Biomilch. Angebotsvielfalt ist der Schlüssel
Die Biomilcherzeugung hat einen Anteil am Gesamtmarkt von 6 % im Süden und von nur 2 % im Norden und Osten. Gibt es noch Wachstumspotentiale, und wie können die ausgeschöpft werden? Stefan Rother gibt einen Ausblick.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Deutschland ist weniger eine Kornkammer als ein Milchland. Bei 1 % an der Weltbevölkerung werden hierzulande knapp 2 % des Weltgetreides aber 5 bis 6 % der Milch erzeugt. Dabei wird mehr ex- als importiert; der Außenhandelssaldo liegt bei ca. 2 Mrd. € (2021).
Der Milchmarkt hat sich verändert. Im Durchschnitt hält ein bundesdeutscher Milchviehbetrieb derzeit 73 Milchkühe. Und der Anteil der Biomilch an der Gesamtmilchmenge liegt mit 644 Mio. € bei 6 % (Stand 2021), mit sinkender Tendenz, weil die konventionell erzeugten Mengen ebenfalls angestiegen sind. Die weiße und gelbe Biolinie spiegeln den mit Abstand größten Einzelmarkt im Biosegment wider.
Viel Bewegung bei den Molkereistrukturen. Wie bei den Betrieben findet auch auf der Verarbeitungsseite ein Strukturwandel statt. So gibt es mit der Schließung des »Tuffi«-Standortes Köln der Müller-Gruppe z. B. im großen Milchland Nordrhein-Westfalen nur noch fünf aufnehmende Molkereien. Die »Gläserne Molkerei«, einer der sechs größten Biomilchverarbeiter in Deutschland, wurde vom Emmi-Konzern nach verlustreichen Jahren an Mutares verkauft. Das Ende dieser Reise ist offen, Mutares ist ein Finanzinvestor mit strengen Renditevorgaben. Bei aller Konsolidierung ist der Erlös der deutschen Molkereien 2022 gegenüber Vorjahr um 26 % auf 38,5 Mrd. € gestiegen, was vor allem den geradezu explodierenden Milchpreisen zu verdanken war.
Ungefähr ein Drittel der aktiven Molkereien produzieren in Bioqualität. Der größte Bioverarbeiter ist die Andechser Molkerei in Bayern mit ca. 150 Mio. kg verarbeiteter Milch. Der größte Bioanteil an der gesamten Kategorie liegt bei der Konsummilch.
Der Rohmilchmarkt gleicht einer Achterbahnfahrt. 2021 streifte der Preis für Biomilch – wenn es gut lief – die 50-Ct-Marke. Das war nur in Ausnahmen gewinnbringend. 2022 stieg er bis auf satte 66 Ct/kg, die Spitzenreiter lagen erstmals nicht im Süden, sondern im Norden der Republik. So zahlte die Molkerei Ammerland eine Zeit lang Höchstpreise für ihre Erzeuger. Und es gab die paradoxe Situation, dass bio und konventionell erzeugte Milch annähernd gleichzogen, Biobutter sogar teils günstiger im Regal lag als das konventionell erzeugte Marken-Pendant. Das hatte seinen Grund in durch den Ukraine-Krieg stark verteuerten Betriebsmittel- und Energiekosten, die die konventionellen
Milcherzeuger besonders trafen. Mit dem Jahreswechsel auf 2022/23 brachen die Preise ein, seit August hat sich die Talfahrt aber verlangsamt. Biomilch notierte im November bei 55,1 Ct/kg, konventionell erzeugte Milch lag bei 42,3 Ct/kg. Der MMI (Biomilch Marker Index) errechnet für das Wirtschaftsjahr 2022/23 eine Kostendeckung von lediglich 88 %. Ein fairer Milchpreis sieht anders aus.
Ein fairer Milchpreis ist schwer zu ermitteln. So hat das Thünen-Institut jüngst die Vollkosten pro kg Milch ermittelt. Die Spannweite über alle Wirtschaftsformen reicht von 0,30 bis 1,15 €/kg. Das bedeutet, manche Betriebe verdienen auch jetzt noch Geld, andere wiederum haben selbst in der Hausse draufgelegt. Das zeigt: Ein fairer Milchpreis kann schlecht staatlich verordnet werden. Daher trägt der Handel eine große Verantwortung im preissensiblen Markt der »Schnelldreher«. Vor diesem Hintergrund gibt es einen interessanten Vorstoß von Bioland und Naturland, die zusammen mehr als die Hälfte des Biomilchaufkommens repräsentieren. Auch die Verbände haben gerechnet und als Ergebnis einen Orientierungspreis von 67 Ct/kg für ihre Milcherzeuger präsentiert. Dieser Preis wurde im vergangenen August dem Handel als unverbindliche Preisempfehlung kommuniziert. Die Verbände setzen dabei auf einen beständigen Preis, damit ihre Betriebe die hohen Nachhaltigkeitsstandards halten können und Planungssicherheit haben.
