Herbstdüngung. Notwendig oder überflüssig?
Die Herbstdüngung mit Stickstoff ist ein Thema, das in der landwirtschaftlichen Fachwelt heiß diskutiert wird. Vor dem Hintergrund aktueller gesetzlicher Rahmenbedingungen, agronomischer Erkenntnisse und klimatischer Veränderungen hat der DLG-Ausschuss für Pflanzenernährung auf seiner Sommersitzung intensiv über Sinn, Nutzen und Grenzen der Stickstoffgabe im Herbst diskutiert.
Wir haben mit Dr. Frank Lorenz (Vorsitzender des Ausschusses) und Caroline Benecke (Mitglied im Ausschuss) gesprochen – ihre Einschätzungen und Impulse lesen Sie im folgenden Interview.
Hat der Ausschuss eine klare Position zur Herbstdüngung mit Stickstoff entwickelt?
Lorenz: Eine pauschale Empfehlung zur Herbstdüngung ist aus unserer Sicht nicht möglich, aber auch nicht sinnvoll. Die Entscheidung muss situations-, standort- und kulturabhängig getroffen werden. Bodenart, Klima, Bodenbearbeitungsverfahren, die jeweilige Vorfrucht und die Fruchtfolge beeinflussen maßgeblich, ob eine Stickstoffgabe im Herbst pflanzenbaulich notwendig ist. Sinnvoll dafür wäre eine Nmin-Beprobung in 0-60cm vor der Herbstaussaat – nur wenn bekannt ist, wie viel mineralisierter Stickstoff im Boden vorhanden ist, kann eine fundierte Entscheidung über eine zusätzliche N-Düngung getroffen werden. Fakt ist aber auch, dass noch zu wenig Erfahrungen und Versuche vorliegen, welche den Stickstoffbedarf einiger Kulturpflanzen im Herbst klar benennen können. Dabei ist auch die Dynamik der Stickstoffmineralisierung zu berücksichtigen, die stark von der mikrobiellen Aktivität, der Intensität der Stoppel- und weiteren Bodenbearbeitung, dem Wasserangebot und den Bodentemperaturen abhängt.
Welche Argumente sprechen aus pflanzenbaulicher Sicht für eine Herbstdüngung bei Hauptfrüchten?
Benecke: Bei bestimmten Kulturen wie Winterraps oder Ackergras kann eine Stickstoffgabe im Herbst Vorteile bringen, wenn es um das Ziel geht, bis zu Vegetationsende gut entwickelte Pflanzen zu etablieren. Die frühe Versorgung mit Stickstoff fördert die Wurzelentwicklung und die Konkurrenzfähigkeit gegenüber Unkräutern. Die Düngung darf aber nicht pauschal durchgeführt werden und muss auch nicht immer in maximal möglicher Höhe erfolgen. Das klare Ziel muss eine gute, aber nicht überzogene Herbstentwicklung sein. Außerdem kann die Herbstdüngung der folgenden Hauptfrucht gezielt zur Förderung der Strohrotte nach der Getreideernte genutzt werden, wodurch die Nährstofffreisetzung für die Folgefrucht optimiert wird. Durch eine Herbstgabe wäre auch der Einsatz von Kalkstickstoff zur Schädlingsbekämpfung möglich, etwa gegen Schnecken. Kalkstickstoff wirkt zudem bodenverbessernd und kann die mikrobielle Aktivität fördern – gerade auf Standorten mit zu niedrigem pH-Wert.
Und welche Argumente sprechen gegen eine Herbstdüngung?
