Kälber. Gemeinsam gestärkt fürs Leben
Eine frühe paarweise Haltung von Kälbern führt zu einer besseren Entwicklung und einem guten Sozialverhalten. Dadurch haben Färsen später weniger Probleme, in der Milchviehherde zurechtzukommen. Jason Hayer stellt neue Erkenntnisse dazu vor.
Wie sollen Kälber optimal aufgezogen werden? Das ist eine Frage, die seit einigen Jahren immer stärker diskutiert wird. Besonders im Fokus steht dabei das Für und Wider von Einzel-, Paar- oder Gruppenhaltungen sowie deren Einfluss auf die Entwicklung und Gesundheit der Kälber in den ersten Lebenswochen. Ein Aspekt, der bisher jedoch kaum berücksichtigt wurde, ist der Einfluss unterschiedlicher Haltungsformen auf die langfristige Entwicklung von Rindern.
Auch wenn das Konzept der muttergebundenen Haltung verstärkt in der Praxis angewendet und von der Wissenschaft erforscht wird, ist eine frühe Trennung von Kuh und Kalb immer noch der Standard in Deutschland und den meisten anderen Ländern. Der klassische Ablauf bleibt hierzulande die Trennung innerhalb der ersten Lebenstage, und das Aufstallen der Kälber – zunächst in Einzelhaltung. Nach den ersten ein bis zwei Wochen werden sie in Gruppenhaltungen überführt, in denen sie bis zum Absetzen und kurz danach verbleiben. Dies ist international jedoch nicht zwingend der Standard. Beispielsweise kommen auf den meisten Betrieben in Irland, Griechenland oder Spanien neugeborene Kälber direkt in die Gruppenhaltung. In den USA hingegen ist es üblich, Kälber während der gesamten Milchtränkephase in Einzelhaltung zu halten.
Unter natürlichen Bedingungen würden Kälber von Beginn an in einem komplexen sozialen Umfeld aufwachsen, mit Kontakt zum Muttertier, anderen Kälbern und Kühen, und erst nach sieben bis 14 Monaten natürlich abgesetzt werden.
Basierend auf dieser Diskrepanz zwischen den natürlichen Bedingungen und den klassischen Milchviehhaltungssystemen haben einige Gruppen von Wissenschaftlern den Effekt einer sogenannten Paarhaltung (Pair Housing) untersucht. Sie ist ein Kompromiss zwischen den traditionellen Aufzuchtbedingungen und dem Bedürfnis nach sozialen Kontakten. Dabei werden Kälber nach einer anfänglichen Phase der Einzelhaltung für den Rest der Tränkephase paarweise gehalten. Die von den Forschergruppen gewonnenen Ergebnisse zeigten mehrere positive Effekte. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) 2023 die Empfehlung ausgesprochen hat, die Einzelhaltung von Kälbern möglichst zu vermeiden.
Effekte einer sozialen Haltung auf die Entwicklung von Kälbern
Kälber mit Kontakt zu anderen interagieren bereits ab dem zweiten Tag mit ihren Artgenossen. Obwohl diese soziale Interaktion innerhalb der ersten acht Lebenswochen nur etwa 2 % der Tageszeit einnimmt, ist sie für die Kälber von großer Bedeutung. Dies wurde in Studien nachgewiesen, in denen Kälber gezielt Kraft aufwendeten, um Zugang zu einem anderen Kalb zu bekommen. Wie beim Menschen und anderen Tieren ist die erste Lebensphase äußerst prägend. Der soziale Kontakt wirkt sich positiv auf verschiedene Aspekte der Tiergesundheit, des Verhaltens und der Leistung aus. Kälber mit sozialen Kontakten zeigten im Vergleich zu einzeln gehaltenen Tieren eine höhere Futter- und Wasseraufnahme und größere tägliche Zunahmen. Allgemein sind Kälber durch die soziale Haltung deutlich weniger ängstlich. Sie reagieren auch gelassener auf unbekanntes Futter, eine neue Umgebung oder andere Kälber.
