Hilfsangebote. Warten Sie nicht zu lange!
Krisenhotline, Sorgentelefon, sozioökonomische Beratung – es gibt vielfältige Angebote für Landwirte, die in einer persönlichen Krise stecken. Aber über Probleme zu sprechen und Hilfe anzunehmen, kostet Überwindung. Wir haben mit Beratern darüber gesprochen, wie sie Betroffenen helfen.
Wer mental fit ist, kann seine vielfältigen Aufgaben im Alltag gut und konzentriert erledigen. Das klingt logisch und einfach, ist es aber nicht immer. Denn im betrieblichen und privaten Alltag wird der (mentale) Druck immer größer und ist manchmal kaum noch zu bewältigen. Wenn Landwirten die Sorgen und Probleme über den Kopf wachsen, warten viele zu lange, bevor sie sich Hilfe holen. Doch wann ist der richtige Zeitpunkt dafür? Und wie geht man am besten vor? »Oft verschließen die Landwirte in Krisensituationen aus Überforderung buchstäblich die Augen, statt zu handeln. Schlimmstenfalls wissen sie nicht, wie sie noch mit sich selbst klarkommen sollen«, sagt Sonja Otten von der sozioökonomischen Beratung der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Spätestens hier ist der
Punkt erreicht, an dem Hilfe von außen nötig ist. »Oft haben die Menschen schon einen recht langen Leidensweg hinter sich, bevor sie sich bei uns melden«, sagt Žana Schmid-Mehic von der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Familie und Betrieb. Das ist der Zusammenschluss der landwirtschaftlichen Familienberatungen und Sorgentelefone. In der Regel greifen die Ratsuchenden zum Hörer, zunehmend melden sie sich aber auch per E-Mail. Das kostet die Betroffenen oft Überwindung. Sich selbst einzugestehen, mir oder uns in der Familie geht es nicht gut, erfordert Kraft und Mut. »Wichtig ist es zu wissen, dass die Gespräche vertraulich behandelt werden. Und wir schauen, dass sich Landwirt und Berater nicht kennen«, sagt Žana Schmid-Mehic.
Alle Betriebsformen betroffen
Auch an die sozioökonomische Beratung der Landwirtschaftskammern wendet sich ein Hilfesuchender bestenfalls selbst. Aber oft werden Sonja Otten, Anneken Kruse und ihre Kolleginnen von betriebswirtschaftlichen Beratern um Unterstützung gebeten, z. B. weil der Betrieb tief in den roten Zahlen steckt, aber die mangelnde Wirtschaftlichkeit nicht alleine die Ursache dafür ist. »Wir sind ein niederschwelliges Angebot, an das sich jeder wenden kann, ohne irgendwelche Voraussetzungen zu erfüllen«, sagt Žana Schmid-Mehic über die weiteren Beratungsangebote der BAG Familie und Betrieb. Sie richten sich nicht nur an Familienbetriebe, sondern an alle Betriebsformen, Mitarbeiter und Saisonarbeitskräfte. Die Angebote der verschiedenen Träger (Kasten) ergänzen sich sehr gut und die Berater kooperieren bei Bedarf auch miteinander.
Wie läuft die Beratung ab?
»Die Gründe, warum die Landwirte den Kontakt suchen, sind meistens ein Sammelsurium an Fragen, Emotionen und Problemen«, sagt Schmid-Mehic. Sowohl bei Telefonanrufen als auch in Beratungsgesprächen werden diese zunächst sortiert und gewichtet: Um was geht es? Wie können die Berater weiterhelfen? Wer aus der Familie oder dem Umkreis soll noch in die Beratung einbezogen werden?