Benecke: Im Herbst ausgebrachte Stickstoffmengen müssen im Frühjahr vom Düngebedarf abgezogen werden. Bei der Wintergerste ist die direkte Ertragswirksamkeit einer Herbstdüngung geringer als die einer reinen Frühjahrsdüngung. Versuche haben gezeigt, dass bei Wintergerste keine signifikanten Mehrerträge durch Herbstdüngung erzielt werden und der gesamte Stickstoff-Düngebedarf im Frühjahr gegeben werden sollte. Auch im Raps zeigte sich in Versuchen, dass eine Herbstdüngung mit Stickstoff nicht immer einen ökonomischen Mehrwert liefert, aber für die sichere Vorwinterentwicklung in geringen Mengen (20-30 kg N/ha) sinnvoll sein kann. Es gilt auch zu berücksichtigen, dass im Herbst in vielen Situationen ausreichend Stickstoff aus dem Boden mineralisiert wird, was eine Stickstoffgabe nicht notwendig macht. Um dies einschätzen zu können, wäre eine Nmin-Beprobung im Herbst sinnvoll. Wichtig zur erwähnen ist auch, dass Engpässe in der Lagerkapazität kein Argument für die Ausbringung organischer Dünger sein sollten. Deren Nährstoff- und insbesondere Stickstoffausnutzung ist im zeitigen Frühjahr in der Regel höher – auch weil es im Frühjahr häufig feuchter ist und organische Dünger selbst noch Zeit zur Mineralisierung benötigen und sich dadurch das tatsächliche N-Angebot noch weiter nach hinten verschiebt. Im Endeffekt führt dies aufgrund geringerer Verluste zu besseren Erträgen. Im Herbst und über den Winter besteht unter bestimmten Voraussetzungen eine erhöhte Auswaschungsgefahr, insbesondere bei hohem Nmin, hohen Winterniederschlägen und leichten Böden.
Gibt es Alternativen zur klassischen Herbstdüngung?
Lorenz: Alternativen könnten Mikrogranulate sein, mit denen geringe Stickstoffmengen ausgebracht werden, sowie Leguminosenvorfrüchte, die Strohräumung und zusätzliche Lagerkapazitäten für Gülle sein. Ein Betrieb in Mecklenburg-Vorpommern setzt erfolgreich Mikrogranulate zur Förderung des Wurzelwachstums bei Winterraps ein. Dadurch wird die Jugendentwicklung verbessert und die Nährstoffaufnahme optimiert – und das bei Stickstoffmengen von unter 10 kg pro Hektar. Außerdem enthält das eingesetzte Granulat Phosphat. Möglich macht dies eine Ablage nah am Saatkorn. Aufgrund der geringen Nährstoffmengen könnte die Gabe von Mikrogranulaten in aktuell durch die Düngeverordnung von einer Herbstdüngung ausgeschlossenen Kulturen, wie beispielsweise Weizen, sinnvoll sein. Hierfür sind jedoch belastbare Ergebnisse aus Versuchen erforderlich, die einen pflanzenbaulichen Mehrwert bei gleichzeitigem Ressourcenschutz aufzeigen. Sobald Befahrbarkeit, Witterung und die Düngeverordnung es erlauben, sollte die Frühjahrsdüngung starten, um die Nährstoffverfügbarkeit frühzeitig zu Vegetationsbeginn sicherzustellen. Die Integration von Zwischenfrüchten mit hoher Nährstoffbindung kann als Strategie zur Nährstoffkonservierung für die folgende Sommerung dienen. Artenzusammensetzung, Etablierung und Umbruch bestimmen hier, wann die Nährstoffe wieder freigesetzt werden.
Die Erfassung der N-Aufnahme des Rapsbestandes am Ende der Vegetationszeit über mehrere Jahre kann hilfreich sein, um sich ein Bild von der Notwendigkeit einer N-Düngung zu machen, insbesondere, wenn man eine gedüngte mit einer ungedüngten Variante vergleicht. Das kann jeder auf seinem Betrieb auf 1-2 Schlägen umsetzen.
Welche Rolle spielen andere Nährstoffe?
