Kanada. Ackern in der Prärie
Die Provinz Alberta ist bekannt für ihre geografische Vielfalt und die guten ackerbaulichen Bedingungen. Auch Familie von Rennenkampff wirtschaftet auf zwei Betrieben in der fruchtbaren Schwarzerderegion. Christian Mühlhausen hat sie besucht und über Entwicklungen und Herausforderungen gesprochen.
Westlock, eine rund 5 000 Einwohner zählende Kleinstadt an den nördlichen Ausläufern der Great Plains in der kanadischen Provinz Alberta. Bis zur Provinzhauptstadt Edmonton, die auch als boomende Ölhauptstadt Kanadas bekannt ist, sind es rund 90 km. Hier in der Region hat die Familie von Johann Diedrich von Rennenkampff (71) vor 45 Jahren Wurzeln geschlagen. Heute bewirtschaftet sie insgesamt 1 300 ha Ackerland auf zwei Farmen, die mittlerweile von den Söhnen Carl Alexander (37) und Magnus (39) geleitet werden.
Alberta ist sehr vielfältig
Von den Rocky Mountains im Westen bis zu den weiten Prärien im Osten. Diese geografische Vielfalt führt auch zu unterschiedlichen klimatischen Bedingungen, die den Ackerbau beeinflussen: Die südlichen Regionen (Bow River Valley, Lethbridge) sind eher trocken bis semi-arid (heiße Sommer, kalte Winter) mit sandigen Böden. Der Norden hingegen ist kühler und niederschlagsreicher. Dazwischen in den zentralen und östlichen Regionen, wo sich auch von Rennenkampffs Farm befindet, liegen die fruchtbaren Schwarzerdeböden (Chernozem). Sie haben vor allem seit den Nachkriegsjahren Ackerbauern aus der ganzen Welt angelockt.
Das trotz der fruchtbaren Schwarzerdeböden geringe Ertragsniveau in Alberta gegenüber Europa hat mehrere Gründe. Zum einen ist es die kurze Vegetationsdauer, die den Anbau der ertragsstärkeren Winterungen erschwert, mit zunehmender klimatischer Veränderung aber allmählich nun doch möglich macht. Zum anderen sind es die geringeren Niederschläge von durchschnittlich 520 mm pro Jahr. Das entspricht in etwa brandenburgischen Verhältnissen. Dabei ist oft auch die Winterfeuchte nicht ausreichend.
All das führt dazu, dass die meisten Betriebe ein Low-Input-System fahren: Dünger und Pflanzenschutzmittel werden nur sehr sparsam eingesetzt, um die Kosten zu begrenzen. Eine Bodenbearbeitung erfolgt entweder gar nicht oder nur minimal.
Gentechnisch verändertes Saatgut ist bei vielen Kulturen (Raps, Mais, Kartoffeln, Soja, Zuckerrübe, Luzerne) Standard. Ein gesellschaftliches Diskussionsthema sei die Gentechnik in Kanada nicht, sagt Johann von Rennenkampff.
Die Region auf einen Blick
Der Bundesstaat Alberta ist nicht nur bekannt für seine Rocky Mountains sowie der florierenden Öl- und Gasindustrie. Auch ackerbaulich hat die Region großes Potential. Alberta ist nach Ontario die zweitgrößte Agrarprovinz des Landes: 41 500 Ackerbaubetriebe bewirtschaften rund 14 Mio. ha Land, besonders in den Ausläufern der großen Prärien. Wo es ausreichend regnet, dominiert der Anbau von Weizen, Raps, Hafer und Hülsenfrüchten. Im trockenen Südosten ist dagegen die Rindermast vorherrschend. Das »Feedlot alley« rund um Lethbridge gehört zu den viehintensivsten Regionen der Welt: Dort stehen auf 500 km2 2,3 Mio. Rinder. Etwa 60 % des kanadischen Rindfleischs werden dort produziert. Ein Großteil des in Alberta erzeugten Futtergetreides geht dorthin.
Die Böden sind bei bis zu 8 % Humusanteil sehr dankbar, weil gut nährstoffversorgt. Auf der Homestead Farm liegt der Humusgehalt bei 4 %. Von Rennenkampffs düngen die Sommerungen im Schnitt mit 100 bis 110 kg N/ha. Durch den frostigen Winter geht zwar kein Stickstoff durch Auswaschung verloren. Aber: »Beim gestreuten Dünger weiß man in trockenen Jahren nicht, ob man ihn hinterher im Ertrag überhaupt wiederfindet. Und beim Pflanzenschutz reicht uns im Weizen meist eine frühe Herbizidbehandlung sowie eine Fungizidbehandlung im Fahnenblattstadium«, so der Senior. Mehr Fungizide führten zu späterer Abreife und so zu mehr Ertrag.