»Wir treffen uns nach dem telefonischen Erstkontakt auf dem Hof oder in der Beratungseinrichtung. Bei Bedarf ziehen wir Fachberater hinzu oder vermitteln an weitere Beratungsangebote, wie die der SVLFG«, sagt Schmid-Mehic. Das »Hauptwerkzeug « der Berater ist das Stellen von gezielten Fragen. Sie sind so geschult, dass sie den Hilfesuchenden damit eine »Einladung zum Nachdenken« anbieten. »Ich stelle bewusst viele offene Fragen, die nicht nur mit Ja oder Nein beantwortet werden können«, erzählt Sonja Otten. Der Blick von außen in diesen Gesprächen hilft den Landwirten oftmals, neue Ansätze und Lösungen für ihre Probleme zu entwickeln. Häufig mangelt es z. B. an der Kommunikation zwischen den Menschen, die auf dem Betrieb leben. Das können neben alltäglichen Dingen auch Gespräche über Pläne, Visionen und Gefühle sein. Schon kleine Impulse durch den Berater können hier viel bewirken. »Ich beginne immer, indem ich ein weißes DIN-A3-Blatt Papier vor mich lege«, sagt Sonja Otten. Die Beraterin malt gemeinsam mit den Ratsuchenden ein Genogramm. Das ist ein Familienbild: Wer lebt auf dem Betrieb? Wann wurde welche Person geboren? Was ist die Betriebsausrichtung und -struktur? Das erleichtert der Beraterin das Kennenlernen der betrieblich-familiären Verhältnisse. Manchmal hilft auch ein gemeinsamer Hofrundgang, um die Atmosphäre aufzulockern.
Menschliche und interfamiliäre Ursachen am häufigsten
»In meiner langjährigen Beratungstätigkeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass fast alles menschliche bzw. innerfamiliäre Ursachen hat. Wenn der Betriebsleiter auf persönlicher oder familiärer Ebene Sorgen hat, tauchen oftmals zeitversetzt auch im Ackerbau oder der Tierhaltung Probleme auf«, berichtet Sonja Otten. Neben den »klassischen« Konfliktthemen Betriebsübergabe, Generationsstreitigkeiten und Paarbeziehung melden sich auch Betroffene, weil sie sich einsam fühlen oder überlastet sind. Wie geht ein Berater vor, wenn jemand sagt, ich will die Leistung ja weiter erbringen, aber ich kann es nicht mehr? »Zunächst ist es erstaunlich, wie viel es schon bewirkt, wenn jemand sich einfach einmal alles von der Seele reden kann«, sagt Žana Schmid-Mehic. »Manchmal können wir Denkanstößegeben: Was ist es denn, was mich so anstrengt. Wo empfinde ich Belastung? Was macht mich müde, was gibt mir Kraft? Muss der Betrieb so stark diversifiziert sein?«
Die Beraterin schaut gemeinsam mit dem Landwirt auf seine eigenen Ressourcen und die seiner Familie und seines betrieblichen Netzwerks. »Manchmal bin ich erstaunt, wie wenig Betriebs- und Wochenplanungsgespräche stattfinden. Dann kann es schon sehr entlastend sein, nicht alles nur zwischen Tür und Angel zu besprechen«. Manchmal hilft es sogar als erster Schritt schon, in Bewegung zu kommen und bewusst raus in die Natur zu gehen, um durchzuschnaufen und die Gedanken neu strukturieren zu können. Wichtig: Damit ist nicht die alltägliche Bewegung auf dem Betrieb gemeint. »Ich beobachte den Landwirt, höre genau hin, stelle Nachfragen. Zum einen, um festzustellen, ob ich alles richtig verstanden habe, zum anderen, damit er weiß, dass ich zuhöre, ihn wahrnehme und Verständnis für ihn und seine Situation habe«, sagt Sonja Otten. Die sozioökonomischen Berater versuchen außerdem, erste Maßnahmen und kleine Achtsamkeitsübungen zu etablieren. Ein Beispiel dafür gibt Anneken Kruse: »Ich nehme drei Erbsen in die Hosentasche und wenn ich tagsüber etwas Schönes erlebe, stecke ich eine Erbse in die andere Hosentasche. Abends, wenn ich die Erbsen herausnehme, mache ich mir noch mal bewusst, in welchem Moment ich die Erbse in die andere Hosentasche gesteckt habe«.
Hier bekommen Sie Unterstützung
Zur Bundesarbeitsgemeinschaft Familie und Beruf gehören sechs Sorgentelefone und mehr als 20 Beratungseinrichtungen in verschiedenen Bundesländern. Einen Überblick über die regionalen Angebote finden Sie hier: www.landwirtschaftliche-familienberatung.de/einrichtungen/ihre-region.
