
Portrait. Boden gut, alles gut
Die natürliche Ertragskraft seiner Böden zu fördern, ist Alexander Klümper eine Herzensangelegenheit. Von einem festen »Regelwerk« für die Regenerative Landwirtschaft hält der Ackerbauer aus Bias in Sachsen-Anhalt allerdings wenig. »Wichtig ist doch eigentlich nur, dass wir es morgen besser machen als gestern«, sagt er.
Der Standort ist nicht gerade ein Eldorado des Ackerbaus: Sandige Böden mit Ackerzahlen von 18 bis 55, im Schnitt 450 mm Jahresniederschlag, regelmäßig eine ausgeprägte Vorsommertrockenheit und hohe Verdunstungsraten. Doch wie so oft sind es genau derartige Herausforderungen, die Innovationen und Kreativität befeuern. Für Alexander Klümper haben diese Standortbedingungen den Ausschlag gegeben, sich intensiv mit der Direktsaat zu beschäftigen – und seinen Betrieb letztlich komplett darauf umzustellen. Der minimale Eingriff in den Boden ist in den Augen des Landwirts der Ausgangspunkt für eine Regenerative Bewirtschaftung, wie er sie versteht.
Alexander Klümper gehört zu den Vorreitern der Regenerativ-Bewegung in Deutschland. Er hat einen eigenen YouTube-Kanal, über den er fortlaufend seine Erfahrungen teilt, hält Vorträge und engagiert sich in verschiedenen Foren und Gremien. Ihn treibt dabei der Gedanke eines bodenaufbauenden Systems an, das auch in den kommenden Jahrzehnten eine ökonomisch und ökologisch tragfähige Bewirtschaftung sichert. Die Art Ackerbau, die heute in vielen Betrieben Standard ist, sieht er nicht als zukunftsfähig. »Die Grenzen zeichnen sich immer deutlicher ab: durch Resistenzprobleme bei Unkräutern und Krankheitserregern, Boden- und Nährstoffverluste sowie zunehmende Ertragsdepressionen«, so der Landwirt. In seinen Augen wird viel zu intensiv gearbeitet und zu viel »Symptombekämpfung« betrieben. Klümper möchte stattdessen auf seinem Betrieb im Landkreis Anhalt-Bitterfeld in Sachsen-Anhalt ein sich weitgehend selbsttragendes System schaffen.
Von einem festen Korsett für die Regenerative Landwirtschaft und dem »geschäftsgetriebenen Hype« darum hält der gebürtige Münsterländer jedoch nichts. »Jeder Standort und jeder Betrieb hat seine Eigenheiten. Da ist es nahezu unmöglich, mit bestimmten vorgeschriebenen Maßnahmen dasselbe Ergebnis zu erreichen. Es gibt so viele Werkzeuge im Ackerbau – da wäre es fast schon fahrlässig, einige davon kategorisch auszuschließen«, sagt er.
Die komplexe Welt des Bodens
»Jeder Landwirt hat mal gelernt, dass sowohl physikalische als auch chemische und biologische Faktoren dazu beitragen, den Boden in seiner Funktionalität zu erhalten bzw. zu stärken. Leider ist die Biologie in den vergangenen Jahren zunehmend ins Hintertreffen geraten. Inzwischen nimmt das Bewusstsein für die Bedeutung bodenbiologischer Einflüsse aber wieder merklich zu«, so Klümper. Für ihn ist vor allem anderen der Verzicht auf jegliche Bodenbearbeitung die Grundvoraussetzung für einen gesunden Boden. Er rät jedoch eindringlich davon ab, von heute auf morgen darauf umzustellen. Schon im Jahr 2002 war er nach jahrelanger konsequenter Mulchsaat kurz davor, gänzlich Abstand von der Bodenbearbeitung zu nehmen. Rückblickend ist er aber froh, erst im Jahr 2015 den ersten Schritt in Richtung Direktsaat gemacht zu haben. »Uns hätte damals schlichtweg noch das Wissen dazu gefehlt«, gesteht Klümper. Und dieses Wissen hat er sich im Laufe der Jahre über intensive Literatur-Recherchen, den Austausch mit Wissenschaftlern und anderen Direktsäern sowie Bildungsreisen in die verschiedensten Länder der Welt angeeignet. Heute weiß er: »Es ist entscheidend, die Zusammenhänge zu verstehen und zu realisieren, dass es mit dem schlichten Unterlassen der Bodenbearbeitung nicht getan ist. Zur Direktsaat gehört viel mehr. Es ist ein System, das nur mit angepassten Fruchtfolgen, Zwischenfrüchten und der richtigen Technik funktioniert. Und man muss natürlich seinen Standort kennen.