Lieferketten. Wie lässt sich der Bioanteil ausbauen?
Soll der Biolandbau in Deutschland vorankommen, muss der Absatz steigen. Dabei sind alle gefordert, die mit Ökolebensmitteln Geld verdienen wollen. Welche Möglichkeiten und Herausforderungen sich dabei auftun, untersuchen unsere Autoren im Rahmen einer Beitragsreihe zu den Ökolieferketten.
Pauschal läuft gar nichts - das trifft nicht nur auf die unterschiedlichen Ausprägungen von »Bio« in Deutschland zu. Denn die Unterschiede zwischen den Regionen sind in jeder Hinsicht groß. Die Spannweiten der Bioflächenanteile reichen von unter 3 % in den typischen Ackerbau- und den intensiven Viehhaltungsregionen bis zu über 30 % in Grünlandregionen, extensiv in den Mittelgebirgen oder von der Milchviehhaltung geprägt in Oberbayern. Genauso groß sind auch die Unterschiede im Biomarkt. Auch da läuft nichts pauschal: Die Unterschiede vom Hofladen bis zum national agierenden Discounter sind riesig. Das spiegelt sich nicht nur in der Preisgestaltung wider, sondern auch in den Unterschieden der Biomarktanteile am Gesamtumsatz einer Food-Kategorie. Letztere reichen von 1 % bei Brot oder Schweinefleisch bis zu über 30 % bei Bioeiern (wegen der höheren Preise für Bioprodukte übersteigt der Umsatzanteil in der Regel den Produktmengenanteil).
Je größer eine Filialkette und je zentraler organisiert, desto weniger kann sie ein einzelner Landwirt beliefern. Das gilt besonders für die Discounter. Stattdessen liefern Biolandwirte in vielen Wertschöpfungsketten an Erzeugergemeinschaften, denen sie selbst als Mitglied angehören. Oft tragen diese im Namen den assoziierten Bioverband, wie die bundesweit agierende »Marktgesellschaft der Naturland Bauern AG« oder die »VGS Bioland SH«, die beide Druschfrüchte, Gemüse, Vieh und Fleisch sowie Saatgut handeln. Oft handeln die Erzeugergemeinschaften auch Ware von Mitgliedern anderer Bioverbände, seltener jedoch von EU-Biobetrieben, die keinem Bioverband angehören. EU-Biobetriebe liefern häufiger an traditionell etablierte Raiffeisen-Genossenschaften, die erst in den vergangenen Jahren zusätzliche Biohandelsschienen aufgebaut haben.
Manche Biopioniere haben auch ihr eigenes Handelsgeschäft aufgebaut, wie beispielsweise im Norden Ernst Friedemann von Münchhausen seine Gut Rosenkrantz Handelsgesellschaft in Neumünster, die Hofmolkerei Dehlwes bei Bremen oder die Ökofrucht Rolker im Alten Land – alles Familienbetriebe im Übergang in die zweite Biogeneration. Es gibt jedoch mitunter auch einzelne Landwirte, die Eier, Kartoffeln oder Gemüse im so genannten »Streckengeschäft« direkt an selbstständige Edeka- oder Rewe-Händler liefern oder im Rahmen von Regionalinitiativen auch an Regionszentralen.
Die sich wandelnde Stimmung im Biomarkt spiegelt sich in den Umstellungsraten. Grafik 1 zeigt für die vergangenen 22 Jahre, dass ein Wachstum von deutlich mehr als 5 % die Ausnahme ist, die nur 2000 bis 2002 sowie 2016 bis 2019
erreicht wurde. Die Folge war immer eine gewisse Marktsättigung, bis neue Produkte und neue Absatzwege wieder ein verstärktes Marktwachstum und damit eine Marktberuhigung bewirkten. 2020/21 wurde diese Reaktion durch die Sonderkonjunktur zu Coronazeiten um ein Jahr verschoben. 2022 kam dann zum Nach-Corona-Kater das Kriegs- und Inflationsgeschehen, das zu erheblichen Umsatzeinbußen bei Hof- und Bioläden führte (Übersicht 1). So heftig das aussah und entsprechend in der Presse kommentiert wurde, waren die meisten Bioumsätze 2022 doch höher als 2019, also ohne Corona-Sonderkonjunktur normales Wachstum.
