
HVO. Importe zulasten des Rapsmarktes
Im vergangenen Jahr wurde so viel Altspeisefett und vor allem HVO aus China importiert, dass die deutsche THG-Beimischung für das laufende Jahr schon zu 40 % gedeckt ist. Auch wenn die Einfuhren inzwischen gesunken sind, HVO und Altspeisefette setzen den Rapsmarkt weiter unter Druck.
Hydrierte Pflanzenöle (abgekürzt HVO aus dem englischen hydrated vegetable oils) haben ganz unbestreitbar viele Vorteile gegenüber herkömmlichem Raps-Biodiesel. Sie können in Reinform getankt werden und ihre Klimabilanz ist je nach Rohstoff sehr viel besser als die von Biodiesel aus Rapsöl. Aber HVO ist auch der Stoff, der Rapsöl aus dem Markt drängt, jedenfalls in Deutschland. Und das teilweise mit unlauteren Mitteln. Bei dieser Form von Biodiesel lässt sich die EU durch China schon länger über den Tisch ziehen. Seit einigen Jahren kommen unglaubliche Mengen an Altspeiseölen von Fettabscheidern oder aus Restaurants auf unseren Markt, teils auch schon zu Biodiesel verestert. Der Rohstoff dafür ist Palmöl, dem als Rohstoff für Biodiesel in der EU keine Treibhausgasminderung gutgeschrieben wird. Damit ist Palmöl als Rohstoff für Biodiesel de facto verboten. Stammt das Palmöl jedoch aus Altspeisefetten, dann ist es klimafreundlich und darf importiert werden, teilweise sogar mit Doppelanrechnung in Deutschland.
Groß angelegter Betrug mit Palmöl. Die Vermarktung von Altspeisefetten samt Doppelanrechnungen machen Betrügereien natürlich interessant. Denn Altspeisefetten kann reines Palmöl beigemischt werden – nachweisbar ist dies nicht. Weil Palmöl als Rohstoff für einfachen Biodiesel seit 2023 nicht mehr auf die THG-Quote angerechnet werden kann, sind die indonesischen und malaysischen
Ölmühlen natürlich daran interessiert, ihr Palmöl den Europäern auf andere Weise in den Biodiesel »unterzujubeln«. Der Weg führt dabei über China, das noch nie Probleme mit der Umdeklaration von Waren hatte: Palmöl oder HVO aus Palmöl geht nach China, wird dort entweder hydriert (Palmöl) oder einfach wieder reexportiert, und zwar als HVO aus Altspeisefetten oder als Ölmühlenabwasser (palm oil millers effluent, kurz POME). Diese Masche unterstellen die hiesigen Hersteller von Raps-Biodiesel den Chinesen bei Altspeisefetten schon lange.
Mit HVO haben die ganz offenkundigen Betrugsfälle im vergangenen Jahr ein Ausmaß erreicht, das speziell für den deutschen Biodieselmarkt und damit für die Preise von Raps – indirekt auch für Getreide – massive Auswirkungen hat. Um zu verstehen, wie der Betrug läuft, muss man sich zunächst die sehr komplexen Grundzüge des Biokraftstoffmarktes vor Augen führen. In der RED II-Richtlinie ist festgelegt, dass alle EU-Länder den Anteil von Biokraftstoffen erhöhen und den Ausstoß von Treibhausgasen (THG) im Verkehr senken müssen. Für 2024 sieht die Richtlinie 8 % Minderung vor. Wie die Länder dies erreichen, ist ihnen freigestellt.
In jedem EU-Land gibt es unterschiedliche Regelungen. Unterschieden wird dabei zwischen konventionellen Rohstoffquellen (etwa Rapsöl) und fortschrittlichen Quellen (etwa Bioethanol aus Holzabfällen, das machen vor allem die Finnen, die viele Holzwerke haben). Altspeisefetten wird grundsätzlich ein höherer THG-Minderungswert als Biodiesel zugeschrieben, denn der Rohstoff ist ja bereits vorhanden, zur Produktion auf dem Feld muss keine zusätzliche Energie aufgewendet werden und es entstehen dabei auch keine Emissionen wie etwa Lachgase.