In den ersten Lebensmonaten eines Kalbes treten zahlreiche Stresssituationen auf, wie etwa schmerzhafte Eingriffe (Enthornen, Einziehen von Ohrmarken), das Um- und Zusammenstallen in neue Haltungen mit anderen Kälbern oder das Absetzen von der Milch. Sozial gehaltene Kälber bewältigen solche Herausforderungen besser. Das belegen Studien zur geistigen Entwicklung von Kälbern. Darin wurden Kälber aus Einzel- oder Paarhaltung speziellen Tests unterzogen, um ihre kognitiven Fähigkeiten zu bewerten. In einem Experiment wurden sie täglich in einen Raum geführt, in dem sich ein Monitor befand, der entweder rot oder weiß leuchtete. Zu Beginn wurden die Kälber darauf trainiert, den Monitor bei rotem Licht zu berühren, wofür sie mit zusätzlicher Milch belohnt wurden. Nachdem dieses Verhalten etabliert war, änderte man die Belohnung: Nun war die weiße Farbe »positiv« und führte zur Belohnung.
Die Ergebnisse zeigten, dass Kälber aus Einzel- und Paarhaltung die erste Lernphase gleichermaßen gut meisterten. Sozialisierte Kälber bewältigten jedoch die Umstellung auf die andere Farbe deutlich besser. Dies deutet darauf hin, dass sie geistig weiterentwickelt sind. Sie können sich leichter an neue Situationen anpassen. Mit dem Wissen, dass sozialisierte Kälber schlauer und anpassungsfähiger sind als Tiere ohne Sozialisierung, stellt sich die Frage, welchen Nutzen dies für den Halter bringt und ob sich dieser Effekt auch auf das spätere Leben der Rinder auswirkt. Eine frühe Sozialisierung beeinflusst Verhalten und Leistung im späteren Leben.
Langfristige Auswirkungen
Andere Studien belegen, dass die ersten Lebenswochen die Stoffwechselentwicklung von Rindern entscheidend prägen und sich dies auch in den späteren Leistungen ausgewachsener Tiere auswirkt. Es liegt daher nahe, dass die höheren Futteraufnahmen und Zunahmen der Kälber in sozialen Haltungsformen sich auch günstig auf die Leistungen als Mastrind oder Milchkuh auswirken. Eine britische Untersuchung hat die Lebensverläufe und Leistungen von Milchkühen rückblickend analysiert, die als Kälber entweder einzeln oder paarweise gehalten wurden. Dabei zeigte sich, dass einzeln gehaltene Kälber ein tendenziell höheres Risiko hatten, vor oder nach Beginn ihrer ersten Laktation ausselektiert zu werden, wobei die Hauptursache in Fruchtbarkeitsproblemen lag. Rund 74 % der ursprünglich in Paaren gehaltenen Rinder schlossen die erste Laktation erfolgreich ab, verglichen mit nur etwa 66 % der einzeln gehaltenen Tiere.
Zudem wiesen die in Paaren gehaltenen Rinder in der ersten Laktation eine tendenziell höhere Milchleistung auf (Ø 8 038 kg Milch) als die aus Einzelhaltung (Ø 7 194 kg Milch). Diese Ergebnisse stützen die Vermutung der positiven Auswirkungen der sozialen Haltung auf die spätere Leistung und Langlebigkeit von Milchkühen.
Die Veränderungen des Verhaltens setzen sich fort. Es ist deutlich schwieriger, langfristige Verhaltensmuster wie Neugierde, geringere Angst oder Scheu vor Neuem zu bewerten. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr untersuchte das Verhalten tragender Färsen, die als Kälber entweder einzeln oder in Paaren gehalten wurden. Die Kälber wurden unter identischen Bedingungen aufgezogen und nach dem Absetzen bis 30 Tage vor dem erwarteten Kalbedatum auf einer Weide gehalten. Anschließend wurden die tragenden Färsen in einen neuen, unbekannten Stall umgestallt, wo ihr Verhalten mittels Videotechnik erfasst wurde. Zusätzlich berücksichtigten die Forscher die Belegdichte als möglichen Einflussfaktor: geringe Belegdichte (≤ 75 % Belegung), mittlere (75 bis 100 %) und hohe (> 100 %). Die Analyse ergab, dass Färsen, die als Kälber in Paaren gehalten wurden, sich deutlich mehr und freier bewegten (Grafik unten).
