
Wettbewerbsfähigkeit. Die entscheidenden Unterschiede
Investitionszuschüsse, Mindestlohn, Bürokratie, Düngegesetzgebung – gar nicht so einfach, all das auf einen »EU-Nenner« zu bringen. Wir werfen ein Schlaglicht auf Lettland, Polen und Rumänien.
Immer wieder gibt es Landwirte, die überlegen, ihren Hof zu verkaufen und im Ausland von vorne anzufangen. Es ist hauptsächlich die Unklarheit über die Zukunft, die einen solchen Schritt auslöst. Durch die EU-Osterweiterung sahen viele nach der Wiedervereinigung eine erneute Chance, andernorts ihren Traum zu leben. Wir haben mit verschiedenen Landwirten gesprochen, die ihre Zukunftsperspektiven jenseits der Heimat sehen.
Lettland
»Ich bin das erste Mal 2002 in Lettland gewesen, noch vor dem eigentlichen Beitritt«, sagt Hauke Thimsen. Der damals 27-Jährige kommt von einem kleinen Ackerbaubetrieb mit Schweinemast in Schleswig-Holstein. In seinen Überlegungen über die Zukunftsperspektiven stellte er sich die Frage: Welcher Standort ist der richtige? »Für mich war ein Kriterium: Ich möchte gesichert Land kaufen. Deshalb schied Polen aus. Und so habe ich von Lettland gehört«, blickt Thimsen zurück. »Als ich im Juni 2002 das erste Mal hergeflogen bin, war ich sofort begeistert und infiziert von den Möglichkeiten. 2003 habe ich dann angefangen, Land zu Konditionen von 400 €/ha zu kaufen«, resümiert Thimsen. Dafür hat er seinen elterlichen Betrieb in Schleswig-Holstein verkauft und alles in die Waagschale geworfen.

Die Landwirtschaft war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Lettland auf einem absteigenden Ast – viele Flächen lagen brach. Quecke in Reinkultur, zum Teil schon verbuschte Äcker, unterversorgte Böden und defekte Drainagen waren die Regel. »Ich bin 2003 mit 200 ha gestartet und stehe heute mit meinem Betrieb, der Balticagrar bei 3 600 ha. Davon sind zwei Drittel Eigentum«, fasst Thimsen zusammen. Dabei kannten und kennen die Landpreise bisher nur eine Richtung – und diese zeigt steil nach oben. Heute liegt der durchschnittliche Kaufpreis für Acker bei 8 000 €/ha. Die Balticagrar hat ihren Sitz ganz im Südwesten, nahe der Hafenstadt Liepaja. »Ausschlaggebendes Kriterium, hier zu sein war das Klima, also Ostseenähe und der Marktzugang, sprich Hafennähe. Der
Weltmarkt ist 30 km vor unserer Haustür«, sagt Thimsen.

Direkt an der Ostsee, in Ventspils liegt auch der Betrieb von Holger Marsch. »Ich bin das erste Mal 2013 in Lettland gewesen, ganz klassisch als Erntehelfer«, sagt Marsch. Auf dem elterlichen Betrieb in der Nähe von Greifswald hatte sich der Bruder schon breit gemacht und so war der Entschluss gefasst, in Lettland unternehmerisch tätig zu werden. »Im Februar 2014 haben wir 800 ha von einem Dänen übernommen und sind bis heute auf 1 600 ha gewachsen«, erzählt Marsch und ergänzt: »Ich habe hier niemals in irgendeiner Form Skepsis gegenüber Ausländern verspürt, geschweige denn Ausländerfeindlichkeit. Im Gegenteil: Deutsche sind hier sehr willkommen.«
Es gibt keine Einschränkungen im Bodenrecht. »Die einzige Beschränkung ist, dass es pro Gesellschaft nicht mehr als 2 000 ha im Eigentum geben darf«, sagt Holger Marsch. Das macht den Standort natürlich attraktiv für Investoren, wie auch Hauke Thimsen bekräftigt. Der Flächenmarkt ist zur Ruhe gekommen, die Strukturen stabilisieren sich. »Wenn jetzt hier 10 ha verkauft werden, ist das schon ein echtes Highlight. Das war vor zehn Jahren anders. Da stand fast jede Woche jemand auf dem Hof und wollte verkaufen. Das ist heute nicht mehr so«, sagt Marsch.