Länderspezifisch sind auch die Doppelanrechnungen. Fortschrittliche Biokraftstoffe, dazu zählt in Deutschland vor allem HVO, werden jenseits einer Unterquote (aktuell sind das 0,3 % des gesamten Energieverbrauches im Kraftstoffmarkt) doppelt angerechnet. Das bedeutet, dass die Mineralölfirma als Inverkehrbringer im Vergleich zum Rapsbiodiesel weniger als die Hälfte an HVO dem Mineraldiesel beimischen muss, um die Vorgaben zu erfüllen. Etwas vereinfacht kann man das so ausdrücken: Gegenüber Raps-Biodiesel bringt Altspeisefett 2 t zusätzliche CO2-Einsparung, POME sogar 5 t zusätzliche CO2-Minderung.
Abkürzungen schnell erklärt
- RED II. RED steht für »Renewable Energy Directive«. RED II ist die aktuelle Version, die von jedem EU-Land umgesetzt wurde, jedoch in unterschiedlicher Weise. Das ist bei einer Richtlinie im Gegensatz zu einer EU-Verordnung (die gilt unmittelbar in jedem Land) so vorgesehen.
- HVO. »Hydrogenated Vegetable Oils« – Bei diesem Kraftstoff werden Pflanzenöle chemisch zu Diesel umgewandelt. Da es sich nicht wie beim Biodiesel um eine einfache Umesterung handelt, ist das Ausgangsprodukt analytisch nicht erkennbar.
- UCO. »Used Cooking Oil«, auf Deutsch: Altspeisefett. Das sind die Reste etwa aus Frittierfett oder anderen Küchenfetten.
- POME. »Palm Oil Millers Effluent« – das ist aus Ölmühlenabwässern herausgefiltertes Palmöl. Chemisch sind POME nichts anderes als Palmöl.
Je mehr HVO Shell, BP und andere also dem Biodiesel beimischen, desto weniger biogene Kraftstoffe benötigen sie am Ende. Dazu müssen sie gar nicht den Biokraftstoff einmischen, der auf dem Zertifikat steht. Der freie Zertifikatehandel in der EU ermöglicht es, HVO beispielsweise in Spanien zum Diesel beizumischen, das Zertifikat aber in Deutschland anrechnen zu lassen – und zwar doppelt. Tatsächlich muss nur die auf dem Zertifikat angegebene Menge Biodiesel einfließen, das kann dann auch Raps-Biodiesel sein. Die Konsequenz liegt auf der Hand: Unabhängig von der tatsächlichen Beimischung werden die Zertifikate dort angemeldet, wo sie den Mineralölfirmen den größten Nutzen bringen. Und das ist wegen der Doppelanrechnung bei HVO oder anderen fortschrittlichen Kraftstoffen vor allem Deutschland.
Die Zertifikate können auch in das nächste Jahr geschoben werden. 2023 kam weit mehr HVO nach Deutschland als für die THG-Quote benötigt wird. Marktbeteiligte gehen davon aus, dass etwa 40 % der gesamten THG-Quote für 2024 schon mit Vorträgen aus dem Jahr
2023 abgedeckt sind. Andere EU-Länder (wie Frankreich) kennen die Doppelanrechnung nicht. Dort ist HVO oder Biodiesel aus Altspeisefett nicht mehr wert als Raps-Biodiesel. Die Folge: Entsprechende Importe aus China (oder wenigstens deren Zertifikate) gelangen fast ausschließlich nach Deutschland.
3 Mio. t HVO, Biodiesel und Altspeisefett kommen aus China. Damit kann Palmöl nicht nur im EU-Biodiesel eingesetzt werden, es ist in Deutschland auch noch mehr als doppelt so viel wert wie Raps-Biodiesel. In die gesamte EU exportierte China im vergangenen Jahr rund 200 000 t HVO, 800 000 t Altspeisefett und 2 Mio. t Biodiesel aus Altspeisefett. Käufer sind BP, Shell und andere Mineralölunternehmen,
die damit nicht nur günstig ihre THGQuotenverpflichtungen erfüllen, sondern zugleich auch wenig physisch beimischen müssen und mehr billigeren Mineraldiesel einsetzen können.
Um eine finanzielle Größenordnung zu geben, warum der Transfer so attraktiv ist: Aktuell kosteten Zertifikate für 1 t THG-Einsparung 120 € (im Juni 2022 waren das noch 480 €/t). Wenn mit 1 Mio. t HVO-Diesel die doppelte Menge an Einsparung angerechnet werden kann, dann ergeben sich schnell große Beträge. Fachleute beziffern das Geschäft auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag, den sich vor allem die Mineralölfirmen einverleiben, aber von dem auch die Ölmühlen in Malaysia und Indonesien sowie natürlich die chinesischen Exporteure profitieren. Der Preisverfall der Zertifikate im Verlauf der letzten 14 Monate verschlechtert zwar die Rechnung für die Mineralölfirmen und die Chinesen, aber selbst bei einem Zertifikatepreis von 0 €/t bliebe HVO aus »fortschrittlichen Quellen« interessant, weil es doppelt angerechnet werden kann.