Die spätere Ernte kann aber auch nachteilig sein: Denn bis Mitte Oktober muss alles erledigt sein. Dann kommt meist der erste Frost. Teils sind die Temperaturen aber auch schon vier Wochen vorher im Minusbereich. »Es gab Jahre, da haben wir im November bei Frost gedroschen. Und wenn es ganz unglücklich kommt, sogar erst im Folgejahr im April«, berichtet Johann von Rennenkampff. Nicht immer sei das Erntegut trocken. Doch Energie ist günstig: Etwa 10 Ct kostet das Trocknen eines Bushels (etwa 27 kg Weizen, 25 kg Mais und 15 kg Hafer).
Wie die Rennenkampffs nach Kanada kamen
Als junger Mann bewirtschaftete Johann von Rennenkampff mit seinen Eltern einen kleinen Betrieb in Südosthessen. Nebenbei reiste er gerne – unter anderem zu seinem Onkel, der 1952 als Landarbeiter nach Kanada ging. Da die Möglichkeiten auf dem elterlichen Hof bei Gelnhausen beschränkt waren und ihn die Chancen in Kanada faszinierten, fasste er als 19-Jähriger im Jahr 1974 den Entschluss, nach Kanada auszuwandern. »Die Provinz hatte damals international nach Fachkräften gesucht – das war meine Chance«, so der studierte Agrarwissenschaftler. 1978 war es dann soweit. Johann von Rennenkampff zog zunächst zu seinem Onkel nach Mayerthorpe, etwa 140 km westlich von Edmonton, ein Jahr später kam seine heutige Frau Susanne nach.
Sie suchten und fanden eine Farm, auf der sie von 1981 bis 1992 wirtschafteten – allerdings auf schlechtem Boden mit versteckten Stauschichten und Salz im Unterboden. Gute Ernten gab es selten, stattdessen saß ihnen die Bank bei einem Zinsniveau von über 7 % im Nacken. »Die 80er Jahre waren betrieblich keine guten Jahre, aber wir haben viel gelernt«, erinnert sich Johann von Rennenkampff. Sie suchten drei Jahre lang einen neuen Standort und wurden schließlich bei Westlock fündig. Da es in der Nähe des Stammbetriebs keine Option für eine Erweiterung gab, wurde Ende der 90er Jahre ein zweiter Betrieb ca. 40 km entfernt aufgebaut. Diesen übernahm Sohn Magnus im Jahr 2012, während Carl 2017 den elterlichen Betrieb in Pacht übernommen hat.
In ganz Alberta wie auch bei von Rennenkampffs ist Weizen die wichtigste Kultur. Die Provinz zählt mit einer Fläche von 7,5 Mio. ha zu den führenden Weizenregionen Kanadas. Und Kanada gehört zu den weltweit fünf größten Exporteuren. Im vergangenen Jahr wurden in Alberta knapp 10 Mio. t Weizen erzeugt. Ein Großteil ist Hartweizen und wird exportiert – vor allem nach Europa und Nordafrika, aber auch nach Asien.
Auch bei Raps (Canola), der in den 70er Jahren in Kanada als erucasäurefreie Variante mit konventionellen Züchtungsmethoden entwickelt wurde, ist die Provinz vorn dabei: Sie liefert 30 % der kanadischen Gesamterzeugung. Jährlich werden 3,2 Mio. t Rapssaat produziert. Sie ist eine der wichtigsten Exportkulturen.
Kanada ist auch ein Land der Biertrinker
Und mit der Gerste steht in Alberta eine Kultur, die zwar auch für die Futtermittelproduktion, bevorzugt aber als Braugerste angebaut wird. Hier zählt die Provinz zu den größten Produzenten weltweit. 2024 wurden dort etwa 4,5 Mio. t erzeugt. Ein Großteil davon geht in den Export. Da es aber auch viele Bierproduzenten vor Ort gibt, bleibt viel Ware in der Heimat und trägt zur Wertschöpfung bei.
Durch die sich weltweit verändernden Ernährungstrends sind wie bei uns zudem Hülsenfrüchte wie Linsen, Erbsen und
Kichererbsen in der Region auf dem Vormarsch. International beliebt ist auch kanadischer Hafer. In den nördlichen Anbauregionen lassen sich hohe Qualitäten erzeugen, die international für die Produktion von Haferflocken gesucht sind.
Wie in Deutschland stehen natürlich auch die Landwirte in Alberta vor einigen Herausforderungen. Zu nennen sind neben dem Klimawandel mit einer immer längeren frostfreien Saison ein zunehmender Arbeitskräftemangel. Der demografische Wandel macht vor Kanada nicht Halt, und der boomende Energiesektor zieht viele Arbeitskräfte ab. Nicht zuletzt ist Kanada stark abhängig vom Export.
Doch wie in vielen anderen Regionen der Welt bringen die klimatischen Veränderungen unterschiedliche Auswirkungen mit sich: Einerseits entsteht in einigen Regionen ein Wasserdefizit, was durch zunehmende Beregnung über Wasserkanäle aus den Rocky Mountains kompensiert wird. Andererseits führen mildere Winter und steigende Temperaturen zu längeren Vegetationsperioden. Die wärmeliebenden Kulturen rücken allmählich in den kühleren Norden vor. Und auch Winterungen sind auf dem Vormarsch.