»Unsere Verwaltung ist 100 % digitalisiert«, berichtet Marsch und ergänzt: »Mein Agrarantrag für 1 600 ha dauert in etwa eine Stunde.« Das bestätigt auch Florian Reitzle, der den Ackerbau bei Balticagrar verantwortet: »Da darf man im Vergleich Deutschland als Dritte-Welt-Land bezeichnen. In Sachen Digitalisierung machen uns allenfalls noch die Esten etwas vor«, sagt Reitzle. Dass in Deutschland noch Faxgeräte existieren, kann sich in Lettland niemand mehr vorstellen.
»In Sachen Regulatorik spüren wir den Druck aus Brüssel extrem«, sagt Reitzle. »Wir sind EU, Brüssel macht die Vorgaben. Berlin setzt dann gerne noch eins obendrauf. Hier ist es eher so, dass die Regelungen im Sinne der Landwirte gestaltet werden. Wir haben keine zusätzlichen Bürden, die uns Riga noch aufsattelt«, schildert Thimsen. Das bestätigt auch Holger Marsch: »Es handelt sich um eine pro land- und forstwirtschaftliche Verwaltung. Das sind die Arbeitgeber im ländlichen Raum. Ohne die geht gar nichts und das
weiß auch die Politik.« Wenn man die Produktion mit der deutschen Ostseeküste vergleicht, mit Mecklenburg, dann ist das Düngeniveau nahezu identisch. Der große Unterschied: Die Witterungsextreme sind noch wesentlich größer. Das macht die Agronomie sehr anspruchsvoll.
Die Kostenvorteile sind dahin. »Die Lohn- und Lohnnebenkosten sind vergleichsweise hoch, das Land kostet mittlerweile auch bis zu 10 000 €/ha, die Ertragserwartungen liegen im Schnitt bei 6 bis 7 t/ha Weizen mit hohen Schwankungen. Die Kostenseite ist nicht mehr so rosig, wie man sie sich gemeinhin in Deutschland vorstellt«, schildert Reitzle die Herausforderungen in Sachen Kostenführerschaft.
Dem gegenüber steht eine attraktive Steuergesetzgebung. »Wir sind hier im Steuerparadies«, muss Hauke Thimsen eingestehen und erzählt: »Wir zahlen überhaupt keine Steuern, es sei denn, man zahlt sich eine Dividende aus. Das ist der Jackpot.« Das bestätigt auch Holger Marsch mir seiner Einschätzung: »Hier ist alles wie in Ostdeutschland in den 90er Jahren. Die Leute wollen voran. Die Bürokratie will, das investiert wird und hilft eher dabei, Vorhaben zu forcieren, statt zu blockieren.«
Was die Finanzierung angeht, sind die Banken seit der Finanzkrise sehr vorsichtig geworden. Weil es anders als in Deutschland auch kaum Finanzierungen mit langfristiger Zinsbindung gibt, belasten die gestiegenen Zinsen die Betriebe. »Aktuell liegen die günstigsten Konditionen bei 5,5 % – der Landhandelskredit liegt bei über 10 %«, sagt Florian Reitzle. Das in Verbindung mit einem Jahr schlechter Preise bringt viele Betriebe in Bedrängnis. Land, neue Maschinen – in wirtschaftlich guten Jahren waren die Nullzinsen für viele verlockend. »Reserven und Rücklagen aufzubauen stand da nicht unbedingt im Fokus«, sagt Reitzle. Das bringt so manchen derzeit in schwieriges Fahrwasser.
Know-how als Wettbewerbsvorteil. »Wir sind in Deutschland in der Beratung, was für uns ein riesen Vorteil ist. Das ist neben dem Finanzierungshebel der zweite große Vorteil«, sagt Holger Marsch. Die unabhängige Beratung ist eine deutsche Besonderheit. Unabhängige, groß angelegte und sehr teure produktionstechnische Versuche der Offizialberatung, deren Ergebnisse den Landwirten frei zugänglich sind, sucht man in Lettland vergebens.