Wer will den Audits in China Glauben schenken? Wenn aus China mehr HVO angeblich aus Abwässern von Palmölmühlen kommt, als in den Anbauländern Indonesien und Malaysia überhaupt entstehen, dann riecht das nach Betrug. Und wenn aus China plötzlich enorme
Mengen fortschrittlichen Biodiesels aus Altspeisefetten oder Fettabscheidern kommen, kurz nachdem Deutschland diesen Rohstoff als fortschrittlich anerkannte, und dies auch noch zu extrem niedrigen Preisen, dann riecht das ebenfalls nach Betrug. Wie auch immer man den Markt für HVO betrachtet: Die Herkunft ist nicht nachvollziehbar.
Natürlich sind Altspeisefette und HVO aus China zertifiziert. Aber auch da lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Es gibt in der EU nur einen Zertifizierer, der für HVO in China zugelassen ist, die ISCC in Köln, also eine deutsche Firma. Die darf aber keine Kontrolleure nach China entsenden. Die Audits in den chinesischen Anlagen werden daher von Chinesen durchgeführt. Eine Kontrolle durch eine europäische
Aufsicht wie die BLE in Deutschland gestattet Peking nicht.
Wenn man dann noch weiß, dass Schiffe aus Indonesien erst einmal chinesische Häfen anlaufen und von dort nach kurzem Aufenthalt
Richtung Europa in See stechen (das lässt sich über Satelliten leicht nachvollziehen und die Schiffsbewegungen sind im Internet auch für jedermann verfügbar) kann man erahnen, dass da nicht alles mit rechten Dingen zugeht.
Warum ist vor allem Deutschland betroffen?
Die CO2-Minderung aus Speisefetten aus Restaurants oder Fettabscheidern wird in Deutschland, dem größten Biodieselmarkt in der EU, doppelt angerechnet. Österreich hat zwar auch die Doppelanrechnung, aber verlangt für jede Anlage, aus der Biokraftstoffe nach Österreich geliefert werden, eine eigene Akkreditierung. Das kennen wir in Deutschland nicht. Der Verband der deutschen Biokraftstoffindustrie schlägt vor, die Doppelanrechnung für Biokraftstoffe aus Ländern, die keine Kontrolle durch deutsche oder europäische Behörden zulassen, abzuschaffen. Das würde sicher nicht jeden Betrug verhindern können, wäre aber erst mal eine Hürde. Am Ende ist es eine Sache des politischen Willens.
Verfahren gegen den Betrug verlaufen im Sande. Ende vergangenen Jahres hat die EU-Kommission nach langem Druck der Wirtschaft ein Anti-Dumping-Verfahren eröffnet. Das kann allerdings nur die zollrechtlichen Fragen klären, nicht aber, ob bei der Deklaration der Rohstoffe geschummelt wird. Denn auch die EU-Kommission kann keine Kontrolleure nach China entsenden und schon gar nicht rückwirkend kontrollieren. Dennoch gingen mit Eröffnung des Anti-Dumping-Verfahrens die Importe zurück. Denn falls Strafzölle festgesetzt werden, dann gelten die auch rückwirkend ab dem Tag der Eröffnung des Verfahrens. Auf Druck der Biokraftstoffverbände hat
die BLE im Spätherbst 2023 Anzeige wegen möglichen Betruges gestellt. Die zuständige Staatsanwaltschaft Bonn sah aber keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer verfolgbaren Straftat und konnte auch keinen Schaden ermitteln. Wie auch? Denn auch den Staatsanwälten stehen nur die Daten aus China zur Verfügung, die auch der Zertifizierer ISCC liefert. Künftig könnte das Geschäft für die Mineralölfirmen noch attraktiver werden.
Der Entwurf für die neue Bundesimmissionsschutzverordnung sieht nämlich vor, dass Erdölraffinerien künftig auch biogene Rohstoffe in den Raffinationsprozess einfließen lassen können. Also vereinfacht gesagt: Erdöl + Rapsöl ergibt fertigen Diesel. Eine Beimischung ist dann erst gar nicht mehr nötig. Aber zugelassen ist nicht Rapsöl, sondern nur Rohstoffe aus »fortschrittlichen« Quellen, also Abfallstoffe.