Einzeln gehaltene Färsen lagen, insbesondere bei hoher Belegdichte, häufiger und länger in den Liegeboxen. Zudem lagen sie öfter alleine, ohne dass Nachbarboxen besetzt waren und wurden häufiger aus ihren Boxen verdrängt als Tiere aus Paarhaltung. Hinsichtlich des Fressverhaltens zeigte sich, dass diese mehr Zeit mit Futteraufnahme verbrachten als Färsen aus Einzelhaltungen. Das war besonders stark bei einer hohen Belegung zu sehen.
Die höhere Aktivität von Färsen aus Paarhaltungen und ihre kürzere Verweildauer in den Boxen führten die Forscher auf eine größere Neugierde und einer geringeren Angst vor Neuem zurück, wie sie bereits bei Kälbern beobachtet wurde. Gleichzeitig deutet die Studie darauf hin, dass einzeln gehaltene Tiere ein stärker ausgeprägtes Meidungsverhalten gegenüber unbekannten Artgenossen zeigen. Dies erklärt, warum sie seltener neben anderen Färsen liegen oder sich in Gängen aufhalten. Zudem bleibt die stärkere Durchsetzungskraft von Kälbern aus Paarhaltung bis ins Färsenalter erhalten, was besonders bei hohen Belegdichten von Vorteil ist.
Was ist bei der Haltung zu beachten?
Wichtig ist ein frühes gemeinsames Aufstallen der Kälber, möglichst schon in den ersten Lebenstagen. Allerdings besteht in großen Gruppen (> 5 Tiere) immer das Risiko einer reduzierten Tränkeaufnahme. Deshalb ist zunächst die paarweise Haltung oder das Bilden von Kleingruppen vorteilhaft, bevor später größere Gruppen zusammengestellt werden können.
Durch die Kleingruppen reduziert sich auch das Risiko, dass die Kälber sich schlechter entwickeln oder an Infektionen erkranken. Wichtig sind außerdem ausreichend Fressplätze, ein Tränkeeimer mit Nuckelmöglichkeit pro Kalb und das Bereitstellen von Heu das Bereitstellen von Heu und vor allem ein intensive Milchtränke (mindestens. 10 l je Tag). Das reduziert den Stress der Tiere untereinander und das gegenseitige Besaugen. Wichtig ist außerdem ausreichend Platz in der Bucht, damit die Kälber ihr Spielverhalten ausleben können.
Aber auch bei besten Bedingungen ist die Gruppenhaltung nicht für jedes Kalb das ideale. Manche Tiere brauchen Rückzugsmöglichkeiten, um sich wohlzufühlen.
Ausblick
Eine soziale Haltung von Kälbern fördert ihre Entwicklung in jungen Lebensphasen und hilft ihnen, besser mit den Herausforderungen der Kälberhaltung umzugehen. Die in der frühen Lebensphase angelegten Verhaltensmuster bilden zudem eine Grundlage für das Verhalten in späteren Lebensabschnitten und können sich langfristig positiv auswirken. Dennoch bestehen weiterhin viele Wissenslücken. Um diese zu schließen, führt das Hofgut Neumühle in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie Sachsen, der TH Bingen sowie den Firmen Berghuis GmbH und Schneider Elektronik GmbH das vom BMELH geförderte Projekt »Kalbzu2t« durch. Ein Ziel ist es, unterschiedliche Haltungsformen (Einzel-, Paar- und Kleingruppenhaltung) in den ersten 28 Lebenstagen zu vergleichen und ihre Auswirkungen auf die spätere Milchkuh- und Mastrindleistung zu untersuchen. Dabei werden insbesondere die Tiergesundheit, das Verhalten und arbeitswirtschaftliche Faktoren analysiert.