Bio in allen Märkten
Nur die Discounter Aldi, Lidl, Netto, Penny und Norma profitierten von der Inflation. Beim Absatz von Bioprodukten stehen die Discounter mit einem Umsatzanteil von gut einem Drittel inzwischen an der Spitze, gefolgt von den Vollsortimentern Edeka und Rewe sowie einigen kleineren Unternehmen, die zusammen mit den Drogeriemärkten dm, Rossmann und Müller ebenfalls ein Drittel der Bioumsätze auf sich vereinigen. Der Biofachhandel kommt auf 20 % Marktanteil, während die Direktvermarkter, das Lebensmittelhandwerk, die Außer-Haus-Verpflegung und die Solidarische Landwirtschaft zusammen 10 % der Bioumsätze auf sich vereinen.
Mit dem allgemeinen Zugewinn an Marktanteilen der Discounter wuchs zuletzt auch ihr Umsatz mit Bioprodukten. Nachdem sich die Zusammenarbeit von Naturland und Rewe sowie Bioland und Lidl weitgehend bewährt hat, ist Aldi 2023 als letzter der großen Händler eine Zusammenarbeit mit einem Bioverband (Naturland) eingegangen. Naturland zertifiziert weltweit, sodass auch tropische Produkte wie Bananen und Kaffee als Naturland-Produkte bei Aldi auftauchen könnten. Das wird allerdings wohl erst dann geschehen, wenn Naturland als vertrauenswürdiges Siegel für deutsche Bioprodukte steht, wie das bei Fair Trade bei Aldi der Fall ist.
Als Biohändler Nummer eins bezeichnet sich Aldi Süd mit 500 Bioartikeln (18 Mrd. € Gesamtumsatz). Der Vollsortimenter Tegut kommt bei einem Gesamtumsatz von 1,3 Mrd. € auf einen Bioanteil von 30 %. Knapp dahinter folgen die Vollsortimenter Edeka Südwest und Feneberg im Allgäu, der inzwischen auch zu Edeka gehört.
Im Biotrockensortiment ist der Marktführer der Drogeriemarkt dm, der Alnatura mit aufgebaut und dann durch die Eigenmarke »dmBio« ersetzt hat. Alnatura selbst erzielte zuletzt einen Umsatz von 1,1 Mrd. €. Die eine Hälfte entfiel auf die eigenen Biofachhandelsfilialen, die andere auf die Funktion als Markenlieferant für Edeka, Rossmann, Globus, u.a. Etwas größer ist noch der reine Biogroß- und -einzelhändler dennree mit seinen Denns Biomärkten. Im LEH dürfen mit Demeter, der ältesten und renommiertesten Bioverbandsmarke nur einige Edeka-Regionen werben sowie die SB-Warenhauskette Kaufland, die wie Lidl zur Schwarz-Gruppe gehört, und inzwischen auch Rewe.
Geringer Anteil des Ackerbaus an der Ökofläche
Während 11 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LF) in Deutschland ökologisch bewirtschaftet werden, beträgt der Bioanteil am Lebensmittelmarkt knapp 6 %. Der Unterschied gründet auf dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren: Zum einen hinkt das Wachstum des Biomarktes oft hinter dem Flächenzuwachs in Deutschland hinterher. Zum anderen sind die Erträge im Biolandbau geringer. Hinzu kommen der größere Grünland- (17 %) und der geringe Ackerbauanteil (6 %) des Ökolandbau an der gesamten LF. Die heimische Erzeugung wird zwar durch Importe ergänzt, jedoch wird deutsche Bioware im Handel in der Regel vorgezogen.