Benecke: Oftmals ist nicht Stickstoff das Problem, sondern ein Ungleichgewicht in der Nährstoffversorgung der Grundnährstoffe generell. Phosphor, Kalium, Magnesium und der pH-Wert des Bodens müssen ebenfalls berücksichtigt werden. Durch Bodenanalysen lässt sich feststellen, ob der Mangel anderer Nährstoffe die Entwicklung der Zwischenfrüchte hemmt. Eine gezielte Grunddüngung kann den gewünschten Erfolg bringen. Gerade der in den letzten Jahren zunehmende Rückgang der Düngung mit Grundnährstoffen lässt folgendes altbekanntes Versuchsergebnis noch einmal in den Fokus rücken: Je geringer die Versorgung mit Grundnährstoffen ist, desto mehr Stickstoff wird zum Erreichen des angestrebten Ertrags benötigt. Die Wechselwirkungen zwischen den Nährstoffen, wie die Antagonismen zwischen Kalium und Magnesium oder die pH-Abhängigkeit der Phosphorverfügbarkeit, müssen bei der Düngeplanung berücksichtigt werden. Eine ganzheitliche Betrachtung der Nährstoffversorgung ist daher unerlässlich. Gerade im trockenen Herbst oder bei geringer Boden-Phosphor-Versorgung ist die Unterfußdüngung mit Phosphor zum Beispiel im Raps eine gute Möglichkeit der Kompensation. Diese kann sogar die Wirkung der Stickstoffdüngung im Herbst übersteigen, wie Versuche zeigen. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die im Herbst gedüngte N-Menge bei der Frühjahrsdüngung vom N-Bedarf der Kultur abzuziehen ist.
Wie bewertet der Ausschuss die Stickstoffdüngung bei Zwischenfrüchten?
Benecke: Die Zielsetzung und die Ernsthaftigkeit des Zwischenfruchtanbaus entscheiden. Habe ich als Betrieb die Humusmehrung und den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit als Ziel, kann durch eine gezielte Stickstoffgabe die Biomasseproduktion von Zwischenfrüchten deutlich gesteigert werden. Diese zusätzliche organische Substanz fördert die Humusbildung und verbessert langfristig die Bodenstruktur. Zudem trägt ein tief durchwurzelnder Zwischenfruchtbestand zur Verbesserung der Bodenstruktur und zur Reduktion von Verdichtungen bei. Eine geschlossene Bodenbedeckung schützt vor Erosion und Auswaschung. Außerdem kann nur ein sich gut und zügig etablierter Zwischenfruchtbestand zur Unkrautunterdrückung beitragen. Gleichzeitig muss berücksichtigt werden, dass durch Bodenbearbeitung mineralisierter Stickstoff freigesetzt wird, der ohne aktiven Pflanzenbestand verloren gehen kann. Eine Herbstdüngung kann hier helfen, diesen Stickstoff durch wachsende Pflanzen zu binden und so N-Verluste zu vermeiden. Doch um dies zu erreichen, sind nur geringe N-Mengen notwendig.
Bestimmte Zwischenfrüchte wie zum Beispiel Ölrettich oder Tagetes werden gezielt zur Reduktion von Nematodenpopulationen eingesetzt. Damit diese ihre phytosanitäre Wirkung entfalten können, ist ein kräftiger und vitaler Pflanzenbestand erforderlich – was wiederum eine ausreichende Nährstoffversorgung voraussetzt. In konservierenden Anbausystemen, bei denen auf eine Herbstbearbeitung verzichtet wird, ist die mikrobielle Aktivität und damit die Stickstoffnachlieferung aus dem Boden zunächst reduziert, weil keine Einmischung der Ernterückstände und Durchlüftung zur Förderung der Mineralisierung erfolgt. Eine Herbstdüngung kann hier helfen, die Nährstoffversorgung der Zwischenfrüchte sicherzustellen und deren Entwicklung zu fördern. Zwischenfruchtmischungen ohne Leguminosenanteil sind besonders geeignet für eine Herbstdüngung. So kann die Düngung gezielt auf den Bedarf abgestimmt werden, ohne das Risiko einer Überversorgung zu provozieren.
