Märkte absichern.
Für Thomas Herlitzius hängt die Zukunft am Abbau von Hürden: Ohne Standards und Kompetenz droht der Rückzug von Betrieben und der Lebensmitteleinzelhandel übernimmt die Wertschöpfung. Im Bestfall entsteht ein offenes Ökosystem mit Politik, Landwirtschaft und Start-ups.