Interview. »Faserverdaulichkeit ist der größte Hebel«
Die Futteraufnahme und Pansenfermentation zu verbessern, ist der Schlüssel für höhere Leistungen. Dr. Daniela Marthold erklärt, um welche Kennzahlen es geht und warum es zu spät ist, erst beim Aufdecken des Silos zu reagieren.
Die Verdaulichkeit der Faserfraktion (aNDFom: Neutral-Detergenzien Faser, bereinigt um die Rohasche) der Mais- und Grassilage beeinflusst unter anderem, wie viel Trockenmasse die Kuh täglich frisst und damit schlussendlich auch die Höhe ihrer Milchleistung. Die Faserverdaulichkeit ist in der Fütterungsberatung ein wichtiger Parameter. Wir haben mit Dr. Daniela Marthold darüber gesprochen, wie Betriebe im Hinblick darauf ihre Fütterung optimieren können.
Was steckt hinter der Kennzahl NDFd?
Sowohl bei Gras als auch bei Mais geht es zunächst neben der Gesamtpflanzenverdaulichkeit um die dynamische Verdaulichkeit der Faser im Pansen, also die sogenannte NDFd. Das ist eine Kennzahl, die viel weniger bekannt ist als der Wert für den Rohfasergehalt. Aber mit ihm zu rechnen, ist nicht mehr zeitgemäß, weil Rohfaser nicht alles abbildet. Denn die Fermentation im Pansen ist ein dynamischer Prozess und deswegen brauchen wir auch dynamische Futterkennzahlen. Bevor beispielsweise eine Ernte oder ein Schnitt anstehen, sollte im ersten Schritt geprüft werden, welchen NDFd30 das Gras hat, also die aNDFom-Verdaulichkeit nach 30 Stunden. Und beim Mais schaue ich mir zusätzlich noch die sogenannte In-Situ-Stärke-Verdaulichkeit nach sieben Stunden an.
Was zeigen diese Werte an?
Die aNDFom-Verdaulichkeit ist also einer der wichtigsten Hebel, wenn wir über Futteraufnahme und die Pansenfermentation sprechen. Wenn ich in der Lage bin, über eine Verbesserung von Prozessen und Qualität die NDFd24 bzw. 30 um eine Prozenteinheit z. B. von 60 auf 61 % zu erhöhen, dann entspricht das einer potentiell höheren Trockenmasseaufnahme von 170 g und einem Milchmehrerlös von etwa 100 ml pro Tier und Tag.
Welchen Einfluss haben Grasschnitt und Silierung auf die aNDFom-Verdaulichkeit?
Die meisten Betriebe schneiden das Gras immer noch zu lang. Dabei ist eine kurze Häcksellänge für die Kuh fast immer besser, weil ich dadurch mehr Futteraufnahme generieren kann. Das funktioniert aber nur, wenn ich das ganze System anpasse. Das heißt, wirklich alle Komponenten werden kurz gehäckselt und dann auch die Mischzeit verkürzt.
Beim Mähen der Pflanze und dem Anwelken auf der Wiese verliere ich immer wieder Zellsaft, nutritiven Stoff und die Verdaulichkeit sinkt.
Mit den größten Effekt hat aber dann der Fermentationsprozess im Silo. Hier wird auch noch einmal sehr viel aNDFom-Verdaulichkeit zerstört, beispielsweise über ungünstige Fermentationsbedingungen. Das heißt, der pH-Wert wird einfach nicht schnell genug abgesenkt. Manchmal wird sogar zu stark verdichtet, insbesondere bei niedrigen TS %. Zellsaft tritt dann zu stark aus, die Fermentation läuft suboptimal. Dies sind alles Punkte, die die NDF-Verdaulichkeit reduzieren.
Wie sieht es beim Silomais aus?
Auch bei Mais geht es um den dynamischen Verdaulichkeitsprozess. Ich muss immer schauen, wie sich dieses Futter im Pansen verhält. Ich wünsche mir, dass wir keine Angst mehr vor Silagen mit 400 g Stärkegehalt oder mehr haben. Dieser Stärkeanteil ist nicht die Ursache für Panzenazidose, sondern die Verdaulichkeit. Zu oft liegt der Fokus auf der Pansenazidose, es gibt jedoch teils auch Probleme mit zu viel Stärke im Darm, häufig in Verbindung mit dem leaky gut syndrom.
Die Frage ist, wie viel Stärke im Pansen verfügbar und wie viel beständig ist. Das ist die sogenannte Bypass Stärke, eine Kennzahl, die ebenfalls viele nicht kennen. Eine Maissilage hat z. B. 400 g Stärkegehalt und einen schlechten Kernel Processing Score (KPS). Je höher dieser Wert ist, desto besser verarbeitet sind die Maiskörner in der Silage und desto besser kann das Tier die Stärke verwerten. Kommt dann noch eine zu hohe Trockensubstanz und ein ungünstiger Fermentationsverlauf im Silo dazu, beträgt die Stärkeverdaulichkeit nur 70 %. Das bedeutet, dass von den 400 g nur 70 % oder weniger im Pansen verfügbar sind, aber 30 % beständig als Bypass Stärke. Es werden also nie die gesamten 400 g Stärke im Pansen ankommen.
In Summe ist es bei der Maissilage noch viel wichtiger als bei der Grassilage, dass man sich die Gesamtverdaulichkeit (TTNDFD) anschaut.