Zwischenfrüchte, die als Futter genutzt werden sollen, benötigen ebenfalls eine zügige Etablierung. Eine ausreichende Stickstoffversorgung ist dabei entscheidend für die Ertragsbildung und die Qualität des Futters. Besonders bei frühen Aussaaten kann eine Herbstdüngung die Konkurrenzfähigkeit und die Nährstoffaufnahme verbessern.
Sie sprachen als Ausschuss an, dass die Ernsthaftigkeit des Zwischenfruchtanbaus über die Düngung entscheidet. Was versteht der Ausschuss unter fehlender Ernsthaftigkeit?
Lorenz: Der Ausschuss versteht unter fehlender Ernsthaftigkeit beim Zwischenfruchtanbau eine Praxis, die sich primär an formalen Anforderungen orientiert, ohne agronomische Zielsetzungen zu verfolgen. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn Zwischenfrüchte lediglich ausgesät werden, um gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, ohne dass deren Etablierung ernsthaft angestrebt oder eine tatsächliche positive Wirkung erwartet wird – etwa in roten Gebieten, wenn die Ernte der Vorfrucht vor dem 01.10. erfolgt und die nachfolgende Sommerung gedüngt werden soll,. Ein typisches Beispiel ist die sehr späte Aussaat nach der Hauptfrucht, so dass sich eine Zwischenfrucht wenig oder kaum mehr entwickeln kann. In solchen Fällen wird keine ausreichende Bestandsetablierung erreicht, was weder zur Nährstoffbindung noch zur Verbesserung der Bodenstrukturverbesserung beiträgt. Auch die Auswahl der Arten spielt eine Rolle: Bei einem hohen Anteil an Leguminosen kann eine zusätzliche Düngung kontraproduktiv sein, da die Leguminosen über ihre Symbiose mit Rhizobien zusätzlichen Stickstoff in den Boden eintragen – was gerade bei bereits hohen Nmin-Werten im Herbst das Risiko von N-Verlusten durch Auswaschung erhöht. Werden die Zwischenfrüchte aufgrund hoher Stickstoffüberhänge aus der Vorfrucht angebaut, um den N-Transfer in die Folgefrucht zu realisieren, ist auch hier eine zusätzliche Düngung kontraproduktiv. Diese Nährstoffmengen dann auch in korrekter Höhe vom Düngebedarf der Folgefrucht abzuziehen, ist ein logischer Folgeschritt. Zwischenfrüchte können eine wichtige Rolle spielen – vorausgesetzt, sie werden rechtzeitig und mit geeigneter Artenwahl etabliert. Kurz gesagt: Ernsthaftigkeit bedeutet, Zwischenfrüchte als integralen Bestandteil einer nachhaltigen Fruchtfolge zu betrachten – mit klarer Zielsetzung, fundierter Planung und agronomischer Konsequenz. Erst dann kann eine zusätzliche Stickstoffdüngung sinnvoll sein.
Was ist das Fazit des Ausschusses?
Lorenz: Die Stickstoffdüngung im Herbst ist ein Thema, das eine betriebs- und jahresindividuelle Betrachtung benötigt. Pauschale Verbote oder Empfehlungen greifen zu kurz. Es ist allerdings auch notwendig, dass sich die Betriebsleitung intensiv mit den Zielen und den standörtlichen Voraussetzungen beschäftigt und das Vorgehen an aktuelle (Witterungs-) Bedingungen anpasst – eine pauschale Herbstdüngung halten wir als Ausschuss nicht für sinnvoll. Im Rahmen der aktuellen Düngeverordnung lässt sich einiges praxisnah umsetzen – aber nicht alles. Es wäre wünschenswert, dass diese Flexibilität auch in den roten Gebieten genutzt werden könnte, da eine Herbstdüngung – egal, ob zu Winterraps oder Zwischenfrüchten – bei entsprechendem Wachstum der Kultur nachweislich nicht zu einer erhöhten N-Auswaschung führt; eher das Gegenteil ist richtig.
Die Fragen stellte Katrin Rutt