Polen
»Schlechte Zukunftsaussichten im elterlichen Betrieb am Rande der Hildesheimer Börde und die Möglichkeiten an der polnischen Ostsee etwas neues zu versuchen waren für mich der ausschlaggebende Punkt für diesen Schritt«, sagt Cord Jürgens. 2003 hat er sich verschiedene Betriebe angeschaut und einen Staatsbetrieb mit knapp 500 ha bei Koszalin übernommen. »Der Betrieb war 100 % Pachtbetrieb, die Übernahme relativ günstig. Das Milchvieh war bereits abgeschafft, nur die Gebäude waren noch da«, blickt Jürgens
zu den Anfängen zurück. Ein Kauf war nicht möglich – und sollte es über die folgenden Jahre zunächst auch nicht sein. »In der Heimat wurde ich für diesen Schritt belächelt«, sagt Jürgens.

Die Böden waren sehr stark unterversorgt. »Unser Vorgänger hat 80 kg Stickstoff gedüngt, keine Kalkung, keine Grunddüngung. Und auch wir haben anfangs nur das Nötigste gemacht«, sagt Jürgens. Die Betriebsweise war eher kurzfristig angelegt, wegen der fehlenden Kaufoption. Zudem stand in den Pachtverträgen, dass bis zu 25 % der Fläche abzugeben sind und für Kleinbauern vorgehalten werden. »Diese Unsicherheitsfaktoren machen einen natürlich zurückhaltend, was Investitionen in die Bodenverbesserung angeht«, erklärt Cord Jürgens.
Die Weichen gestellt für einen Kauf. Viele haben ein Joint-Venture gegründet und Polen in die Geschäftsführung aufgenommen, um einen Kauf möglich zu machen. »Das führte nicht selten zu Streit und dem Scheitern«, weiß Jürgens. »Ich hatte das Glück, meine Frau kennenzulernen, die Polin ist. Seit 2010 habe auch ich den polnischen Pass«, erzählt Jürgens. Und trotzdem: Vom Antrag auf Kauf hat es zwölf Jahre gedauert, bis die Agencia bzw. KOWR (die polnische Treuhand) überhaupt bereit war, über einen Verkauf zu sprechen. Und dann ging alles ganz schnell. »Nach einem Anruf hatten wir einen Monat Zeit, die Finanzierung für 350 ha zu organisieren. Das war 2013 kurz vor dem Regierungswechsel«, sagt Jürgens. Das hört sich abenteuerlich an und zeigt: Unternehmerisch war Polen alles andere als planbar. Und es gab noch einen Wermutstropfen: »Die Bedingung für einen Kauf war, dass wir ein Viertel unserer Pachtflächen abgeben.« Die Entwicklung bis heute ist dennoch eindrücklich: 560 ha Eigentum stehen zu Buche, 770 ha sind insgesamt in der Bewirtschaftung.
Der Staat hat die Spekulation auf dem Bodenmarkt weiter beschränkt. Es können heute nur Landwirte aus der Gemeinde oder Nachbargemeinde Flächen ohne Agencia-Vorkaufsrecht von Privateigentümern kaufen. Auf Flächen aus Gesellschaften hat der Staat generell ein Vorkaufsrecht. Das erschwert es ausländischen Investoren natürlich enorm, Fuß zu fassen. Und dennoch: »Hier steht man als Landwirt nicht unter Generalverdacht. Da kommt immer noch zur Geltung, dass Polen mehr Agrarstaat ist als Deutschland«,
zieht Jürgens den Vergleich.
Es ist genau wie in Deutschland: Gute Leute sind knapp und schwer zu finden. Seine Mitarbeiter bekommen zwischen 7 und 8 €/h. »Die Ausbildung ist in Polen vergleichbar wie in Deutschland dual organisiert«, berichtet Jürgens.

Rumänien
Anja und Volker Knops bewirtschaften einen rund 2 000 ha großen Ackerbaubetrieb mit Putenmast und Biogas in Mecklenburg-
Vorpommern. Vor gut zehn Jahren, mit Anfang 50, die vier Kinder waren inzwischen eigenständig, kam der Gedanke auf, im Ausland zu investieren. »Wir sind ein Jahr durch Polen gefahren, da war es schwierig. Doch dann sind wir durch einen dummen Zufall nach Rumänien gekommen. Als wir die schwarze Erde gesehen haben, haben wir gesagt, das kann was werden hier«, schildert Volker Knops die Anfänge. 2016 wurde ein kompletter Betrieb, ganz im Nordosten, etwa 2 km von der moldawischen und 70 km von der ukrainischen Grenze entfernt, von einem rumänischen Eigentümer übernommen, der aus Altersgründen ausscheiden wollte.