Große Kategorien – kleine Bioanteile. Ausgerechnet in der Kategorie, mit der die Naturkostbewegung angefangen hat, Müsli und (Vollkorn)Brot, hat Bio heute mit 1 % den geringsten Marktanteil (Übersicht 2). Wie es dazu kam und ob der Biomarktanteil hier gesteigert werden kann, werden wir in dem entsprechenden Beitrag zu den Lieferketten untersuchen. Dabei werden alle Glieder der Lieferketten von den Erzeugern, den Erzeugergemeinschaften und Bündlern, dem Getreidehandel, den Mühlen bis in den Einzelhandel berücksichtigt. Das fängt damit an, dass alle Biogetreideerzeuger für Reinigung, Trocknung und Lagerung selbst sorgen müssen.
Am anderen Ende der Wertschöpfungskette, im Einzelhandel, besteht ein wesentliches Abverkaufs-Hindernis darin, dass zwei Drittel des Biobrotes an Bedientheken verkauft wird, wo einerseits die Bioauszeichnung nicht so einfach standardmäßig aufgedruckt werden kann und andererseits die Imagewerte handwerklich, regional, vollwertig und traditionell beim unkritischen Verbraucher bereits den Eindruck von »alles bio« erwecken. Anders bei abgepackten Biomüslis und Keksen, die zum Trockensortiment zählen und damit in starkem Wettbewerb zu großen konventionellen Markenartikeln stehen.
Auch bei Fleisch und Wurstwaren hat Bio unterdurchschnittliche Marktanteile. Bei Rindfleisch sind es 7 %, bei Schweinefleisch nur 1 %. Auch hierbei ist der Unterschied zwischen Bedientheken und Selbstbedienung (SB) zu berücksichtigen. Discounter führen nur SB-Ware, aber auch viele Vollsortimenter müssen auf Bedientheken verzichten, entweder weil sie nicht rentabel zu betreiben sind oder aus akutem Fachkräftemangel. Fleischverkäufer wollen immer weniger werden. Auch Biogeflügelfleisch hat nur 3 % Marktanteil. Biogeflügelfleisch betrachten wir wegen größerer Überschneidungen in der Produktion im Beitrag zu Bioeiern und Legehennen.
Bei rund 4% Marktanteil liegen auch die Futtermittel
Sie machen rund zwei Drittel der Mähdruschfrüchte aus, weit vor dem Getreide für menschlichen Konsum. Darin erklärt einerseits das geringe Bioangebot in dieser Kategorie im LEH und die entsprechend geringere Nachfrage nach Konsumgetreide und andererseits die deutlich kleinere weizenfähige Ackerfläche des Ökolandbaus in Deutschland. Und das nicht nur in Jahren, in denen Regen in der Ernte die Backqualität senkt. Getreide als Futtermittel für Legehennen, Kühe und Schweine ist selten knapp. Das Gegenteil gilt regelmäßig für Leguminosen und Ölkuchen als Eiweißlieferanten: Diese müssen standardmäßig durch Importe ergänzt werden.
Mit Erlösen von 644 Mio. € sind Milch und Milchprodukte mit großem Abstand die wichtigste Kategorie im Biosegment. Da diese Kategorie auch für die konventionelle Landwirtschaft die höchsten Umsätze beisteuert, liegen Biomilch und Milchprodukte mit 6 % im Durchschnitt der Marktanteile. Man darf gespannt sein, wie sich dieser Produktionszweig weiter entwickelt im Spannungsfeld zwischen:
- behutsamer Aufnahme neuer Umsteller,
- einem aktuell wieder bedrohlich niedrigen konventionellen Milchpreis,
- einem sinkenden Milchverbrauch pro Kopf,
- einer gemeinsamen Erzeugerpreisempfehlung von Bioland und Naturland von 67 Ct/kg,
- einer zunehmenden Vielfalt an Heu- und Weidemilch,
- der immer noch relevanten Zahl an Anbinde- und Kombihaltungen auf kleinen Betrieben in Süddeutschland und
- der verstärkten Umstellung größerer Milchviehbetriebe (> 100 ha) im Einzugsgebiet der Molkerei Ammerland sowie im Erzgebirge (> 600 ha je Betrieb), die meist an die Bayerische Milchindustrie (BMI) oder die Bayernland Molkerei liefern.
