Beispiele. Vier Wege zum eigenen Startup
Raumfahrttechnik zur Gülleaufbereitung, KI zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen, Insekten als Sojaersatz, Direktsaattechnik für produktive Böden – wir stellen die Gründer und deren Geschäftsideen vor.
Startups werden schon lange nicht mehr als lustige App-Entwicklungs-Buden gesehen, sondern als Pioniere in Sachen Innovationskultur. Sie rütteln auch an traditionellen Branchen. Zugleich könnten die Erwartungen, die in sie gesetzt werden, nicht höher sein. Sie gelten als Hoffnungsträger für eine Erneuerung der Wirtschaft, für mehr Nachhaltigkeit und für positive Wachstumseffekte. Vier Gründer haben wir besucht.
KI gegen Verschwendung von Lebensmitteln
SPRK.global. Rund 11 Mio. t Lebensmittelabfälle werden in Deutschland jedes Jahr entsorgt. Dabei landen neben verdorbenen Lebensmitteln auch genießbare in der Tonne. Tatsächlich fällt die meiste Lebensmittelverschwendung am Anfang und in der Mitte der Lieferkette durch Ineffizienzen an. Bestens genießbare Ware ist einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, wird nicht mehr gekauft und im schlimmsten Fall einfach entsorgt. Dagegen möchte das Startup SPRK.global vorgehen und einen Sekundärmarkt für überschüssige Lebensmittel aufbauen.
»Kern unseres Ansatzes ist eine Distributionstechnologie unter Verwendung von künstlicher Intelligenz«, sagt Gründer Alexander Piutti. Die eigens entwickelte, digitale und zunehmend KI-integrierte B2B-Plattform vernetzt Landwirte, Handel und Großverbraucher und verknüpft Angebot und Nachfrage quasi in Echtzeit. So ist es möglich, die Lebensmittel im Kreislauf zu halten und einer weiteren Nutzung zuzuführen. »Das ist vorteilhaft für alle Beteiligten: Lieferpartner reduzieren ihre Entsorgungskosten, handeln nachhaltig und erhalten zudem Erlöse aus dem Verkauf der überschüssigen Lebensmittel. Und unsere Abnehmer bekommen bestens genießbare Lebensmittel zu einem reduzierten Preis. So handeln alle unsere Partner gleichzeitig ökonomisch und ökologisch«, zählt Piutti die Vorteile auf. Nützlicher Nebeneffekt: Aus den gewonnenen Datensätzen erkennt die künstliche Intelligenz Muster, sodass langfristig die Produktion effizient und nachhaltig auf ein ausgewogenes Maß heruntergefahren und Überschüsse von vornherein vermieden werden können.
Von Haus aus ist Alexander Piutti studierter Elektrotechniker, Fachrichtung Automatisierung, und hat hat bereits verschiedene Unternehmen gegründet oder mit aufgebaut, darunter Global Venture Partners, Overture (verkauft nach vier Jahren für 1,6 Mrd. US-$ an Yahoo), GameGenetics oder Sirplus. »Seit 1999 gründe ich Startups. Und mein Steckenpferd dabei sind Marktplätze in ganz unterschiedlichen digitalen Bereichen«, sagt Piutti. Diese Marktplatzprägung ist sein Werkzeugkoffer.
Eine einschneidende Erfahrung war die Initialzündung für SPRK.global: »Eine Krebs-Fehldiagnose im Jahr 2014 hat bei mir einen Schalter umgelegt. Ich wollte etwas Ordentliches, etwas Relevantes machen und mich dem Thema Impact stärker zuwenden«, sagt Piutti. In den Bereich Lebensmittel-Kreislauf und Klimaschutz ist er trotzdem eher durch Zufall hineingerutscht. »Bei der Beschäftigung mit dem Thema habe ich erkannt, dass es bislang keinen Sekundärmarkt für überschüssige Lebensmittel gibt. Eigentlich ein Unding«, sagt Piutti. Den Schlüssel zur Lösung des Problems sieht der Gründer in Technologie für mehr Transparenz und, ganz wichtig, starken Partnerschaften.
Nach über drei Jahren Vorlauf wurde im März 2020 SPRK.global gegründet und hat vier Monate später bei der Extreme Tech Challenge (XTC) im Silicon Valley unter 2 400 Unternehmen den ersten Preis gewonnen. »Für uns war das ein weiterer »Proof of Concept« und kleiner Ritterschlag, dass eine international renommierte Jury an das SPRK-Konzept glaubt«, berichtet Piutti stolz. Aktuell sind um die 100 große Partner sowohl auf Erzeuger- als auch auf Abnehmerseite auf der Plattform aktiv.
