Pflanzenbau. Das Dilemma mit den Daten
Übernimmt demnächst Künstliche Intelligenz Ihre Entscheidungen im Ackerbau? Mal ganz abgesehen davon, ob das zu Ihrem Selbstverständnis passt: KI-Entscheidungen sind immer nur so gut wie die Daten, die ins System fließen. Und da ist nicht alles Gold …
Die Voraussetzungen für KI im Ackerbau sind grundsätzlich gut. Denn die Möglichkeiten, über Satelliten, Drohnen und lokale Sensoren eine Fülle von Daten zu gewinnen, werden immer besser. Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten und Praxisentwicklungen beschäftigt sich damit. Optische und Spektralkameras bieten die Voraussetzung dafür, die Situation auf dem Feld im Hinblick auf bestimmte Fragen zu dokumentieren. Zur Verarbeitung der Daten stehen Computer zur Verfügung, deren Leistung exponentiell steigt. Und nicht zuletzt lassen sich mittels Datenanalytik Trends und Muster aus Millionen von Datenpunkten herausfiltern.
Was »kann« die KI im Pflanzenbau heute schon? Über Drohnen oder Satelliten lässt sich das Wachstum der Kulturen als Grundlage für künftige Entscheidungen lückenlos aufzeichnen. Solche Lösungen sind beispielsweise als Xarvio Field Manager oder (in den USA) Ag Assistant bereits kommerziell verfügbar. Bei Xarvio lassen sich konkrete Pflanzenschutz-Entscheidungen zukaufen, der Ag Assistant gibt Empfehlungen für die künftige Sortenwahl oder eine nötige Bodenuntersuchung. Eine sehr einfache und wirkungsvolle KI-Anwendung ist die digitale Gelbschale, bei der KI den Zuflug von Rapsschädlingen auswertet. Und natürlich spielt KI die entscheidende Rolle beim Spot Spraying, indem Unkräuter immer spezifischer erkannt werden können.
Digital Farming - KI Potentiale aus Sicht von Forschung und Praxis
Reinhören lohnt sich – für alle, die KI nicht als Zukunft, sondern als Werkzeug von heute sehen.
KI als Entscheidungshilfe
Sehr viele aktuelle Anwendungen sind allerdings »nur« digitale Assistenten, die bei Entscheidungen helfen, diese aber nicht selbst herbeiführen. Nützlich ist, wenn die Dokumentation per Spracheingabe funktioniert oder während der Arbeit Fragen gestellt werden können – und dabei sogar die Eingabe korrigiert wird, damit die Spracherkennung nicht »Klaus« statt »Claas« versteht. Wenn man beim Spritzen nicht erst nachschauen muss, welche Abstandsauflagen auf dem konkreten Schlag gelten, ist das keine kleine Erleichterung. Oft ist die Rede vom »digitalen Zwilling« eines Schlages oder gar Betriebes, der Entscheidungen erleichtern bzw. Arbeitsprozesse verbessern soll. Auf dieser Grundlage können Wachstumsmodelle bereits Wochen vor der Ernte den Ertrag relativ präzise vorhersagen, ebenso die Kohlenstoffbindung, die nötige Bewässerung oder den terminlich perfekten Einsatz von Wachstumsreglern. Damit wird KI auch zum Betriebsführungs- und Vermarktungsinstrument, weil man zum Beispiel schon vorher die Erntemenge oder die CO2-Äquivalente kennt, die man verkaufen kann. In den USA mag beides eine größere Rolle spielen als in Europa.
Aber: Die KI ist nur so gut wie die Daten, die hereinfließen. Ein selbstlernendes System wird nicht allein durch die Menge, sondern vor allem durch die Qualität der Daten besser. »Qualität« heißt, all die vielen Einflüsse auf einem konkreten Feld (oder in einer Landmaschine) möglichst genau abzubilden und zu vernetzen. Wegen der Vielzahl der Faktoren sind gerade die Entscheidungsmodelle im Pflanzenbau nach wie vor die große Herausforderung. Aktuell ist deshalb die Diskussion um die Möglichkeiten der KI intensiver als die praktische Umsetzung. Man redet meist vom Wollen, nicht vom Können.
Bereits die Vergleichbarkeit (Standardisierung) der Daten ist eine Herausforderung. Firmen bauen sich bekanntlich gern eigene »Markenwelten«. Es stellt sich dabei immer wieder die Frage, wer welche der ja oft von Landwirten stammenden Daten wann nutzen darf. Fachleute verwenden in diesem Zusammenhang die Begriffe »Netzwerkeffekt-Dilemma« und »Systemarchitektur«. Ersteres beschreibt die Tatsache, dass eine KI-Anwendung die Daten vieler Nutzer braucht, um zu funktionieren, diese aber die KI erst nutzen, wenn sie zuverlässig funktioniert. Deshalb muss – zweitens und sehr vereinfacht beschrieben – sozusagen der Maschinenraum der KI einheitlich konstruiert und an andere Plattformen (wie solche von Landtechnikunternehmen) anzudocken sein.