Das Telezentrum für die Versicherten der SVLFG ist eine Anlaufstelle für Menschen aus der Grünen Branche. Unter Tel.: 0561/785-10512 oder der E-Mail-Adresse: gleichgewicht@svlfg.de erhalten sie eine umfangreiche, unverbindliche Beratung zu allen Gesundheitsangeboten der SVLFG und darüber hinaus:
- Krisenhotline (Tel.: 0561/785-10101). Bei Sorgen um den Betrieb, Stress am Arbeitsplatz, Konflikten in der Familie oder kritischen Lebensereignissen werden Menschen rund um die Uhr durch die Krisenhotline unterstützt.
- Telefonisches Einzelfallcoaching (www.svlfg.de/einzelfallcoaching): Begleitung in schwierigen Lebenssituationen durch einen persönlichen Coach (Psychologe/-in) über einen Zeitraum von sechs Monaten. Dabei werden individuelle Lösungen gefunden, um mit belastenden Situationen, Krisen oder Ängsten besser umzugehen.
- Online-Gesundheitstrainings und Seminare zur Stressbewältigung sind einige der weiteren Angebote der SVLFG.
Die sozioökonomischen Beratungsstellen sind ebenfalls eine wichtige Anlaufstelle für Landwirte. Sie werden nach Bundesland den Landwirtschaftskammern und/oder Bauernverbänden zugeordnet.
Wenn die Grenze erreicht ist
»Teilweise kommen auch wir an unsere Grenzen und können nicht mehr weiterhelfen. Dann weise ich die Landwirte z. B. auf die Krisenhotline der SVLFG oder ähnliche Angebote hin. In einigen Fällen muss sich auch der psychiatrische Dienst weiter um den Betroffenen kümmern«, sagt Otten.
Damit es nicht so weit kommt, müssen Betroffene früher über ihre Probleme sprechen und sich Hilfe holen«. »Es ist wichtig, auf die Signale seines Körpers zu achten«, sagt Stefan Adelsberger von der SVLFG. »Zu Beginn klagen Betroffene oft über Unruhe, Nervosität, Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme, aber auch Symptome wie Hautausschlag oder Augenzucken. Spätestens dann sollten die Landwirte reagieren, Hilfe in Anspruch nehmen und etwas tun, um die persönlichen Ressourcen wieder zu stärken.« »Wir möchten gerne mehr präventiv arbeiten und die Menschen vor der Erkrankung bewahren«, sagt Adelsberger. Das bestätigt auch Žana Schmid-Mehic: »Natürlich wäre es wünschenswert, sich die Herausforderungen und Probleme anzuschauen, bevor sie zum Beispiel in einer Depression, einem Burnout oder einer Betriebsaufgabe enden. »Wir sagen immer, man holt sich ja auch Berater für Stallbau oder Ackerbau. Warum also nicht auch Hilfe von außen annehmen, wenn es um das Zwischenmenschliche auf den Betrieben geht?«
Die Landwirte auf einem guten Weg
Mehr Bewusstsein für die mentale Gesundheit ist mittlerweile auch bei vielen von ihnen vorhanden. Davon ist Stefan Adelsberger überzeugt. Einen Grund dafür sieht er in der vermehrten Präsenz des Themas in der Öffentlichkeit und den Medien. »Die Berichte über an Burnout oder Depressionen erkrankte Landwirte, die einen Weg aus der Erkrankung gefunden haben, ermutigen andere Betroffene, sich Hilfe zu holen«, sagt er. »Eine Rolle spielen auch die sozialen Medien mit den Influencern. Da sind viele dabei, die sehr offen über sich erzählen und damit andere unbewusst unterstützen, die etwas Ähnliches erleben«. Betroffenen fällt es oft leichter, mit Außenstehenden zu sprechen. In ihrem direkten Umfeld und gegenüber benachbarten Landwirten versuchen viele, eine Fassade aufrechtzuerhalten. Sobald aber einer der Berufskollegen einräumt, dass bei ihm nicht immer nur alles eitel Sonnenschein ist, tauschen sie sich leichter über solche Themen aus.
Dennoch ist für eine bessere mentale Gesundheit der Landwirte noch »viel Luft nach oben« und die Sensibilität und das Verständnis für das Thema sind noch kaum aus den Kinderschuhen herausgekommen. Daran muss jeder Einzelne für sich, aber auch der gesamte Berufsstand dringend weiterarbeiten.