Milchvieh. Wie sieht Weidehaltung künftig aus?
Kühe auf der Weide – in vielen Regionen ein seltenes Bild. Aber die Anforderungen des LEH ändern das. Das Projekt »GreenGrass« beschäftigt sich mit der Weidewirtschaft der Zukunft. Es geht um Ortung auf der Weide, virtuelle Zäune und Tierwohl, zeigen unsere Autoren.
In der landwirtschaftlichen Praxis steigt das Interesse an der Weide, wobei es zu Zielkonflikten kommt. Dabei sind neue Perspektiven für die Weidewirtschaft gefragt. Aus diesem Grund wurde das Projekt »GreenGrass« ins Leben gerufen. Es wird an der Universität Göttingen koordiniert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms »Agrarsysteme der Zukunft« gefördert.
Grünland in Deutschland
Grünland hat in Deutschland einen Anteil an der landwirtschaftlichen Nutzfläche von knapp 30 %, in der EU sind es mehr als 30 % und weltweit fast 70 %. Flächenmäßig spielt das Grünland somit für die nationale und internationale Landwirtschaft und die Erzeugung von Nahrungsmitteln eine große Rolle.
Neben der Erzeugung von Milch und Fleisch sind weitere Ökosystemleistungen mit der Grünlandwirtschaft verbunden. Vor allem über die Nahrungsmittelerzeugung hinausgehende Leistungen waren der Anlass für die europaweite Regelung, dass die Grünlandfläche nicht verkleinert werden darf.
Je höher der Anteil des Grünlandfutters an der Ration der Nutztiere ist, desto geringer ist die Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Hier liegt das entscheidende Produktionspotential des Grünlands: Es liefert hochwertige Proteine für die menschliche Ernährung. Höchste Tierleistungen im Grünland werden erzielt, wenn die Tiere das frische Gras auf der Weide aufnehmen. Bei gut geführten Grasnarben und physiologisch jungen Aufwüchsen wird eine hohe Futterqualität angeboten, Nettoenergie-Laktations-Werte bis zu 7 MJ/kg Grastrockenmasse und 15 bis 18 % Rohprotein sind möglich. Das Protein hat im Frischgras, anders als bei der Grassilage, eine hohe Qualität. Deshalb ermöglicht Weidefütterung eine hohe Grobfutteraufnahme und -leistung. Die Weide hat noch weitaus mehr Vorteile: Sie fördert das Tierwohl, senkt Erkrankungsrisiken und erhöht im Vergleich zu einer reinen Schnittnutzung die Biodiversität.
Perspektiven und Risiken der Weidewirtschaft
Diese Gründe tragen dazu bei, dass sich die Gesellschaft immer mehr die Weidehaltung von Tieren wünscht, was auch Perspektiven für die Vermarktung eröffnet. Im Lebensmitteleinzelhandel sind zertifizierte Weideprodukte bereits jetzt erfolgreich. Aber die Weidewirtschaft birgt auch Risiken. In welchem Maße die angestrebten Leistungen tatsächlich erbracht werden, hängt vom Management ab. Dabei gilt: Die Kunst der Weidewirtschaft besteht darin, dass die Tiere zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. Das gelingt nur mit sachgerechten Zäunen. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass hier das Problem der landwirtschaftlichen Praxis liegt: Die Herden sind gewachsen, geeignete Weideflächen sind nicht hinreichend verfügbar, der Zäunungs-, Umtriebs- und Kontrollaufwand ist hoch und mit dem Arbeitskraftbesatz nicht zu bewältigen. Hier setzt das Projekt GreenGrass an. Dabei geht es darum, Technologien zu entwickeln, die die Weidewirtschaft systematisch verbessern und damit deren Attraktivität in der Praxis zu erhöhen. Eine Forschung für die Weidewirtschaft der Zukunft muss die folgenden Grundsätze berücksichtigen:
- Die Weide kann nicht als ein zusätzliches Element eines Tierhaltungssystems betrachtet werden, sie sollte vielmehr dessen Grundlage sein. Das bedeutet, dass Anpassungen auf der Ebene des Produktionssystems erforderlich sind. Um das System als Ganzes weiterentwickeln zu können, ist Expertenwissen aus verschiedenen Bereichen wichtig.
- Weidewirtschaft bedeutet, dass moderne Smart-Farming-Technologien, die in der Stallhaltung bereits weitverbreitet sind, weiterentwickelt und gezielt für die Weidewirtschaft genutzt werden.
- Die Weiterentwicklung der Weidewirtschaft kann die Wissenschaft nicht alleine bewältigen. Dafür müssen Akteurs- und Interessennetzwerke gebildet werden.