Große Biomarktanteile
Knapp über dem durchschnittlichen Marktanteil liegen Biokartoffeln (Übersicht 2). Dabei spielt sowohl der rückläufige Umsatz von Speisekartoffeln allgemein eine Rolle als auch die Präferenz in Biokreisen für eine mediterrane, eher kartoffelärmere Kost.
Konventionell spielen Stärkekartoffeln, Chips und Tiefkühl-Pommes eine größere Rolle. Der »Bio Kartoffel Erzeuger Verein« (BKE) steht im Austausch mit Einzelhändlern und den größten deutschen Kartoffelpackern Ökokontor in Uelzen, Teil der Heilmann-Gruppe, und Hans-Willi Böhmer in Mönchengladbach, der nach langer Kooperation den Großhändler und Importeur Lehmann Natur übernommen hat.
Bereits 2015 hat der BKE Vertreter aller Stufen der Wertschöpfungskette Biokartoffel an einem runden Tisch zusammengebracht. Das Ergebnis, an das sich auch Aldi hält, besteht in der Selbstverpflichtung des Handels, mindestens 300 Tage im Jahr deutsche Biokartoffeln zu führen und sie nicht schon im März oder April durch Ware aus Ägypten oder anderen Mittelmeerländern zu ersetzen.
Biogemüse kommt auf 12 % Marktanteil in einem Markt mit einem Selbstversorgungsgrad von nur 30 %. Hier trifft eine größere Nachfrage auf Landwirte, die Kulturen mit einem höheren Deckungsbeitrag brauchen. Nicht selten wird mit der Umstellung auf Bio ein lukrativer Geschäftszweig wie Schweinemast oder Zuckerrüben aufgegeben oder zumindest stark eingeschränkt. Ersatz findet sich im Gemüsebau, als Marktgärtner für die Direktvermarktung oder als großflächiger Feldgemüsebauer für die Industrie. Biofeldgemüse geht vor allem an die Babykost und die Tiefkühlkost oder direkt an den LEH, oft über einen Bündler. Biogemüse ist, wie auch Biozuckerrüben, ein wachsender Markt für Jäteroboter, die das Unkraut nicht nur zwischen, sondern auch in den Reihen beseitigen.
Noch höher ist der Marktanteil von Bioobst, vor allem bei Äpfeln – und noch mehr bei Bananen. Aber das ist ein anderes Thema. Die konventionellen Apfelerzeugerpreise sind im weltweiten Wettbewerb so niedrig, dass der Bioanteil in den vergangenen zwanzig Jahren kontinuierlich gewachsen ist. Die zwei wichtigsten Anbaugebiete sind das Alte Land an der Niederelbe und die Bodenseeregion. Hier steht mit den Bioobst-Plantagen auch die nötige Infrastruktur in Form von Lager, Logistik und Know-how zur Verfügung.
Rund ein Drittel aller Umsätze mit Eiern machen Bioeier aus. Hier trifft eine große Nachfrage nach Eiern von Biohühnern auf Landwirte, die sich in den intensiven Viehregionen im Nordwesten über einen lukrativen Betriebszweig mit geringem Platzbedarf freuen sowie auf Ackerbauern, die neben den Umsätzen mit Eiern vor allem an dem schnell wirkenden Hühnertrockenkot interessiert sind. Sie finden sich in allen Ackerbauregionen, besonders aber in Mecklenburg-Vorpommern.
Bei Pflanzendrinks entfallen 61 % der Umsätze auf Bioprodukte. Vor allem Haferdrinks sind gefragt, weniger Soja- und Mandeldrinks. Bei Fleischersatzprodukten kommt Bio auf 26 %. Zusammen mit Käse sind sie die einzigen Biokategorien, deren Mengenabsatz auch 2022 wuchs, wenn auch nur um weniger als 5 % (von einer eher bescheidenen Basis kommend).