Hanf. Wiederentdecktes Multitalent
Sowohl im Supermarkt als auch in der Bau-, Textil- und Kosmetikbranche findet man immer mehr Hanfprodukte. Auf der Suche nach alternativen Kulturen interessieren sich auch Landwirte wieder verstärkt für diese altbewährte und vielseitige Nutzpflanze. Welche Möglichkeiten Hanf bietet und was es beim Anbau zu beachten gilt, zeigen Susanne Scholcz und Maendy Fritz.
Die Anbaufläche von Nutzhanf und die Zahl der anbauenden Betriebe sind in Deutschland von 2012 bis 2022 stetig angestiegen. Diese Entwicklung spiegelt sowohl das zunehmende Interesse der Verbraucher an Hanfprodukten als auch der Landwirte an einer alternativen Kultur wider. Im Jahr 2012 wurde Nutzhanf auf nur 424 ha von 95 Betrieben angebaut. Zehn Jahre später waren es bereits 880 Betriebe mit insgesamt 6 943 ha. Damit ist Hanf zwar nach wie vor eine Nischenkultur mit allerlei Herausforderungen. Dennoch bietet er Potentiale für die heimische Landwirtschaft.
Welche Nutzungsmöglichkeiten gibt es?
Nutzhanf ist eine sogenannte »Multi-Purpose-Pflanze«. Je nach Sorte und Anbau werden die erzeugten Rohstoffe Fasern, Schäben, Körner, Blüten und Blätter unterschiedlich eingesetzt. Seit langer Zeit bekannt ist die Verwendung der Fasern aus den Stängeln zur Herstellung von Textilien, Seilen und Papier. Darüber hinaus können die Fasern (teilweise auch inklusive der Schäben) als Dämmmaterial genutzt werden. Diese Schäben sind das holzige Innere der Stängel und werden als Einstreumaterial, für Verpackungen, als Baumaterialien, Torfersatz oder Brennmaterial verwendet.
Die Hanfkörner haben mit etwa 35 % einen hohen Ölgehalt und werden als Futter- und Lebensmittel genutzt. Die Körner sind geschält und ungeschält sowie weiterverarbeitet zu Riegeln, Aufstrichen und auch Öl und proteinreichem Hanfmehl mittlerweile in fast jedem Supermarkt erhältlich.
Blätter von Hanfpflanzen werden für Tee oder Kosmetikprodukte genutzt. Die für Hanf typischen Cannabinoide und Terpene befinden sich vor allem in den Blüten. Diese verwendet man zum einen ähnlich wie die Blätter. Weiter verbreitet ist aber die Extraktion aller oder einzelner Cannabinoide aus den Blüten zu beispielsweise CBD-Tropfen. Diese Extrakte werden in der Pharmazie sowie als Nahrungsergänzungsmittel oder Aromaöle hochpreisig verkauft.
In Süddeutschland liegt der Fokus auf der Körner- oder CBD-Produktion, das Stroh wird dort überwiegend als Reststoff betrachtet. In einigen Regionen Mittel- und Norddeutschlands findet man hingegen eher einen gezielten Anbau von Faserhanf, da dort die notwendigen Anlagen zum Aufschluss der Fasern vorhanden sind. Aktuell gibt es Bemühungen, den Faseranbau auch in Süddeutschland wieder zu etablieren und die nötigen Verarbeitungsstätten aufzubauen.
Worauf ist beim Anbau zu achten?
Hanf benötigt lockere, nährstoffreiche, tiefgründige Böden mit guter Wasserversorgung für optimale Erträge. Früher war der Anbau auf Niedermoorstandorten verbreitet. Vor allem zur Keimung und Jugendentwicklung hat Nutzhanf einen hohen Wasserbedarf und benötigt moderate Temperaturen. Ist das Wurzelsystem weitestgehend ausgebildet, ist Hanf vergleichsweise tolerant gegenüber Trockenstress. Allerdings verträgt er Bodenverdichtungen schlechter als jede andere Kulturpflanze. Sein Ruf zur Bereitung einer guten Bodengare geht eher auf die lang andauernde Beschattung durch dichte Faserhanfbestände zurück. Er selbst kann verdichtete Böden nicht wirkungsvoll aufbrechen und leidet extrem unter Luftmangel und Staunässe.
Auch die bekannte, sehr gute Unkrautunterdrückung schafft nur Faserhanf. Kurze Körnerhanfbestände erreichen keinen ausreichend dichten Bestandesschluss. Für den Anbau kurzstrohiger Sorten ist daher die Aussaat bei idealen Witterungs- und Saatbettbedingungen noch wichtiger, um ihnen in der Entwicklung einen Vorsprung vor den Unkräutern zu verschaffen. Ratsam ist auch der Anbau in weiter Reihe von 25 bis 37,5 cm, um zwischen den Reihen hacken zu können. Herbizide sind weder verträglich noch zugelassen. Insektizide und weitere chemische Pflanzenschutzmittel werden nicht benötigt.
