
Flächeneffizienz. Wie nachhaltig sind alternative Proteine?
Auch wenn die Nutztierhaltung aus verschiedenen Gründen in der Kritik steht, steigt weltweit die Nachfrage nach Protein. Sind Fleisch und Milch aus dem Labor die Alternative? Welche Potentiale sie für Klima- und Umweltschutz bieten, haben Hanno Koßmann und Peter Breunig untersucht.
Aktuelle Studien gehen davon aus, dass die globale Nachfrage nach Lebensmitteln bis 2050 um ca. 45 % steigen wird. Die Gründe dafür sind zum einen die wachsende Weltbevölkerung und zum anderen sich verändernde Ernährungsgewohnheiten. Bei Fleisch und Milch steigt der Bedarf sogar noch stärker. Auch wenn Nutztiere durch die Verwertung von Nebenprodukten und Grünland wichtige Bestandteile vieler Agrarsysteme sind und eine wichtige Quelle für landwirtschaftliches Einkommen darstellen, stehen tierische Produkte oft in der Kritik: Tierwohlfragen, Einfluss auf das Klima und der hohe Flächenbedarf für das Energiefutter sind hier nur einige Aspekte. Daher geraten Ersatzprodukte zunehmend in den Fokus. Doch wie nachhaltig sind diese?
Pflanzliche Alternativen?
Als Alternative zu tierischen Produkten werden oft pflanzliche Ersatzprodukte genannt. Hafermilch oder Burger-Pattys aus Sojaprotein zeigen Vorteile aus Sicht des Klimaschutzes und der Flächeneffizienz. Das Problem dieser Produkte ist aber, dass die Wertigkeit aus Ernährungssicht oft nicht mit dem »Original« vergleichbar ist. Auch geschmacklich weichen sie mehr oder weniger stark von den tierischen Produkten ab und liegen preislich in vielen Fällen immer noch darüber. Dies sind wohl wesentliche Gründe dafür, dass die Branche derzeit stagniert und einige größere Investitionen in pflanzliche Proteine auf Eis gelegt werden.
Neben den pflanzlichen Ersatzprodukten sind zwei neue Technologien zur Herstellung alternativer Proteine vielversprechend und haben in den letzten Jahren bereits größere Investitionssummen angezogen (Übersicht 1): Fleisch aus Zellkulturen oder »Cultivated meat« (CM) sowie Produkte aus Präzisionsfermentation (PF).
In der Erzeugung von CM werden Tieren Stammzellen entnommen und diese in einem Bioreaktor mit einem Nährmedium vermehrt. Die Zellen können in Muskel-, Gewebe- und Fettzellen differenziert werden, woraus sich dann fleischbasierte Lebensmittel erzeugen lassen.
Präzisionsfermentation
Die Präzisionsfermentation dient aktuell oft der Erzeugung von Milchproteinen. Das Grundkonzept ist der Alkoholherstellung sehr ähnlich: In einem Bioreaktor werden Mikroorganismen mit Zucker und Stickstoffverbindungen gefüttert und wandeln diese in das gewünschte Molekül um. Durch den Einsatz von Gentechnik können die Mikroorganismen so »umprogrammiert« werden, dass sie anstatt Alkohol beispielsweise ein Molkenprotein erzeugen, welches dann in Lebensmitteln eingesetzt werden kann. Am Ende des Prozesses separiert man Protein und Mikroorganismen, wodurch reines, GVO-freies Molkenprotein entsteht.
Beide innovativen Technologien unterscheiden sich in einem Punkt wesentlich von den pflanzlichen Ersatzprodukten, die bisher auf dem Markt sind: Fleisch aus CM und Milchproteine aus PF sind eins zu eins identisch mit den Bausteinen tierischer Lebensmittel. Das bedeutet, die Wertigkeit aus Ernährungssicht, die lebensmitteltechnologischen Eigenschaften und der Geschmack sind nicht nur ähnlich, sondern gleich.
Was den Stand der Technik angeht, unterscheiden sich CM und PF deutlich. Zellkulturen gab es bis vor einigen Jahren nur im Labormaßstab. Großskalige Anlagen gibt es bisher nur sehr wenige, und die Prozesse, um Tonnen anstatt Gramm zu produzieren, sind oftmals noch nicht ausgereift. Große PF-Anlagen zur Erzeugung von beispielsweise Insulin gibt es hingegen schon seit vielen Jahren.
Auch in der Marktverbreitung gibt es große Unterschiede: In den USA ist eine ganze Reihe von Produkten mit Milchprotein aus PF auf dem Markt – von Eis über Brotaufstriche bis hin zu »PF-Wheyprotein« für den Muskelaufbau.
