Zuchtziele. Daran arbeiten die Züchter
Ertrag, Resistenzen, Qualität – die großen Themen sind für alle Züchter und alle Kulturen gesetzt. Aber es gibt auch eine Fülle von anderen Zuchtzielen. Die spannende Frage lautet: Wie schnell geht das alles?
Ein Züchter drückte das mal so aus: »Es gibt ein Pflichtenheft für Pflanzenzüchter, und an erster Stelle steht der Ertrag«. Das gilt für jede Kultur und jedes Marktumfeld, auch für jede Anbauregion und jedes Klima. Ergänzen möchte man noch: Es geht auch um Ertragsstabilität – aber damit nähme man den Züchtern auch nur das Wort aus dem Munde. Und dann gibt es da noch ganz viele, teils kleine, Zuchtziele, die für Landwirte spannend sind. Wie sehen diese beiden wichtigsten Kulturen auf den Feldern aus?
Weizen: Der genetische Ertragsfortschritt kommt nicht zum Zug. Es gibt eine Menge Untersuchungen, die belegen, dass die Weizenerträge in den vergangenen 30 Jahren genetisch jährlich um 30 – 50 kg/ha gewachsen sind. Aber auf dem Feld kommt das nicht an. Einschränkungen beim Pflanzenschutz und der Düngung, Bearbeitungsfehler oder das Wetter (vor allem in Form der Sonneneinstrahlung) lassen die Erträge in der Praxis stagnieren, obwohl die Genetik oft mehr hergäbe.
Neben dem Ertrag steht beim Weizen traditionell die Resistenzzüchtung im Vordergrund. Etwas aus dem Blick geraten ist die Fusariumtoleranz, zu Beginn der 2010 er Jahre ein ganz großes Thema. Heute verweisen die Weizenzüchter eher auf ihre Arbeiten zu Virusresistenzen und auch Insektenresistenzen. Heute schon ist beispielsweise jede fünfte eingetragene Sorte resistent gegen die orange Weizengallmücke. Daneben spielen Toleranzen gegen abiotische Faktoren eine zentrale Rolle: Ein angepasster Blüte- und Reifeverlauf sorgt dafür, dass Weizensorten Frühsommertrockenheiten besser überstehen. Eine große Rolle nehmen auch die Arbeiten zur Wasser- und Nährstoffeffizienz ein. Schlüssel hierfür ist das Wurzelwachstum bzw. die Durchwurzelungsdichte. Auch Zwergformen tragen dazu bei.
Das Thema N-Effizienz und Proteineffizienz ist bei keinem Getreidezüchter mehr wegzudenken. Beide Merkmale fanden inzwischen auch Eingang in die Beschreibende Sortenliste. Immerhin beträgt die Spanne zwischen gängigen Weizensorten 20 kg N/ha, was die Rate angeht, mit der N im Boden in N-Ertrag im Korn ausgenutzt wird. Nicht ganz so weit ist man bei der Proteineffizienz, also der Volumenausbeute bei gegebenem Proteingehalt. Genetisch gibt es hier Variationen, die sich auch in Sorten widerspiegeln. Aber an der Gosse sind diese mit NIR nicht messbar, daher setzen sich diese Parameter bislang jedenfalls nicht durch.
Wintergersten punkten mit besserer Qualität, Sommergersten mit höherem Ertrag. In den vergangenen Jahren haben sich mehrzeilige Wintergersten in der Qualität deutlich den zweizeiligen Sorten angenähert. Am deutlichsten wird dies bei den Winterbraugersten, deren Anbau jetzt sogar von Brauern propagiert wird (3-Säulenmodell, also ein Drittel Sommergerste, ein Drittel Wintergerste und ein Drittel Sommergerste im Herbst gedrillt). Gleichzeitig schwinden die Ertragsnachteile der Sommergersten. Im Mittel der Jahre 1988 bis 2017 sprechen seriöse Versuche von einem Ertragszuwachs um 58 kg/ha und Jahr für Sommer- und 54 kg/ha für Wintergersten.