Das "smart field"-Projekt der TU München
Was lässt sich schon heute umsetzen – und wie gut? Eine Integration unterschiedlicher und auch nicht immer ganz neuer KI-Lösungen auf einem Feld versucht das »smart field«-Projekt der TU München. Dort werden Standortdaten mit Sorten-, Düngungs- und Fungizidversuchsergebnissen kombiniert. Für die Saat wird zunächst das Profil eines Standortes erfasst, dann werden vergleichbare Standorte herangezogen, sofern Daten verfügbar sind, und daraus Sorte, Saatstärke und Aussaatzeitpunkt abgeleitet.
Bei den Fungiziden gibt es nicht genügend Daten für ein eigenes KI-Modell, also wird ISIP quasi verfeinert. Für die Unkrautbekämpfung greift man auf Kameras und Spot Spraying zurück. Die Düngeempfehlung leitet sich aus einem Ertragsprognosemodell ab.
Grundsätzlich bestätigt dieses Projekt das Problem zu weniger und veralteter Daten: Der Sortenwechsel ist heute so schnell wie der Wandel der PSM-Zulassungen. Eine Auswertung des ersten Versuchsjahres 2023/24, bei der die KI-Ergebnisse auf dem Versuchsbetrieb mit denen von drei landwirtschaftlichen Betrieben in der Umgebung verglichen wurden, ergab ein gemischtes Bild: Einer von ihnen war (gemessen am Ertrag) besser, zwei schlechter als die KI. Insgesamt steht die KI, wenn es um Entscheidungsunterstützung geht, ja immer im Wettbewerb zu den Kopfentscheidungen des Landwirts, die ebenfalls auf der Grundlage teilweise langjähriger Erfahrungen und Beobachtungen zustande kommen. Nun steht der Ertrag sicherlich zentral im Fokus der meisten Landwirte, aber etliche halten eben auch Tiere oder haben ein florierendes »Nebengewerbe«. KI scheint beim heutigen Stand der Datenverfügbarkeit nicht besser zu sein als ein Landwirt, der sich um alles kümmert. Sie hat grundsätzlich Potential, weil sich die wenigsten Landwirte um alles kümmern können. Erst recht, wenn auch andere Ziele (Bodenzustand, Biodiversität …) relevant sind oder werden.
Der Fall »Spot Farming«
Bis hinunter zur Einzelpflanze lassen sich dank der Sensortechnik Daten mittlerweile räumlich zuordnen. Daraus ist der Gedanke des Spot Farmings entstanden, bei dem Kleinroboter im Schwarm die notwendigen Arbeiten unmittelbar auf die Einzelpflanze bezogen erledigen, statt Dünger oder Pflanzenschutzmittel überwiegend auf dem blanken Boden abzuladen. In der Theorie toll, in der Praxis eher schwierig, so könnte man den heutigen Stand dieses Ansatzes zusammenfassen, der eigentlich die technische Konsequenz des digital Machbaren ist. Im Juli musste ein führender Roboterhersteller, Naïo, Insolvenz anmelden. Vom Xaver (Fendt) hört man auch nicht mehr viel. Das lässt sich erklären: Zu leicht für einen unebenen Acker, zu teuer angesichts der Steuerelemente, die auf jedem einzelnen Gerät sitzen müssen, zu aufwendig hinsichtlich der Software, die alle paar Jahre anzupassen ist, zu unpraktisch, solange ein autonomes Umsetzen von Feld zu Feld noch nicht möglich ist.
Wenn Roboter real fahren, dann in der Größe eines Farmdroids und nicht im Schwarm. Das KI-gesteuerte Hacken und Spritzen mit Großgeräten funktioniert in kleinen Stückzahlen bereits in der Praxis. Bei beidem ist die Unkrauterkennung über Kameras das Herzstück. Unkräuter von Kulturpflanzen unterscheiden und somit in der Reihe hacken zu können, ist eine Kernanforderung im Biogemüseanbau, um die Handhacke zu ersetzen. Dabei lernt die KI nicht nur die Unkräuter, sondern muss vor jedem Einsatz der einzelnen Kultur angepasst werden.
