
Antibiotikareduktion. Noch lange nicht am Ziel
Die EU will die Antibiotikaanwendung in der Nutztierhaltung bis 2030 halbieren. 25 % sind zwar bereits geschafft, doch auch die deutschen Betriebe müssen noch nachlegen. Wie stehen wir im Vergleich da?
Gefühlt alle paar Wochen werden neue Daten zum Antibiotikamonitoring oder dem -resistenzgeschehen veröffentlicht. Mal ist der Absender die Qualität und Sicherheit GmbH (QS), dann das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) oder eine der vielen Organisationen der EU-Administration. Da kann man schon mal den Überblick verlieren – zumal die Daten nicht immer miteinander vergleichbar sind.
Deutschlands Nachbarn stehen besser da
Die EU-Mitgliedsländer haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Verkäufe von antimikrobiellen Mitteln für Nutztiere und Aquakultur bis 2030 um 50 % zu senken. Den Referenzwert bildet das Jahr 2018 mit 118,3 mg/PCU (Population Correction Unit, siehe Kasten), sodass der Zielwert für 2030 bei 59,2 mg/PCU liegt. Innerhalb der ersten fünf Jahre haben die EU-Länder bereits mehr als die Hälfte des festgelegten Reduktionsziels erreicht, 2023 betrug der durchschnittliche EU-Antibiotikaverkauf für Tiere 88,5 mg/PCU. Weitere 29,3 mg/PCU sind bis 2030 also noch abzubauen. Angesichts des erheblichen Rückgangs der Verkäufe, den etliche EU-Länder bereits realisiert haben, besteht vermutlich auch bei den Nachzüglern noch Potential für weitere Reduktionen.
Neuer Nenner
In der EU-Statistik (European sales and use of antimicrobials for veterinary medicine, ESUAvet) wurde der Bezugswert »Tierbiomasse« 2023 geändert. Die Tierbiomasse dient als Teiler, um Antibiotikaverbräuche zwischen den EU-Staaten vergleichbar zu machen. In der neuen Berechnung (Grafik 1) werden mehr lebensmittelproduzierende Tierarten berücksichtigt sowie andere Gewichte als in der bisher genutzten Population Correction Unit (PCU, Grafik 2). Die neue ESUAvet-Tierbiomasse, angegeben in mg/kg Tierbiomasse, ist 1,9-mal höher als die PCU. Folglich sind die Werte nicht vergleichbar.
Hierzulande ist der Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung seit Beginn des Monitorings 2011 rückläufig. So auch 2023: Laut BVL wurden insgesamt 529 t Antibiotika an Tierärzte abgegeben. Das entspricht einem Rückgang von 11 t beziehungsweise 2,1 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Verkaufsmenge für 2023 ist die niedrigste seit Beginn der Erfassung. Insgesamt ist die abgegebene Menge an antibiotischen Wirkstoffen seither um fast 70 % gesunken.
Nach Einschätzung von Interessensverbänden und auch der QS hat sich der Verbrauch in der Tiermast auf einem Niveau eingependelt, das einem therapeutisch notwendigen Minimum entspricht. Schaut man auf das Ziel der EU für 2030, hat die Nutztierhaltung in Deutschland aber durchaus noch ein Stück Weg vor sich. Denn vergleichen sollten wir uns wohl mit dem Verbrauchsniveau unserer Nachbarn im nordwesteuropäischen Veredlungsgebiet: Die Niederlande, Dänemark und Belgien setzen alle weniger Antibiotika ein, ebenso Frankreich und auch Österreich (Grafik 2). Mitgliedsstaaten mit nennenswerter Veredlung, die mehr Antibiotika verbrauchen, sind Polen, Spanien und Italien. Deutschland lag 2023 auf einem Niveau mit Malta, Griechenland und Rumänien.
Für Deutschland (aktuell – 27 %) und für alle EU-Länder, die den Antibiotikaeinsatz bereits deutlich gesenkt haben, wird die zweite Hälfte der Reduktion wohl die schwierigere sein.
Grafik 2: Fortschritt ausgewählter EU-Länder bei der Reduktion der Antibiotikaverkäufe* (in mg/PCU**)

Wo die verkauften Antibiotika eingesetzt werden, ist noch nicht vollständig geklärt. Mit der Novelle des Tierarzneimittelgesetzes (TAMG) zum 1. Januar 2023 wurde ein Reduktionsziel für die Verkäufe von 50 % bis 2030 auch im deutschen Recht verankert. Ebenfalls parallel zu den EU-Vorgaben wurde die Pflicht, den Antibiotikaverbrauch zu dokumentieren, ausgeweitet. War sie bisher auf die Schweine-, Geflügel- und Rindermast beschränkt, gilt sie nun auch für Halter von Milchkühen, Legehennen und Sauen mit Saugferkeln. Ab 2027 müssen in der EU auch Daten für weitere lebensmittelliefernde Tiere wie Enten, Gänse, Schafe, Ziegen, Fische, Pferde und Kaninchen gemeldet werden. Hunde, Katzen und Pelztiere folgen europaweit ab 2030, in Deutschland werden deren Verbräuche bereits ab 2026 erhoben. Damit sollte sich die bisher vorhandene Differenz zwischen dem Verbrauch in der Nutztierhaltung und der insgesamt an Tierärzte abgegebenen Antibiotikamenge immer weiter reduzieren. Interessenvertretungen weisen zu Recht schon lange auf diese ungeklärte Lücke hin.