Auch bei den Gersten spielen Resistenzen eine Rolle, vor allem gegen Virosen. Gegen die verschiedenen Typen der Gelbmosaikviren sind schon seit einigen Jahren viele Sorten resistent. Erste Sorten haben auch Resistenzgene gegen die Gelbverzwergungsviren, und im Herbst soll eine Sorte auf den Markt kommen, die auch gegen den von Zikaden übertragenen Erreger der Weizenverzwergung resistent ist.
Bei den morphologischen Merkmalen stehen weiter die Strohstabilität auf der Liste der Züchter, aber auch die Hybridformen. Bei diesen geht es vor allem um eine bessere Durchwurzelung, was die Wüchsigkeit in der Jugend erhöht und auch ertragswirksam ist.
Mais
Ganz gleich ob Silo- oder Körnermais, für die Jugendentwicklung verfolgen die Züchter im Wesentlichen nur ein Ziel: Wüchsigkeit und damit rasche Jugendentwicklung. Auch die Trockenheitstoleranz spielt für beide Nutzungsrichtungen die gleiche Rolle. Ein Schlüsselelement dafür ist – wie beim Getreide – die Wurzelausbildung, bei der es erhebliche Unterschiede gibt. Eng damit verbunden ist die
Erschließung von Wasser- und Nährstoffreserven im Boden. Das Thema Nährstoffeffizienz gewinnt auch beim Mais an Bedeutung. Daneben spielt die synchrone Bestäubung in Trocken- und Hitzeperioden eine Rolle. Sie ist die Voraussetzung für eine sichere Einkörnung. Ein ganz wichtiges Kriterium ist die Standfestigkeit. Die lässt sich in den Versuchen auch ohne Sturm testen – mit einem Helikopter, der dicht über dem Maisfeld fliegt.
Beim Silomais kommt es daneben noch auf die Verdaulichkeit der Restpflanze, also vor allem der Fasern an. Damit die Energiedichte hoch ist, arbeiten die Züchter an hohen Kolbenanteilen; um die Silierung zu verbessern, an einer langsamen Abreife der Restpflanzen bei gleichzeitig schneller Kolbenabreife.
Für den Körnermais gibt es zwei zusätzliche Zuchtziele: Die schnelle Wasserabgabe zum Ende der Reife (Dry Down-Effekt) und sehr frühe Sorten (ab K 200) für kühle Regionen und Grenzlagen. Beides lässt sich vor allem mit Zahnmaistypen erreichen, die wegen ihrer Kornstruktur das Wasser schneller abgeben. Bislang waren Zahnmaissorten vor allem späte Sorten, aber das ändert sich schon seit einigen Jahren. Den Dry Down-Effekt gibt es inzwischen bis K 230. Und natürlich muss die Blüte sehr früh erfolgen, um der Pflanze ausreichend Zeit für die Einlagerung von Assimilaten zu geben.
Raps
Beim Raps steht neben dem Ertrag vor allem die Resistenz gegen pilzliche und tierische Schädlinge sowie Virosen im Vordergrund. Ohne diese geht es auch beim Ertrag nicht weiter. Die Genetik mag den 6-t-Raps hergeben, aber die Einschränkungen beim Pflanzenschutz, die engen Fruchtfolgen und die Restriktionen bei der Düngung stehen der Umsetzung in Ertrag in der Praxis entgegen.
Phoma, Kohlhernie, Wasserrübenvergilbungsvirus, Cylindrosporium – die Züchter arbeiten an einem ganzen Strauß an Erregern. Bei der Kohlhernie drohen die bisherigen Resistenzgene gebrochen zu werden, daher gibt es in ersten Zuchtgärten auch einen Genpool mit einer neuen Resistenz. Sorten sind in Arbeit, die eine noch geringere Anfälligkeit gegen die Larven des Erdflohs aufweisen als die heute schon vereinzelt im Markt befindlichen. Auch Resistenzen gegen den Rapsglanzkäfer werden gesucht. Wie bei allen anderen Kulturen auch gewinnt die Nährstoffeffizienz zunehmend Bedeutung. Dabei geht es weniger um die Aufnahme der Nährstoffe, sondern vielmehr deren Umsetzung in Ertrag, vor allem Ölertrag. Und es geht um die Ölqualität. Erucarapse sind seit über 20 Jahren auf dem Markt. Jetzt kommen auch Sorten mit einem hohen Anteil an Ölsäure und gleichzeitig niedrigem Anteil an Linolensäure. Deren Öl ist dann auch für die Fritteuse geeignet.