Glossar der Fütterungsbegriffe
Verdaulichkeit der Faser NDFd (% der NDF). Faserverdaulichkeit ist wichtig, um abzuschätzen, wie viel Faser der Wiederkäuer verdauen kann. Das Ausmaß der Abbaubarkeit hängt vom Futtermittel selbst und der Verweilzeit im Pansen ab. Um die Abbaubarkeit einschätzen zu können, wird u. a. der NDFd30-Wert (in % NDF, keine Standard-Analyse) herangezogen. Dieser gibt an, wie viel Faser nach 30 Stunden (mittlere Verweilzeit eines Futtermittelpartikels bei hoher Futteraufnahme) bereits verdaut wurde. Er kann aber auch nur 24 h oder mehr als 30 h betragen. Die Zielwerte sind:
- Mais > 55 % NDFd30,
- Gras > 60 % NDFd30.
Die Verdaulichkeit wird von verschiedenen Faktoren bestimmt, die sich mehr oder weniger beeinflussen lassen. Das sind u. a. Sortenwahl, Erntezeitpunkt, Feld- und Siliermanagement sowie das Wetter.
Stärke-Verdaulichkeit, in situ ruminal (% der Stärke). Gemessen nach 0, 3, 7 und 16 Stunden gibt sie die Abbaugeschwindigkeit der Stärke an. Diese in situ Methode spiegelt am besten den tatsächlichen Stärkeabbau im Tier wieder. Das Ziel ist eine in situ Stärkeverdaulichkeit in 7 h von 88 % +.
KPS = Kernel Processing Score. Das Tool, um die Häckselqualität zu überprüfen. Wie gut wurden die Maiskörner beim Häckseln zerkleinert? Der KPS definiert die Partikelgröße der Stärkekörner (Anteil der Körner, der durch ein 4,75 mm Sieb passt) und erlaubt eine Prognose der Verdaulichkeit von Stärke im Pansen und im Verdauungstrakt. Ein anderer, in der Praxis gängiger Wert ist der CSPS (Corn Silage Processing Score), welcher als Synonym für den KPS anzusehen ist.
- Stärkeabbaubarkeit. Bei stärkereichen Rationen ist die Kenntnis ihrer ruminalen Abbaubarkeit, also der Beständigkeit, entscheidend. Das ist der Anteil der Stärkekörper/Körner, die durch ein 4,75 mm Sieb passen. Er sollte hier bei min. 70 % liegen. Das Ziel ist die Vermeidung einer Pansenazidose, aber auch einer zu hohen Anflutung von Stärke in den Dickdarm (leaky gut syndrom). Die Bestimmung erfolgt mit einem in vitro Test in Pansensaft (7 Stunden).
Bei Maissilage liegt der Anteil an beständiger Stärke zwischen 12 und 22 %. Ob ein Wert gut ist, hängt von der Rationsgestaltung, dem Stärkegehalt der Ration und dem Anteil an Maissilage in der Ration ab.
Was heißt das jetzt konkret für die Rationserstellung?
Ein wichtiger Ansatzpunkt, auch in unserer Beratung, ist das Monitoring des Futtermischwagens. Es fängt schon beim Modell an. Mischwagen unterschiedlicher Hersteller sind auch unterschiedlich zu bedienen. Sie erfordern z. B. verschiedene Schnittlängen.
Jeder Mischwagen der neueren Generation erstellt automatisch ein Mischprotokoll, das jedoch in vielen Betrieben zu wenig beachtet wird. Deshalb ist die Schulung des Landwirts oder der Mitarbeiter, die den Futtermischwagen beladen, ein wichtiger Punkt. Sie müssen dafür sensibilisiert werden, wie wichtig die Mischgenauigkeit ist. Wenn ich z. B. in der Praxis einen pH-Wert-Fehler sehe, ist der Grund oft eine Abweichung von 10 bis 30 % in der Menge der einzelnen Komponenten. Das wirkt sich letztendlich auf den pH-Wert im Pansen und die Leistung der Kühe aus. Ein weiterer Faktor ist das Einhalten der Hygiene im Mischwagen, denn die lässt oft zu wünschen übrig.
Was würden Sie dem Landwirt raten?
Er sollte sich nicht erst mit dem Thema beschäftigen, wenn der Silierprozess beendet ist und er das Silo aufdeckt und anfängt, die Silage zu verfüttern. Dann ist der Zug bereits abgefahren. Die NDF-Verdaulichkeit beziehungsweise beim Mais auch die Stärkeverdaulichkeit, die beginnen letzten Endes schon mit der Pflanzenmorphologie. Ich muss schauen: Was habe ich für einen Pflanzenbestand? Wie sind die Wachstumsbedingungen, etc.? Der Landwirt sollte dann zunächst den Ist-Status seines Betriebes ermitteln. Dafür lässt er eine Futterprobe nach der sogenannten erweiterten Weender Analyse untersuchen.
Wenn er seine Analyseergebnisse hat, legt er fest, wo er ansetzen möchte und was seine Ziele sind. Dann diskutiert er mit beteiligten Lieferanten und Unternehmen, um die Ansatzstellen zu finden: Welche Häcksellänge soll es sein? Welches Siliermittel wird eingesetzt? Was kann eventuell an der Befüllreihenfolge im Silo geändert werden? Es werden ja darüber hinaus noch jede Menge Daten erfasst, mit denen er arbeiten kann.
