
Tierschutz. Wie nah sind wir dem Ringelschwanz?
Der Kupierverzicht wird politisch weiter vorangetrieben, das zeigt nicht zuletzt die aktuelle Novelle des Tierschutzgesetzes. Doch davon, auf das Kürzen der Schwänze in der Breite der Betriebe verzichten zu können, sind wir weit entfernt. Zu vielfältig sind die Ursachen für Schwanzbeißen und zu hoch ist der Kostendruck.
Tiere mit angefressenen Schwänzen – das ist der Supergau für jeden Schweinehalter. Mit diesen Bildern im Kopf ist es schwer vorstellbar, auf das Schwanzkupieren bei Ferkeln zu verzichten. Dennoch ist der Weg zu einem kompletten Verbot vorgezeichnet. Die Signale aus Politik und Gesellschaft sind unmissverständlich. Für die Praxis wäre ein kurzfristiges Kupierverbot und damit ein Vorpreschen Deutschlands im EU-Kontext eine absolute Hiobsbotschaft – sowohl aus Tierschutzgründen als auch mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit.
Das Kupieren ist EU-weit verboten
Das Kupieren von Ferkelschwänzen ist in der EU grundsätzlich verboten und nur im Einzelfall mit ausdrücklicher Begründung zulässig. Diese Ausnahmeregelung wird in vielen EU-Mitgliedsländern, so auch in Deutschland, immer noch angewendet. In einem Großteil der Betriebe werden die Schwänze routinemäßig gekürzt, um späteres Schwanzbeißen in der Ferkelaufzucht und Schweinemast zu verhindern.
Die Ursachen für diesen Kannibalismus sind komplex und aufgrund sehr individueller Betriebssituationen in ihrer Wirkung kaum vorhersagbar. Zudem beschränkt sich das Problem nicht auf die konventionelle Schweinehaltung, sondern kann auch in extensiven Haltungsverfahren, in der ökologischen Haltung sowie in der Freilandhaltung auftreten. Bei der Umsetzung des Kupierverbots unter den derzeitigen Bedingungen muss mit einer hohen Schwanzverletzungsquote durch Beißen gerechnet werden.
Die aktuelle Novelle des Tierschutzgesetzes
Ein generelles Ende der Ausnahmeregelung zum Kupierverbot ist auch durch die anstehende Novelle des Tierschutzgesetzes nicht geplant. Es kommt jedoch zu einer deutlichen Verschärfung der Voraussetzungen, unter denen Ferkelschwänze im Einzelfall gekürzt werden dürfen. Dafür sollen Schweinehalter alle vier Monate statt bisher jährlich eine Risikoanalyse durchführen, die Schwanzverletzungen dokumentiert. Ist ein gewisser Prozentsatz erreicht, darf kupiert werden. Diese Schwelle soll zudem von 2 auf 5 % angehoben werden. Damit würde der bisher gültige Aktionsplan Kupierverzicht nicht 1:1 in das Gesetz aufgenommen, wofür sich Verbände und auch der Bundesrat ausgesprochen haben. Besonders problematisch ist die strikte gesetzliche Festlegung des maximalen Anteils der Schwanzkürzung auf ein Drittel. Da nur die deutschen Ferkelerzeuger diese Vorgabe erfüllen müssten, befürchtet die Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) einen Austausch von deutschen Ferkeln durch Importferkel. Abgesehen davon, lässt sich diese Vorgabe nur schwer kontrollieren, da die Ausgangslänge sehr individuell ist.
Das Problem in Zahlen. Aus einer Zusammenstellung von verfügbaren Daten durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geht hervor, dass Schwanzbeißen in der EU in 30 bis 70 % der Betriebe auftritt und schätzungsweise 3 % der kupierten Tiere betroffen sind. Bei unkupierten Tieren zeigen Untersuchungen aus Finnland, dass etwa 50 % mit intakten Schwänzen zur Schlachtung kommen, unter den extensiven Produktionsbedingungen der Schweiz sind es 60 %.
Das deutsche Förderprogramm zum Umbau der Nutztierhaltung erstattet laufende Kosten besonders tiergerechter Haltungsformen nur, wenn ab 2027 70 % unversehrte Schwänze eingehalten werden.

Ursachenforschung – es liegt nicht allein an der Haltungsumgebung. Als das Thema Kupierverzicht vor vielen Jahren aufkam, war die Haltungsumgebung der erste Ansatzpunkt. Damals glaubte man, allein davon sei abhängig, ob es zu Schwanzbeißen kommt. Heute ist das Bild deutlich differenzierter. Doch häufig steht in der politischen Diskussion immer noch das Thema Haltungsumgebung im Fokus. Vielleicht auch, weil es einfach ist, hierzu Vorgaben zu machen, die dann leicht »per Zollstock« kontrollierbar sind.