Bei den abiotischen Faktoren sind die Trockentoleranz und die Winterhärte zu nennen. Keine neuen Zuchtziele, aber auch an diesen wird unvermindert gearbeitet. Und noch ein ganz alter Bekannter gewinnt wieder an Bedeutung: die Schotenplatzfestigkeit. Unter normalen Bedingungen ist die völlig ausreichend. Aber Extremwetterereignisse wie Starkregen und Sturm kommen häufiger vor und benötigen eine Antwort aus den Zuchtgärten.
Leguminosen
Erbsen, Ackerbohnen, Lupinen oder Soja – die Leguminosen gelten weiterhin als Verdrussfürchte. Es fehlt nicht einmal unbedingt am Ertrag, vielmehr an der Ertragssicherheit. Entsprechend steht dieses Merkmal auch in den Zuchtgärten im Vordergrund. Klar, höhere Erträge auch.
Während es bei der Erbse ansonsten um höhere Proteingehalte geht, stehen bei Ackerbohnen und Lupinen die Alkaloide im Fokus. Um für die Lebensmittelindustrie interessant zu sein, dürfen Vicin (Ackerbohne) und die übrigen Alkaloide nur noch in Spuren oder besser gar nicht mehr in den Samen vorhanden sein. Bei der Lupine geht es zudem noch um die Resistenz gegen die Anthraknose. Erst seit 2019 stehen entsprechende Sorten zur Verfügung und seitdem erst wird die Züchtung wieder interessant. Ebenfalls ein Zuchtziel für die heimischen Leguminosen ist die Winterhärte, bei der aber noch kein Züchter zu sicheren Ergebnissen gekommen ist.
Frühreife ist für die Sojabohne elementar. Die Sojabohne ist in vielen Regionen Deutschlands noch nicht anbauwürdig. Es scheitert am Ertrag und an der sicheren Abreife. Höhere Erträge bei gleichzeitig früher Reife ist daher das entscheidende Zuchtziel der wenigen Sojazüchter hierzulande. Die Zuchtfortschritte waren in den vergangenen Jahren groß, was sich nicht nur an der Zahl der neu zugelassenen Sorten bemisst. In nur zehn Jahren hat sich die Zahl der in Deutschland zugelassenen Sorten von 4 auf 40 verzehnfacht.
Die Züchter können im Gegensatz zu den anderen Leguminosen aus einem großen Genpool ertragreicher nord- und südamerikanischer Züchtungen ihre Kreuzungspartner auswählen. Außerdem wurde die früher bestehende negative Korrelation zwischen Frühreife und Ertrag gebrochen. Darüber hinaus stehen eine gute Hülsenplatzfestigkeit sowie Kältetoleranz und hoher Protein- und Ölgehalt im Fokus der Züchter.
Roggen
Mutterkorn bleibt wichtig. Gerade nach der Verschärfung der Grenzwerte für Mutterkorn im vergangenen Jahr ist das Merkmal Pollenschüttung und damit der Mutterkornanteil wieder im Fokus. Daneben geht es aber auch sehr oft um morphologische Merkmale wie Zwergformen oder auch Wechselformen, die sowohl im späten Herbst/Winter als auch im Frühjahr gedrillt werden können. Erste Sortenkandidaten mit einem Zwerggen sind in der Zulassung und sollten kommendes Jahr auf den Markt kommen. Eine bessere Standfestigkeit und weniger Stroh auf dem Acker sind hier die schlagenden Argumente.
