
Nachhaltigkeit. Was kommt da noch auf Sie zu?
Klimaneutralität bis 2050 – der Green Deal der EU treibt die Transformation der Wirtschaft an. Auch schweinehaltende Betriebe werden künftig an ihrer »Nachhaltigkeit« gemessen. Dabei kommt der Druck vonseiten der Finanzierung, der Schlachtung und des LEH. Doch wie könnten messbare Kriterien aussehen?
Die Schweinefleischproduktion bei uns ist besonders ressourcenschonend und findet unter hohen Standards statt. Diese branchenweite Aussage ist sicher richtig. Doch wie sieht es konkret auf dem einzelnen Betrieb aus? Es zeichnet sich ab, dass Schweinehalter vermehrt von Handelspartnern aufgefordert werden, Aussagen zu ihrer Nachhaltigkeit zu treffen. Woher genau kommt der Druck?
EU-Green Deal. Um dem Klimawandel und den damit verbundenen Risiken zu begegnen, hat die EU den Green Deal verabschiedet – ein Paket politischer Initiativen und Strategien, um die europäische Wirtschaft nachhaltig zu gestalten – und bis 2050 klimaneutral. Um das zu erreichen, fordert die EU von allen relevanten Wirtschaftszweigen einen Beitrag zum übergeordneten Klimaziel, so auch von der Landwirtschaft.
Der Aktionsplan Sustainable Finance (Nachhaltige Finanzierung) ist ein zentrales Instrument des Green Deals (Grafik 1). Sein Herzstück, die EU-Taxonomieverordnung, definiert anhand technischer Kriterien für jeden Wirtschaftszweig, was eine nachhaltige Aktivität ist (Kasten). Das ermöglicht z. B. Investoren, nachhaltige Unternehmen auf den ersten Blick zu erkennen und soll »Greenwashing« verhindern.
Für die Landwirtschaft existiert derzeit noch keine Taxonomie – eine Definition, was nachhaltige Landwirtschaft genau ist, steht also noch aus. Die Verzögerung hat vor allem formale Gründe: Um die Vereinbarkeit zwischen den verschiedenen In-strumenten des Green Deals sicherzustellen, sollen zunächst die Ergebnisse der GAP-Verhandlungen abgewartet werden.
Doch die Landwirtschaft ist bereits heute indirekt durch die Vorgaben zur nachhaltigen Finanzierung mit im Boot – und zwar über die Banken. Sie sind der Hebel, den die EU einsetzt, um Finanzströme der Privatwirtschaft verstärkt in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten zu lenken. Banken sind dadurch verpflichtet, bei ihren Kreditvergaben Nachhaltigkeitsaspekte stärker einzubeziehen. Konkret müssen sie den prozentualen Anteil ihrer taxonomiekonformen Finanzierungen im Rahmen der nicht finanziellen Berichterstattung ausweisen. Perspektivisch wird erwartet, dass die EZB über ein Bonus-Malus-System Banken dazu verpflichtet, je nach Status ihres Kreditportfolios in Sachen Nachhaltigkeit, die zu hinterlegenden
Eigenkapitalquoten anzupassen. Denn geringe Nachhaltigkeit wird als Stabilitätsrisiko gewertet. Das bedeutet für Kreditnehmer: Investitionen, die als nicht nachhaltig bewertet werden, werden von den Banken relativ schnell sehr kritisch gesehen werden.

ESG-Kriterien
Die EU definiert Nachhaltigkeit über die Berücksichtigung der ESG-Kriterien. Diese zeigen, wie nachhaltig ein Unternehmen wirtschaftet bzw. welche Nachhaltigkeitsrisiken es gibt. Die Abkürzung ESG steht für Environmental, Social and Governance – zu Deutsch: Umwelt (Klimaschutz, Schutz der Biodiversität, Ressourcen), Soziales (Mitarbeitende, demographischer Wandel, Sicherheit und Gesundheit) und Unternehmensführung (Einhaltung von Gesetzen, Transparenz). Sowohl die EU-Taxonomie als auch die CSRD beziehen sich auf die ESG-Kriterien.
Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und Lieferkettengesetz
Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet Unternehmen ab 250 Mitarbeitern, ein ESG-Reporting zu erstellen. Das bedeutet, dass neben finanziellen auch nicht finanzielle Angaben wie Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelange, Achtung von Menschenrechten und Bekämpfung von Korruption in die öffentliche Berichterstattung von Unternehmen einbezogen werden müssen. Damit sollen diese sowohl über mögliche Nachhaltigkeitsrisiken in Bezug auf die eigene wirtschaftliche Lage als auch über die Auswirkungen des Unternehmens auf die Umwelt und die Gesellschaft berichten. Diese Nachhaltigkeitsinformationen müssen einer externen Prüfung durch Wirtschaftsprüfer oder andere, staatlich anerkannte Prüfer unterzogen werden, um die Glaubwürdigkeit der Berichte zu erhöhen.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) trat in Deutschland 2023 in Kraft. Konkret müssen Unternehmen
ab 1 000 Mitarbeitern in Sachen Menschenrechte und bezüglich bestimmter Umweltaspekte Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten in angemessener Weise beachten. Die zu erfüllenden Pflichten sind nach den tatsächlichen Einflussmöglichkeiten abgestuft, je nachdem, ob es sich um den eigenen Geschäftsbereich, einen direkten Vertragspartner oder einen mittelbareren Zulieferer handelt. Praktisch bedeutet das, dass Unternehmen ihre Lieferketten bis ins letzte Glied durchleuchten müssen.
Die genannten Instrumente sind alle bereits in Kraft getreten, sodass über alle drei Wege (Grafik 1, S. 69) künftig auch auf Schweinehalter Druck entstehen wird. Denn um ihre Berichtspflichten zu erfüllen, müssen viele Geschäftspartner der Landwirte dafür sorgen, dass sich die Nachhaltigkeitsbewertung ihres Rohstoffbezugs (Schlachtschweine) schrittweise verbessert.
Was bedeutet das für Schweinehalter?
Früher oder später wird die Forderung an die landwirtschaftlichen Betriebe herangetragen werden, einen Nachweis für die Nachhaltigkeit ihrer Produktion vorzulegen. Von da an sind schrittweise Verbesserungen zu realisieren. Das objektiv bewertbar zu machen, ist dabei eine der Herausforderungen.
Derzeit im Fokus steht beim Thema Nachhaltigkeit meist ausschließlich der CO2-Fußabdruck des Produktes Schlachtschwein. So ermittelt bereits Tönnies auf freiwilliger Basis den Fußabdruck für seine Kunden. Um den anstehenden Anforderungen der EU-Regulatorik gerecht zu werden, dürfen aber nicht nur einzelne Indikatoren betrachtet werden. Vielmehr müssen zur Messung von Nachhaltigkeit alle ESG-Kriterien berücksichtigt werden. Denn unterm Strich bildet eine isolierte Betrachtung einzelner Aspekte die Komplexität in der Landwirtschaft nicht ab. Zudem muss eine Bewertung eines Betriebes transparent und fachlich nachvollziehbar und auf alle Produktionsformen anwendbar sein.
So ein Bewertungskonzept wurde von der DLG gemeinsam mit den Partnern im DLG-Netzwerk für den Ackerbau entwickelt. Ein Konzept für die Schweinehaltung steht kurz vor der Testphase.