CM-Produkte sind bisher nur in Singapur auf dem Markt und dort auch nur als sogenannte hybride Fleischprodukte (eine Mischung aus pflanzlicher Basis und hinzugefügten CM-Zellen). In der EU sind bisher weder PF- noch CM-Produkte verfügbar. Für die Zulassung müssen die Produkte die Vorgaben der Novel-Food-Verordnung erfüllen, was drei bis fünf Jahre dauert und wofür der Produktionsprozess im Detail beschrieben werden muss. Für Start-ups, die den Produktionsprozess kontinuierlich weiterentwickeln, stellt diese Verordnung eine sehr große Hürde dar. Zum Vergleich: Die Zulassung von PF-Produkten in den USA (»GRAS«) dauert weniger als ein Jahr.
Was kostet die Herstellung der Alternativen?
Zu den Kosten von CM und PF lassen sich nur schwer Aussagen treffen. Denn ein wesentlicher Teil der angewandten Forschung zu diesen Technologien findet in Start-ups statt, die die Details ihrer Produktionsprozesse nicht veröffentlichen. Aber: Vielen Schätzungen zufolge reduzieren sich die Kosten beider Technologien relativ schnell. Aktuell sind sie jedoch noch weit von einer Parität mit den tierischen Produkten entfernt, insbesondere bei CM.
Zur Bewertung der Umwelt- und Klimawirkung von PF und CM gibt es einige Lebenszyklusanalysen. Diese haben aber teils die Start-ups selbst in Auftrag gegeben und sind bei den Annahmen nicht transparent, oder die landwirtschaftliche Seite wurde nur unzureichend abgedeckt.
Auch wenn viele Details der Prozesse für die Erzeugung von Lebensmitteln durch PF und CM sich aktuell noch weiterentwickeln und Veränderungen unterworfen sind, gibt es einen fundamentalen Zusammenhang, der relativ stabil zu sein scheint: Die Effizienz, wie Input zu Output umgewandelt wird. Beide Technologien benötigen »Futter«, um die Mikroben zum Arbeiten und die Zellen zum Teilen zu bringen. Bei PF wird zumindest eine Form von Zucker benötigt, und die Zellen in einem CM-Bioreaktor brauchen neben Mikronährstoffen und Wachstumsfaktoren insbesondere Zucker und Aminosäuren.
Flächeneffizienz als zentraler Nachhaltigkeitsaspekt bei Lebensmitteln
In den vergangenen Jahren haben wir uns in der Forschung damit beschäftigt, aus der »Futterumwandlungseffizienz« von PF und CM insbesondere auf die Flächeneffizienz zu schließen. Geringe Flächeneffizienz ist der wesentliche Grund, warum die Klima- und Biodiversitätswirkung tierischer Produkte oft höher sind als bei pflanzlichen. Je mehr Fläche pro kg Lebensmittel oder Protein benötigt wird, desto weniger Fläche steht zur Speicherung von Kohlenstoff zur Verfügung (Kohlenstoff-Opportunitätskosten) und desto höher ist der Einfluss auf die Artenvielfalt.
Um die Frage zu beantworten, ob PF und CM Vorteile bei der Flächeneffizienz im Vergleich zur Fleisch- und Milchproteinerzeugung durch Tiere aufweisen, haben wir in den letzten Monaten zwei wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht. Diese beschäftigen sich mit dem Vergleich der Schweinehaltung mit CM sowie der Milchviehhaltung mit Molkenprotein aus PF. Dabei haben wir auf bereits veröffentlichte Nährstoffbedarfe von Zellen bzw. Mikroorganismen zurückgegriffen und diese für unsere Berechnungen mit landwirtschaftlichen Anbausystemen und Pflanzenerträgen in Deutschland ergänzt. Für den zusätzlichen Energiebedarf der CM- und PF-Prozesse im Vergleich zur tierischen Erzeugung haben wir erneuerbare Energien (PV und Wind) angenommen und in die Flächenkalkulation einbezogen. Auch bei der Erzeugung des benötigten Ammoniaks für den PF-Prozess haben wir den Flächenbedarf von »grünem Ammoniak« herangezogen, das mit Strom aus PV und Windenergie erzeugt wird und somit auch Fläche beansprucht.