Wie groß diese fehlende Wirkstoffmenge genau ist, lässt sich aber nach wie vor schwer sagen. Neben dem staatlichen Monitoring (veröffentlicht vom BVL) werden auch im QS-System Daten zur Anwendung erfasst. Obwohl die berücksichtigten Tierarten und -kategorien (derzeit) identisch sind, unterscheiden sich die ermittelten Verbräuche. Bei Schweinen kommt das BVL für 2023 auf eine Anwendungsmenge von 232 t, QS auf 228 t. Richtig groß wird der Unterschied bei Rindern mit 109 t (BVL) gegenüber 33 t (QS). Auch bei Geflügel besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen den 137 t, die das BVL angibt und 119 t bei QS. In Summe kommt das BVL auf eine Verwendungsmenge in der Nutztierhaltung von 478 t (90 % des Gesamtverkaufs), QS auf 380 t (72 % des Gesamtverkaufs). Damit beträgt die Lücke der ungeklärten Verwendung für in Deutschland verkaufte Antibiotika beim BVL 51 t, bei QS satte 149
Antibiotikaverkäufe* in Deutschland – alle Wirkstoffe (in t)
Jahr | 2011 | 2018 | 2022 | 2023 | Reduktion 2011 – 2023 | Reduktion 2018 – 2023 |
Menge (t) | 1 706 | 722 | 540 | 529 | – 69 % | – 27 % |
Wie groß diese fehlende Wirkstoffmenge genau ist, lässt sich aber nach wie vor schwer sagen. Neben dem staatlichen Monitoring (veröffentlicht vom BVL) werden auch im QS-System Daten zur Anwendung erfasst. Obwohl die berücksichtigten Tierarten und -kategorien (derzeit) identisch sind, unterscheiden sich die ermittelten Verbräuche. Bei Schweinen kommt das BVL für 2023 auf eine Anwendungsmenge von 232 t, QS auf 228 t. Richtig groß wird der Unterschied bei Rindern mit 109 t (BVL) gegenüber 33 t (QS). Auch bei Geflügel besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen den 137 t, die das BVL angibt und 119 t bei QS. In Summe kommt das BVL auf eine Verwendungsmenge in der Nutztierhaltung von 478 t (90 % des Gesamtverkaufs), QS auf 380 t (72 % des Gesamtverkaufs). Damit beträgt die Lücke der ungeklärten Verwendung für in Deutschland verkaufte Antibiotika beim BVL 51 t, bei QS satte 149 t.
Saugferkel mit hoher Therapiehäufigkeit
Wie in den vergangenen Jahren entfällt der größte Anteil der Verbrauchsmengen 2023 auf die Mastschweine, gefolgt von den Ferkeln und Mastputen sowie den Masthühnern. Einer Analyse der Daten durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zufolge, liegt die Therapiehäufigkeit für Saugferkel mit 68,1 Tagen pro Jahr am höchsten, gefolgt von Mastputen, Masthühnern und Aufzuchtferkeln. Die niedrigste jährliche Therapiehäufigkeit wurde für Legehennen ermittelt. Auch wenn Saugferkel in einem Teil der Betriebe verhältnismäßig häufig mit Antibiotika behandelt werden, kommen viele Ferkelerzeuger mit einem deutlich geringeren Antibiotikaeinsatz aus – für das BfR ein Hinweis auf erhebliches Verbesserungspotential. Saugferkel wurden 2023 zum ersten Mal vom Antibiotika-Minimierungskonzept erfasst.
Die Antibiotikareduktion scheint zu wirken
»Insgesamt zeigen die Daten, dass in einigen Bereichen positive Entwicklungen auch bei den Resistenzraten zu verzeichnen sind,« heißt es in dem Bericht des BfR für Deutschland. Beispielsweise sei die Resistenzsituation bei E.coli-Bakterien aus Mastschweinen gegenüber einigen Substanzen seit 2015 signifikant verbessert worden. Bei weiteren Substanzen sei zumindest kein Anstieg beobachtet worden. Auch der Report der EU zur Antibiotikaresistenz in lebensmittelproduzierenden Tieren für 2022 und 2023 zieht ein positives Fazit: Über die letzten zehn Jahre sei ein ermutigender Trend bei der Reduktion von Resistenzen in etlichen EU-Mitgliedsstaaten zu erkennen.
Fazit
Die richtigen Instrumente zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes sind gefunden. In den meisten EU-Ländern – auch in Deutschland – ist das Potential zur Reduzierung wohl noch nicht ausgeschöpft. Die Erweiterung der Tierarten, die unter das Monitoring fallen, ist sinnvoll und liefert nach und nach Erkenntnisse, wo genau dieses Potential liegt. Die Digitalisierung hat im Meldeprozess so weit Einzug gehalten, dass der Aufwand vertretbar ist. Das gilt insbesondere, wenn man an das sinnvolle Ziel denkt, das Resistenzgeschehen zum Wohle von Mensch und Tier im Griff zu behalten. Auch wenn Resistenzen ein globales Thema sind, werden regionale Erfolge bei der Verringerung des Antibiotikaeinsatzes mit einem gewissen Zeitversatz auch in regional verminderten Resistenzen sichtbar.