Portrait. Auf einer Grünland-Insel inmitten von Ackerbau
Der Betrieb von Tim Müller in Ostholstein wäre bei einer Moorvernässung in seiner Existenz bedroht. Er wirbt für regionale und individuelle Lösungen und regt die Berufskollegen zur Eigeninitiative an. Denn jedes Moor sei anders und komplex.
Tim Müller wirtschaftet auf einer, wie er es nennt, »Grünland-Insel« inmitten der Ackerbauregion Ostholstein und hält dort 340 Milchkühe. »Vielen war es gar nicht so klar, dass wir hier in dieser Region überhaupt über das Thema Moore nachdenken müssen und eine so ausgeprägte Betroffenheit besteht«, berichtet der 34-jährige Landwirt.
Tim Müllers Familie wirtschaftet seit 1956 in Koselau in Ostholstein. Zu dem kleinen Siedlungsbetrieb, den die Großeltern aus Ostpreußen übernahmen, gehörten schon damals einige Moorflächen. Es lag nahe, den Fokus des Betriebes auf die Milchviehhaltung zu legen, da die Moorflächen in keiner anderen Weise nutzbar gewesen wären.
Es war in den 30er Jahren politischer Wille, die Moorflächen für die Lebensmittelerzeugung zu gewinnen und aus diesem Grund zu entwässern und trockenzulegen.
In der nächsten Generation wurde die Milchviehhaltung auf 120 Kühe ausgeweitet. Schon während seines Studiums an der Fachhochschule in Rendsburg beschlossen Tim Müller und seine Familie, einen neuen Stall zu bauen und den Tierbestand deutlich zu erweitern. Das war 2014. Es folgten Fahrsilos, Jungtierbereich und die nötige Infrastruktur zur Vergrößerung des Betriebes. Ein wichtiger Punkt dabei war es, dass die Flächen zur Futtergewinnung und für den Weidetrieb nachziehen mussten. Da etwa zur selben Zeit ein Nachbar mit der Milchproduktion aufhörte, ergab sich die Möglichkeit, weitere Moorflächen zu pachten. Heute nutzt Familie Müller 180 ha Dauergrünland, von dem rund 80 % in den Moorwiesen liegt. Ein wichtiger Aspekt: Dieses Grünland ist zum größten Teil Pachtland. »Hier stehen wir vor einer großen Herausforderung«, berichtet Müller. »Als Pächter partizipieren wir von keinerlei Entschädigungs- oder Ausgleichsmaßnahmen. Im Zweifel würden wir einfach aus dem Pachtverhältnis fallen.«
Kooperationen bei der Futtergewinnung. Der Familienbetrieb ist eng mit den Nachbarbetrieben verknüpft und gegenseitige Kooperationen bei der Futtergewinnung oder dem Austausch von Nährstoffen bilden enge Kreisläufe. Die Flächen, auf denen Tim Müller seine Gülle ausbringt, liegen alle zwei bis drei Kilometer von der Hofstelle entfernt und können komplett ohne Zubringer verschlaucht werden. Das schont Böden und Umwelt und birgt einen Nachhaltigkeitsgedanken, der sich durch den ganzen Müller´schen Betrieb zieht. Das ausgeklüngelte System unter den Nachbarlandwirten hat sich bewährt und wäre ohne das Dauergrünland auf Moorflächen nicht denkbar.