Vom Säschar zur Direktsaattechnik
Novag. In der Agrartechnik dominieren die Platzhirsche, und Startups sind absolute Exoten. Dazu zählt Novag, der französische Hersteller von Direktsaatmaschinen. Die beiden Gründer Ramzi Frikha und Antoine Bertin, der eine Maschinenbauingenieur, der andere Landwirt, sind sich in Neuseeland begegnet. »Nach dem Studium wollte ich die Welt bereisen und mein Englisch verbessern«, sagt Frikha. Ihn verschlug es nach Neuseeland, wo er für das Unternehmen Baker No-Tillage Ltd. arbeitete, welches Säschare und anderes Equipment für die Direktsaat herstellt. »Und in Neuseeland habe ich Antoine kennengelernt, der sich dort die Direktsaat anschauen und dann im eigenen Betrieb in Frankreich anwenden wollte. Das war im Jahr 2009«, blickt Frikha zurück. Im selben Jahr kam er als Standbetreuung für Baker No-Tillage Ltd. auf die Agritechnica und war von da an endgültig vom Landtechnik-Virus gepackt. »Mir wurde klar, dass nicht nur Antoine, sondern auch viele andere Landwirte in Europa sich für die Direktsaat interessieren«, sagt Frikha.
So war die Agritechnica 2009 die Geburtsstunde von Novag, gegründet wurde 2011. Zunächst wurde mit Baker No-Tillage Ltd. kooperiert, um die Technik nach Europa zu bringen. Es wurde aber nur ein gemeinsamer Prototyp gebaut, da das, was in Neuseeland funktioniert, noch längst nicht für die Verhältnisse in Frankreich und Europa passt. Über die notwendigen Anpassungen der Technik herrschte Uneinigkeit und die Partnerschaft wurde daraufhin beendet.
»Wir sind unserer eigenen Philosophie gefolgt und haben die Maschinen komplett neu entwickelt«, sagt Frikha. Mit wenig Mitteln und unter spartanischen Bedingungen entstanden in einer Garage in der Nähe von La Rochelle die ersten Novag-Maschinen. Schnell wurden dafür auch Käufer gefunden, die die Direktsaat ausprobieren wollten. »Sie haben an uns geglaubt und uns als Newcomer vertraut. So hatten wir nie Ressourcen, um Prototypen zu bauen und zu testen, sondern haben alle Maschinen gleich in den Einsatz auf den Betrieben geschickt«, berichtet Frikha.
Der Kreis schließt sich 2017, als das junge Unternehmen selbst als Aussteller an der Agritechnica teilnimmt. Das rege Interesse und der Zuspruch sind Bestätigung für sechs Jahre Entwicklungsarbeit und der Grundstein für die Investition in eine eigene Fabrik im französischen Fressines. Dort werden heute 50 der revolutionären roten Drillmaschinen pro Jahr gefertigt, Tendenz steigend. Die Nachfrage wächst, da unter den aktuellen Rahmenbedingungen – weniger Dünger- und Pflanzenschutz, veränderte Klimabedingungen, Kostendruck – die Direktsaat mit vielen positiven Effekten lockt.
Raumfahrttechnik zur Gülleaufbereitung
Nunos. Gedacht war die Technologie ursprünglich fürs Weltall: Den Urin der Astronauten und bordeigene Abfälle setzen Biofilter in Dünger um – und dieser ermöglicht den den erdelosen Anbau von Salat und Tomaten im All. Daran forschen Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) bereits seit 2011. »Diese rein biologische Technologie lässt sich ebenso gut zur Aufbereitung von Gülle einsetzen«, sagt Tim Paulke. Er selbst ist Umweltingenieur und hat zusammen mit Holger Sommerlad und Johannes Stock, Agrarbiologe und Umweltingenieur, den Biofilter für den Einsatz in der Landwirtschaft angepasst und vergrößert. Ende 2022 wurde die erste Prototypanlage in Betrieb genommen. Die aktuelle Entwicklungsstufe setzt etwa 300 – 500 l Rindergülle pro Tag um. Noch ist Tim Paulke als Projektleiter beim DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln angestellt, eine Gründung des Startups Nunos für den Jahreswechsel angepeilt. Kurzum: Nunos ist eine Ausgründung, ein Spin-off aus dem DLR.
Das Thema der Gülleaufbereitung ist nicht neu. »Wir sind aber die allerersten, die eine rein biologische Methode mit Fokus auf Nährstoffrückgewinnung und Effizienzsteigerung anbieten können«, sagt Paulke. Möglich sein soll das mit einer eigenständigen Aufbereitungsanlage, bestehend aus einem Tank und einem geschlossenen »Reaktionsraum«. Dieser enthält Trägermaterialien, auf denen eine Vielzahl von Mikroorganismen siedeln können. Bakterien, Pilze und Einzeller bilden ein anpassungsfähiges Ökosystem und werden kontinuierlich mit frischer Gülle versorgt.