Nachhaltigkeit messbar machen
Das DLG-Nachhaltigkeitszertifikat Schweinehaltung arbeitet mit 23 Indikatoren. Diese orientieren sich an den ESG-Kriterien und sind in vier »Sphären« unterteilt: Ökologie, Soziales, Ökonomie und Management (Grafik 2). Die Zertifizierung erfolgt mithilfe eines Checklisten-Audits auf dem Betrieb. Bürokratie und Doppeleingaben werden vermieden, indem vorhandene Nachweise, Daten und Unterlagen (z. B. Stoffstrombilanzierung, Agrarantrag, BMEL-Abschluss) genutzt werden. Bei guter Vorbereitung kann das Audit innerhalb von drei bis vier Stunden abgeschlossen werden.
Das Ergebnis ist eine Nachhaltigkeitsanalyse in Form eines Spinnendiagramms. Die einzelnen Indikatoren werden mit Noten von 1 bis 6 bewertet. Um im Sinne der guten fachlichen Praxis zu bestehen, muss mindestens die Note 4 erreicht werden. In Grafik 3 ist dies exemplarisch am Indikator Haltungsform dargestellt.
Bei den Indikatoren der Sphäre Ökologie werden Bonus- oder Maluspunkte verteilt. Dazu ein Beispiel: In der Mast wird beim Indikator »Tierwohl« der erreichte Status hinsichtlich der Unversehrtheit der Tiere (Schwanzkupieren, Kastration) betrachtet. Die Umsetzung des Aktionsplans Kupierverzicht entspricht dabei dem gesetzlichen Standard. Zusatzpunkte für die Haltung eines höheren Anteils unkupierter Tiere (z. B. 10 %, 50 % oder 90 %) sind möglich.
Der in Deutschland geltende gesetzliche Standard ist die Kastration unter Schmerzausschaltung mit Isofluran- oder Injektionsnarkose. Die Mast importierter Ferkel, die ohne Schmerzausschaltung kastriert wurden, führt automatisch zum Nichtbestehen des Audits (K.o.-Kriterium). Für die nur im Ausland zulässigen Methoden CO2-Betäubung oder Lokalanästhesie werden Punkte abgezogen. Ebermast oder Immunokastration bedeuten Bonuspunkte.
Die Note 6 zeigt auf, dass gesetzliche Mindeststandards nicht eingehalten werden (bei manchen Indikatoren gilt das bereits bei Note 5). Ihre Vergabe führt automatisch zum Nichtbestehen. Die Note 5 kann innerhalb einer Sphäre ausgeglichen werden, wenn der gesetzliche Standard eingehalten wird. Insgesamt muss zum Bestehen außerdem die Durchschnittsnote 4 über alle 23 Indikatoren erreicht werden. Wechselwirkungen zwischen den Indikatoren machen es unmöglich, überall die Note 1 zu erreichen. Das Zertifikat ist nach Vergabe für drei Jahre gültig.
Welchen Nutzen habe ich als Landwirt?
Fleisch allgemein hat den Ruf, schlecht für die Umwelt zu sein. Fakt ist aber, dass die Schweinefleischproduktion bei uns besonders ressourcenschonend ist und unter Anwendung hoher Standards abläuft. Das für den eigenen Betrieb darstellen zu können, kann in der Debatte um Nachhaltigkeit hilfreich sein.
Die Nachhaltigkeitszertifizierung ist eine fachliche und methodische Unterstützung, um künftig Berichtspflichten in Richtung Bank oder gegenüber Geschäftspartnern in der Wertschöpfungskette erfüllen zu können. Im Bereich Banken zeichnet sich ab, dass Nachhaltigkeit zum entscheidenden Kriterium wird, ob die Finanzierung eines Projektes überhaupt angeboten wird.
In der Außendarstellung lässt sich eine Nachhaltigkeitsanalyse der eigenen Produktion als Basis für einen sachliche Diskussion nutzen. Zudem: Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Status quo in den Bereichen Ökologie, Soziales und Ökonomie kann Ansatzpunkte für eine unternehmerische Betriebsoptimierung liefern. Insbesondere, da einige Indikatoren Fragen in den Fokus rücken, die in der klassischen Unternehmensanalyse bisher wenig Beachtung finden.