Die Sortenwahl richtet sich nach der angestrebten Nutzungsrichtung
Sollen vor allem Körner erzeugt werden, sind druschfähige, kurze Sorten zu bevorzugen. Weiterhin können Abreife, Verzweigungsneigung, Korngröße, Cannabinoidgehalte, das Risiko für zu hohe THC-Gehalte im Erntegut sowie Stängeldicke und Faserzusammensetzung der Sorte je nach Vermarktungs- und Verwertungsrichtung eine Rolle spielen.
Und auch die Saatdichte orientiert sich an der Nutzung: Bei Körnerhanf sind 80 bis 100 Kö/m2 üblich (entspricht je nach Korngröße 5 bis 30 kg/ha). Legt man den Fokus auf die Faser-/ Strohnutzung, sind deutlich höhere Saatdichten von 200 bis 300 Kö/m2 bzw. ca. 60 bis 80 kg/ha im Getreidereihenabstand nötig, um lange und vor allem dünne Stängel zu erzeugen. Bei geplanter Koppelnutzung ist ein Kompromiss nötig, um die entscheidendsten Qualitätskriterien zu erfüllen.
Der Stickstoffbedarf liegt für alle Nutzungsrichtungen bei 120 bis 160 kg N/ha. Häufig sind bereits 100 kg ausreichend, wenn Standort und Bestand einen geringeren Ertrag erwarten lassen. Grundsätzlich nimmt Hanf viel Stickstoff auf. Die Gefahr einer Nitratauswaschung nach der Ernte ist daher sehr gering.
Erntetechnik und -zeitpunkt richten sich wiederum nach Nutzung, Sorte und Verarbeitungspfad: Je nachdem sind Drusch, Schnitt oder der Einsatz von Spezialmaschinen (z. B. für Strip-Verfahren) notwendig. Wichtig beim Drusch ist, dass potentielle Stellen für Faserwicklungen im Drescher abgedeckt werden. Außerdem muss das feuchte Korn unbedingt unmittelbar nach der Ernte getrocknet werden. Im Faserhanfanbau wird noch zwischen dem Einkürzen der Stängel auf meist etwa 60 cm lange Abschnitte und der Langstrohernte in Parallellage unterschieden. Die Hanfstängel verbleiben nach der Ernte für die sogenannte Röste auf dem Feld und werden dort ein- bis zweimal gewendet, um die spätere Trennung von Fasern und Schäben zu erleichtern. Mit Ausnahme des Körnerhanfanbaus sind zwingend (überregionale) Lohnunternehmer und/oder Vertragsanbau nötig.
Hanf lässt sich flexibel in Fruchtfolgen integrieren. Er ist nur entfernt mit Hopfen verwandt und kann als Sommerung sowie als abfrierende Winterzwischenfrucht (sogenannter Winterhanf für die Fasererzeugung) angebaut werden. Faserhanf als Sommerung kann beispielsweise nach einer Leguminose stehen und hinterlässt einen unkrautfreien, garen Boden für ein nachfolgendes Wintergetreide. Körnerhanf profitiert von einer Vorfrucht, die wenig Unkrautdruck hinterlässt. Da Winterhanf bis spätestens Mitte August gesät werden sollte, steht vorher meist ein Ganzpflanzengetreide, nach der Bergung im darauffolgenden Februar oder März folgen Sommerungen.
Wie steht es um die Wirtschaftlichkeit?
Ob sich der Anbau von Nutzhanf lohnt, lässt sich nicht pauschal beantworten. Dies hängt unter anderem von der Verwendungsrichtung, der vorhandenen Technik des Betriebes, den Standortbedingungen und den regionalen Verarbeitungsmöglichkeiten ab. Besonders Faserhanf verlangt Spezialtechnik für die Ernte und im Anschluss mehrere Verarbeitungsschritte bis zum fertigen Produkt. Sind in näherer Umgebung keine Aufschlussanlagen vorhanden, die die Fasern von den Schäben trennen, ist grundsätzlich von einem Faserhanfanbau abzuraten. Weite Transportwege sind weder aus wirtschaftlicher noch ökologischer Sicht sinnvoll. Auch Spinnereien für die Textilproduktion gibt es aktuell in Deutschland nicht. Körnerhanf muss nach der Ernte unmittelbar getrocknet werden. Danach lässt er sich gut in regionalen Ölmühlen oder von Lebensmittelproduzenten weiterverarbeiten. Hier können allerdings überschrittene THC-Grenzwerte zu einem Problem werden. Ein erneutes gründliches Reinigen oder Schälen der Körner verschafft zwar Abhilfe, verursacht aber erhöhten Aufwand und Kosten. Das mindert die Wirtschaftlichkeit erheblich.
