
Lieferservice. Welche Qualitäten gefragt sind
Fast 7 Mrd. € gaben deutsche Kunden im vergangenen Jahr für frei Haus gelieferte Lebensmittel aus. Der Markt wächst jährlich zweistellig. Was hat das mit landwirtschaftlichen Rohstoffen zu tun? Viel, denn bei den meisten Bestellungen entscheidet der Preis, nicht Eigenschaften wie Qualität, Regionalität oder Bio.
Beim Griff in die Regale des Lebensmitteleinzelhandels bestimmt die Kaufkraft zunehmend den Inhalt des Einkaufskorbes. War laut dem Ernährungsreport der Bundesregierung 2022 für 47 % der Kunden das Merkmal »preiswert« kaufentscheidend, so waren das 2023 schon 57 %. Zu Angeboten griffen 2022 61 % der Befragten, ein Jahr später waren es 73 %. Darin spiegelt sich die angespannte wirtschaftliche Lage in Deutschland wider.
Zu wenig Zeit zum Kochen. Es gibt aber noch einen zweiten Trend, der dieses Kaufverhalten überlagert oder aber in Konkurrenz dazu steht: der knappe Faktor Zeit. Für 52 % aller Befragten ist die schnelle Zubereitung wichtig, bei jüngeren (unter 45 Jahre) sind es sogar 58 %.
Das hat nicht nur, aber auch mit der wachsenden Zahl der Single-Haushalte zu tun. Der Zusammenhang ist nicht unmittelbar ersichtlich, aber von Tragweite: Wer alleine wohnt, kocht für sich alleine und macht alleine den Abwasch. Auch die anderen Arbeiten in der Wohnung ruhen auf zwei statt mehreren Schultern. Die Konsequenz: Die Zubereitungszeit von Speisen wird wichtiger.
Das ist ein Langfristtrend seit den 50er Jahren. 1950 waren nur 6 % der Einwohner Singles (inkl. Witwen), und die stellten 19 % der Haushalte. Heute leben 20 % der Einwohner alleine und das sind 41 % der Haushalte. Rechnet man Alleinerziehende hinzu, so bestehen 65 % aller Haushalte nur aus einem Erwachsenen.
Der Markt für Essenslieferungen frei Haus wächst mit über 10 % im Jahr. Befriedigt wird das Bedürfnis nach einer schnellen Mahlzeit schon seit Langem durch sogenannte Convenience-Produkte, also vorgefertigte Speisen, in der Regel aus dem Kühlregal, die nur noch erhitzt werden müssen.
Schon immer gab es zudem den Lieferservice, in der Regel Pizza oder Pasta, oft auch asiatische Speisen. Schweinebraten mit Klößen gehörten aber nicht zum Produktsortiment der Lieferboten, in den Städten in der Regel Fahrradkuriere. Dieser Markt wächst weiter. 20 Mio. Menschen – also statistisch jeder Vierte – bestellen laut der Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMA) jeden Monat ein- oder mehrmals Essen bei einem Lieferservice.
Seit einigen Jahren kommen aber auch ganze Menüs warm an die Haustür. Das Internet macht’s möglich, denn auf Plattformen wie Lieferando oder Delivery Hero kann man alles bestellen. Gerade während der Restaurantschließungen in der Coronapandemie haben viele Gastronomen auf den Außer-Haus-Verzehr gesetzt und dieses Geschäftsmodell beibehalten. Allein Lieferando machte 2022 in Deutschland einen Umsatz von 690 Mio. €; alle Lieferdienste zusammen kamen nach
Angaben von Statista auf 6,7 Mrd. €, fast doppelt soviel wie noch im Jahr 2020
(3,8 Mrd. €), das war zumindest in der zweiten Jahreshälfte durch Corona beeinflusst war. Mit 40 % sind Pizzen weiterhin der wichtigste Umsatzträger.
Für 2028 gehen Prognosen von einem Umsatz in Deutschland von 11 Mrd. € aus. Damit kommt ein stark wachsender Teil der Speisen auf deutschen Tellern aus Lieferungen fertiger Gerichte.
Was bedeutet das für unsere Rohstoffe? Das Essen verlagert sich auf Vermarktungswege, deren Bestimmungsgrund in erster Linie der Preis ist, weniger die Produkt-
eigenschaften. Ja, man kann auch beim Lieferservice auf regionale Zutaten oder Bioartikel setzen. Aber in der Regel sind es spontane Bestellungen und sie sind preissensibel. Qualitativ hochwertige Fleisch-, Wurst- oder Käsespezialitäten dürften tendenziell eher weniger vertreten sein. Restaurants, die auf solche Zutaten achten, kochen hochwertig und lassen dies nicht durch Fahrradkuriere ausliefern.
Damit wächst der Markt in eine Richtung, die beim Rohwareneinkauf tendenziell sehr preissensibel ist und Zusatzleistungen der landwirtschaftlichen Erzeuger wenig oder gar nicht honoriert. Glutenfrei, vegetarisch oder vegan spielen schon viel eher eine Rolle. Aber über die Qualität der Zutaten oder über Eigenschaften, die besondere Preise erzielen, sagen diese Begriffe auch nichts aus. Alle drei gibt es auch im Billigsegment. Essen wird vielmehr auch in Zukunft noch stärker als bisher eine Frage des Marketings.