Die Importe aus China setzen den Rapsmarkt unter Druck. In der EU werden etwa 9 Mio. t Rapsöl erzeugt. Etwa 6 Mio. t davon gingen bislang in den Biodiesel. Wenn davon 3 Mio. t durch zweifelhafte Importe aus China physisch ersetzt werden, die als Zertifikat wegen der Doppelanrechnung 3,4 Mio. t entsprechen, dann fehlt der Absatz für diese Menge an Rüböl. Natürlich könnte auch aus Rapsöl HVO erzeugt werden. Aber es lohnt sich zumindest derzeit einfach noch nicht. Denn die Kombination aus Doppelanrechnung und höherer THG-Einsparung von Altspeisefetten machen Rapsöl für diesen Prozess wirtschaftlich so lange unattraktiv, wie es genug Rohstoffe mit Mehrfachanrechnung gibt.
Kurzfristig wären auch die Kapazitäten begrenzt, denn in der EU gibt es nur neun HVO-Anlagen. Aber neue Anlagen lassen sich schnell errichten und werden auch gebaut. Nur sind die Rohstoffe aus Abfällen (siehe Interview) mengenmäßig sehr begrenzt. Das durch HVO verdrängte Rapsöl muss als Speiseöl vermarktet werden und trifft in Europa auf einen mit Sonnenblumenöl übersättigten Markt. Also
bleibt nur der Export (zum Beispiel nach Mexiko). Damit sinken die Margen der Ölmühlen und somit der Rapspreis.
Interview: »HVO ist ein toller Kraftstoff«

Herr Dr. Toedter, welche Rohstoffe kommen für HVO infrage?
Eigentlich fast alle biogenen Abfallstoffe. Ob Fette aus Restaurants, Öl aus Nadelhölzern, Fette und Talg aus Schlachtabfällen, Abfälle aus dem LEH.
Welcher Rohstoff bietet die größte CO2-Einsparung?
Das hängt natürlich von der CO2-Emission bei der Herstellung des Rohstoffes ab. Abfälle und Reste haben immer eine höhere Einsparrate als eigens erzeugte Pflanzenöle. Aber auch der CO2-Ausstoß beim Transport geht in die Rechnung ein und kann eine große Rolle spielen. Lange Transporte per Schiff oder LKW schmälern die CO2-Bilanz. Die Hydrierung und die chemischen Eigenschaften beeinflussen die CO2-Bilanz ähnlich, abhängig von der Ausbeute und dem CO2-Fußabdruck des verwendeten Wasserstoffs. Im besten Fall sind 90 % Treibhausgaseinsparung möglich.
Die Rohstoffe sind in der Diskussion, vor allem das Palmöl und der Betrug beim Import von HVO und Altspeisefett aus China.
Ja, das ist ein Problem, vor allem ein politisches. Zumal alle Hersteller den Ausschluss von Palmöl zugesagt und nach eigener Aussage auch umgesetzt haben. Die Forschung arbeitet zwar an Methoden, um Prozesse und Lieferketten überprüfen zu können. Aber am Ende geht das alles nicht ohne Kontrollen vor Ort.
Wie sind denn die chemischen Eigenschaften im Vergleich zu mineralischem Diesel?
Weitgehend identisch. Sie können deshalb HVO auch in allen Dieselmotoren einsetzen, beliebig mit Diesel mischen und auch zwischen der Betankung mit HVO und Diesel wechseln. Eine Höchstmenge für die Beimischung wie beim Biodiesel gibt es bei HVO nicht, denn HVO ist chemisch gesehen unpolar und greift weder Dichtungen noch Schlauchleitungen an.
Gäbe es denn genug HVO, um Diesel zu ersetzen?
Nicht aus europäischer Produktion. Aber außerhalb der EU wird weltweit in Anlagen investiert. Das Angebot steigt, und zunehmend werden wir statt Diesel HVO importieren. Und es gibt ja auch noch andere Dieselersatzprodukte.
Können wir denn da langfristig auf HVO verzichten?
Auf keinen Fall! HVO ist ein toller Kraftstoff. Auf die damit erzielbare Treibhausgasreduktion zu verzichten, wäre einfach nur fahrlässig.