Eine große Anzahl an Forschungsvorhaben haben einen Strauß an möglichen Ursachen für das Schwanzbeißen zutage gebracht. Betroffen sind quasi alle Bereiche des Managements im Schweinestall: Stoffwechselprobleme, Fütterung, Haltungsumgebung, Gesundheit, Toxine, Ruhebedürfnis, Genetik, Wasserversorgung, Thermoregulation und vieles mehr. So entstand der Begriff »multifaktorielles Geschehen«, der auch eine gewisse Resignation hervorrief. Durch weitere Forschung und die Systematisierung des Problemfelds in den letzten fünf bis zehn Jahren weiß man, dass es nicht nur primären Kannibalismus gibt, also das Anbeißen eigentlich intakter Schwänze. Vielmehr müssen solche Fälle unterschieden werden, bei denen Schwanzentzündungen und -nekrosen ohne Zutun anderer Schweine auftreten oder Schwanzbeißen erst sekundär, infolge der Entzündungsvorgänge entsteht. Die Fokussierung auf die Ursachen für das primäre Schwanzbeißen dürfte also nicht ausreichen, um eine Lösung für das bestehende Dilemma zu finden.
Systemwechsel notwendig
Fachleute sehen einen Teil der Lösung darin, Landwirte und Tierärzte noch wesentlich intensiver auf Anzeichen, die die Tiere zeigen, zu schulen und Zusammenhänge zu erkennen. Diese Hinweise sind dann zu nutzen, um betriebsindividuelle Verbesserungen herbeizuführen. Doch das allein wird einen Kupierverzicht nicht möglich machen, sind Experten überzeugt. Die Erfahrungen aus der Praxis sowie die Ergebnisse von Projekten zeigen, dass die Haltung von Schweinen mit unkupierten Schwänzen – auch bei Einhaltung aller bisher vorhandenen Empfehlungen – in dem momentan in Deutschland üblichen System eine große Herausforderung darstellt. Für das Gros der Schweine haltenden Betriebe bedarf es weiterer Erforschung und Erprobung praktikabler und dauerhafter Lösungen, insbesondere unter Berücksichtigung vorhandener Ställe.
Hinzu kommt, dass neben vielen anderen Faktoren die Genetik eine wesentliche Rolle spielt. Doch derzeit ist dem Einzelbetrieb ein Genetikwechsel aus ökonomischen Gründen gar nicht möglich. Dieser würde durch bestehende Abrechnungsmasken der Schlachthöfe massiv abgestraft. Mit Piétrain-Genetik den Ringelschwanz hinzubekommen dürfte allerdings schwer werden. Das bestätigt auch ein Blick in Länder wie Schweden, Finnland oder die Schweiz, in denen bereits ein generelles Kupierverbot gilt. Die dort eingesetzte Genetik unterscheidet sich deutlich von der hiesigen.
Interview: »Das Thema Kupierverzicht wird nicht mehr verschwinden«

Herr Hofmann, sind wir in Deutschland beim Verzicht auf das Schwanzkupieren auf dem richtigen Weg?
In kaum einem anderen Land werden so hohe Tierschutzstandards erreicht wie bei uns. Trotzdem stehen die Tierhalter angepassten Tierschutzstandards weiterhin offen gegenüber. Deshalb stehen wir hinter der Strategie, die der Aktionsplan Kupierverzicht vorgibt, um sich der Haltung unkupierter Schweine schrittweise anzunähern. Die Schweinehalter haben hierdurch bereits viel zum Kupierverzicht beigetragen und viele Erkenntnisse gesammelt. Wir befürworten, dass mit der anstehenden Novelle des Tierschutzgesetzes der Aktionsplan Kupierverzicht rechtsverbindlich wird. Denn dass wir auf diesem Pfad weitergehen müssen, ist unausweichlich.
Was ist dann Ihre Kritik an der Novelle des Tierschutzgesetzes?
Aus unserer Sicht ist es unverständlich, warum die bisherigen Bemühungen nun durch Risikoanalysen und die damit verbundene Papierflut alle vier Monate statt jährlich untergraben werden sollen. Zudem halten wir die Erhöhung der Verletzungsschwelle von 2 auf 5 %, bei der Tierhalter mit dem Kupieren beginnen dürfen, für äußerst problematisch. Praktisch wird das zu erheblichem Tierleid im Stall führen. Denn nach wie vor gibt es keine Patentlösung zur Bekämpfung von Schwanzbeißen. Ein Erzwingen des Langschwanzes mit der gesetzgeberischen Brechstange, ohne Absicherung des Erfolgs und dem Ausgleich des damit verbundenen Mehraufwands, wird sicherlich nicht hilfreich sein.
Welche Folgen befürchten Sie?
Die Verschärfungen beim Kupierverbot würden Mehrkosten in Milliardenhöhe verursachen. Dadurch verlieren wir hiesige Schweinehaltung zugunsten von Importen mit niedrigeren Standards. Damit ein Kupierverzicht gelingen kann, müssten alle europäischen Mitgliedstaaten wirklich an einem Strang ziehen. Nationale Alleingänge führen nur zu wirtschaftlicher Benachteiligung.
Tragischerweise ist allen bewusst, dass die in der Novelle des Tierschutzgesetzes vorgesehenen Maßnahmen kaum etwas zur erfolgreichen Haltung von unkupierten Schweinen beitragen werden. Hingegen wurden Anreizmodelle wie z. B. die Ringelschwanzprämie in Niedersachsen, die die Haltung unkupierter Schweine wirklich vorangetrieben haben, eingestampft.