Unsere Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede zwischen PF und CM. Beim wahrscheinlichsten Szenario liegt für Bedingungen in Deutschland die Flächeneffizienz von CM bei ca. 7,3 m2 pro kg Fleisch, wohingegen der Mittelwert von 31 Studien zur tierischen Schweinefleischerzeugung bei 7,9 m2 pro kg Fleisch beträgt. Dieser sehr marginale Vorteil ist gut erklärbar: Grundsätzlich ist der Nährstoffbedarf von Zellen im Tier und im Bioreaktor nicht fundamental unterschiedlich, da die Prozesse in der Zelle dieselben sind. Anders sieht es bei der PF aus: Hier unterscheidet sich der Prozess fundamental von dem eines Tieres, was sich auch in der Flächeneffizienz widerspiegelt. Nimmt man Zuckerrüben als Zuckerquelle und grünen Ammoniak aus PV und Wind als Stickstoffquelle an, werden in Deutschland bei PF ca. 4 m2 pro kg Molkenprotein (β-Lactoglobulin) benötigt. Die untersuchten 101 Studien zur Flächeneffizienz in der Milchviehhaltung kommen je nach Allokationsmethode auf 19 bis 68 m2 pro kg Molkenprotein. Diese gewaltige Differenz zeigt, welche Potentiale in der Fermentation liegen. Angenommen, wir würden den Zucker, den wir in Deutschland über die empfohlene Konsummenge hinaus erzeugen, für PF verwenden, könnten wir das 4,5-Fache der aktuellen Molkenproteinerzeugung aus der Milchviehhaltung produzieren (Übersicht 2).
Was ist mit dem vielen Grünland?
Geht es um Milchviehhaltung und Flächeneffizienz, wird oft das Argument angeführt, dass Rinder die einzigen sind, die Grünland in für uns nutzbare Lebensmittel umwandeln können. Daher haben wir auch ein Szenario betrachtet, in dem das Grünland in Deutschland nicht über Rinder, sondern über PF verwertet wird. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass der Zucker im Gras extrahiert und dieser Mikroorganismen zur Erzeugung von Molkenprotein zur Verfügung gestellt wird. Auch wenn es hierfür aktuell noch technologische und ökonomische Hürden gibt: Das Ergebnis wäre eine über 17-fach höhere Molkenproteinausbeute als bei der Nutzung durch Rinder.
Da Molkenprotein (β-Lactoglobulin) aktuell bereits von verschiedenen Unternehmen durch PF erzeugt wird, haben wir uns darauf in unserem Vergleich fokussiert. Prinzipiell kann jedoch jedes tierische Protein mittels PF erzeugt werden.
Was bedeuten diese Ergebnisse für die Landwirtschaft und die Lebensmittelbranche?
Auch wenn Lebensmittel aus CM und PF aktuell in Deutschland und der EU nicht zugelassen sind, haben beide Technologien das Potential, perspektivisch die Erzeugung von Fleisch und Milch deutlich zu verändern. Bezüglich der Flächeneffizienz scheinen die Vorteile von CM im Vergleich zur Schweinehaltung bei der direkten Nutzung landwirtschaftlicher Rohstoffe für das Nährmedium sehr gering zu sein. Auch wenn Tier-ethische Argumente für diese Technologie sprechen könnten, wären wesentliche Fragen zur Klima- und Biodiversitätswirkung von Fleisch dadurch nicht gelöst.
Bei PF sind die Vorteile mit Blick auf die Flächeneffizienz hingegen sehr deutlich. Darüber hinaus ist die Technologie auch viel weiter fortgeschritten. Diese Vorteile könnten auch für CM genutzt werden: Einige Verfechter von Fleisch aus Zellkultur argumentieren, dass die Proteine bzw. Aminosäuren für das Nährmedium äußert flächeneffizient mit PF erzeugt werden könnten. Dann stellt sich jedoch wiederum die Frage, ob man gleichermaßen nicht auch Schweine mit Proteinen aus PF füttern könnte, was wiederum deren Flächenbedarf drastisch reduzieren würde.
Teils besteht die Erwartung, dass landwirtschaftliche Betriebe zukünftig ihre Tiere gegen Bioreaktoren tauschen. Damit könnten sie weiterhin wesentliche Anteile an der Wertschöpfungskette halten. Betrachtet man die Prozesse von CM und PF, wird allerdings deutlich, dass dieses Szenario sehr unwahrscheinlich ist. Beide Technologien benötigen hochreine Nährstoffe, die so nicht wirtschaftlich auf landwirtschaftlichen Betrieben aus den erzeugten Rohstoffen gewonnen werden können. Es ist sehr fraglich, ob es wirtschaftlich und logistisch Sinn macht, die in der Landwirtschaft anfallenden pflanzlichen Rohstoffe in große Anlagen zu bringen, um daraus kosteneffizient Zucker und Aminosäuren zu gewinnen und diese wieder auf die Betriebe zurückzuführen, um dort Zellen und Mikroben zu füttern. Wahrscheinlicher scheint es aus ökonomischer Sicht, dass große Anlagen außerhalb landwirtschaftlicher Betriebe die Erzeugung übernehmen werden.