Neben dem Boden mit 100 Bodenpunkten war es auch der attraktive Preis. »Wir hatten das Ziel einer Betriebsgröße von 2 000 ha, Pacht und Eigentum zu je 50 %. Das ließ sich in Rumänien realisieren«, sagt Volker Knops. Und seine Frau ergänzt: »Es war dabei nie unsere Absicht, dass wir das für eines unserer Kinder machen. Wenn wir irgendwann keine Lust mehr dazu haben, verkaufen wir wieder.«
Man möchte die Spekulation eindämmen und einen Ausverkauf der Fläche einen Riegel vorschieben. So muss man Land jetzt mindestens acht Jahre halten. Ansonsten ist der Veräußerungsgewinn zu 80 % zu versteuern. Das schreckt einige Investoren ab. Und das zeigt sich auch in der Preisentwicklung von Boden. »Anfangs kostete der Hektar etwa 5 000 € und ist bis 2020 auf etwa 8 000 € angestiegen. Seit dem regulierenden Eingriff der Regierung stagniert der Preis«, sagt Knops.
So unkalkulierbar wie das Wetter ist auch die Bürokratie. »Anfangs dachten wir, dass die Regelungen in Rumänien etwas laxer gehandhabt werden. Das komplette Gegenteil ist der Fall. Man möchte dort keine Fehler begehen und keinesfalls gegen EU-Regeln verstoßen«, sagt Anja Knops. Wenn etwas neu eingeführt wird, dann konsequent und mit kurzen Übergangsfristen. Große Teile der Gesetzgebung erfolgen per Eilerlass, d. h. binnen eines Monats. »Der Agrarantrag ist für uns ein riesen Aufwand, da man für jede Fläche nachweisen muss, dass man Eigentümer oder Pächter ist. Für die Pachtflächen braucht man eine Beglaubigung vom Bürgermeister. Die Struktur ist ja relativ klein – so müssen wir hunderte Unterschriften in verschiedenen Kommunen einfordern. Damit sind bei uns zwei Leute beschäftigt«, sagt Volker Knops.

Pachtauszahlung in Naturalien. Während Sie hier in Deutschland etwa am 30. September einige Überweisungen machen, wird in Rumänien ein Großteil der Pacht noch in Naturalien ausgezahlt. »Da macht man einen Anschlag im Dorf und dann ist der komplette Hof voll mit Pferdefuhrwerken. Dann müssen Sie den Pachtvertrag raussuchen, sich den Ausweis zeigen lassen und einige Säcke Weizen aushändigen. Alleine die Pachtauszahlung bindet zwei Leute sechs Wochen lang. Ein krasser Gegensatz zu Deutschland«, sagt
Volker Knops. Das Hochpreisjahr 2022 hat den Pachtmarkt ziemlich auf den Kopf gestellt. Nach der schlechten Ernte und den Preisen
2023 rudern jetzt viele Betriebe zurück. »Es hat sich so mancher übernommen. Das zeigt auch wieder: Es wird nicht langfristig gedacht, sondern man entscheidet für den Moment«, sagt Anja Knops.
Die einheimischen Betriebsleiter sind ziemlich weit oben an der Altersgrenze. Knapp 40 % sind älter als 65 Jahre (siehe Grafik). Bei den Betriebsstrukturen geht die Schere ziemlich weit auseinander: »Es gibt entweder Kleinstbauern, die mit der Hacke einen Hektar bewirtschaften oder eben den Großbetrieb mit über 1 000 ha. Die Betriebsgrößen dazwischen sind eher die Ausnahme«, beobachtet
Knops. Die Großbetriebe sind professionell geführt. »Man sieht den Betrieb als Wirtschaftsunternehmen und nicht die Bindung über Generationen. Man möchte wirtschaftlich erfolgreich sein«, erzählt Anja Knops.
Die Hauptfrucht ist der Körnermais, der ab August mit Wachen im Feld gesichert wird. »Das muss man wissen und mag für uns Deutsche ungewöhnlich klingen, ist aber händelbar«, sagt Knops. Auf dem schwarzen Boden ist alles möglich, die Ertragsschwankungen sind extrem: »2021 haben wir 10 dt/ha Körnermais geerntet, 2022 95 dt/ha – das sagt alles. Der August, September und Oktober sind extrem heiß und trocken. Da wird es zur Herausforderung, Winterkulturen zu etablieren«, schildert Volker Knops.