Neben der Gülle bzw. dem Substrat aus Biogasanlagen und Elektrizität werden keine weiteren Rohstoffe benötigt, was eine einfache Prozessführung ermöglicht. »Im Endeffekt erhalten wir zwei Produkte: Feststoffdünger als Bodenverbesserer und schnell pflanzenverfügbaren Flüssigdünger«, bringt Paulke die Vorteile des Systems auf den Punkt. »Erste Gefäßversuche, die wir zusammen mit dem LTZ Augustenberg angestellt haben, zeigen bis zu 20 % Mehrertrag gegenüber der unbehandelten Rohgülle«, fügt der Umweltingenieur noch an.
Wie gehts weiter? Das Geschäftsmodell von Nunos ist der Anlagenverkauf direkt an landwirtschaftliche Betriebe bzw. Biogasanlagen. Die Nullserie der Anlage wird etwa 95 000 € kosten. Außerdem wird ein Service- und Wartungsvertrag angeboten. »Zunächst liegt unser Fokus von unserem Standort Köln aus auf Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen«, sagt Paulke.
Insekten als Sojaersatz
Probenda. Während ihrer Elternzeit haben Luisa und ihr Mann Christian Benning 2019 eine fünfmonatige Wohnmobiltour durch Osteuropa gemacht. Da kam die Idee auf, mit Insekten ein Startup zu gründen. Gesagt getan, die sicheren Jobs wurden gekündigt und das Abenteuer gestartet.
Luisa ist studierte Agrarwissenschaftlerin und arbeitete als Produktmanagerin für Tiernahrung in einer Erzeugergemeinschaft von Biolandwirten. »Da bin ich das erste Mal mit Insektenprotein in Berührung gekommen«, sagt die Gründerin. »Wir haben uns intensiver mit der Thematik beschäftigt und dann eine erste Pilotanlage auf 35 m2 bei uns im Keller aufgebaut«, berichtet ihr Mann Christian von den Anfängen. Zucht, Puppenraum, Mast und eine kleine Verarbeitung – der Prototyp im Keller umfasst alle Funktionseinheiten einer Insektenfarm. »Wir wollten einfach mal sehen, wie das funktioniert«, sagt Christian. Doch kann man aus Insekten als Alternative zu den üblichen Proteinquellen im Futtermittelbereich, Soja und Fischmehl, ein Geschäftsmodell entwickeln?
»Unsere ersten naiven Vorstellungen: Wir sind Entsorger und setzen die Überschüsse aus der Lebensmittelverarbeitung und Gastronomie über die Insekten um und machen tolle Endprodukte daraus«, blickt Luisa ob der eigenen Blauäugigkeit ein wenig selbstkritisch zurück. »Dann mussten wir aber schnell feststellen, dass das rechtlich so gar nicht geht. Aber mit dem naiven Gedanken haben wir angefangen und alles auf eine Karte gesetzt«, fügt sie noch an.
Im Februar 2021, ziemlich genau ein Jahr nach Kündigung der Jobs, wurde eine 1 500 m2 große Fabrikhalle im südhessischen Pfungstadt bezogen. Es wurde viel rumprobiert und die gesamte Anlage, alle Maschinen, die Prozesse – alles wurde selbst designt und mit Bestehendem verknüpft. »Die ersten von heute neun Mitarbeitern kamen im Juli und die endgültige Zulassung hatten wir im November 2021«, sagt Luisa Benning. Damit war die Probenda GmbH die erste deutsche Firma, die Schweine- und Hühnerfutter aus der Schwarzen Soldatenfliege herstellen und in Verkehr bringen durfte. Bisher durften die proteinreichen Insekten nur zur Fütterung von Haustieren und Fischen in Aquakultur verwendet werden. Im Juli 2022 folgte die Zulassung für den Dünger. »Damit sind wir das erste volllizenzierte Unternehmen und können alles verkaufen, was wir produzieren«, sagt Luisa Benning stolz.
Jetzt steht der nächste Schritt der nahezu Vollautomatisierung an, vor allem, was den Futter-, Mast- und Ernteprozess angeht. »Dann können wir am Standort im Einschichtbetrieb die Kapazitäten vervierfachen und erreichen 2,5 t Output an Lebendmasse pro Tag – und hätten die Gewinnzone erreicht«, sagt Christian Benning. Aus 6 t organischen Reststoffen entstehen etwa 800 kg Proteinmehl und ein mit HTK vergleichbarer NPK-Dünger. Die Nachfrage ist groß. Die Produktion inklusive der ambitionierten Ausbaustufen ist nach Aussage der Gründer bis Ende kommenden Jahres ausverkauft.