
Interview. »Es braucht Mut und Gelassenheit.«
Klimawandel, volatile Märkte und politische Rahmenbedingungen treiben die Transformation voran – nicht nur bei uns. Wie ist der Produktionsstandort Deutschland im internationalen Vergleich zu bewerten? Wir sprachen mit Felix Hollmann über die Zukunftsperspektiven junger Unternehmer.
Herr Hollmann, Sie sind nicht nur Vorsitzender der Jungen DLG. Als Berater begleiten Sie auch Betriebe in Osteuropa und dem Baltikum. Wo stehen wir im internationalen Wettbewerb?
Die osteuropäischen Länder haben in den vergangenen 30 Jahren massiv aufgeholt. Sie konnten davon profitieren, dass Unternehmen aus dem vor- und nachgelagerten Bereich neue Märkte erschließen wollen und daher auch entsprechendes Know-how dorthin transferiert haben. Außerdem wird Wissen durch das Internet sehr mobil. Wenn ich Detailfragen zum Rapsanbau habe, muss ich keine fünf Bücher mehr kaufen, um Zugriff auf internationales Fachwissen zu erhalten. In diesem Fahrwasser haben einige Unternehmer beachtliche
Betriebe aufgebaut.
Und mit Blick auf Deutschland?
Ein wichtiger Standortvorteil sind in meinen Augen 84 Mio. (zahlungskräftige) Konsumenten. Diese sind der Grund für eine starke und diversifizierte Nahrungsmittelindustrie als Nachfrager aller landwirtschaftlichen Produkte. Solange wir weiterhin einen starken nahrungsmittelverarbeitenden Sektor in Deutschland behalten, wird dies ein Wettbewerbsvorteil bleiben. Dazu gehört übrigens auch ein
hoch wettbewerbsfähiger Lebensmittelhandel, der die Konsumentennachfrage stimulieren kann. Bedenklich sind hier die
Tendenzen zum Oligopol.
Regulierung, Bürokratieaufwand, Mitarbeiter – sind bei genauerem Hinsehen die Vorteile in Ausland doch etwas geringer?
Ja und nein. Im Ausland begegnet einem zum Teil Regulatorik, die darauf abzielt, Schwarzmarktgeschäfte und Umsatzsteuerbetrug
zu unterbinden. Die staatlichen Absichten münden oft im Ausfüllen unzähliger Formulare. Im Bereich der Produktionstechnik gelten
westeuropäische Länder, insbesondere Deutschland, häufig als Vorbild. Mit etwas Verzögerung hält unsere Regulatorik deshalb auch dort Einzug. Positiv ist allerdings, dass die Dokumentation oft von Anfang an rein digital gedacht wird. Datenfriedhöfe, die wenig mit der Praxis zu tun haben, gibt es hier wie dort.
Wie ist es um die deutschen Unternehmermentalitäten bestellt?
Das kann ich nur subjektiv beantworten. Ich denke, Eigenschaften wie Optimierungswille, gute Zahlungsmoral sowie Gründlichkeit und Verlässlichkeit charakterisieren die hiesigen Unternehmer ganz gut. Das macht nach meinem Dafürhalten Deutsche im Ausland zu beliebten und geschätzten Geschäftspartnern und Arbeitgebern. Risikoaversion, fehlende Spontanität und Detailverliebtheit stehen
uns manchmal aber auch im Weg.

Ist die Beratung noch ein Vorteil des Standorts?
Unbedingt. Wir hatten schon über Know-how gesprochen. Gerade die unabhängige Beratung ist eher eine deutsche Besonderheit. Darüber hinaus leistet die Offizialberatung gute Arbeit durch unabhängige, groß angelegte und sehr teure produktionstechnische Versuche. Die Ergebnisse stellt sie den Landwirten sehr kostengünstig oder sogar kostenlos zur Verfügung. Darauf blicken unsere Berufskollegen im Ausland, die ausschließlich auf Herstellerberatung angewiesen sind, sehr neidisch. Deutsche Landwirte schätzen das zu wenig und sollten sich stärker für die Offizialberatung starkmachen.
Stichwort Digitalisierung: Smart Farming, Robotik mit Künstlicher Intelligenz und Technologien wie Spot-Spraying im Ackerbau, Sensoren und Big Data im Stall – wo stehen die hiesigen Betriebe im internationalen Vergleich?
Was die Erfassung und Verarbeitung von Daten auf landwirtschaftlichen Maschinen angeht, scheinen die Länder im angelsächsischen Sprachraum bereits weiter zu sein. Ob die Daten am Ende in den Betrieben auch in Wertschöpfung umgesetzt werden, kann ich nicht abschließend beurteilen. Ich meine zu beobachten, dass Technologie nur dann angewandt wird, wenn sie die knappe Zeit des Führungspersonals nicht zu stark beansprucht, oder – noch besser – entlastet. Prädestinierte Erstanwender neuer Technologien im Bereich der Tierhaltung sind in meinen Augen größere Integrationen, die den möglichen Erfolg einer Technologie anhand der großen Stückzahlen leichter messbar machen können.
Ständig neue Regelungen v. a. in der Tierhaltung machen Investitionen kaum noch sinnvoll möglich. Strukturbrüche drohen. In Polen, Ungarn, Rumänien gibt es sicherlich Standortvorteile. Wandert unsere Produktion dorthin ab?
In gewissen Teilen ist das bereits geschehen. Einige Länder fördern Investitionen in den Aufbau der Tierhaltung auch gezielt. Solche Investitionsförderungen wirken in Ländern mit knapper Kapitalausstattung stärker, weil die Banken die Förderung
eigenkapitalähnlich bewerten. Ob das Fremdkapital immer zurückgeführt werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Das Argument, im Ausland werde minderwertige Qualität erzeugt, gilt in meinen Augen nur begrenzt. Hier geht es sicherlich weniger um Premium-Tierwohlprodukte. Hohe Verlustraten und niedrige biologische Leistungen wegen schlechter Tiergesundheit kann sich aber auch im Ausland niemand erlauben.
Ist der Kapitalmarktzugang noch ein Wettbewerbsvorteil?
Ich denke schon. Der deutsche Markt verfügt über Banken mit Expertise im Agrargeschäft und ist gut mit Kapital ausgestattet – vergleichsweise niedrige Kapitalrenditen sind die Folge. Trägt man die Brille eines Investors, der entweder über liquides Kapital oder Eigentum verfügt, welches sichere Liquiditätsrückflüsse ermöglicht, können sich im Ausland Chancen ergeben: Besteht eine
Investitionsmöglichkeit, bei der die Produktionstechnik nachweislich gut beherrscht wird und die notwendige Managementkapazität gesichert ist, lässt sich das verfügbare Kapital in Wettbewerbsvorteile ummünzen.