« Bei der Bodenanalyse setzt Klümper inzwischen auf die Kinsey-Untersuchung – wohlwissend, dass es unter den Gelehrten in Deutschland geteilte Meinungen zu dieser Methodik gibt. Doch auf seinen Flächen haben ihm die aus der Untersuchung abgeleiteten Empfehlungen am meisten weitergeholfen. Das betraf zum Teil Defizite bei Magnesium, aber mancherorts auch bei Bor, Zink und Kupfer. Klümpers Rat an Berufskollegen: »Wer sich unsicher ist, sollte einfach mal ein größeres Feld in zwei Hälften teilen, eine Hälfte in Mulchsaat bestellen und die andere in Direktsaat. Um dann beide Systeme vergleichend zu prüfen, muss man anschließend beide Hälften nochmals zweiteilen und den Boden in der Mitte beispielsweise nach Kinsey untersuchen lassen sowie an den Rändern standardmäßig nach LUFA.«
Warum kann die Direktsaat in Deutschland heute besser funktionieren als zu Zeiten der ersten Vorstöße in den 1990er Jahren? Klümper ist überzeugt, dass der Schlüssel dazu in dem intensiven Wissenstransfer liegt. »Heute ist der Austausch über Gruppenchats oder Social Media viel einfacher und schneller möglich als vor 20 Jahren – und das weltweit. Außerdem war das Wissen über Zwischenfrüchte damals noch recht rudimentär, es gab keine Direktsaattechnik ›von der Stange‹, und von alternativen Bodenuntersuchungsverfahren war überhaupt noch keine Rede. Und trotzdem sind nicht alle Pioniere aus den Neunzigern wieder zurückgerudert. Wer heute einsteigen möchte, kann also von deren Erfahrungen profitieren«, sagt er.
Neben dem knappen Wasser war ein massives Trespenproblem in der Gerste im Jahr 2014 für Klümper der entscheidende Auslöser, sich intensiv mit der Direktsaat zu beschäftigen. »Das hat richtig Ertrag und Geld gekostet. Um die Trespen wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen, musste ich außerdem in der restlichen Fruchtfolge sehr teure Herbizide einsetzen«, berichtet der Landwirt. Viele Berater und Praktiker haben zu dem Zeitpunkt geraten, wieder einmal in der Rotation zu pflügen. Doch das kam für Klümper nach 20 Jahren Mulchsaat nicht infrage. Stattdessen fiel seine Wahl auf das andere Extrem. Nach relativ kurzer, aber intensiver Lernphase drillte er 2015 den Weizen das erste Mal in Direktsaat. Danach hat er über drei Jahre jeweils ein Drittel der insgesamt 500 ha Betriebsfläche umgestellt. »Durch diese recht schnelle Umstiegsphase gab es auch einige Bauchlandungen«, gibt Klümper offen zu. »Hier in der Region kommt Weizen nach Körnermais beispielsweise grundsätzlich schlecht weg. Und nach Direktsaat waren die Ertragseinbußen noch größer.« Daher hat der Landwirt seine Fruchtfolge angepasst. Aus der einst betriebswirtschaftlich optimierten Rotation Raps – Weizen – Gerste ist inzwischen eine fünfgliedrige geworden. Nach dem Weizen sorgen tiefwurzelnde Zwischenfrüchte für eine Art »Bio-Strip-Till«. Anschließend folgen Körnermais, Erbsen, Wintergerste und Raps mit Untersaat. Sofern die Witterung es zulässt, sät Klümper auch nach Erbsen, Gerste oder Raps eine Zwischenfruchtmischung ein. Und selbst nach Körnermais wird bei rechtzeitiger Ernte noch ein Roggen eingestreut. Ist es nicht zu trocken, stehen also in jedem Jahr Zwischenfrüchte auf den Feldern.
Einsparungen schaffen einen finanziellen Puffer. Nach neun Jahren Direktsaat zeigen sich bereits viele positive Effekte. Und das auf ganz verschiedenen Ebenen: »Seit der Anschaffung der Cross Slot-Direktsaatmaschine habe ich keine neue teure Technik mehr gekauft. Meine beiden Schlepper machen deutlich weniger Stunden, und der Verschleiß an den Maschinen ist minimal, weil es bei der Arbeit nicht staubt. Außerdem ist mein Arbeitsaufwand insgesamt geringer, und der Dieselverbrauch hat sich deutlich reduziert. Während ich zu Mulchsaatzeiten etwas über 50 l/ha benötigt habe, sind es heute zwischen 32 und 35 l/ha«, berichtet Klümper.
