
Tierwohl. Wie viel Faser braucht das Schwein?
Rohfaser ist ein Futterinhaltsstoff, den man im Fleisch nicht wiederfindet. Daher ist eine Messung des Bedarfs schwierig. Doch in Versuchen haben Schweine gezeigt, wie viel sie benötigen – und das ist mehr als bisher gedacht, sagt Eckhard Meyer.
Ohne organisches Beschäftigungsmaterial geht heute nichts mehr: Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung legt fest, dass Schweine Zugang zu faserreichem, organischen Material haben müssen, um arttypisches Erkundungsverhalten ausleben zu können. Zudem empfiehlt die EU, dass Beschäftigungsmaterial auch einen ernährungsphysiologischen Nutzen haben soll. Vor diesem Hintergrund entstand das Konzept einer Beschäftigungsfütterung mit pelletierten Faserträgern wie Stroh, Gras, Luzerne oder Wühlerde. Welche Vorteile bietet ein solches Angebot und wie viel davon braucht ein Schwein?
Kernstück des Konzepts
Dazu gehört neben der Auswahl eines geeigneten Beschäftigungsfutters eine räumlich vom Hauptfutter getrennte Vorlage. Eine hohe Frequenz der Einzelgaben bei kleinen Einsatzmengen garantiert die Frische und damit die Attraktivität des Beschäftigungsfutters.
Welchen Effekt eine Beschäftigungsfütterung auf das Tierverhalten und die Tiergesundheit hat, wurde über drei Jahre am Lehr- und Versuchsgut Köllitsch untersucht. Dabei gingen zwölf Durchgänge Ferkelaufzucht und vier Durchgänge Schweinemast mit insgesamt 1 740 Ferkeln und 534 Mastschweinen in die Auswertung ein. Das Hauptfutter wurde sowohl in der Aufzucht als auch in der Mast in Rohrbreiautomaten angeboten. Das pelletierte Beschäftigungsfutter (Stroh, Luzerne oder Gras) wurde in der Aufzucht in Futterschalen, in der Mast über einfache Trockenfutterautomaten in Ergänzung zur Hauptfütterung ad libitum angeboten. In der Ferkelaufzucht, nicht aber in der Schweinemast, wurde in zwei Durchgängen Wühlerde bereit gestellt. Die analytisch ermittelten Inhaltsstoffe der eingesetzten Haupt- und Beschäftigungsfuttermittel fasst die Übersicht zusammen. Die eingestellten Rohfasergehalte von 3,8 % in der Ferkelaufzucht und von 4,5 % in der Schweinemast bewegen sich an der unteren Grenze der Versorgungsempfehlungen. Das ist für das weitere Verständnis der Ergebnisse von grundlegender Bedeutung.
Schweine bevorzugen Pellets
Die Vorlage des Beschäftigungsfutters in pelletierter Form führte zu einem etwa viermal höheren Verzehr als in vergleichbaren Versuchen mit unverarbeitetem Raufutter. Offensichtlich werden gepresste Verarbeitungsprodukte, deren Form und Konsistenz an natürliche, auch von Wildschweinen bevorzugte Nahrung (Maiskörner, Bucheckern, Eicheln, Waldboden) erinnern, gegenüber unverarbeiteten Raufuttermitteln wie Stroh oder Heu von Hausschweinen präferiert. Das kann für die Prävention bzw. Verzögerung des Auftretens von Schwanzbeißen eine wichtige Rolle spielen.
In der Ferkelaufzucht werden die angebotenen Beschäftigungsfutter unterschiedlich und im Verlauf der Ferkelaufzucht immer besser akzeptiert (Grafik 1). Der Verbrauch erfolgt diametral zum Rohfasergehalt und wird, anders als in der Schweinemast, offensichtlich vom Zuckergehalt (9 % Grascobs gegenüber 2,5 % Strohpellets) und der Pelletgröße (Grascobs 17 mm, Luzerne- und Strohpellets 8 bzw. 9 mm) überlagert. Der Verzehr ist bei den Grascobs am höchsten. Strohpellets mit einem Rohfasergehalt von über 40 % und einem niedrigen Zuckergehalt werden in deutlich geringerem Maße akzeptiert.