Auch die Vermarktung von CBD-Produkten als Lebensmittel (hier greift die »EU-Novel-Food-Verordnung«) ist aufgrund der Gesetzeslage teuer und aufwendig. Als verarbeitetes Produkt, bei dem der Missbrauch zu Rauschzwecken ausgeschlossen werden kann (z. B. Zusatz im Kosmetikbereich oder »Aromaöl«) ist eine Vermarktung möglich.
Grundsätzlich gilt für alle Nutzungsrichtungen, dass man stets die gesamte Wertschöpfungskette im Blick haben muss. Die Abnahme aller Ernteprodukte sollte bereits vor der Aussaat abgesichert sein. Erst dann kommt Hanf als sinnvolle Alternative zu anderen Feldfrüchten in Betracht.
Landwirte profitieren nicht von einer Cannabis-Legalisierung
Anfang Oktober 2023 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften veröffentlicht. Ziele sind ein verbesserter Jugend- und Gesundheitsschutz und die Eindämmung des Schwarzmarktes. Cannabis und Tetrahydrocannabinol (THC) werden künftig nicht mehr im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt. Unter strengen Voraussetzungen soll die kontrollierte Abgabe an Konsumenten voraussichtlich ab Anfang 2024 legal sein.
Für die Beurteilung möglicher Auswirkungen der Entkriminalisierung auf die Nutzhanfbranche ist eine Differenzierung zwischen einerseits Cannabis als Genussmittel oder zu medizinischen Zwecken und andererseits Nutzhanf unabdingbar. Im Gesetzentwurf geht es um eine Änderung der aktuellen Drogenpolitik und nicht um Anpassungen, die die Nutzung von Hanf als nachwachsenden Rohstoff oder Lebensmittel betreffen. Er sieht im Nutzhanfbereich keinen Abbau der bürokratischen Hürden wie Anbauanzeige, Blühmeldung, Einreichung der originalen Saatgutetiketten und Erntefreigabe vor. Nutzhanf bleibt wie bisher im Betäubungsmittelgesetz mit einem Grenzwert von maximal 0,3 % THC definiert. Zusätzlich soll der Verkauf von Rohstoffen aus Nutzhanf weiterhin strafbar bleiben, solange ein »Missbrauch zu Rauschzwecken« nicht ausgeschlossen werden kann. Dies hat bereits in der Vergangenheit zu Verfahren gegen Landwirte und Verurteilungen von Vertreibern geführt. Da als Nutzhanf nur gelistete Sorten angebaut werden dürfen, die den THC-Grenzwert einhalten, ist diese »Rauschzwecke-Klausel« unverhältnismäßig. Viele Potentiale von Nutzhanf können aktuell nicht oder nur mit hohem Aufwand und mit Unsicherheiten bezüglich rechtlicher Konsequenzen seitens der Landwirte und Vertreiber ausgeschöpft werden. Neben den geplanten Änderungen zum Umgang mit Cannabis sind deshalb Anpassungen der Gesetzeslage in Bezug auf Nutzhanf unerlässlich.
Cannabis zu medizinischen Zwecken (Medizinalhanf) wird weiterhin nach Medizinal-Cannabisgesetz unter staatlich kontrollierten Bedingungen produziert. Cannabis zu Genusszwecken soll durch privaten Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen oder nicht gewerblichen Eigenanbau durch Anbauvereinigungen zum Eigenkonsum ermöglicht werden. Der Anbau von Cannabis zu Genusszwecken auf deutschen Äckern durch Landwirte ist
dabei keine Option.
Welche Auflagen und Kontrollen sind mit dem Anbau verbunden? Grundsätzlich ist Nutzhanfanbau nur landwirtschaftlichen Unternehmen erlaubt. Im Gegensatz zu anderen landwirtschaftlichen Kulturen ist der Anbau bei der zuständigen Landwirtschaftsbehörde über den Mehrfachantrag sowie bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) über die Anbauanzeige bis 1. Juli zu melden. Die Original-Saatgutetiketten müssen bei dem zuständigen Landwirtschaftsamt eingereicht werden, Nachbau ist nicht erlaubt. Für den Anbau sind nur Sorten zugelassen, die im jährlich zum 15. März veröffentlichten »Gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten« aufgeführt sind.
Außerdem muss bei beginnender männlicher Blüte für jede angebaute Sorte die Blühmeldung an das BLE erfolgen, die wichtig für die zeitliche Organisation der stichprobenweisen Beprobung ist. Beerntet werden darf die Hanffläche erst, wenn entweder das BLE die Beprobung vor Ort durchgeführt oder die Erntefreigabe erteilt hat. Die THC-Grenzwerte für Ernteprodukte liegen bei 3 mg/kg für Körner und bei 7,5 mg/kg für das daraus gewonnene Öl. Detailliertere Informationen zum Anbau, die notwendigen Formblätter sowie Ausfüllhinweise für den Mehrfachantrag finden Sie z. B. unter: tfz.bayern.de/rohstoffpflanzen/einjaehrigekulturen.