Wirtschaftskrise. Wohin steuert Deutschland?
Könnte man mit Schulden das Wirtschaftswachstum eines Landes nachhaltig stimulieren, wäre Griechenland der Motor der EU. Könnte man mit Subventionen die Betriebe zu höheren Leistungen treiben, würde Deutschland die Hitparade der wachstumsstärksten Nationen anführen. Stattdessen tragen wir die rote Laterne. Wohin steuert Deutschland?
Die beherrschenden Schlagzeilen der deutschen Medien in diesem Jahr lauten Krieg, Energiepreisschock, Inflation und Wirtschaftsabschwung. Angereichert um die Vokabeln Haushaltsnot und Fachkräftemangel ergibt sich ein mit grobem Pinsel gemaltes Weltuntergangsgemälde. Wer einen Stimmungsaufheller sucht, findet diesen an den Börsen, die immer neue Höhen erklimmen. Wie passt das zusammen?
Inflation
Nach Auswertung aller verfügbaren Daten der Statistikämter, der Wirtschaftsforschungsinstitute, der EZB und der Fed lichtet sich der Nebel. Tatsächlich könnte schon 2024 die Zinswende eintreten, die noch vor einigen Monaten als eher unwahrscheinlich galt. Die Gründe sind vielfältig.
Inflation flaut ab. Nach einer beeindruckenden Rallye der Inflation sind die Preise inzwischen wieder fast auf dem Niveau vor der Pandemie angekommen. Im November ist die Teuerung auf 2,4 % gefallen (Grafik 1), während vor einem Jahr noch zweistellige Werte gemessen wurden. Damit wird ein Großteil der Spannung aus den Finanzmärkten herausgenommen. Und auch die Inflationserwartungen lassen die Märkte optimistisch in die Zukunft schauen, weil sich die Energiepreise (Gas – 64 %, Strom – 53 % im Jahresvergleich) beruhigen.
Auch wenn die Ampelregierung die Agrardieselbeihilfe streicht, das grüne Kennzeichen kassiert und die CO2-Abgabe auf Diesel deutlich stärker anhebt als geplant – die gesamtökonomischen Entwicklungen überlagern diese Effekte.
Sinkende Geldmenge. Bei der Diskussion über Inflation und Zinsen ist das Augenmerk auch auf die im Umlauf befindliche Geldmenge (M3) zu richten. Diese ist in der Nullzinsphase durch den Kauf von Staats- und Firmenanleihen durch die Zentralbanken drastisch angestiegen (siehe Grafik 2). Nun zeigt sie wieder einen Rückgang. Der Übergang in die Normalität von Geldwertstabilität bei niedrigen Zinsen ist eingeläutet und könnte Finanzmärkte und Realwirtschaft in gleicher Weise stimulieren.
Deflation statt Inflation? Die sich stark abschwächende Inflation könnte die EZB dazu zwingen, die Zinsen wesentlich schneller zu senken, als derzeit kommuniziert wird. Warum? Weil schon jetzt die europäische Wirtschaft unter den hohen Zinsen leidet. Für dieses Jahr wird ein durchschnittliches Wachstum von nur 0,7 % erwartet – bei sehr ungleicher Verteilung. Während die deutsche oder österreichische Wirtschaft schrumpft, beeindrucken südeuropäische Länder wie Spanien oder Griechenland mit Wachstumsraten über 2 %. Es lässt sich nicht bestreiten, dass zumindest ein erhöhtes Risiko einer »harten Landung« besteht. Rein historisch und volkswirtschaftlich betrachtet folgte auf eine Hochzinsphase immer eine konjunkturelle Abschwächung. Die Frage ist nur, wie »hart« wird der Fall bzw. die
Landung.
Standort Deutschland
Nahezu nirgendwo auf der Welt ist der Sozialstaat größer als in Deutschland. Der Anteil der öffentlichen Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt liegt bei satten 27 %. Und trotz hoher Steuer- und Abgabenquote lebt das Land von der Substanz. Beispielsweise sind die jährlichen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur im Vergleich zu anderen europäischen Industrienationen mit 2,6 % weit unter dem Durchschnitt.
Das IfW Kiel rechnet im Subventionsbericht vor: »Von einem Euro, den der Bund ausgibt, fließen 2023 mehr als 30 Cent in Finanzhilfen. (...) Nur knapp 20 Cent fließen in gegenwärtige oder zukunftsgerichtete staatliche Leistungen wie Infrastruktur oder Forschung und Bildung.« Allein mit Blick auf das Rekordvolumen der Subventionen verbieten sich weitere Gedankenspiele für neue Finanzhilfen.
Innovationen. Deutschland ist führend in der Forschung und Entwicklung von Schlüsseltechnologien, doch es hapert bei der Kommerzialisierung dieser Erfindungen. Ein prominentes Beispiel: Die zwei Molekularbiologinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entwickelten die Crispr/Cas-Genschere und erhielten dafür 2020 den Chemie-Nobelpreis. Obwohl Charpentier Französin und Doudna Amerikanerin ist, forschten die beiden an der renommierten Charité in Berlin. Beste Voraussetzungen also, um diese wegweisende
Technologie, mit der Erbgut gezielt verändert werden kann, auch aus ihrer Geburtsstätte Deutschland heraus zu kommerzialisieren. Fehlanzeige. Grund: Hierzulande ist die Anwendung der Genschere zu Produktionszwecken untersagt. Es darf damit nur geforscht werden.
Im Ergebnis führt das zu einem Paradoxon: Wir importieren die Produkte dieser Technologie, während wir gleichzeitig die mit Steuergeldern finanzierte Wertschöpfung verlieren. Deutschland neigt zur Überregulierung – ein Todesstoß für Innovationskraft. In einer Welt, die von scharfem Wettbewerb geprägt ist, insbesondere von den Technologiegiganten aus China und den USA, muss die Förderung heimischer Innovationen Priorität haben.