Organisation. Der Werkzeugkasten gehört aufgeräumt
Der Wissens- und Beratungsbedarf steigt ständig. Aber Grundlagenforschung, Feldversuche, regionale Anpassung und praktische Umsetzung passen immer seltener zueinander.
Was fehlt, ist die breite Umsetzung. Eine Ursache dafür ist, dass es oft um Schlagworte oder Einzelmaßnahmen geht, die praxistauglichen und wirtschaftlich tragfähigen Gesamtkonzepte, die allein zu den gewünschten Zielen führen, aber fehlen. Ohne eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Forschung, Beratung und landwirtschaftlichen Unternehmern bleiben derartige Konzepte, was sie aktuell oft sind: Papiertiger.
Zu oft fehlt solchen Konzepten auch das »letzte Ende«.
Landwirten sind Antworten wichtig, die zu ihrem Standort und ihren betrieblichen Gegebenheiten passen. In der Vergangenheit wurde solches Wissen von Beratungsinstitutionen bereitgestellt, deren Struktur sich je nach Region unterschied. Im Norden, Westen und Süden dominierten die Landwirtschaftskammern bzw. die Offizialberatung, während in den nordostdeutschen Bundesländern private Beratungsunternehmen prägend waren. Die Privatisierung hat aber auch vor der landwirtschaftlichen Beratung nicht Halt gemacht. Die vormals klare Struktur ist durch Beratungsringe, privatwirtschaftliche Anbieter oder Industrieangebote aufgebrochen worden. Landwirte müssen heute Informationen, die ursprünglich durch staatliche Institutionen bereitgestellt wurden, vermehrt von Unternehmen einkaufen.
Die Landwirtschaft in Deutschland steht vor komplexen Herausforderungen – aber die Voraussetzungen, diesen zu begegnen, sind grundsätzlich nicht schlecht. Ob es um die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffüberschüssen geht, um mehr Biodiversität, die Anpassung an den Klimawandel oder die Nutzung digitaler Möglichkeiten: Zahlreiche einzelne Bausteine, die zur Lösung beitragen können, sind wissenschaftlich erforscht und werden in Form von weiten Fruchtfolgen, mechanischer Unkrautbekämpfung oder teilflächenspezifischer Bewirtschaftung bzw. mit Begriffen wie »Integrierter Pflanzenbau« bereits weithin diskutiert.
Beratungsdienste leisten dabei nicht nur agronomische Unterstützung. Sie müssen sich zunehmend mit der wachsenden Komplexität rechtlicher Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Wo früher der Pflanzenbauberater primär für Detailfragen zuständig war, ist heute ein umfassender, systemorientierter Ansatz gefragt. Landwirte benötigen Beratung, die von der Gestaltung rechtssicherer und wirtschaftlich tragfähiger Fruchtfolgen bis hin zu präzisen Empfehlungen für die Anwendung von Betriebsmitteln reicht. Gleichzeitig eröffnet die Digitalisierung neue Möglichkeiten, beispielsweise durch die Nutzung von Sensordaten, satellitengestützten Anwendungen und datengetriebenen Managementtools.
Sie stellt jedoch auch neue hohe Anforderungen an Berater und Landwirte, um die Potenziale »auf den Acker« zu bringen. Denn die effiziente Nutzung digitaler Technologien erfordert eine enge Verzahnung von technischem Know-how und standortspezifischem agronomischem Wissen, um individuelle Betriebsbedingungen optimal zu berücksichtigen.
Damit Beratungsunternehmen diese Anforderungen erfüllen können, benötigen sie Zugang zu standortspezifischem Wissen. Wissenschaftliche Arbeiten stellen dieses Wissen jedoch nur selten anwendungsorientiert bereit. Eine Ursache liegt darin, dass die Fragen aus der Praxis zunehmend komplexer werden und das Gesamtsystem adressieren, während wissenschaftliche Untersuchungen in den meisten Fällen einzelne Detailfragen analysieren.
Ein Ansatz, dieser Herausforderung zu begegnen, liegt in kooperativer, praxisorientierter Forschung. In diesem Zusammenhang fallen in Wissenschaft und Politik häufig die Begriffe On-Farm Research (auch als Praxisforschung übersetzt), Reallabor oder Living Lab. On-Farm Research bezieht sich vergleichsweise allgemein auf Versuche, die Landwirte selbst auf ihren Betrieben umsetzen und dabei wissenschaftlich methodische Grundsätze so weit wie möglich einhalten. Reallaboren und Living Labs liegt trotz einer bisher fehlenden, allgemein anerkannten Definition zugrunde, dass Innovationen in »real-weltlichen« Umgebungen – also in unserem Fall in der landwirtschaftlichen Praxis – entwickelt werden.