Beim Spot Spraying als Teilbereich des Spot Farmings steckt der Teufel im Detail. Spezialgeräte wie der ARA sind wegen ihrer geringen Flächenleistung eher Maschinen für Hochwertschöpfungskulturen. Ihren großen PSM-Einsparpotentialen muss man die Anschaffungskosten und die Lizenzgebühren für den Algorithmus der Unkrauterkennung gegenüberstellen. Bei den klassischen Spritzen braucht es für ein echtes Spot Spraying mindestens eine Einzeldüsenabschaltung, wenn nicht eine Pulsweiten-Modulation. Und natürlich Kameras entweder am Gestänge oder an einer vorherfliegenden Drohne, wobei die Spritze über eine Applikationskarte gesteuert wird. Die PSM-Einsparpotentiale können sehr unterschiedlich sein. Im Getreide mit breiter Mischverunkrautung und womöglich Gräsern wird es sicherlich schwierig. Mais wäre rein pflanzenbaulich der ideale Kandidat. Wegen der niedrigen Mittelpreise bleibt der Nutzen für den Landwirt aber überschaubar. Bleiben im normalen Ackerbau vor allem die Zuckerrüben mit hohen Mittelpreisen, mehrfacher Anwendung und hohem Risiko für Kulturschäden. Einen guten Weg, sich an das Thema heranzuarbeiten, dürfte die Einzeldüsenabschaltung in Verbindung mit einer Unkrauterkennung über Drohnen als Dienstleistung eröffnen. Erneut zeigt sich, dass Technik nicht für sich selbst steht, sondern einem konkreten Ziel dienen muss.
Was wünschen sich eigentlich die Landwirte selbst?
Während eines Workshops im farmer-space-Projekt wurde Anfang 2025 gefragt, welche KI-Lösungen im Zusammenhang mit dem Integrieren Pflanzenschutz bekannt sind und was erstrebenswert wäre. Die Wunschliste spiegelt Herausforderungen wider, um die seit Jahren herumgeredet wird (man müsste, man sollte …), ohne dass sich in der Praxis viel bewegt hätte.
Drei Themen standen im Vordergrund. Ein KI-Helfer zur Fruchtfolgeplanung könnte Standortgegebenheiten, Besonderheiten wie Problemunkräuter (-gräser), wirtschaftliche und betriebliche Faktoren (z. B. Arbeitskräfte, Maschinenausstattung) zusammenfügen und daraus eine Empfehlung ableiten. Das wäre sicherlich ganz großes Kino. Eine zweite Schwachstelle des Integrierten Pflanzenschutzes ist die fehlende Zeit für Bestandesbeobachtungen. Feldbegehungen könnten zumindest effizienter sein, wenn Daten zu Klima, Bestand, Insektenvorkommen oder Nährstoffzustand vorab auf Probleme hinweisen. Der dritte Wunsch war ein KI-Helfer für bessere, d. h. zielgerichtete Biodiversitäts-Maßnahmen. Häufig erfolgen diese ja eher zufällig bzw. dort, wo sie dem Ackerbau nicht in die Quere kommen. Und nicht, wo es fachlich besonders sinnvoll ist. Auch dafür braucht es allerdings eine Fülle von Daten zu Standort, Bewirtschaftung und Ansprüchen gewünschter Arten, die nicht ohne Weiteres vorliegen und die ein Landwirt nicht ohne Weiteres selbst erfassen kann.
Schalten Sie den Verstand nicht aus!
Der Umgang mit Daten halte einige Herausforderungen bereit, sagt Jacob von der Decken, Landwirt in Norddeutschland und als Partner eines Start-ups selbst mit der Entwicklung von KI-Lösungen befasst. Big Data und maschinelles Lernen hätten viel »verbrannte Erde« hinterlassen. Zunächst können Fehler schon deshalb einprogrammiert sein, weil Korrelation nicht Kausalität bedeuten muss, also Scheinbeziehungen hergestellt werden. Sodann seien »Statistiken geduldig«, ihre Aussagekraft von der Stichprobengröße, der Auswahl der Parameter oder der Kategorisierung abhängig. Und dann ist da noch die Granularität, also der Detaillierungsgrad eines Datensatzes, der zur Modellierung verwendet wird. Bezieht man sich auf den Quadratmeter, das Feld oder den gesamten Betrieb? Die Wissenschaft konzentriert sich oft auf die kleine Versuchsfläche, die Praxis möchte den gesamten Betrieb mit all seinen Wechselbeziehungen abgebildet sehen. Vielleicht ist das eine Erklärung dafür, warum so viele Projekte nach ihrem Abschluss in der Luft hängen bzw. die Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis noch so groß ist. Es kämen auch ganz plumpe Fehler vor, wenn z. B. in einem Aussaat-Tool für Mais Einheit und Kilogramm verwechselt werden. Oder zwar die Technologie für sich up to date ist, das landwirtschaftliche Wissen aber überholt. Ein »gesunder landwirtschaftlicher Verstand« sei beim Umgang mit Daten die beste Grundlage, so von der Decken.