Noch entscheidender ist für ihn aber der reduzierte Aufwand an Pflanzenschutz- und Düngemitteln. Für Getreidefungizide gibt er heute je nach Jahr zwischen 5 und 25 €/ha aus. Bei Raps werden zwischen 30 und 60 % weniger Insektizide eingesetzt, bei Getreide ist meist gar kein Insektizid nötig. Den geringeren Krankheitsdruck führt der Ackerbauer vor allem auf eine verbesserte Nährstoffdynamik und die Bodenbiologie zurück. Um Glyphosat kommt er allerdings nicht herum. Zur Saat der Hauptkulturen werden pro Jahr jeweils 1 l/ha ausgebracht.
Durch den verminderten Insektizideinsatz gibt es außerdem kaum Probleme mit Schnecken: »Zwar sind Schnecken in unserer Region ohnehin von untergeordneter Bedeutung. Aber wenn mal welche da sind, dann räumen die Laufkäfer auf«, so Klümper. Mäuse sind dagegen häufiger zu finden. Für deren Bekämpfung muss er etwa 5 € pro ha und Jahr einkalkulieren.
Phosphor, Kali und Kalk werden auch deutlich weniger benötigt als zu Mulchsaatzeiten. Bei der Stickstoff- und Mikronährstoffdüngung setzt Klümper in Getreide und Raps auf das Cultan-Verfahren. Da ASL vergleichsweise preisgünstig ist, werden auch hier Kosten gespart. Erbsen benötigen keinen Dünger, und der Mais erhält im Schnitt 20 kg N/ha unterfuß zur Saat. Außerdem bringt der Landwirt in der Regel vor dem Mais in der Zwischenfrucht HTK oder Gärreste aus. In dem Fall – und auch bei der Kalkung – muss er auf den kleinen Arealen, auf denen abgeladen wird, ausnahmsweise mal grubbern (ca. 0,1 % der Betriebsfläche). »Andernfalls würde dort im nächsten Jahr nichts wachsen.«
Um den Pflanzen einen guten Start zu ermöglichen, sortiert Klümper für die Aussaat nur die größten Körner aus. Diese haben nicht nur eine höhere Keimkraft, die Direktsaat funktioniert mit großkörnigen Kulturen grundsätzlich besser als mit kleinkörnigen. Außerdem werden dem Saatgut (abgesehen von Raps) im betriebseigenen Mischer 1 bis 1,5 % Kompost beigefügt.
Stellt Klümper alle Einsparungen den für die Direktsaat erforderlichen Maßnahmen wie Zwischenfrüchte oder die teureren Bodenanalysen gegenüber, bleibt immer noch ein finanzieller Puffer. Damit kann er auch besser darüber hinwegsehen, wenn mal »etwas gegen den Baum läuft«.
Und die Erträge?
»Bei Weizen, Gerste, und Mais liegen wir meist über den Erträgen der Mulchsaat, selten niedriger. Bei Raps ist es andersrum – also selten höher und oft niedriger«, berichtet Klümper. Die Erbsen sind eher ein »notwendiges Übel«. Hier schwanken die Erträge je nach Jahr stark. Allerdings bringen sie für die Fruchtfolge sehr viele Vorteile.
Einige Wünsche hätte der Landwirt noch. So wäre z. B. die Aussaat in lebende Zwischenfrüchte für das Bodengefüge und die Bodenbiologie optimal. Das lassen aber die geringen Niederschlagsmengen an dem Standort nicht zu. Gleiches gilt für das Mob Grazing: »Gern würde ich Tiere auf meine Flächen schicken. Aber auch hier sind die Möglichkeiten in der Region begrenzt. Es gibt nur noch wenige Tierhalter.« Und selbst in die Tierhaltung einzusteigen, ist für ihn keine Option.
Langsam lernen, langsam wachsen. Für all diejenigen, die mit der Direktsaat liebäugeln, hat Klümper ein paar Ratschläge: »Bloß nichts überstürzen. Massive Fehler kosten richtig Geld und sorgen für Frust. Strip Till ist eine gute ›Einstiegsdroge‹. Ich kenne einige Landwirte, die darüber zur Direktsaat gekommen sind. Und man muss sich auch nicht gleich eine eigene Maschine zulegen. Inzwischen gibt es fast in jedem Landkreis Praktiker, Lohnunternehmer oder Maschinenringe, die Strip Till- oder Direktsaattechnik vorhalten. Mit der kann man dann versuchsweise auf einer Fläche anfangen. Aber etwas Veränderungswille gehört schon dazu. Viele Prinzipien, die wir über Jahrzehnte gelernt und gelebt haben, müssen wir über Bord werfen.« Genau das hat Klümper in den vergangenen Jahren getan und vor weiteren Herausforderungen scheut er sich nicht. Wichtig sei doch letztlich nur, es morgen besser zu machen als gestern.