On-Farm Research fokussiert häufig konkrete Einzelfragen, ist also im engen Sinne nur bedingt geeignet, Anbausysteme weiterzuentwickeln. Die Konzepte für Reallabore bzw. Living Labs sind hingegen sehr allgemein und breit, sodass es sinnvoll scheint, sie für eine Anwendung in der Landwirtschaft bzw. im Ackerbau weiterzuentwickeln und den Fokus von der breiten Einbindung der Öffentlichkeit auf die praktische Landwirtschaft zu verschieben. Beide Konzepte bieten jedoch wichtige Ausgangspunkte für die Weiterentwicklung von Ackerbausystemen: Landwirte müssen beteiligt werden, Versuche sind praxisnah umzusetzen. Daneben sollten wissenschaftliche Mindeststandards eingehalten werden. So ergibt sich ein Rahmen, in dem Landwirte, Wissenschaftler und weitere Beteiligte eng zusammenarbeiten können. Alle bringen ihr Wissen ein, um für die Praxis anwendbare Ergebnisse zu generieren. Die Relevanz solcher »Bottom-up«-Modelle ist auch von Beratungsunternehmen erkannt worden, die sich vielfältig an derartigen Projekten beteiligen.
On-Farm Research fokussiert häufig konkrete Einzelfragen, ist also im engen Sinne nur bedingt geeignet, Anbausysteme weiterzuentwickeln. Die Konzepte für Reallabore bzw. Living Labs sind hingegen sehr allgemein und breit, sodass es sinnvoll scheint, sie für eine Anwendung in der Landwirtschaft bzw. im Ackerbau weiterzuentwickeln und den Fokus von der breiten Einbindung der Öffentlichkeit auf die praktische Landwirtschaft zu verschieben. Beide Konzepte bieten jedoch wichtige Ausgangspunkte für die Weiterentwicklung von Ackerbausystemen: Landwirte müssen beteiligt werden, Versuche sind praxisnah umzusetzen. Daneben sollten wissenschaftliche Mindeststandards eingehalten werden. So ergibt sich ein Rahmen, in dem Landwirte, Wissenschaftler und weitere Beteiligte eng zusammenarbeiten können. Alle bringen ihr Wissen ein, um für die Praxis anwendbare Ergebnisse zu generieren. Die Relevanz solcher »Bottom-up«-Modelle ist auch von Beratungsunternehmen erkannt worden, die sich vielfältig an derartigen Projekten beteiligen.
Die Intensität der Zusammenarbeit kann dabei sehr verschieden sein. Grafik 1 zeigt Beispiele für Praxisforschungsprojekte mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Im ersten Quadranten ist beispielsweise das Projekt Demonstrationsbetriebe integrierter Pflanzenschutz (»Demo IPS«) zu finden. Ein Grad der Zusammenarbeit im mittleren Bereich ergibt sich, weil die Projektbetriebe ihre Erfahrungen miteinander diskutieren konnten. Im zweiten Quadranten sind Projekte zu finden, bei denen sowohl die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Betrieben als auch die Weiterentwicklung wichtig sind. So arbeiten im Projekt »Nutrinet« ökologisch wirtschaftende Betriebe daran, ihre Nährstoffe effizienter zu nutzen. Sie treffen sich regelmäßig im Rahmen des Projektes zu »Field-Schools« und legen auf ihren Flächen darüber hinaus Praxisversuche an (Seite 22). Im Quadranten unten links sind Projekte eingeordnet, die vornehmlich auf die Verfahrensdemonstration ausgerichtet sind. So wurden im Soja-Netzwerk »Best-practice«-Beispiele zum Anbau demonstriert, ohne dass es zwischen den beteiligten Betrieben einen systematischen Austausch über die eigenen Erfahrungen gab. Im vierten Quadranten steht die Verfahrensentwicklung im Fokus. Ein Beispiel hierfür ist das On-Farm-Projekt auf Gut Helmstorf in Schleswig-Holstein. Dort wurden Precision-Farming-Technologien, vor allem zur teilflächenspezifischen Bewirtschaftung, evaluiert und hinsichtlich der betriebsspezifischen Anwendung weiterentwickelt. Das Projekt wurde jedoch nur auf einem einzigen Betrieb durchgeführt, sodass ebenfalls kein systematischer Austausch zwischen verschiedenen Landwirten zustande kommen konnte.
Wo bleibt der Systemansatz? Bereits diese Beispiele zeigen, dass viele »Bottom-up«-Ansätze einen Fokus auf konkrete Einzelfragen oder die Demonstration von »Best-practice«-Beispielen gelegt haben, anstatt das Gesamtsystem Ackerbau in den Blick zu nehmen und es weiterzuentwickeln. Hierfür gibt es unterschiedliche Gründe:
- Konkrete Einzelfragen lassen sich einfacher in typischen Förderperioden von drei bis maximal fünf Jahren bearbeiten.