Aufzucht
Während der gesamten Aufzuchtperiode von 35 Tagen entstand ein Verbrauch von 1 762 g Grascobs je Ferkel, 1 190 g Luzernepellets, 1061 g Wühlerde und 572 g Strohpellets. Futterverluste wurden nicht beobachtet. Unter Berücksichtigung des ermittelten Rohfasergehaltes (Übersicht 1) führt die Aufnahme des Beschäftigungsfutters zu einer zusätzlichen Faserversorgung von 10 g (Garscobs), 7 g (Luzernepellets) bzw. 6 g (Stohpellets) je Ferkel und Tag. Auch der Wühlerdeeinsatz führte zu einer Erhöhung der Faserversorgung um 6 g/Ferkel/Tag. Es zeigt sich, dass die Beschäftigungsfutter, mit Ausnahme der zuckerhaltigen Grascobs, bezogen auf ihren Rohfasergehalt in konstanten Mengen zusätzlich zum Hauptfutter gefressen werden. Unter Berücksichtigung des ermittelten Hauptfutterverzehrs von 950 g werden die Beschäftigungsfutter also in einem Maße zusätzlich verzehrt, als wenn 0,6 % bis 0,7 % Rohfaser im Hauptfutter »gefehlt hätten«.
Mast
Bei täglichen Zunahmen von über 1 000 g je Mastschwein und Tag verzehrten die Tiere von den unterschiedlichen Beschäftigungsfuttern – analog zu den Beobachtungen in der Ferkelaufzucht – nahezu gleiche Rohfasermengen von 14 bis 18 g je Mastschwein und Tag. Im Vergleich zur Hauptfutteraufnahme in der Ferkelaufzucht (950 g je Ferkel und Tag) nehmen die Mastschweine durchschnittlich etwas mehr als dreimal so viel Futter (3 070 g je Mastschwein und Tag) auf. Der Rohfaserverzehr über die Beschäftigungsfutter ist mit 15 g je Tier und Tag absolut betrachtet aber nur etwa doppelt so hoch. Die Vermutung liegt nah, dass die Tiere nur so viel Beschäftigungsfutter aufnehmen, wie erforderlich ist, um ihren Rohfaserbedarf zu decken. Dafür spricht auch: Wie viel von den unterschiedlichen Beschäftigungsfuttern aufgenommen wird, hängt auch in der Schweinemast von deren Fasergehalt ab (Grafik 2). Um die durchschnittlich 15 g zusätzliche Faseraufnahme je Tier und Tag aus den Beschäftigungsfuttern über den Hauptfutterverzehr von 3 070 g zu erreichen, hätte dieses zusätzlich 0,5 % Rohfaser enthalten müssen. Auch die Mastschweine zeigen offensichtlich ein Defizit an Rohfaser in der Hauptration durch den Verzehr von Beschäftigungsfutter an.
Beschäftigungsfutter verbessert Gesundheit und Leistung in der Aufzucht
Unterstellt man, dass Ferkel und Mastschweine das Beschäftigungsfutter in einem Maße aufnehmen, wie es ihrem im Hauptfutter nicht gedeckten Bedarf entspricht, beträgt der Gesamtbedarf der Aufzuchtferkel etwa 43 g je Tag, der der Mastschweine etwa 154 g. Um diese Versorgung allein über die Hauptfutter zu gewährleisten, hätten diese 4,5 % Rohfaser in der Ferkelaufzucht und 5,1 % in der Schweinemast beinhalten müssen.
In nahezu allen ausgewerteten Versuchen konnte gezeigt werden, dass Beschäftigungsfutter in der Aufzucht einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und Leistung der Ferkel hat. Ein solcher Effekt war in der Mast allerdings nicht zu beobachten. Lediglich beim zusätzlichen Angebot von Luzernepellets deutet sich ein positiver Effekt auf den Futteraufwand an, da weniger Hauptfutter verbraucht wurde. Allein dadurch werden die entstehenden Kosten für das Beschäftigungsfutter in der Mast überkompensiert. Ansonsten gibt es in der Mast preiswertere Möglichkeiten für ein Angebot von organischem Beschäftigungsmaterial.