Zuckerrüben
In den vergangenen beiden Jahren beherrscht nur ein Themenkomplex die Sortenfrage bei den Rüben, jedenfalls vordergründig: SBR bzw. Stolbur. Aber schaut man genauer in die Zuchtgärten, so stehen Rübenertrag und Zuckergehalt nach wie vor im Zentrum. Mehr noch als bei den anderen Ackerkulturen spielt bei der Rübe der CO2-Fußabdruck eine Rolle – und der lässt sich am leichtesten durch hohe Zuckererträge senken. Die Fabriken fragen zunehmend nach der CO2-Bilanz, weil auch ihre Abnehmer in der Lebensmittelindustrie entsprechende Anforderungen stellen. Deshalb kommen die lange vernachlässigten Qualitätsparameter Standardmelasseverluste und Amino-N-Gehalte wieder in den Blick. Und natürlich stehen Krankheitstoleranzen und Resistenzen auf der Liste. Diese Liste ist lang. Sie beginnt aktuell natürlich mit dem SBR-/Stolburkomplex, umfasst aber auch Cercospora, Rübenvergilbung, Nematoden, Rhizomania und (mit weniger Intensität) Roste sowie Mehltau. In der Vergangenheit ging es um Ertrag oder Gesundheit. Heute steht ein stabil hoher Ertrag bei gleichzeitigen Resistenzen oder wenigstens Toleranzen im Vordergrund. Man könnte von Umweltstabilität sprechen.
Züchter schätzen, dass man in drei bis fünf Jahren erste Sorten haben wird, die gegen SBR/Stolbur tolerant sein werden. Dabei handelt es sich um Linien und Sorten aus den Zuchtgärten, die auf SBR getestet wurden. Glücklicherweise findet sich im bestehenden Zuchtgartenmaterial eine ausreichend große Variation bezüglich SBR, sodass daraus schnell neue Sorten kombiniert werden können, die auch unter Befallsbedingungen immerhin noch mittlere Erträge liefern. Bis neue Resistenzquellen aus Wildrüben in die Hochleistungslinien kommen, dauert es viel länger. Erst dann wird es wirklich resistente Sorten geben können und nicht nur solche mit überschaubaren Ertragsschäden bei Befall. Der Ertrag dieser Sorten wird dann noch nicht auf dem Niveau der heutigen Hochertragssorten sein, aber das war zu Beginn der Rhizomania- oder Nematoden-toleranten Sorten auch nicht anders. Erreicht wird der schnelle Zuchtfortschritt durch eine effiziente Auswahl der Ausgangslinien. Das geht etwa mit einer drohnengestützen autonomen Hochdurchsatzphänotypisierung. Das bedeutet, eine Drohne fliegt mehrfach im Jahr über den Zuchtgarten und selektiert gesunde Linien heraus. Das geht deutlich schneller als die Selektion über molekulare Marker.
Cercospora ist weiter ein extrem wichtiger Krankheitserreger. Alle Züchter haben hier in den vergangenen Jahren deutlich resistentere Sorten auf den Markt gebracht. Teils sind die Resistenzen monogenetisch, können also schnell gebrochen werden, teils auch multigenetisch und damit langfristig sicher. In den vergangenen Jahren spielten Vergilbungsviren zunehmend eine Rolle, was an fehlenden Neonic-Beizen lag. Jetzt stehen erste tolerante Sorten vor der Zulassung, in einigen Jahren sollen resistente Sorten folgen. Rhizomania spielt – wenn auch weit hinten – wieder eine Rolle. Lokal gab es Resistenzbrüche, sodass künftig auch sogenannte doppelttolerante Sorten mit einem zweiten Resistenzgen auf den Markt kommen sollen.
„Die Sortenwahl ist ein zentrales Element der Ernährungssicherung“
Die richtige Sortenwahl entscheidet maßgeblich mit über den wirtschaftlichen Erfolg eines landwirtschaftlichen Betriebs. Sie ist ein wirksames Instrument zur Anpassung an den Klimawandel und sichert zudem die Ertragsstabilität. Cecilia Hüppe, Referentin für Marktfruchtbau in der Fachinformation Pflanzenbau beim Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH) in Bad Hersfeld und stellvertretende Vorsitzende im DLG-Ausschuss Versuchswesen in der Pflanzenproduktion (ViP), spricht im Interview mit dem DLG-Magazin über die Bedeutung der Landessortenversuche als Orientierungshilfe für Landwirtinnen und Landwirte, über die zentralen Herausforderungen für Pflanzenbauer und Versuchswesen und die Bedeutung von Expertennetzwerken für die Zukunft einer nachhaltigen und produktiven Landwirtschaft.