Aus diesem Grund engagierte sich Müller schon früh und begann, das Thema Wiedervernässung auf den Tisch zu bringen. »Eine überregionale Gießkannenlösung kann bei diesem komplexen Thema nicht zielführend sein«, sagt der Junglandwirt. »Mit den bisherigen Anforderungen aus Gesellschaft und Politik, die alle Milchviehhalter betreffen, haben wir uns bis heute ganz gut arrangieren können, aber eine so punktuelle Belastung wie diese kann die Existenz unseres Betriebes bedrohen.«
Tim Müller holte die ortsansässigen Landwirte, die Verbände und die Wasserwirtschaft zusammen und vor anderthalb Jahren fand auf seinem Betrieb eine Auftaktveranstaltung statt. Rund 70 Teilnehmer kamen. Nach einigen Treffen in den vergangenen Monaten mündete die Aktivität in einem Zusammenschluss einer operativen Gruppe aus dem örtlichen Bauernverband, den Wasser- und Bodenverbänden, Landwirten, Lohnunternehmern und verschiedenen Umweltverbänden. Die Fachhochschule Rendsburg ist ebenfalls mit im Boot. Ziel ist es, die Moornutzung von morgen zu gestalten und umzusetzen. Dabei spielen Klimaschutzthemen und Artenvielfalt ebenso eine Rolle, wie die Menschen und die Wirtschaft der Region.
Am Anfang steht eine Machbarkeitsstudie, die beispielsweise aufzeigen soll, welche Moormächtigkeiten vorhanden sind und was überhaupt an welcher Stelle umsetzbar wäre. Denkbar wäre eine Art Zonierung, die unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten zulässt. Moor-Photovoltaik, Paludi-Kulturen und diverse Extensivnutzungen stehen dabei ebenso im Raum, wie die Weiternutzung der Flächen zur Futterbergung.
Wachsen, aber nicht mit mehr Tieren. Tim Müllers ganze Familie arbeitet in dem Betrieb und die Aufstockung des Tierbestandes vor zehn Jahren war eine gemeinsame Entscheidung. »Wir leben die Milchviehhaltung, unser Konzept ist zukunftsfähig und durchdacht«, sagt Müller und verweist auf seine vor seinem Jahr begonnene Direktvermarktung. Wachstum durch mehr Tiere sei nicht sein Ziel, sagt Müller. Die Wertschöpfung müsse aus anderen Wirtschaftsbereichen kommen. Müller will die Verantwortung für sein Produkt nicht am Milchtank abgeben. Mit einer mobilen Käserei enstehen eigener Käse und eigenes Eis. Seine Direktvermarktung nutzt der Landwirt für verstärkte Öffentlichkeitsarbeit. Über 300 Gäste besuchen seine »Käse-Nachmittage« und sogar über 650 Menschen verfolgten im April den ersten Weideauftrieb, den »Kosläpp«.
Tim Müller appelliert an seine Berufskollegen, aber auch an die Politik: Regionales Engagement ist nötig, um individuelle Lösungen vor Ort zu schaffen. Denn jedes Moor ist eigen und komplex – genau wie die Betriebe, die von ihm abhängig sind.
Nutzung nach der Wiedervernässung
Studie. In vorläufigen Ergebnissen einer Analyse der Fachhochschule Rendsburg und des Grünlandzentrums Niedersachsen/Bremen wird deutlich, dass der Wegfall der Milchviehhaltung in Moorregionen nicht nur extrem negative wirtschaftliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft hätte, sondern auch auf den vor- und nachgelagerten Bereich. Die Folge wäre außerdem, dass weniger Arbeitskräfte in diesen Bereichen benötigt würden. Es wird jedoch als unwahrscheinlich angesehen, dass die Moornutzung vollständig eingestellt wird. Klar wird aber, dass die finanziellen Anreize aus der aktuellen GAP in keiner Weise ausreichen, um die wirtschaftlichen Einbußen einer Umstellung auf extensive Rinderhaltung aufzufangen. Eine Einstellung der Tierhaltung wäre in diesen Gebieten somit die Folge.
Auch die Themen Paludi-Kultur und CO2-Zertifikate sind derzeit aus rechtlichen oder wirtschaftlichen Gründen in der Schwebe. Aktuell erscheint das Thema Moor-Photovoltaik als interessanteste Nutzungsalternative.
Die Abstimmung zwischen allen Akteuren und die Entwicklung von wirtschaftlichen Nutzungskonzepten sei bei allen Vorhaben unerlässlich, so die Studie.