Fasern müssen differenzierter betrachtet werden
Die Rohfaserfraktion gemäß Weender Futtermittelanalyse wurde lange eher als Nährstoffverdünner im Schweinefutter angesehen. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass für hohe Wachstumsleistungen oder die Haltung unkupierter Tiere eine ausreichende Faserausstattung obligatorisch ist. Denn sie ist ein wesentlicher Faktor bei der Unterstützung der Darmfunktion und damit für Tiergesundheit und Tierwohl. Trotzdem werden Fasern bis heute nicht ausreichend differenziert (nach physiologischen sowie physikalisch-chemischen Eigenschaften) bewertet. Das liegt vor allem an fehlender Analytik. Die praktische Fütterungsberatung orientiert sich deshalb nach wie vor an der klassischen Rohfaserfraktion aus der Weender Futtermittelanalyse ohne Berücksichtigung der Verdaulichkeit von Fasern und empfiehlt pauschal 4 % für die Ferkelaufzucht und 5 % für die Schweinemast.
Beschäftigungsfutter ist mehr als die reine Deckung des Rohfaserbedarfs
Rein fütterungsökonomisch gesehen ist es in der Schweinemast also günstiger, den Fasergehalt im Hauptfutter zu optimieren und auf den Einsatz von Beschäftigungsfutter zu verzichten. Das führt aber nicht zu der gewünschten Erhöhung der Beschäftigungszeiten. Mit Beschäftigungsfutter hingegen befassen sich Schweine fünf bis sechs Mal länger als mit technischen Beschäftigungsgeräten.
Doch eine rohfaserreiche, zweite Futterstrecke hat neben der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zum organischen Beschäftigungsmaterial ein anderes großes Plus, insbesondere bei der Haltung unkupierter Schweine: Die Tiere bekommen die Möglichkeit, zwischen zwei Futtern ganz unterschiedlicher Qualität zu wählen. Im Ergebnis von vielen Jahren Versuchstätigkeit mit unkupierten Tieren schätzen wir ein, dass es heute in der Haltungspraxis geradezu utopisch ist, Haltungsumgebungen schaffen zu wollen, die immer optimale Bedingungen realisieren. Viel zielführender ist es, den Tieren die Möglichkeit zu geben, auf Stressfaktoren durch Haltung, Klimaführung oder eben auch Fütterung zu reagieren. Die Wahlmöglichkeit ist dabei der Schlüssel zum Erfolg auf dem Weg zum Kupierverzicht. So zeigen Untersuchungen, dass Beschäftigungsfutter sich vorwiegend in der Kombination mit Rohrbreiautomaten und vor allem bei unkupierten Ferkeln positiv auf unerwünschte Verhaltensweisen auswirkt. Warum ist das so? In dem sensiblen Zeitfenster des letzten Drittels der Ferkelaufzucht sind sehr hohe Zunahmen der Ferkel von bis zu 1000 g keine Seltenheit mehr. Gleichzeitig sind die in der Praxis mit dem Ziel der Verbesserung der Fütterungshygiene überwiegend verbauten Rohrbreiautomaten keine Breiautomaten mehr. Aktuelle Auswertungen zeigen: Sie sind eher Trockenfutterautomaten mit kurzen Wegen zum Wasser und (zu) wenig Fressplätzen. Dadurch verstärkt sich die Gefahr, dass die Ferkel in kurzer Zeit mehr fressen als sie verdauen können. Das Verhältnis von Futteraufnahmemenge je Zeiteinheit zum physiologischen Futteraufnahmevermögen ist für viele Faktoren (Genetik, Fütterungstechnik, Fütterung usw.) der wichtigste Schlüssel zum Verständnis der Probleme mit Schwanznekrosen und Schwanzbeißen.