Hilfreich dabei sind langfristig funktionierende Lieferketten. Sie leben von einer langjährigen und stabilen Vertragsbeziehung zwischen den Partnern, und das heißt auch Vertrauen. Nichts anderes wollen die beiden Anbauverbände mit dem Orientierungspreis mit ihren Handelspartnern erreichen, die ihrerseits wiederum sehr interessiert am jeweiligen Verbandslabel sind, die höchste Standards für ihre Kunden versprechen. Langjährige, stabile Biowertschöpfungsketten sind auch in der Lage, das Auf und Ab des Marktes zu verkraften, eben durch Vertrauen und ein langfristig höheres Preisniveau, das allen Beteiligten zugutekommt.
Verhelfen nachhaltige Biowertschöpfungsketten zu mehr Stabilität? Verkaufsargumente für nachhaltige Milchprodukte haben es gerade schwer. Nachhaltigkeit bleibt bei den Verbrauchern ein relevantes Thema, wird aber in Zeiten einer hohen Teuerung als ein Zusatznutzen betrachtet, auf den man auch gerne mal verzichtet. Marketingexperten bezeichnen dieses Käuferverhalten als »Say-Do-Gap«, also den Abgrund zwischen Lippenbekenntnissen und dem tatsächlichen Handeln. Trotz alldem bleibt der Nachhaltigkeitsaspekt ein relevantes Thema.
Bundesweit oder regional – beides funktioniert. Die Andechser Molkerei geht mit ihrem Lieferantenstamm und einem Mix zwischen Eigen- und Handelsmarken einen stabilen Weg. Vermarktet wird bundesweit quer durch die Vertriebsschienen des Lebensmitteleinzelhandels. So findet der Verbraucher Andechser-Produkte sowohl im Biosupermarkt als auch beim Vollsortimenter.
Auf Regionalität setzt die Upländer Bauernmolkerei. Mit einer Rohmilcherfassung von ca. 48 Mio. kg pro Jahr machen die Upländer etwa ein Drittel der Milchmenge der Andechser und decken einen Einzugsbereich in Hessen und Nordrhein-Westfalen von etwa 100 km Radius ab. Auf der Vermarktungsseite ist die bewusste Nutzung des »Marktes vor der Haustür« wesentlicher Bestandteil des Vertriebskonzepts. Noch deutlich regionaler geht es bei der Hofmolkerei Dehlwes in Lilienthal bei Bremen zu. Entstanden ist die Molkerei aus einem Milchviehbetrieb, der die Verarbeitung und Vermarktung selber in die Hand nahm und seit 1999 komplett auf Bio umgestellt hat. Mit einem Rohmilchaufkommen von 8 Mio. kg pro Jahr vermarktet Dehlwes im Umkreis der Region Bremen. Beliefert wird die Hofmolkerei von insgesamt zwölf Milchbauern aus dem direkten Umfeld.
Innovationen – ein Garant für mehr Anteile am Markt? Die Marktforscher von Nielsen konstatierten einen Absatzrückgang bei Frischmilch von über 10 % in den ersten acht Monaten 2023 gegenüber Vorjahr. Das liegt sicher an einem Preisanstieg für diesen Zeitraum von 18 %, aber auch an geändertem Verbraucherverhalten. Tierisches Eiweiß steht in der Kritik, die schlechte Presse über die Kuh als »Klimakiller« sorgt ebenfalls für kein freundliches Image. Die Biomilch schnitt dabei mit nur – 6 % im Absatz besser ab als das konventionelle Produkt. Die weiße Linie insgesamt verliert Marktanteile, Gewinner sind derzeit die Pflanzendrinks, vor allem auf Basis von Hafer, Kokos und Mandel und neuerdings auch Erbse. Und die Handelsmarken geben dabei mit 56% Marktanteil den Takt an.
Die Kuh als »Klimakiller«
Klimabilanz. Die Landwirtschaft hat einen Anteil von 7 % am Treibhausgasausstoß der Bundesrepublik (Stand 2022). Und die Milchviehhaltung spielt ganz vorne mit. Das Umweltbundesamt hat vor einigen Jahren die Umweltkosten je nach Milcherzeugungssystem berechnet. Ergebnis: Weidemilch hat bei konventioneller Erzeugung die geringsten Umweltkosten – Bioweidemilch liegt noch etwas niedriger. Bei aller Vorsicht gegenüber solch einer Zahlen-Akrobatik müssen sich Milchviehhalter, die auf Grundfutter – sprich Gras – setzen, wahrscheinlich am wenigsten Sorgen machen, dass sie durch umweltpolitischen Übereifer hinweggefegt werden.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität gibt es unterschiedliche Ansätze. So hat z. B. das Deutsche Milchkontor DMK ein Pilotprojekt namens »Net Zero Farming« initiiert. Es geht darin um die Analyse, wie standortindividuelle Lösungen über Futter, Anbau heimischer Eiweißpflanzen oder verbesserte Wärmerückgewinnung die »Hofbilanz« bei den Emissionen auf null bringt. Die dänisch-schwedische Arla, die sich selber als die größte Biomolkerei bezeichnet, setzt auf ein konventionelles Weidemilchkonzept namens »Aktiv für Klima und Tierwohl«. Darin steht die Verbraucheraufklärung im Fokus. Arla weist den produktspezifischen Klima-Fußabdruck über den kompletten Produkt-Lebenszyklus, von der Milchherstellung bis zur Verpackungsentsorgung aus.