- Die Analyse und Weiterentwicklung von Anbausystemen sind sehr komplex und erfordern umfangreiche Ressourcen. Diese können landwirtschaftliche Betriebe in der Regel ohne finanzielle Unterstützung nicht bereitstellen. Zu den notwendigen Ressourcen zählen insbesondere Personal zur Betreuung der Umsetzung und Analyse der Wirkungen, eine ausreichend lange, bisher kaum erreichte Projektlaufzeit von mindestens sechs Jahren und die Erstattung von im Rahmen der Erprobung gegebenenfalls erlittenen finanziellen Einbußen.
Also gilt es die Konzepte weiterzuentwickeln. Am Thünen Institut wurde ein Vorschlag für »regionale Forschungswerkstätten im Ackerbau« entwickelt. Eine regionale Forschungswerkstatt besteht aus dem Arbeitskern mit Regionalkoordinator und den beteiligten Landwirten (Grafik 2). Daneben sind Berater, Wissenschaftler und sonstige Experten, z. B. aus der Landtechnik, Teil einer Forschungswerkstatt. Gemeinsam mit den Kernakteuren konkretisieren sie zunächst die zu untersuchenden Herausforderungen, um anschließend gemeinsam Lösungsansätze zu entwickeln. Die Zusammenarbeit ist durch intensiven Austausch charakterisiert. Die Landwirte sind in den Forschungswerkstätten elementar wichtig. Ihre Rolle geht weit über die rein praktische Umsetzung hinaus. Ihre Erfahrungen sind entscheidend für die Identifizierung der Problemstellungen und für die Lösungsentwicklung.
Ein großes »Aber« ist dabei. Eine solche Zusammenarbeit verursacht einen erheblichen Koordinationsaufwand z. B. für die Organisation von Projekttreffen, die Kommunikation mit allen Beteiligten oder administrative Tätigkeiten. Insbesondere die Etablierung benötigt ausreichend Zeit und Ressourcen. Das umfasst zunächst die Identifikation, Auswahl und Integration der Beteiligten sowie anschließend den Aufbau von Organisations- und Kommunikationsstrukturen als auch bei Bedarf die Einbindung weiterer Experten. Je nach Projektgröße kann eine Vorlaufzeit von einem Jahr schnell vorbei sein. Ohne dass die praktische Umsetzung in Sicht ist! Neben der organisatorischen und inhaltlichen Vorbereitung der praktischen Arbeiten, benötigen möglicherweise notwendige Ausschreibungen und die Klärung juristischer Fragen Zeit. Für diese Aufgaben empfiehlt sich die Anstellung eines fachlich versierten Koordinators, der gleichzeitig als Bindeglied zwischen Praktikern und Wissenschaftlern fungiert.
Darüber hinaus ist, wie bereits erwähnt, für den Ackerbau standortspezifisches Wissen erforderlich. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, regionale Forschungswerkstätten für unterschiedliche Standorte zu etablieren. Diese sollten miteinander vernetzt werden, um Doppelarbeiten zu vermeiden. Parallel zur Vernetzung erscheint eine übergeordnete Dateninfrastruktur zweckmäßig, um die vielen Daten für pflanzenbauliche, ökonomische und ökologische Analysen digital ablegen zu können.
Mit einer für zahlreiche Projekte nutzbaren Dateninfrastruktur können ressourcenintensive Mehrfachstrukturen vermieden und auch Synergien bei der Analyse geschaffen werden.
Zu guter Letzt bleibt die Frage nach den Zielen. Ein Teil der Herausforderungen, mit denen sich die landwirtschaftliche Praxis konfrontiert sieht, ist nicht rein produktionstechnischer Natur, sondern begründet sich in gesellschaftlichen bzw. landschaftsökologischen Anforderungen. Diese Ziele werden nach wie vor intensiv diskutiert. Die Praxis braucht aber verlässliche Leitlinien, damit in Praxisforschungsnetzwerken konkrete und praktisch umsetzbare Weiterentwicklungen effizient erarbeitet werden können. Dafür müssen die gesellschaftlichen Anforderungen an künftige Anbausysteme weitestgehend feststehen.
Die Erarbeitung dieser gesellschaftlichen Zielgrößen geht jedoch weit über die Ressourcen kooperativer Praxisforschungsprojekte hinaus und bedarf eines Konsenses der breiten Mehrheit der gesellschaftlichen Stakeholder, wie er z. B. in den Leitlinien der Zukunftskommission Landwirtschaft erzielt werden konnte. Darüber hinaus ist es erforderlich, derartige Leitlinien anschließend in (rechtliche) Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft zu überführen, was bisher noch nicht geschehen ist.