Staatliche Unterstützung
Der Staat tut einiges, um seine landwirtschaftlichen Betriebe zu unterstützen. Allen voran wird der Sektor steuerlich bevorzugt, um die Kosten der Betriebe zu senken und sie wettbewerbsfähig zu halten. So sind viele Erzeugnisse mehrwertsteuerbefreit (»GST/ HST«). Bei der Einkommensteuer zahlen Limited-Betriebe (GmbH) unter 500 000 Can-$ pauschal 11 %.
Bei von Rennenkampffs sind die Fruchtfolgen nach wie vor von Sommerungen geprägt, vor allem Sommerweizen, -gerste und -raps, aber auch Erbsen und Hafer. »Winterweizen haben wir immer wieder mal probiert. Da aber die Erträge der Sommerungen gleich oder zum Teil höher sind, fällt uns die Entscheidung meist leicht«, sagt der Senior. Auch beim Raps setzt man auf die Sommerform. Weniger wegen der Auswinterungsgefahr, denn in der Regel gibt es genügend Schnee, der die Pflanzen schützt. Vielmehr spiele hier der Zeitfaktor die entscheidende Rolle: Die Druschflächen werden frühstens ab Anfang September frei. Die Zeit reiche dann nicht, um Raps zu etablieren. In diesem Jahr habe man allerdings 80 ha Winterweizen und 50 ha Winterroggen im Anbau, berichtet Carl von Rennenkampff. »Einfach, weil es gepasst hat. Und weil es seit Kurzem eine neue Sorte gibt, die mich 2024 überzeugt hat und auch dieses Jahr super im Feld steht.« Sein Bruder Magnus versucht sich an Winterroggen. Ziel ist es, das knappe Saatfenster im Frühjahr zu entlasten und die Druschzeit im Spätsommer nach vorne zu ziehen. Denn Winterroggen kann vier Wochen eher geerntet werden.
Beim Raps setzen von Rennenkampffs auf GVO-Sorten (50 % RoundUp-Ready, 50 % Liberty Link). Die Erträge liegen im Betrieb durchschnittlich bei 2,8 t/ha. Nur noch jedes vierte Jahr steht die Kultur in der Fruchtfolge, weil sich Krankheiten ausgebreitet hätten. Weiter nördlich gebe es aber noch Betriebe, die seit zehn Jahren ohne Ertragseinbußen dank des Klimas kontinuierlich Raps nach Raps anbauen.
Alle Kulturen kämen am Ende über die Jahre etwa auf einen ähnlichen Deckungsbeitrag, so Johann von Rennenkampff. Das angestrebte Ziel liegt bei 140 $/acre (etwa 235 €/ha), wenngleich es auch Einzeljahre mit 600 $/acre gebe. Die durchschnittlichen Erträge der übrigen Kulturen auf der Homestead Farm liegen bei Gerste bei 6,2 t/ha und bei Sommer- und Winterweizen bei 4,5 t/ha. Bei Hafer werden im Schnitt 6 t/ha gedroschen und bei Erbsen 4,5 t/ha. Um die Feuchtigkeit besser zu nutzen und wegen des Steinanteils im Boden, werden vor allem Erbsen und ein Teil des Getreides gewalzt, um die Ernte zu erleichtern.
Raps bildet heute in der Ernteabfolge das Schlusslicht. Wegen der größeren Schlagkraft und der besseren Abreife wurde er früher in der Region zum überwiegenden Teil im Schwad gedroschen. In dem Fall erfolgte die Ernte eine Woche bis 10 Tage eher als heute. Von Rennenkampffs gehören jedoch zu den etwa 75 % der Betriebe, die seit vielen Jahren auch den Raps direkt dreschen. Bei einer Aussaat der Sommerungen, die um den 15. April beginnt und bis zum 20. Mai dauert, haben die Kulturen gut 100 Vegetationstage mit einer aufgrund der Lage aber recht langen Tagesdauer hinter sich.
Auf dem Betrieb von Magnus von Rennenkampff werden auch Ackerbohnen und Hafer angebaut. Ziel sind beim weißen Hafer 6 bis 7,5 t/ha bei besten Qualitäten mit hohen Hektolitergewichten. Dieser Hafer wird von Pferdebetrieben im In- und Ausland zu hohen Preisen gekauft.
Familie von Rennenkampff demonstriert, wie erfolgreicher Ackerbau in den Prärien Kanadas aussieht: Der vorsichtige Einsatz von Betriebsmitteln, Minimalbodenbearbeitung, die strategische Diversifikation der Fruchtfolgen und die Nutzung gentechnisch veränderter Sorten ermöglichen es, trotz knapperer Vegetationsperioden konkurrenzfähig zu bleiben.