Im Zentrum steht das virtuelle Zäunen
Das Ziel ist, dass künftig auf sämtliche Binnenzäune eines Betriebes verzichtet werden kann. Aus Sicherheitsgründen soll lediglich der Außenzaun, der das gesamte Weideland umfasst, erhalten bleiben. Der virtuelle Zaun wird auf dem Smartphone auf einer geografischen Karte des Weidelandes gesetzt. Die Weidetiere tragen ein multifunktionales Halsband, das mit hoher zeitlicher Auflösung den genauen Aufenthaltsort und die Bewegung des Tieres erfasst. Nähert sich ein Tier dem virtuellen Zaun, sendet das Halsband ein akustisches Signal, das dem Tier die Nähe zum Zaun anzeigt. Die Melodie steigt an, je mehr sich das Tier auf den Zaun zubewegt. Wird der virtuelle Zaun überschritten, erhält das Tier einen elektrischen Impuls am Halsband. Die Stromstärke beträgt nur einen Bruchteil der eines Elektrozauns. Wissenschaftliche Untersuchungen konnten zeigen, dass Rinder innerhalb von maximal drei Tagen das Funktionsprinzip des virtuellen Zauns verstehen. Aufgrund der Warnung durch das akustische Signal lösen sie dann den elektrischen Impuls kaum mehr aus (siehe Grafik).
Die Hütesicherheit erwies sich als mindestens vergleichbar zum herkömmlichen elektrischen Weidezaun. Es gab keinerlei Indiz dafür, dass die Tiere einer stärkeren Stressbelastung ausgesetzt waren als beim Elektrozaun. Diese Befunde bestätigten auch internationale Forschungsarbeiten. Zusätzlich zur Funktion des virtuellen Zaunes können die Daten, die mit den Sensoren im Halsband der Tiere erhoben werden, künftig auch genutzt werden, um das Verhalten bzw. das Wohlbefinden auf der Weide zu überwachen.
Für ein erfolgreiches Weidemanagement ist es erforderlich, dass der Zustand der Grasnarbe im Verlauf der Weidesaison kontinuierlich erfasst wird. Das ist die Voraussetzung dafür, dass der virtuelle Zaun sachgerecht gesetzt werden kann. Hierfür werden Fernerkundungstechnologien angewendet und Algorithmen entwickelt, die Daten aus der Fernerkundung in Informationen zur Beschreibung der Grasaufwüchse umsetzen. Vorrangig zählen hierzu die stehende Futtermasse und die -qualität, die die Grundlage für die Futterzuteilung auf der Weide darstellen. An der Erfassung weiterer Merkmale der Grasnarbe wird intensiv gearbeitet, etwa in Bezug auf die Pflanzenartenvielfalt oder das Vorkommen schützenswerter Bereiche (z. B. Nester von Wiesenbrütern).
Zur Fernerkundung werden Drohnen und Satellitendaten verwendet
Drohnen ermöglichen eine hohe räumliche Auflösung der Aufnahmen, Satelliten hingegen liefern Daten mit gröberer räumlicher, aber hoher zeitlicher Auflösung.
In GreenGrass werden Daten aus der Fernerkundung und der Sensortechnik am Tier mithilfe einer speziell entwickelten IT-Lösung, dem sogenannten Mehrebenen-Informationssystem, zusammengeführt und dem Landwirt für sein Weidemanagement zur Verfügung gestellt. In welchem Maße sich das Weidemanagement durch diese technologischen Möglichkeiten verändern wird, ist bisher kaum erforscht. Sowohl sehr intensive Systeme mit Milchkühen, wo täglich oder halbtäglich frische Weidefläche zugeteilt wird (Rationsweide), als auch extensive Systeme, bei denen Bereiche mit artenreicher Vegetation, Wiesenbrütergelege oder Altgrasinseln zeitweilig von der Beweidung ausgeschlossen werden sollen, werden präzise gesteuert werden können.
Reallabore. Die Entwicklung und Einführung systemverändernder Technologien stößt nicht selten auf bürokratische oder rechtliche Hürden. Es kann auch mangelnde Akzeptanz bei den Produzenten, den Verbrauchern oder bei gesellschaftlichen Gruppen wie dem Tier- oder dem Naturschutz auftreten. Um solche Hemmnisse bereits bei der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zu erkennen und zu überwinden, wurden im GreenGrass-Projekt in drei verschiedenen Regionen sogenannte »Reallabore« eingerichtet. Dabei handelt es sich um Plattformen zum intensiven Austausch aller relevanten Akteursgruppen über die Projektziele, den Forschungsprozess sowie die Umsetzung in der Praxis. Die Reallabore gewährleisten eine kontinuierliche Rückkopplung der Forschungstätigkeiten mit den Interessen der Akteure. Das trägt zur Praxisrelevanz der Projektergebnisse bei.